Parlez-vous Franglais fédéral?
Tatsache ist: Im Ausland sprechen Schweizer mit Schweizern Englisch. Vor allem Deutschschweizer mit Romands, aber – man staune – auch Deutschschweizer mit Deutschschweizern. Cool! Das soll wohl Weltläufigkeit signalisieren. Provinzieller gehts nimmer, ganz im Sinne von Frühenglisch. Das Schweizer-Englisch ist nach meiner Erfahrung zudem meist deutlich schlechter als das gängige Français fédéral. Diese Beobachtung habe ich in Latein- und Nordamerika, in Europa und vor allem in Asien gemacht.
Parlieren in drei Sprachen
Aber eigentlich kann die Aneignung der schönen, ehemaligen Weltsprache Französisch doch nicht so schwierig sein. Für einmal ein dickes Lob an das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten EDA. Alle EDA-Angestellten, sowohl im konsularischen wie im diplomatischen Dienst, parlieren fliessend in Französisch, Deutsch und meist auch noch Italienisch. Die Weltsprache Englisch wird selbstredend vorausgesetzt. Bei den SBB werden Informationen auf der mir bekannten Linie Zürich–Genf sowohl von welschen als auch von Deutschschweizer Zugbegleitern und Begleiterinnen auf Deutsch, Französisch und Englisch durchgegeben.
Bei der bis Anfang der 1980er-Jahre noch zentralisierten Tagesschau kooperierten in Zürich Romands, Ticinesi und Deutschschweizer ohne grosse Probleme zusammen. Der Chefredaktor war Tessiner, sein Stellvertreter ein Romand. Gemeinsame Sprache war Französisch. Mit lupenreinem Französisch, dem etwas «gstabigen» Français fédéral und dem charmanteren Tessiner Französisch parlierte man an Redaktions-Konferenzen. Die Romands wiederum konnten sich sehr gut auf Hochdeutsch, einige sogar auf Schweizerdeutsch mit ihren Kollegen jenseits der Sarine unterhalten. Im übrigen waren alle des Englischen mächtig. Frühenglisch und Frühfranzösisch waren bei alledem noch nicht im Spiel.
Wie man heute zweifelsfrei weiss, bringen weder Frühfranzösisch noch Frühenglisch Vorteile. Ob Kinder erst im fünften, sechsten oder gar erst im siebten Schuljahr damit beginnen, spielt keine Rolle. Auf die Intensität kommt es an. Und, dies vor allem, auf die Lehrer. Warum, wäre endlich zu fragen, unterrichten nicht ausschliesslich Lehrer und Lehrerinnen aus der Romandie Französisch in Deutschschweizer Schulen? Die Schüler würden profitieren und die, wie immer wieder zu lesen ist, überforderten Deutschschweizer Lehrer auch. Wäre so einfach.
Zuerst richtig Deutsch lernen
Dass Frühenglisch wichtig sei für die Wirtschaft, ist eine Legende. Gewiss, Englisch ist fürs Business wichtig. Das kann man aber mit gutem Willen und grosser Motivation jederzeit lernen. Frühenglisch ist dazu nicht zwingend. Was für die Wirtschaft im Allgemeinen und fürs individuelle Denkvermögen jedoch sehr viel wichtiger ist, ist die Beherrschung der Muttersprache.
Die Muttersprache der Schweizerinnen und Schweizer: Dialekt oder Hochdeutsch? Für die Deutsche Schweiz hat das der emeritierte Germanistik-Professor Peter von Matt in einem Essay überzeugend dargelegt: «Die Muttersprache der Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer ist nicht der alemannische Dialekt und nicht das Schweizer Hochdeutsch, sondern beides zusammen (…) Es ist falsch und irreführend, den Dialekt als unsere Muttersprache und Hochdeutsch als eine Fremdsprache zu bezeichnen (…) Wir haben also den Dialekt, und wir haben das Schweizer Hochdeutsch. Beide zusammen decken das Spektrum einer kulturell vollkommen funktionierenden Sprache ab. Nur beide zusammen, nicht eine allein.»
Kantonale Erziehungsdirektoren, Bildungspolitikerinnen, Lehrpersonen und Forschende an pädagogischen Hochschulen sowie assortierte Bildungs- und Sprachexperten sollten sich vielleicht eher darüber Gedanken machen, wie zunächst einmal die Deutsch-Kompetenz unserer Kleinen verbessert werden könnte, anstatt mit halbgaren und verschwommenen Gewissheiten über Frühfranzösisch oder Frühenglisch oder beides zu diskutieren. Viele Mittelschullehrer und Universitäts-Professorinnen nämlich beklagen laut und deutlich die oft liederlichen Deutschkenntnisse ihrer Schüler und Studentinnen. Warum also nicht die ersten vier Schuljahre ein intensives Studium der Muttersprache?
