ETH: Von Gleichstellung weit entfernt
«Ursula Keller glänzt als ausserordentliche Führungsfigur in der Optik und Photonik Gemeinschaft. Sie hat entscheidende Grundlagenforschung im Bereich ultraschneller Lasertechnologie geleistet», wird die ETH-Professorin in der Laudatio gelobt. «Ihre vielen Leistungen haben zu signifikantem Fortschritt auf dem Feld der angewandten Optik geführt.» Der Frederic Ives Medal / Jarus W. Quinn Prize ist nicht die erste Auszeichnung der herausragenden Forscherin. 2018 erhielt sie den europäischen Erfinderpreis als Lasertechnik-Pionierin, 2019 die Edison Medal und ebenfalls dieses Jahr zeichneten sie ihre Berufskollegen mit der SPIE-Medal aus.
Das ist doch der Beweis dafür, dass Professorinnen an der ETH sehr wohl reüssieren können? «Ja klar, aber wir sind Ausnahmen und müssen sehr viele Hindernisse überwinden», sagt die Preisträgerin. «Im Physik-Departement bin ich zurzeit die einzige Frau mit einer ordentlichen Professur von 28 Professorenstellen.»
Einstehen für eine Kollegin
Keller hatte sich letztes Jahr exponiert, als sie sich für die von der ETH entlassene Astrophysikprofessorin Marcella Carollo einsetzte. Diese war mit Mobbingvorwürfen konfrontiert worden. Eine interne Untersuchung stütze die Vorwürfe, äusserte aber juristische Bedenken gegen eine Kündigung.* Der ETH-Rat sprach sich trotzdem für die Kündigung aus, die erste in der 160-jährigen Geschichte der Hochschule. Zurzeit ist der Fall vor Bundesverwaltungsgericht hängig. Keller hatte sich auf die Seite von Carollo gestellt und in einem Interview mit der «Republik» der Institution Sexismus, Führungsmängel und Korruption vorgeworfen. Dafür hatte sie einen Verweis kassiert.
Nur sehr wenige Professorinnen
Eine Umfrage unter dem Lehrkörper der ETH gibt Ursula Keller aber Recht: Jede vierte Frau gab an, dass sie sich durch das Arbeitsumfeld diskriminiert fühlt. Bei den Männern waren es nur fünf Prozent. Auch geben Frauen dem Beschwerdemanagement innerhalb der Institution schlechtere Noten als die Männer. An der Umfrage teilgenommen haben 44 Frauen, das sind rund die Hälfte aller Professorinnen an der ETH. Wie der neuste Gender Monitoring-Bericht der ETH ausführt, stieg 2018 der Frauenanteil bei den Professuren (festangestellte und Assistenzprofessuren) auf rund 15 Prozent, der entsprechende Anteil bei den ordentlichen und ausserordentlichen Professuren auf 13 Prozent. Im Vergleich dazu: Der Anteil der Studentinnen liegt bei über 30 Prozent.
Frauenanteil von 35 Prozent gefordert
Nach Departementen gibt es grosse Unterschiede: So liegen die Frauenanteile bei den Studierenden in einigen Bereichen (Architektur, Biologie, Chemie- und Bioingenieurwissenschaften, Erdwissenschaften, Gesundheitswissenschaften und Technologie, Umweltwissenschaften, Biosysteme) teilweise über 50 Prozent. Trotzdem gibt es dort im Lehrkörper nicht mehr Frauen. Je höher die akademische Karrierestufe, desto geringer ist der Frauenanteil. «Das Wegbrechen von Frauen aus der akademischen Karriere beginnt im Wesentlichen auf der Stufe Oberassistenz und verschärft sich auf der Stufe Senior Scientists», schlüsselt der Bericht auf.
Was auffällt: Im Jahr 2006 waren im Physikdepartement drei von 21 Professuren von Frauen besetzt. Heute wäre Keller die einzige Frau, wenn nicht kurzfristig auch durch ihre Bemühungen ein Notprogram ins Leben gerufen worden wäre: «Damit konnten nun bis heute vier neue exzellente Assistenzprofessorinnen eingestellt werden», sagt Keller. Denn: «Während 22 Jahren wurden innerhalb von allen 24 Berufungsverfahren nur Männer gewählt. Gleichzeitig ist aber der Frauenanteil bei den Abschlüssen gestiegen», so Keller. Der Lösungsvorschlag der Professorinnen, den sie in ihrer Umfrage formulieren: Bis 2025 muss der Frauenanteil bei den Professuren in allen Departementen bei 35 Prozent liegen. Bei der neusten Ernennungsrunde an der ETH und der EPFL waren von elf neuen Professoren lediglich zwei Frauen.
