Lernen am Computer hat seine Grenzen
«PC an Schulen bringens nicht», titelte der TagesAnzeiger über eine neue Auswertung der OECD zu den Pisa Ergebnissen von 2012. Auch im restlichen Blätterwald tönt es skeptisch: «Wer länger surft, wird nicht klüger» (Tagesspiegel, Berlin), «Keine besseren Leistungen durch Rechner an den Schulen» (STERN), «Computer machen den Unterricht nicht automatisch besser» (DIE ZEIT).
Unsinnige Versuchsanlage
Doch es ist natürlich Unsinn, wenn man erwartet, dass technische Medien den Schulunterricht automatisch «besser» machen. Lernprogramme zum Lesen und Schreiben können genauso eintönig sein wie das Pauken mit immer gleich aufgebauten Arbeitsblättern. Was der PISA-Studie vorzuwerfen ist: Sie überprüft naiv die These, dass Computer in der Schule die Schulleistung verbessern – nur um dann mit grossem Brimborium zu verkünden, dass dies nicht zutrifft. Dabei ist es selbstverständlich: Wer einfach einige Rechner mehr in die Schulen stellt, kann lange darauf warten, dass sich die Mathematik-Leistungen in die Höhe schrauben. Und dass man automatisch klüger wird, je länger man im Internet surft, wird auch niemand ernsthaft behaupten.
IT-Ausstattung von Schulen ist nicht entscheidend
So ist es kein Wunder, dass auch in jenen Ländern, die massiv in die IT-Ausstattung von Schulen investierten, wie es in der OECD-Studie heisst, «keine merklichen Verbesserungen» bei den Leistungen in den PISA Bereichen wie Lesen, Rechnen oder Naturwissenschaften festgestellt werden konnten. Denn ob diese Geräte fruchtbar im Unterricht eingesetzt werden, hängt davon ab, wie die Lehrpersonen für den Einbezug der Medien in den Schulunterricht geschult wurden. Nur wenn Lektionen mit Computer sorgfältig auf den «normalen» Unterricht abgestimmt sind, kann man etwas Positives bewirken.
Dazu passt es, wenn OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher betont: «Schüler, die an Schulen sehr häufig Computer benutzen, schneiden bei den meisten Lernergebnissen schlechter ab.» Jedenfalls schnitten im Vergleich mit den PISA Resultaten jene Länder am besten ab, deren Schülerinnen und Schüler nur in durchschnittlichem Mass am Computer recherchierten oder Aufgaben lösten. Erst dahinter kamen jene Länder, die Computer kaum einsetzen oder in denen die Schülerinnen und Schüler sie täglich nutzen. In den Schulen von Shanghai und Südkorea nutzen etwa nur 42 bzw. 38 Prozent der Schülerinnen und Schüler Computer. Dennoch stehen sie ganz an der Spitze in Bereichen wie digitales Lesen oder computerbasierte Mathematik.
Kein Notstand in der Schweiz
Wie steht es aber in der Schweiz? Wie in den meisten der untersuchten westeuropäischen Länder ist der Computer bei fast allen Jugendlichen angekommen. So haben 99,5 Prozent der getesteten Schüler mindestens einen Computer zu Hause, knapp 60 Prozent besitzen sogar drei und mehr. Ganz ähnlich in Deutschland: Hier verfügen 15-Jährige zu 99,4 Prozent fast durchweg einen Computer, und 54 Prozent verfügen sogar über drei oder mehr Geräte.
Angesichts der Empfehlung, den Computer nicht zu häufig in den Schulen einzusetzen, gibt es in unseren Schulen keinen Computernotstand. Gegenüber Ländern wie Schweden und Dänemark ist die Internetnutzung in den deutschsprachigen Ländern recht bescheiden
Schweizer Schülerinnen und Schüler nutzen den Computer im Schnitt also täglich nur 16 Minuten in der Schule. Viel intensiver ist die schulische Nutzung in Dänemark (46 Minuten), Schweden (39 Minuten) oder gar Australien (58 Minuten).
