Kommentar
WTO: Klagen gegen die USA auf der langen Bank
Nach China, der EU, Südkorea, Japan und Kanada hat jetzt auch die Schweiz Klage eingereicht vor dem Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf, gegen die Zölle und andere protektionistische Massnahmen, die die USA seit Frühjahr dieses Jahres gegen ausländische Importe von Stahl, Aluminium, Autos und andere Waren verhängt haben. Noch nie seit Gründung der WTO im Jahr 1994 haben so viele WTO-Mitgliedsstaaten gleichzeitig ein anderes Mitgliedsland aus demselben Grund verklagt.
Zudem befinden sich unter den sechs Klägern alle führenden Akteure des Welthandels: die EU mit dem grössten Anteil an den globalen Ex- und Importen vor den USA sowie China, Japan, Südkorea und Kanada auf den Plätzen drei bis sechs. Die kleine Schweiz liegt nach den bevölkerungsreichen Ländern Mexiko, Indien und Singapur immerhin auf Platz zehn, noch vor Russland.
Gezielte Obstruktion der USA
Doch die Hoffnung, ein baldiges Verfahren vor dem WTO-Schiedsgericht und ein abschliessendes für alle Mitgliedsstaaten verbindliches und nicht mehr anfechtbares Urteil der Berufungsinstanz könnte den von der Trump-Administration ausgelösten Handelskrieg beenden oder zumindest seine weitere Eskalation verhindern, wird sich kaum erfüllen. Denn die siebenköpfige Berufungsinstanz ist wegen gezielter Obstruktion der USA schon jetzt nicht mehr funktionsfähig. Und die erste Instanz wird ihre Funktionsfähigkeit bis 2020 auch verlieren, sollte die Trump-Administration ihren inzwischen offen erklärten Krieg gegen die WTO weiter fortsetzen.
Begonnen hat die Blockade der WTO durch die USA bereits unter Trumps Vorgänger Obama. Schon 2011 blockierte Obama unter dem Einfluss seines Handelsberaters Tim Reif die Bestätigung der US-amerikanischen Handelsjuristin Jennifer Hillmann für eine zweite vierjährige Amtsperiode als Richterin der Berufungsinstanz. Unterstützt von der Lobby der Stahlindustrie inszenierte Berater Reif eine Schmierenkampagne gegen Hillmann mit dem Vorwurf, die «unzuverlässige» Juristin habe in ihrer ersten Amtsperiode als Richterin zu wenig die Interessen des Weissen Hauses berücksichtigt.
Da die RichterInnen der WTO-Schiedsgerichte nur im Konsens aller 164 Mitgliedsstaaten ernannt werden können und die Obama-Administration auch anderen KandidatInnen die Zustimmung verweigerte, tagte die Berufungsinstanz ab Ende 2011 nur noch mit sechs RichterInnen. 2016 blockierte die Obama-Administration die Amtsverlängerung des Südkoreaners Seung Wha Chang, weil dieser zu oft gegen die USA entschieden hatte, insbesondere in Streitfällen zum Stahl- und Aluminiumhandel.
Inzwischen besteht die WTO-Berufungsinstanz nur noch aus vier RichterInnen, da die Trump-Administration 2017 einen weiteren Kandidaten blockierte. Ab September könnten es sogar nur noch drei sein, sollte die Trump-Administration die Nachfolgeregelung für einen dann ausscheidenden Richter ebenfalls blockieren.
Lobby der US-Stahlindustrie
Setzt Washington diese Obstruktionspolitik fort, bestünde die einst siebenköpfige Berufungsinstanz Ende 2019 nur noch aus dem chinesischen Richter Hong Zhao. Aus dem Umfeld von Trumps Handelsbeauftragten Robert Lightizer ist zu hören, dass Washington auch die künftig anstehenden Neubesetzungen oder Amtsverlängerungen in der ersten Schiedsinstanz der WTO blockieren will.
Vor seiner Ernennung zu Trumps und damit führenden Vertreter der USA bei der WTO war Lighthizer viele Jahre in Washington tätig als Lobbyist für die US-Stahlindustrie und deren protektionistische Forderungen.
Bereits anlässlich der Gründung der WTO 1994 erklärte Lighthizer, es sei «ein Fehler», dass die Entscheidung der WTO-Berufungsinstanz verbindlich gemacht wurden für alle Mitgliedsstaaten und die USA – anders als im Sicherheitsrat der UNO – dagegen keine Veto-Möglichkeit mehr hätten. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan hatte hingegen genau diese Massnahme als grossen Fortschritt gepriesen.
Wesentlich unter dem Einfluss seines Handelsbeauftragten Lighthizer hat Trump die WTO als «Desaster» für die USA bezeichnet. Die Fakten sehen anders aus. Die USA haben seit 1995 über 85 Prozent ihrer Klagen gegen andere WTO-Staaten gewonnen. Allerdings ist Washington auch in den meisten der 145 Klagen unterlegen, die andere Staaten gegen protektionistische Massnahmen Washingtons bei der WTO eingereicht haben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine