Studenten besetzten Uni Lausanne

Studenten hatten Teile der Universität Lausanne besetzt. © rts

Kritik an Unis: «Sie messen Israel und Russland mit zwei Ellen»

upg. /  Der Hochschul-Dachverband empfahl 2022, den Kontakt mit russischen Unis zu sistieren. Im Fall Israels sieht er es anders.

Die Kritik stammt von Professor Bernhard C. Schär, der an der Universität Lausanne eine internationale Forschungsgruppe zur globalen Politik der Schweiz leitet. In einem Gastbeitrag in Tamedia-Zeitungen erklärte er am 18. Mai:

«Swissuniversities, die Dachorganisation der Schweizer Hochschulen, empfahl 2022 noch, Kooperationen mit russischen Universitäten zu ‹überprüfen› und allenfalls zu ‹sistieren›. Im Fall von Israel gelte jedoch: Hochschulen seien ‹keine politischen Akteure› und könnten den Ausschluss anderer Institutionen ‹nicht tolerieren›».

Die Schweizer Dachorganisation erklärte am 9. März 2022:

«Der Vorstand von Swissuniversities empfiehlt den Schweizer Hochschulen, ihre wissenschaftlichen Kooperationen mit Hochschulen in Russland zu überprüfen und diese dort zu sistieren, wo eine Gefahr besteht, dass die Zusammenarbeit der Unterstützung für die aggressive Politik der russischen Regierung dient, die mit diesem Angriffskrieg gegen fundamentale Prinzipien der Menschenrechte, des Völkerrechts und grundlegende europäische Werte verstösst».

Weiter erklärte Swissuniversities im Jahr 2022:

«Die Schweizer Hochschulen werden alles in ihrer Möglichkeit Stehende tun, um Lehrende, Forschende und Studierende von ukrainischen Hochschulen aufzunehmen.»

Heute schweigt der Dachverband und bietet Forschenden und Studierenden der Universitäten im Gazastreifen nicht an, sie aufzunehmen.

Stellvertretend für viele Medien – so Professor Schär – habe die NZZ behauptet, israelische Universitäten «haben keinen direkten Einfluss auf die Geschehnisse» – gemeint sind die Kriegsverbrechen – im Gazastreifen. Israelische Forschende zu boykottieren, sei antisemitisch.

Schär kritisierte, dass Schweizer Medien über Forschungsberichte von Menschenrechtsorganisationen bisher nicht berichtet hätten. Deshalb bestehe bei Universitätsleitungen, Medien und Öffentlichkeit ein «Informationsdefizit». Schär zitiert folgende Fakten:

  • Die israelische Armee hat auch alle 12 Universitäten im Gazastreifen zerbombt und dabei 5479 Studentinnen und Studenten, 95 Professorinnen und Professoren sowie 261 Dozierende getötet und mehrere Tausend schwer verwundet. Insgesamt haben 625’000 Kinder, Jugendliche und Studierende keinen Zugang mehr zu Bildung.
  • Expertinnen und Experten der UNO sprechen von einem «Scholastizid» – der systematischen Vernichtung der Bildungsinfrastruktur und Tötung des Bildungspersonals. Wer sich auf Forschungsfreiheit beruft, dürfte folglich zur Zerstörung dieser Freiheiten in Gaza nicht schweigen.
  • Israelische Universitätsleitungen haben jedoch nie gegen die Tötung ihrer palästinensischen Kommilitoninnen und Kommilitonen protestiert. Und mit Ausnahme des Genfer Graduate Institute blieben bislang auch Schweizer Universitätsleitungen stumm.

Weiter zitiert Schär das neuste Buch der in Kanada lehrenden jüdisch-israelischen Wissenschaftsforscherin Maya Wind:

  • Wind zeigt, wenig überraschend, die zentrale Rolle israelischer Universitäten für die Entwicklung von Waffen und Technologie für die Armee sowie die Ausbildung von israelischen Offizierinnen und Soldaten. Der Bau von Universitäten auf palästinensischen Territorien ist ausserdem Teil der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik.
  • Darüber hinaus macht Wind deutlich, wie selbst harmlos wirkende Fächer wie Archäologie oder Philosophie israelische Gewalt gegenüber Palästina ermöglichen und legitimieren. Archäologische Grabungen beispielsweise stützten mit Funden von Überresten antiker Synagogen und der gleichzeitigen Entfernung von Überresten antiker Moscheen die israelische Besetzung palästinensischer Territorien. Philosophieprofessuren entwickelten Ethikrichtlinien, die das Töten von Zivilpersonen legitimieren.