Die meiste Zeit sind die Schülerinnen und Schüler zudem ausserhalb der Schule im Internet zu finden. Doch auch hier ist dies mit rund zwei Stunden kein Vergleich mit der von der OECD mit sechs Stunden pro Tag angegebenen Schwelle, bei der es problematisch wird, weil dies zu schulischen Misserfolgen führen kann. Schüler, welche mehr als sechs Stunden pro Tag im Internet surfen, fühlen sich in der Schule häufiger einsam; sie kommen häufiger zu spät zum Unterricht oder schwänzen gar hin und wieder.
Fragezeichen bleiben
Soll man also jubeln, dass Schweizer Schülerinnen gerade mal eine Viertelstunde am Computer sind, weil der PISA-Erfolg damit nicht gefährdet ist? Doch die Zahlen belegen leider auch, dass die Schule bei der Nutzung digitaler Medien immer stärker abgehängt wird. Während in der Wirtschaft und im privaten Bereich ohne Medien nichts mehr geht, schottet sich die Schule immer noch zu sehr ab. Das Potenzial der 88 Minuten, in welchen Jugendliche den Computer zu Hause nutzen, könnte auch in der Schule genutzt werden.
Es schleckt keine Geiss weg: Eine Schule, die auf den heutigen und den zukünftigen Alltag vorbereiten will, kommt an den digitalen Medien nicht vorbei. Denn zunehmend führt für alle von uns kein Weg mehr am Online-Banking, am Planen von Reisen im Internet oder am Ticketkauf auf Online-Portalen vorbei. Fernsehen verschmilzt mit dem Internet, Wikipedia hat die traditionellen Lexika ersetzt, Termine werden am Handy geplant.
Auch die Schule muss Teil dieser digitalen Gesellschaft werden, in der digitale Medien ganz selbstverständlich für viele Arbeiten eingesetzt werden können. Dies kann auch ohne Technik-Euphorie geschehen. Denn das Abwägen, wo Medien sinnvoll eingesetzt werden und wo nicht, gehört immer auch zum Unterricht über Medien. Dass «Always On»-Sein die Konzentration auf die Hausaufgaben stören kann, ist zum Beispiel etwas, was die Kids von heute oft erst wieder lernen müssen.
Auch wenn die digitalen Medien nicht zu besseren PISA-Ergebnissen führen, kann eine Schule, die Medien als Teil des heutigen Alltags wahrnimmt, viel dazu beitragen, die Kinder und Jugendlichen medienkompetent zu machen. Erfolg in PISA ist ja nicht alles, was Bildung ausmacht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Gratulation zu diesem Artikel. Wie hier klargestellt wird, verbessern technische Medien nicht per se den Schulunterricht. Wenn sich deren Nutzung nicht positiv auswirkt, wäre vielmehr danach zu fragen, ob die Lehrpersonen auch genügend ausgebildet sind, die neuen Technologien sinnvoll zu nutzen. Zweifellos stellen sich mit der digitalen Transformation sämtlicher Lebensbereiche neue Herausforderungen an Bildung, Aus- und Weiterbildung. Gemäss einer Reihe namhafter Wissenschaftler werden in den nächsten zwanzig Jahren bis zu 50 Prozent der heutigen Stellen verschwinden oder völlig umgestaltet werden (z.B. Prof. Erik Brynjolfsson, in „The Second Machine Age“). Der Lehrplan 21 sieht ein Modul „Medien und Informatik“ vor, welches auch Programmierkenntnisse umfasst. Das kann auch ganz spielerisch geschehe, z.B. in dem Schülerinnen und Schüler selbst Games am Computer kreieren. Kreativität und analytisches Denken werden gleichermassen gefördert und es macht Spass. Wunschvorstellung? Zukunftsmusik? Im Dezember 2015 findet die zweite Swiss Computer Science Education Week statt, organisiert vom Team von Professor Alexander Repenning, hier: http://www.csedweek.ch/
Hanna Muralt Müller