«Implizite Vorurteile»
Die Professorin Rizlan Bernier-Latmani von der ETH Lausanne (EPFL) steht einer Kommission vor, die Lösungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen suchen soll. «Das Grundproblem ist, dass Frauen nicht dem Stereotyp eines typischen Professors entsprechen. So entstehen implizite Vorurteile gegen sie. Ein guter Weg, diese Vorurteile zu verhindern ist, die Anzahl der Frauen zu erhöhen.» Insgesamt werden in der neusten Umfrage unter den Professorinnen der EPFL 16 Vorschläge gemacht, wie die Situation verbessert werden kann. Dazu gehören eine bessere Work-Life-Balance, da Frauen, auch wenn sie Professorinnen sind, noch immer oft für die Kindererziehung verantwortlich sind, besserer Zugang zu Tagesstrukturen für Kinder, reduzierte Pensen während der Schwangerschaft. Vor allem fordern die Frauen aber auch transparentere Strukturen. Die Umfrage bei den Professorinnen ergab, dass fast hundert Prozent der befragten Frauen die Mittelzuteilung in den Departementen als intransparent bezeichnen und dass sie nicht nur weniger Raum, sondern auch weniger Mittel zugesprochen erhielten, als ihre Kollegen.
In einem Punkt ist nun Besserung in Sicht: Im Rahmen der Revision des ETH-Gesetzes hat der Ständerat dem Vorschlag zugestimmt, dass befristete Stellen für Assistenzprofessoren, Assistenten sowie Oberassistenten und weitere Angestellte mit gleichartiger Funktion verlängert werden können, wenn die Angestellten wegen Mutterschaft, Krankheit, Unfall, Adoption oder anderen wichtigen Gründe längere Zeit abwesend waren. Und: Die ETH hat neu zwei Vizepräsidentinnen in der Schulleitung. Bis anhin war Rektorin Sarah Springmann einzige Frau im obersten Gremium. Neu sind also drei von sieben Mitgliedern Frauen. Bezeichnend aber auch: Frauen ersetzen nicht Männer, sondern die Schulleitung wurde einfach aufgestockt.
Frauen überdurchschnittlich von Beschwerden betroffen
Die Studie ergab auch, dass es 2018 einen grossen Anstieg von Beschwerden gegen Professoren gab, wobei Professorinnen überdurchschnittlich betroffen waren. Die Gründe seien nicht einfach zu eruieren, schreiben die Studienautorinnen. Es falle aber auf, dass die Hälfte der Klagen gegen Professorinnen als unbegründet eingestellt werden mussten, bei den Professoren war dies nur einmal der Fall. Die Zahlen seien glücklicherweise klein und statistisch nicht relevant, aber die Bedeutung dieses Instruments habe einen Einfluss auf die betroffenen Personen und ihre unmittelbaren Arbeitskolleginnen und -kollegen. Es gelte vor allem, ungerechtfertigte Beschwerden zu vermeiden. Anderseits ist ein faires und transparentes Beschwerdeverfahren wichtig: «Selbst bei klaren gesetzlichen Anforderungen und klaren neuen Regeln in Bezug auf Chancengleichheit sind unabhängige Kontrollen und Beschwerdeverfahren erforderlich, um die bestehende Universitätskultur zu verändern und letztendlich glaubwürdig zu machen», so Keller.
Wichtig wäre, sind sich Keller und Bernier-Latmani einig, dass in den Kommissionen, die beispielsweise für Mittelzuteilungen oder Beschwerden zuständig sind, mehr Frauen Einsitz nehmen könnten. «Ich habe mir nicht gewünscht, mich derart zu exponieren», sagt Professorin Keller. «Aber wer, wenn nicht wir arrivierten Professorinnen, können für eine Änderung kämpfen? Ich hatte in Stanford eine wunderbare Mentorin, die mir auf den Weg gab, dass ich mich genau so für Frauen einsetzen solle, wie sie es getan habe. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das nach 30 Jahren immer noch tun muss», so Keller.
*Dieser Satz wurde nachträglich präzisiert.
*********************************************************
Infosperber-DOSSIER:
*********************************************************
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Ob wir vom Schwedischen Modell lernen könnten?
https://academicrightswatch.com/?p=2915