In allen diesen Fakten sieht Schär den wissenschaftsgeschichtlichen und strukturellen Hintergrund, vor dem – jüdische und nicht jüdische – Forschende und Studierende weltweit und inzwischen auch in der Schweiz einen Boykott israelischer Universitäten fordern. Wichtig zu betonen sei dabei: Die Boykottforderung beziehe sich auf Universitäten, nicht auf individuelle Forschende. Zusammenarbeit mit ihnen sei weiterhin erwünscht, sofern sie nicht für Gewalt gegenüber Menschen benutzt werde.

Nach kurzer Recherche hätten Lausanner Studierende fragwürdige Partnerschaften mit drei israelischen Universitäten und drei Firmen gefunden, die für die israelische Armee produzierten. Sie würden aber zu Recht darauf hinweisen, dass der globalisierte Schweizer Hochschulstandort seit Jahrzehnten in hundertfacher Weise mit israelischen Universitäten zusammenarbeite. 

Inwieweit der Schweizer Hochschulstandort damit auch Gewalt gegenüber der palästinensischen Bevölkerung mitverantworte, habe bislang noch niemand gefragt. Diese Frage mit friedlichen Protesten aufzuwerfen, sei das Verdienst der studentischen Bewegung. Sie faktenbasiert zu diskutieren, sei kein «Israelhass». Es sei Ausdruck der Sorge um die Glaubwürdigkeit universitärer Ideale und um das Recht aller Menschen auf Leben in Würde und Freiheit.

Die Befreiung der Geiseln fordern und die Hamas verurteilen

Die Proteste gegen die israelische Zerstörungswut und gegen das israelische Massentöten im Gazastreifen sowie die Forderungen der Studentinnen und Studenten fänden mehr Unterstützung, wenn sie auch die Befreiung der Geiseln fordern und die Hamas verurteilen würden.

Die Hamas ist eine fundamentalistische Organisation, die Frauen und Minderheiten extrem diskriminiert und willkürlich regiert(e). Mehrere Länder stufen sie als eine Terrororganisation ein. Israels Regierungschef erlaubte Katar jahrelang, die Hamas finanziell zu stärken. Denn mit der Terroristen-Hamas musste Netanyahu über eine Zweistaatenösung nicht verhandeln.

Israel seinerseits ist am Internationalen Gerichtshof des Völkermords angeklagt. Völkermord oder Genozid setzt die Absicht voraus, eine nationale, ethnische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen. Zum Tatbestand gehört das Töten oder Zufügen von körperlichem und/oder seelischem Schaden an Angehörigen einer Gruppe oder einer Gruppe oder ihre Angehörigen Lebensumständen aufzuzwingen, die auf die Zerstörung der Gruppe abzielt.

____________________
Siehe auch am 12. Mai 2024:
Ein Geschichtsprofessor der Universität Lausanne kritisiert, dass Universitäten Kontakte mit Russland abbrachen, aber nicht mit Israel.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120226um12_51_13

Atommacht Israel und ihre Feinde

Teufelskreis: Aggressive Politik auf allen Seiten festigt die Macht der Hardliner bei den jeweiligen Gegnern.

Bildschirmfoto20120807um11_24_46

Menschenrechte

Genügend zu essen. Gut schlafen. Gesundheit. Grundschule. Keine Diskriminierung. Bewegungsfreiheit. Bürgerrechte

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

8 Meinungen

  • am 20.05.2024 um 11:10 Uhr
    Permalink

    Mir (miss-) fallen seit Jahren die Kommentare auf, in der Somedia (Chur) von Andrea Masüger (seit Herbst 2021 auch Präsident des Verlegerverbandes Schweizer Medien VSM), Beispiel 19.5.2024:
    «Bald wird Putin der Superstar Die aggressiven Studentenproteste gegen Israel sind ein Ausdruck von Geschichts­vergessenheit.» und von Inna Hartwich & Co.
    Ich finde das schlimmer als Waschmittelwerbung (die zudem keine Abo- oder Zwangsgebühren verlangt).

  • am 20.05.2024 um 13:57 Uhr
    Permalink

    Der entscheidende Unterschied liegt darin, das Russland nach gängiger Auffassung einen Angriffskrieg unternommen hat und sich Israel nach einem unfassbaren terroristischen Überfall ( wieder einmal ! ) verteidigen muss.

    • Favorit Daumen X
      am 20.05.2024 um 15:31 Uhr
      Permalink

      Das ist korrekt. Doch sowohl Angreifer als auch Verteidiger müssen sich an das humanitäre Völkerrecht halten. Sowohl Russland als auch Israel foutieren sich weitgehen darum. Die systematische Zerstörung von Wohnhäusern und der zivilen Infrastruktur in Gaza, die wiederholte Massenvertreibung der Zivilbevölkerung – grossmehrheitlich Frauen und Minderjährige – und das von israelischen Ministern erklärte Ziel, die Palästinenser aus dem Gazastreifen zu vertreiben und ein Grossisrael vom Mittelmeer bis zum Jordan zu errichten, verstossen krass gegen das Völkerecht.

