Freiheit im Überwachungsstaat
Die demokratische Regierungsform mit ihren bürokratischen Regulierungen kommt im Denken der neuen High-Tech Eliten schlecht an. Viel zu viel Bürokratie, viel zu komplizierte Regeln, die als Hindernisse wirken, um die digitale, auf Algorithmen beruhende Informationsgesellschaft zu lenken. Von daher verfolgen die libertären Vordenker der Techwelt und der neue Präsident Donald Trump ein gemeinsames Ziel: Je weniger Staat, desto besser.
Kritik an der Regulierung von Meinungsfreiheit
Das beginnt mit der Meinungsfreiheit, welche durch Regulierungen auf Plattformen wie X oder Facebook bedroht sei. Die europäischen Regelungen zum Datenschutz werden als Hindernis in der Entwicklung einer modernen Gesellschaft betrachtet. Unisono mit Elon Musk sieht die deutsche AFD-Chefin Alice Weidel darin eine Diktatur des «Digital Service Pakts» der europäischen Union.
Bürokratische Hürden, welche das Geschäftsmodell der Hightech Unternehmen gefährden, lauern überall dort, wo der Staat regulierend eingreift. Anstatt zum Beispiel selbstfahrende Mobilität zu fördern, verzögerten die Sicherheitsbedenken der staatlichen Behörden die Entwicklung. Die demokratischen Prozesse, die Entscheidungen erst nach langwierigen Diskussionen in politischen Gremien und oft durch einschränkende Kompromisse herbeiführen, gleichen aus der Perspektive der Techelite einer veralteten Software, die entrümpelt werden muss. Ziel sind zentralistische und von oben diktierte Lösungen, die endlose Diskussionen überflüssig machen.
Curtis Yarvin, Aushängeschild der neuen Rechten
Solche Ideen vertritt der Politblogger Curtis Yarvin, der grossen Einfluss auf den zukünftigen US-Vizepräsidenten JD Vance und Angehörige der Techelite wie PayPal-Gründer und Tech-Financier Peter Thiel hat. Als Sprachrohr der neoreaktionären Bewegung (NRx) hatte Yarvin schon 2008 seine provokativen Thesen unter dem Pseudonym «Mencius Moldbug» veröffentlicht.
Aus dem Film Matrix nimmt er die Unterscheidung von blauer und roter Pille auf. Wer die blaue Pille schluckt, für den ändert sich nichts. Wer dagegen die rote Pille nimmt, erwache aus dem Matrix-Schlaf und sehe die echte Welt mit seinen eigenen Augen. Übertragen auf die USA gewinne man mit der roten Pille die Einsicht, dass ein aufgeblähter Staat in die Hände gieriger Bürokraten geraten sei, denen es egal ist, wer unter ihnen als Präsident fungiert. Nach Yarvin gleicht der eigentliche Sitz der politischen Macht in den Vereinigten Staaten einem Zusammenschluss etablierter Universitäten und der Massenmedien. Er nennt dies «The Cathedral» (die Kathedrale).
In Zukunft soll dieser ausufernde Staat durch eine Form der Regierung ersetzt werden, welche ihren Einfluss massiv verkleinert und von oben nach unten durchgreift. Länder müssten wie Startups regiert werden, mit einem absolutistischen CEO und «Aktionären», die sich auf die Algorithmen einer digitalen Technologie stützen. Es handle sich um «moderne Monarchien».
Die Grundidee solcher autoritären Monarchien besteht darin, die «beschissenen Regierungen», wie Yarvin sie nennt, zu zerschlagen und durch ein globales Netzwerk aus Zehntausenden, wenn nicht gar Hunderttausenden souveräner und unabhängiger Miniländer zu ersetzen. Jedes Patchwork werde von seiner eigenen Aktiengesellschaft regiert, ohne Rücksicht auf die Meinungen oder dem Mitspracherecht seiner Einwohner.
Als Gedankenspiel dazu skizziert Yarvin ein imaginäres «Friscorp», das zukünftige Reich von San Francisco: Jeder dieser neuen Ministaaten, die über souveräne Macht verfügen, könnten die Bewohner zwingen, alle Versprechen einzuhalten. San Francisco, so erklärt Yarvin, sei zwar kein islamischer Staat und würde daher nicht von Dieben verlangen, ihre Hände abzuhacken – aber es hätte prinzipiell die Macht, so etwas durchzusetzen.
Die Demokratie als Meinungsstreit von Bürgern hat in diesem Konzept ausgespielt. Sie wird durch eine Harmonie ersetzt, die von oben bestimmt ist. Yarvin schreibt: «Da die Regierung nicht böswillig ist, stellt sie für ihre Bürger keine Bedrohung dar, und da sie souverän ist, stellen diese für sie auch keine Bedrohung dar. Durch die Abwesenheit von Konflikten ist die Regierung in der Lage, ein weitaus höheres Mass an friedlicher Interaktion zwischen den Bewohnern durchzusetzen».
