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Werbung in Pakistan für «Pure Life» von Nestlé. Für weitere Bilder Pfeil bedienen. © Bottled Life

Nestlé verteilt Almosen und bekommt Wasserrechte

Res Gehriger /  Ein Bericht über meine Recherchen und Erlebnisse während den Dreharbeiten zum neuen Dokumentarfilm «Bottled Life».

Wenn ich auswärts essen gehe, bestelle ich eine Karaffe Hahnenwasser. Angefangen damit habe ich in den Neunzigerjahren, als ich beim Kassensturz arbeitete. Die Sendung hatte nachgewiesen, dass im meistverkauften Schweizer Mineralwasser Henniez ein Mehrfaches an Nitrat enthalten ist, als im üblichen Leitungswasser (quasi ein Abbauprodukt von Gülle). Seither trinke ich auch im Restaurant Hahnenwasser. Weshalb für ein schlechtes Produkt zahlen, wenn es ein gutes umsonst gibt? Henniez gehört unterdessen Nestlé – und das Mineralwasser enthält immer noch viel mehr Nitrat als das Leitungswasser in Zürich.
Der Nestlé-Mann war gar nicht begeistert
François-Xavier Perroud war bei Nestlé noch Mitglied der Geschäftsleitung, als wir an einem Frühsommertag vor vier Jahren mit ihm zusammen assen, in «Jack’s Brasserie» im gediegenen Hotel Schweizerhof in Bern. Ich trank ausnahmsweise Mineralwasser. Wir wollten etwas von Nestlé. Wir hatten uns mit Perroud verabredet, um über unser Filmprojekt zu sprechen. Wir wollten wissen, ob Nestlé uns die Türen für Dreharbeiten in den Büros und Fabriken des Konzerns öffnet. Die Vorzeichen standen schlecht. Am Telefon hatte ich Perroud gesagt, dass wir uns für Pakistan interessieren, das Nestlé als Testmarkt für die Einführung seines «Pure Life»-Wassers ausgewählt hatte. Der Nestlé-Mann war gar nicht begeistert: «Mit unserem Flaschenwasser sind wir unbedeutend für die Wasserversorgung in Pakistan. Aber selbst wenn Sie darüber faktisch korrekt berichten, werden Bilder aus Pakistan Emotionen auslösen. Mein Grad an Masochismus geht nicht so weit, dass ich der Betroffenheits-Stupidität des Publikums da noch Vorschub leisten will.»

«Warum machen Sie den Film nicht im Auftrag von Nestlé?»

Beim Essen führte Perroud den Gedanken weiter: «Was in Lahore aus der öffentlichen Wasserleitung kommt – wenn etwas kommt – ist schlicht kriminell. Aber kann Nestlé dafür verantwortlich gemacht werden? Sicher nicht. Wir bieten lediglich ein sicheres Produkt auf dem Markt an, das sich Mittelstandsfamilien leisten können.» Das Treffen in Bern führte nicht zur gewünschten Drehgenehmigung. Aber zu einer Überraschung: «Jetzt möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen,» sagte Perroud im Plüschsessel, «warum machen Sie diesen Film nicht im Auftrag von Nestlé?» Ihm schwebe ein Film über die gigantische Wasserverschwendung bei der landwirtschaftlichen Bewässerung im Punjab vor, ein Film, den Nestlé-Chef Peter Brabeck zu seinen Vorträgen mitnehmen könne, ans World Economic Forum nach Davos etwa. Die Wasser-Problematik sei Brabeck nämlich ein echtes Anliegen, erklärte Perroud. Für einen Film über Flaschenwasser sei hingegen nicht die richtige Zeit.