    • am 20.05.2024 um 15:40 Uhr
      Permalink

      Meldung von heute:
      Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, hat Haftbefehle gegen führende Personen auf beiden Seiten beantragt:
      «. . . dass Hamas-Führer Jahia Sinwar UND Israels Präsident Benjamin Netanjahu für Vergehen verantwortlich seien. Konkret gehe es um mutmaßliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

  • am 20.05.2024 um 15:35 Uhr
    Permalink

    Wissenschafts- und Meinungsfreiheit sind ein hohes Gut.
    Allerdings kann genau diese Freiheit nur bestehen, wenn von ihr vernünftiger Gebrauch gemacht wird. Dazu muss jede Universität sehen, wie sie sich ihre Unabhängigkeit von Politik und Wirtschaft erhält. Gleichzeitig gilt, dass es bei jeder Universität eine bestimmte Hausordnung geben muss, der den individuellen Missbrauch von Freiheit völlig unparteiisch eindämmt. Notfalls müssen sich Universitäten in gewisser Weise von unabhängigen Organisationen entsprechend zertifizieren lassen.

  • am 20.05.2024 um 16:53 Uhr
    Permalink

    Die Beschäftigung der Medien mit Palästina-Demonstranten an Hochschulen lenkt davon ab, dass der Krieg in Gaza nur möglich ist, weil die USA und weitere Staaten Israel Kriegsgerät liefern. Die Waffen der Hamas fielen auch nicht vom Himmel.
    Palästina Demonstranten verlangen, dass man Universitäten in Israel boykottiert. Viele Akademiker, Bürger und auch Soldaten in Israel sind gegen die Apartheidpolitik. Israelische Soldaten der Gruppe Das Schweigen Brechen haben vor einigen Jahren in der Helferei in Zürich eine Ausstellung organisiert und die Behandlung der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank durch die israelische Armee dokumentiert.
    In Israel sollten Kreise gestärkt werden, wie in Europa auch, die gewaltlose Lösungen anstreben, ein Waffenstillstand, auch in der Ukraine, nicht noch mit mehr Waffenlieferungen Kriege anheizen. Bekannt ist auch dass die Hamas von Israel seit Jahren geduldet und unterstützt wurde als Gegenpol zur der Fatah die mit der Hamas zerstritten war.

  • am 21.05.2024 um 02:25 Uhr
    Permalink

    Weder der russisch-unkraine Krieg noch der Palästina-Israel Konflikt haben am 26.2.2022 bzw. 7. Okt.2023 begonnen. Für unsere Medien war vorher offenbar purer Sonnenschein! Nein, so einfach ist die Geschichte nicht und folglich auch die Bestimmung der «Angreifer» nicht so klar, wie man es uns vormacht. In Russland wurde bekannterweise der Donbass seit 2014 von der ukrainischen Milizarmee ständig bombardiert, Putin griff ein, um diesem Massaker der Russophonen ein Ende zu setzen. In Palästina, insbesonder in Gaza, bombardierte Israel mit regelmässigen Abständen den Gazastreifen mit viele Toten und Zerstörungen (z.Bsp. 2014). Vor dem 7. Oktober beschloss Israel, die Alaqsa-Moschee zu zerstören und den Salomontempel wieder aufzubauen. Palästina hat keine Armee, nur Widerstandskämpfer, die das Recht haben (laut Uno Resolution), sich auch bewaffnet zu wehren. Die Antwort Israels ist unverhältnismässig und hat die Absicht, die Bevölkerung zu vertreiben, auszulöschen (Ben Gvir, Smotrich).

  • am 21.05.2024 um 08:50 Uhr
    Permalink

    Das Erstaunliche ist ja, dass es an schweizerischen Institutionen der höchsten Bildung nur eine verschwindend kleine Minderheit gibt, die sich fähig und mutig genug zeigen so differenziert zu beurteilen, wie das Prof. Schär tut.
    Ich habe einmal versucht, mich in die Lage eines, sagen wir 30-jährigen Gaza-Bewohners zu versetzen. Seine Schwester, Sanitäterin an einer gewaltfreien Protestkundgebung, wurde von einem israelischen Scharfschützen abgeknallt, seine Frau und die beiden Kinder von einer israelischen Panzergranate zerfetzt, sein Elternhaus im dem er seine Kindheit verbracht hat, von einer Rakete dem Erdboden gleich gemacht. Würde ich mir den Kopf darüber zerbrechen, dass die Hamas eine reaktionäre Bewegung ist und würde ich fähig sein, bei einer sich bietenden Gelegenheit meine Rachegefühle zu beherrschen?

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...