Dieses krude Konzept eines orwellschen Überwachungssystems benutzt die Instrumente von Hightech zur Etablierung eines lückenlosen Systems der öffentlichen Sicherheit. Yarvin schreibt zu «Friscorp»: «Alle Bewohner, selbst vorübergehende Besucher, tragen einen Ausweis mit RFID-Antwort. Alle werden genotypisiert und ihre Iris wird gescannt. Öffentliche Plätze und Transportsysteme verfolgen jeden. Überwachungskameras sind allgegenwärtig. Jedes Auto weiss, wo es ist, und wer darinsitzt, und teilt beides den Behörden mit.»
Hightech-Autokratie in den USA
Der englische «Guardian» beschreibt den Einfluss dieser Ideen auf die künftige Regierung der Trump-Regierung in den USA: Yarvin habe intellektuell großen Einfluss auf den designierten Vizepräsidenten JD Vance. Nach Trumps Wahlsieg hätten Trump und seine Stellvertreter in ihren Handlungen und ihrer Rhetorik grosse Ähnlichkeit mit Yarvins öffentlichen Vorschlägen für eine autokratische Machtübernahme in Amerika.
So warnte der amerikanische Journalist Gil Duran schon im Sommer des letzten Jahres im «New Statesman»: «Wenn Trump die Wahl gewinnt, besteht wenig Zweifel daran, dass Vance Yarvins perversen Techno-Autoritarismus ins Weisse Haus bringen wird, und man kann sich – mit Grauen – vorstellen, was ein aufgeschlossener Möchtegern-Autokrat wie Trump mit diesen Ideen anstellen könnte.» Es könnte also gefährlich werden, wenn sich die Hightech Elite der USA so eng mit der Politik verbündet.
Sozialkreditsystem in China
Es wäre jedoch ein Irrtum, den Überwachungsstaat allein mit der amerikanischen Technoelite in Verbindung zu setzen. Überwachungskameras sind genauso allgegenwärtig in China und dessen System der Sozialkredite. Wer sich in seinem sozialen Leben vorbildlich und konform verhält, sammelt Punkte. 950 Punkte braucht es für einen Musterbürger, dem Vergünstigungen winken. Wer dagegen unter die Grenze von 350 Punkte sinkt, wird sanktioniert. Hotel- und Reisebuchungen, Online-Käufe und Kreditwürdigkeit können dann in Frage gestellt werden. Überwachungskameras und Informationskontrolle funktionieren nicht viel anders wie im fiktiven Leben in «Friscorp».
Im amerikanischen Konzept von Yarvin sind die neuen Monarchien der Milliardäre autonome Gebilde mit eigenen Regierungssystemen. Sie halten den Staat dabei klein. Beim chinesischen Experiment ist es der Zentralstaat selbst und die damit verbundene Bürokratie, welche die lückenlose Überwachung der Bürger und Bürgerinnen inszeniert. Technofeudalismus und der «Sozialismus chinesischer Prägung» (in Wirklichkeit eine Form des Staatskapitalismus) sind beide daran, demokratische Konzepte der Bildung des politischen Willens von unten auszuhebeln und Regieren als direkten Zugriff von oben nach unten zu perfektionieren.
Der Freiheitsorkan aus dem Westen
Vor diesem Hintergrund wirkt die Kritik des Weltwoche-Chefs Köppel in seinem Podcast «Weltwoche Daily« überraschend naiv. Er feiert die libertären Ansichten der Technomilliardäre – verstärkt durch weitere Techmogule wie Mark Zuckerberg und Jeff Bezos – als einen «Freiheitsorkan aus dem Westen», den er mit gespannter Zuversicht beobachte.
Diese Lesart verfehlt das eigentliche Problem: Sie übersieht die politischen und finanziellen Interessen der Techmogule, die nicht einfach das Wohl des Staates und die Informationsfreiheit in den Vordergrund stellen. Der Einfluss dieser Akteure basiert auf Algorithmen und Daten, die von den Tech-Konzernen zur Überwachung und Kontrolle genutzt werden. Ein Blick zurück in die Schweizer Fichenaffäre des letzten Jahrhunderts zeigt, wie sich die Möglichkeiten zur Überwachung seither verändert haben. Was früher mühsame manuelle Aktenführung erforderte, wird heute durch intelligente Algorithmen automatisiert – mit einer Effizienz, die damals unvorstellbar war.
Angesichts dieser Entwicklungen ist die verstärkte Regulierung des Datenschutzes durch die Europäische Union kein Ausdruck überbordender Bürokratie. Ohne klare Regeln, welche die Grenzen der Meinungsfreiheit gegenüber Fake News und unbegründeten Verschwörungstheorien anzeigen, wird das Ende einer demokratischen Debattenkultur schnell erreicht. Streitbare Demokratien wehren sich berechtigterweise gegen die neuen Technostrukturen, ob diese wie in den USA dem Technofeudalismus anhängen oder wie in China die zentralstaatliche Grundlage einer datengetriebenen Überwachungskultur perfektionieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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