Zehn Milliarden Franken Umsatz mit Nestlé Waters
Ein halbes Jahr später. Immer noch die falsche Zeit? Ich hatte mich zur Nestlé-Bilanzpressekonferenz am Hauptsitz in Vevey angemeldet, für den ersten Auftritt des neuen CEO von Nestlé Waters, Jim Harris. Ich durfte einen Kameramann mitbringen. «Aber kein Interview», beschied mir Perroud, «Fragen nur aus dem Plenum. Es geht geht dabei um die Bilanz, nicht um Wasser.» Während dem Presseapéro, bei Sushi und (wieder) einem Glas Mineralwasser, konnte ich kurz mit Jim Harris sprechen: 10 Milliarden Franken Umsatz für Nestlé Waters. Gratuliere. Sie haben von unserem Filmprojekt zu Nestlés Flaschenwasser gehört? Harris fand es interessant, er blieb aber unverbindlich. Ich solle mich in dieser Sache an Perroud halten. Dann sprach Harris mit seinen Leuten über bevorzugte Wohnlagen am Genfersee.

Im Nestlés «Media-Center» im Internet gibt es bereits mehrere Reportagen zum Thema Wasser. Produziert von Nestlé – ohne unser Zutun. Einer der Filme heisst «Saving lives through clean water». Die Geschichte: Nestlé baut als Gründungsmitglied im «Coporate Partnership Program» des UNHCR in Äthiopien eine Wasser-Pipeline, Nestlé versorgt Flüchtlinge mit Trinkwasser aus der Leitung. Peter Brabeck spricht in die Kamera: «Our aim is to make sure that the water system can keep functioning over the long term, so that the people of the region – and their children – will have access to clean water for many years to the future.» Dann folgt noch einmal das Logo von UNHCR und dasjenige von Nestlé. Ende.

«Saving lives through clean water»

Nestlé hat den Film im Herbst 2007 aufgeschaltet. Aber Nestlé war schon im Jahr zuvor aus dem vom Film gepriesenen «Corporate Partnership Program» ausgestiegen, hatte die Mitgliedschaft gekündigt. Das bestätigt der zuständige Programmleiter beim UNHCR. Also kein Engagement «for many years to the future»? Nein, Nestlé habe sich zurückgezogen, sagt Olivier Delarue vom UNHCR. «Die finanzielle Zuwendung an unser Projekt hat aus einer einmaligen Zahlung von 750’000 Dollar bestanden.» Dass Nestlé bis heute mit dem UNHCR-Signet für sich wirbt, findet Delarue unverschämt.
Was der PR-Film von Nestlé verschweigt
Weshalb das Herummäkeln? Immerhin hat Nestlé armen Flüchtlingen geholfen. Ja, das ist positiv. Aber es geschah nicht wirklich freiwillig. Und das Geld für die Pipeline kam eigentlich vom äthiopischen Staat. Das ist ein Hintergrund, über den sich der PR-Film ausschweigt:

1984 hatte Nestlé die deutsche Wurstwarenfabrik Herta Karl Schweisfurth übernommen – und mit der Firma zusammen eine Entschädigungsklage gegen den äthiopischen Staat, der 1975 eine Schweisfurth-Fabrik südlich von Adis Abeba verstaatlicht hatte. Nestlé forderte vor Gericht auch die entgangenen Zinseinnahmen ein. Insgesamt 6 Millionen Dollar. Das war 2002, zu einem Zeitpunkt, als in Äthiopien Nahrungsknappheit herrschte. Die britische Entwicklungshilfeorganisation Oxfam machte die Sache publik: Nahrungsmulti verklagt Hungerstaat. Die Geschichte erregte weltweit Aufmerksamkeit. Nestlé versuchte weiteren Image-Schaden abzuwenden, indem das Unternehmen versprach, den allfälligen Erlös aus dem Prozess sogleich wieder für humanitäre Hilfe in Äthiopien zu spenden. Nestlé verzichtete in der Folge auf die Zinsen und gab sich mit 1.5 Millionen zufrieden. 750’000 davon landeten dann beim UNHCR. Tue Gutes und sprich darüber.

Warum der polemische Unterton? Ich gebe es zu, der Name Nestlé hat für mich nicht die allerbeste Konnotation. In den 80er Jahren, als ich politisiert wurde, galt Nestlé in meinem Umfeld nicht nur als schweizerisch effizient und wohl organisiert. Das hatte mit der Babymilch-Affäre zu tun.