Spätenglisch und Etwas-später-Griechisch
Aufgewachsen mit zwei Sprachen – Baseldytsch-Hochdeutsch und Französisch – und in Basel und Fribourg zur Schule gegangen, hat man natürlich leicht reden. Die eigene Erfahrung zeigt zwar, dass man sich Sprachen in jungem Alter einfacher aneignet, doch mit genügend Motivation und eisernem Willen – Lernen ist eben nicht, wie es der aktuelle Zeitgeist will, nur Fun – sind sie auch später durchaus noch lernbar. Erst im fünften Schuljahr begann ich beispielsweise mit den ersten zwei Fremdsprachen. Latein zum einen, Französisch, das mir von zu Hause aus schon geläufig war, zum andern. Im achten Schuljahr kam dann noch Alt-Griechisch dazu.
Ich habe dann im Alter von 18 Jahren Spätenglisch gelernt. Drei Monate in England, von Null auf Hundert sozusagen. Obwohl ich kein Frühenglisch genoss, habe ich es bis zum Managing Editor eines englischsprachigen Wirtschaftsmagazins gebracht. Trotz Frühlateinisch und Etwas-später-Griechisch habe ich es dank des intensiven Deutschunterrichts der Primarlehrerinnen Fräulein Pototzka und Frau Degen beruflich auf einen einigermassen grünen Zweig gebracht. Zwischen meinem 20. und 25. Altersjahr habe ich dann noch dreieinhalb weitere Sprachen dazugelernt.
«English first» – ein Unsinn
Cela dit, drängt es mich jetzt doch – entgegen chinesischen Gepflogenheiten – mich in die inneren Angelegenheiten der Schweiz einzumischen. Noch haben meines Wissens Basel-Stadt, Baselland, Bern, Solothurn, Freiburg und Wallis als erste Fremdsprache Französisch auf dem Stundenplan. Wie lange noch? Die Kantone Thurgau und Nidwalden wollen Französisch in der Primarschule streichen. Entsprechende Volksinitiativen sind in Graubünden, Luzern und St. Gallen hängig. Auch der Aargau will in Nachäffung des vermeintlich ach so fortschrittlichen Zürich ganz auf «English first» setzen.
Widerspruch! Gelbe Karte!! Bundesrat Alain Berset fordert zu Recht, dass alle Schweizer Kinder bereits in der Primarschule Französisch lernen sollen. «French first» also. Für die Romands sind die Vorstösse der Deutschschweizer Kantone ein Affront. Als erste Fremdsprache sind für mich weitab in Fernost Französisch, Italienisch oder sogar Romanisch zwingend, und sicher nicht Englisch. Gute Lehrer und Lehrerinnen vorausgesetzt, steht dem nichts entgegen. Wir sind schliesslich in der Schweiz.
Journalistische Unbeholfenheit
Medial wird das Gezänke um Frühfranzösisch in der Deutschschweiz meist unbeholfen begleitet. Wenn ein Journalist in Jugendjahren schlechte Erfahrungen mit Französisch gemacht hat, wird das im Text bald ersichtlich. Den Vogel abgeschossen hat ein Journalist in einer lokal weltberühmten Zürcher Wochenzeitung, der sich brüstet, bei der Matura nach sechseinhalb Jahren Französisch eine blanke 6 abgeliefert zu haben, damit aber nicht in der Lage sei, sich mit seinen Korrespondenten-Kollegen im Bundeshaus einigermassen fliessend zu unterhalten. Ist denn der junge Mann nie auf die naheliegende Idee gekommen, sich für einige Zeit nach Paris, Tours oder nach Lausanne, Genf zu begeben, um intensiv an seinem mündlichen Französisch zu arbeiten?
Im selben Blatt behauptet jenseits aller Recherche ein notabene ausländischer Redaktor von den «Eidgenossen», sie kommunizierten «eben nicht polyglott»: «Stattdessen schweigen sie sich an – in drei verschiedenen Sprachen.» Das Schul-Französisch sei «leider total passé». Hier wäre eindeutig das chinesische Prinzip der Nichteinmischung – zumal von deutscher oder österreichischer Seite – in die inneren Schweizer Sprachangelegenheiten angebracht.
Insgesamt wäre bei der ganzen Schweizer Sprachendiskussion wohl mehr Gelassenheit gefragt. Aus der Ferne ein freundeidgenössischer Vorschlag zur Güte: flächendeckende Einführung von Frühromanisch als erste Fremdsprache. Im Tessin, der Romandie und der Deutschschweiz.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.