«Nestlé kills babys»

Das Problem mit dem Babymilchpulver: In den Ländern des Südens wird das Pulver oft mit verunreinigtem Wasser angerührt. Die Babys kriegen Durchfallerkrankungen. Viele sterben daran. Das ist nicht Nestlés Fehler – aber Nestlé hatte in den 70er Jahren die Mütter glauben gemacht, das Pulver sei ein vollwertiger Ersatz für Muttermilch und sogar medizinisch empfohlen – was aus heutiger Sicht Blödsinn ist. Nestlés Marketing war unethisch. Nestlé verkaufte stillenden Müttern etwas, das sie in der Mehrzahl gar nicht brauchten: Pseudo-Muttermilch.

Wegen der News-Schlagzeile «Nestlé tötet Babys» ging Nestlé damals in der Schweiz vor Gericht. Die Verfasser des Titels wurden symbolisch mit 300 Franken gebüsst, wegen Verleumdung. Aber in der Urteilsbegründung kritisierte das Gericht vor allem Nestlé, wegen unlauterem Marketing.

Das Thema Babymilch steht auch in der Schweiz für Nestlés schlechte Reputation. Wer in den 80er Jahren dem von Entwicklungsorganisationen ausgerufenen Boykott von Nestlé-Produkten folgte, galt durchaus als kritischer Konsument. In dieser Zeit der «Babymilch-Krise» (die für den Konzern kaum eine war) begannen die Strategen bei Nestlé das Geschäft mit dem Wasser anzukurbeln.

Davon wusste ich bei meinen früheren professionellen Kontakten zu Nestlé nicht viel. Ich war nur zweimal beruflich bei Nestlé, jeweils als Reporter für das Schweizer Fernsehen. Einmal für eine Geschichte über ihren Chief Financial Operations, einmal für eine Reportage rund um «Oil for Food» und den Irak. Dort hatte sich Nestlé geweigert, Schmiergelder zu zahlen und war in der Folge vom Saddam-Regime nicht mehr berücksichtigt worden (was durchaus dazu angetan war, mein persönliches Nestlé-Image etwas aufzubessern).
«An schmutzigem Wasser sterben mehr Menschen als an Aids»
Zurück zum Wasser. Vielleicht gibt es ja bald einen zweiten Nestlé-Boykott. Maude Barlow denkt jedenfalls darüber nach. Barlow ist Trägerin des «alternativen Nobelpreises», des «Right Livelihood Award». Ausgezeichnet für ihren Kampf für das Menschenrecht Wasser. Ich traf sie zum ersten Mal an einem Symposium in Lewiston, im US-Bundesstaat Maine. «In the South more people die every day of dirty water than from HIV, war, traffic accidents, and malaria put together. Its the number one killer. So if you have this kind of life and death situation – and then a company like Nestlé comes in: «Nestlé Pure life» is the answer….», then I have to go beyond saying that it is irresponsible, this is almost a criminal act,» sagte mir Barlow über Nestlés Engagement in Pakistan. Aber eigentlich war sie ja nach Maine gekommen, um den lokalen Widerstand anzufachen, um ein staatsweites Netzwerk gegen Nestlé aus der Taufe zu heben.

«What it means to be from Maine»

Maine ist einer der ärmsten Bundesstaaten der USA. Wichtigstes Importgut: Abfall für die Verbrennung. Wichtigster Export: Wasser. Dank Nestlés Marke «Poland Springs» (Werbeslogan: «What it means to be from Maine»), dem beliebtesten Flaschenwasser an der Ostküste. «We are going to make it uncool to drink Nestlé’s bottled water, like blowing a cigar in somebody’s face,» fordert Barlow ihr Publikum auf. Leute von der «Alliance for Democracy» sind da, und Vertreterinnen von «Take back the tap». Mehrheitlich linke Aktivisten würde Nestlé’s Perroud sagen. Man ist sich einig: Flaschenwasser ist ein ökologischer Unsinn, viel zu viel Plastik und Abgase für ein Produkt, das man eigentlich gratis vom Hahnen haben könnte. Und überhaupt: Wem gehört eigentlich das Wasser?