Danke Peter Achten für den Blick aus dem Reich der Mitte: vermutlich man etwas Distanz nehmen, um die Diskussion zum Frühsprachenstreit breiter zu kommentieren. Mir z. B. fehlt die Distanz, ich bin Bildungspolitikerin im Aargau und fühle mich als bilingue (Eltern aus Zürich, in der Westschweiz die Schule besucht) auch vor den Kopf gestossen, wenn der gesellschaftliche und der politische Aargau findet, «English first».
Ich verstehe, dass es deutschschweizer SchülerInnen gibt, die Mühe mit der französischen Grammatik haben (die Franzosen haben übrigens das Problem oft auch …), die deutsche Grammatik ist aber keineswegs einfacher für die Romands! Und dann lernen sie erst noch ein Deutsch, dass nicht die Umgangssprache ist. Deshalb finde ich, französisch sollten die deutschschweizer Kinder zuerst lernen: spielerisch, vor allem mündlich, damit sie Freude am Klang der Sprache, am reden und am spielen mit Worten bekommen. Die Grammatik kann dann später nachgeliefert werden, meinetwegen in der Oberstufe. Ich habe mich als Kind auch gewundert, dass wir keine Lehrer mit Muttersprache Deutsch in einer zweisprachigen Stadt hatten (Biel-Bienne). Und ich wundere mich immer noch, warum nicht mehr Schulen Austauschprogramme pflegen.
Den Zugang zu einer zweiten Landessprache zu schaffen, hat meines Erachtens nach wie vor Priorität, das ist eine Frage des Anstands unter Schweizern. Ich hätte in der Schule auch gerne Romanisch gelernt, wenn es angeboten worden wäre …
Danke für den Beitrag. Die Erfahrung, dass das Schweizer-Englisch meist deutlich schlechter als das gängige Français fédéral sein soll, kann ich gar nicht bestätigen.
Auch ich danke für den differenzierenden Beitrag. Allerdings möchte ich empfehlen, in dieser Diskussion auch die pragmatische Brille aufzusetzen. Welche Sprache hat Sie, Herr Achten, auf all den Erdteilen, die Sie bereist haben, am weitesten gebracht? Selbstverständlich Englisch. Ich finde den Zusammenhalt unter Eidgenossen wichtig, doch hängt dieser in meinen Augen nicht zwingend davon ab, dass in einer Landessprache gesprochen wird, sondern dass gesprochen wird. Ich habe 23 Jahre den Verlag geleitet, der eine englischsprachige Fachzeitschrift mit Lesern in 183 Ländern publiziert. In dieser Eigenschaft habe ich jährlich vier Kontinente besucht und überall – auch in Frankreich – englisch gesprochen. Ich fand es im Kontakt mit Menschen französischer Muttersprache sogar hilfreich, in einer für beide fremden Sprache zu kommunizieren, also auf gleichem Niveau.
Jeder Artikel von Peter Achten ist ein Genuss, hoffe, falls ich mal nach China reisen kann, auch ihn zu treffen, es gäbe noch Themen, die man besser nicht öffentlich diskutiert. Noch als Ergänzung: Das Eindrücklichste zum Thema, was ich in letzter Zeit von einem Schweizer Politiker gelesen habe, war ein langer selbst geschriebener französischer Leserbrief in den Schaffhauser Nachrichten als Plädoyer für diese Landessprache. Autor: Ständerat Thomas Minder. Seine Gegner bzw. die Anhänger des Englischen konnten ihm nur vorwerfen, dass der Brief zum Teil in holprigem Französisch geschrieben sei. Dabei beweist gerade dieser Umstand, dass er den Brief selber geschrieben hat, hinsteht und sich wirklich engagiert. Unser Hauptproblem, u.a. auch meines , beim Französischen, ist, dass wir Hemmungen haben, schwerfällig zu sein, dabei wäre gerade dieses Bemühen ein freundeidgenössischer Akt. Umgekehrt wirkt zwar der welsche Akzent schon klar charmanter als unser Français fédéral.
@ Noch herzlichen Gruss an Eva Eliassen. Sie hat das Herz nicht auf dem rechten Fleck, sondern auf dem richtigen Fleck.
Natürlich lese auch ich gerne Artikel von PG Achten. Aber mit Verlaub: Wenn das einzige Argument für «French first» lautet «Wir sind schliesslich in der Schweiz», dann ist das schon etwas dünn.
@Heisst PG etwa Parteigenosse? Wohl eher nicht, vermutlich Peter G. Achten. «Wir sind in der Schweiz» ist selbstverständlich ein Argument, so wie in Belgien die jeweils andere Landessprache fundamental und existentiell ist, stellen Sie sich vor, Flamen und Wallonen würden sich auf Englisch miteinander unterhalten. Ich würde zusätzlich noch auf die «Latinität» des Französischen pochen und das Nichtanerkennenwollen des angelsächsisch-amerikanischen Kulturmonopols. Dies nicht als Ressentiment, sondern als Warnung vor einer kulturellen Verarmung.
Danke für die Blumen, Pirmin Meier. Ich überlege jetzt gerade fieberhaft, wie die Wallonen und die Flamen miteinander reden: ich weiss es eigentlich nicht … Ich habe nur schon gehört, dass sie am liebsten gar nicht miteinander reden – soweit möchte ich es hier nicht kommen lassen. Von daher ist das Argument «wir sind schliesslich in der Schweiz» durchaus ein valables Argument.
Und übrigens, das mit der Latinität ist sehr richtig: ich habe relativ leicht italienisch und spanisch gelernt. Portugiesisch und Katalanisch verstehe ich, wenn ich es lesen kann. Und spanisch war auch einmal eine Weltsprache und ist heute noch weit verbreitet auf der weiten Welt.
Zum interessanten, weil gelebten Beitrag von P.G. Achten kann ich seiner Aufforderung, vor allem erst einmal gutes Deutsch zu lehren und die Deutschkompetenz zu fördern nur beistimmen. Als professionelle übersetzerin in italiano aus Deutsch erlebe ich die fehlende Kompetenz täglich. Auch ich wundere mich zudem immer wieder dass bei der vielgepriesenen Mehrsprachigkeit kein Austausch der Lehrkräfte aus den jeweiligen Sprachregionen besteht. Statt Fremdsprachenunterricht in oft holprigen angelernten Sprachen zu erteilen, würden die Schüler die gute Aussprache und das Gehör für die zu erlernende Sprache mitbekommen.
Gerne unterstütze ich P. Achtens These, dass in der Grundschule zunächst einmal richtiges Deutsch gelernt werden soll. Ich helfe als Senior mit grossem Vergnügen in einer 4. Primarschulklasse mit und bin über die schwachen Deutschkenntnisse der Lehrpersonen oft schlicht entsetzt: Sie übersetzen gleichsam wörtlich aus dem Schweizerdeutschen ("davon bin ich absolut überzogen") oder kennen die Verbformen nicht (gemalen, statt gemalt bei Bildern) usw. Die Kinder kommunizieren untereinander per Handy in einem beliebigen Schweizerdeutsch, wobei jedes Wort so geschrieben wird, wie es das schreibende Kind ausspricht.
Also: Korrektes Deutsch zuerst. Danke Peter Achten.
Ueli Ganz
Ich wäre nicht allzu pessimistisch über die lokale Völkerverständigung. Ich war immerhin 18 als ich zumerstenMal den damals noch nicht so benannten Röstigraben querte, um an die Expo 64 zu fahren.
Auch nach einem Jahr an der Uni Genf, hatte ich noch Schwierigkeiten mit grundlegendem Vokabular ("utilité margina(b)le» = ?) und erst «mai 68», welcher in genf erst im 69 abgehalten wurde hat meiner französische Rhetorik die praktische Übungsmöglichkeit zur sentimentalen Befreiung gebracht.
Seither habe ich eine These auf ‹english› geschrieben und 10 Jahre oder so in französisch und englisch auf Uni-Niveau unterrichtet. Dabei war werde Früh-Englisch noch Früh-Französisch je ein Thema. Hingegen musste ich bei meiner Rückkehr in die Schweiz erst wieder einmal etwas Deutsch lernen…
Mein in Basel aufgewachsener Schwager, ein authentischer Romand, spricht mittlerweilen besser Deutsch, als dies mir noch vergönnt ist. Aber er verfügt auch über neue Schulmittel zum Französisch-Unterricht, welche vor Jahren vielleicht sogar mich für diese Sprache hätten enthusmiasieren können.
Ich habe französisch und englisch «sur le tas» gelernt und bin damit nicht schlecht gefahren. Dass meine Mutter diese und noch andere Sprachen sprach, war aber die permanente Herausforderung es ihr wenigstens gleich zu tun.
Dass mein Deutsch nicht besser wurde, möchte ich nicht meinem ehemaligen Detschlehrer Peter von Matt ankreiden. Aber 50 Jahre ‹francophonie› haben eben doch Auswirkungen. Mein aktuelles Problem; ich weiss immer noch nicht in welcher Sprache ich träume. Vor Jahren hatte ich mich angewöhnt auf englisch zu fluchen.
Das ist mir in der Zwischenzeit etwas ausgegangen. Vielleicht ist das ein ‹retour aux sources› ? Ich fluche (ganz leise zwar) aber wieder auf Luzerndeutsch.