Die USA sind der wichtigsten Absatzmarkt von Nestlé Waters. Und die Rahmenbedingungen sind vorteilhaft: In den Staaten gilt vielerorts noch das Recht der stärksten Pumpe, wer Land besitzt, darf pumpen, was er kann, ohne Rücksicht auf den Nachbarn. Gesetze, die noch aus den Zeiten der Hand- oder allenfalls Windpumpen stammen. In den USA betreibt Nestlé mehr als zwei Dutzend für Schweizer Verhältnisse geradezu gigantische Abfüllfabriken. Hunderte von Metern lang, gespiesen von Pipelines oder von einem unablässigen Strom von Tanklastwagen, die Wasser von den Nestlé-Quellen heran transportieren. Dann wird verpackt und umgeladen, auf die noch zahlreicheren Trucks der Speditionen oder von Walmart und Target, die das Flaschenwasser zu den Verteilzentren fahren, hunderte von Kilometern weit.
Nestlé provoziert Opposition
Viele von Nestlés Abfüllstationen in den USA stehen tief in der Provinz. Die Fabrik in Stanwood, Michigan, ist beispielsweise von den Bauernhöfen einer Amish-Gemeinde umgeben. Die Pumpstation in Dallas Plantation, Maine, steht bei einem Testgelände der US-Marines. Zum Symposium in Lewiston sind auch Menschen, aus solchen abgelegenen Ortschaften angereist, Leute aus Gemeinden wie Fryeburg, Kingfield, Rangeley. Orte, in denen sich Bürger gegen Nestlé-Projekte wehren. Weshalb denn? Emily Posner hat den Anlass organisiert. Sie ist eine Gärtnerin. «Living with the ecosystem instead of managing it,» ist ihr Credo. «Nestlé’s behaviour is turning people into activists in communities, who never were any. We are now connected these new activists who are confronting Nestle and the corporate take over of water in their own communities. We are creating a network,» erzählt sie mir.
Gerichtsrekurse gegen den Volkswillen
Nestlé Waters expandiert. Gerade in Maine. Nestlé-Waters-Ceo Jim Harris hatte mir beim Sushi in Vevey erzählt, dass sie dabei nach Nestlés «Good Neighbor Policy» vorgehen würden. «We don’t want to be, where the people don’t want to have us,» sagte er mir.
In Fryeburg, Maine empfinden das einige subjektiv anders: «The situation right now is that the public has said no, the planning board said no, the appeal court said no. And Nestle is again suing. The appeal was made last week. They want their way, they want their way, they want their way,» erzählt mir Emily Fletcher. Wir haben sie am Symposium kennen gelernt. Fletcher ist Bibliothekarin in Fryeburg, einem Ort mit 3000 Einwohnern. Nestlé will im Dorf eine weitere Lastwagenstation errichten, um täglich rund hundert Lastwagen mit Quellwasser voll zu pumpen. Die Brunnen sind bereits gebohrt, die Pipelines verlegt, Nestlé hat trotz aller Absagen und laufender Verfahren stets weitergebaut. «They bring in their attorneys, try to intimidate you,» sagt Fletcher.

«Good Neighbor Policy»

Angeführt wird Fryeburgs Widerstand gegen Nestlé von Howard Dearborn, einem in den USA bekannten Erfinder und erfolgreichen Industriellen. Dearborn ist schon über 90 Jahre alt und der grösste Arbeitgeber in Fryeburg. «I run a business, where we work for our money, we make a product, we dont steal it from some town and sell it,» empört er sich. Dearborn wohnt am Lovewell Pond. Einem Idyllischen See, mit einigen Ferienhäuschen am Ufer. Im See macht sich seit neustem eine Algenplage breit. Für Dearborn ist klar: Nestlé ist schuld. Nestlé bezieht über einen lokalen Unternehmer nämlich bereits Wasser aus Fryeburg. «They sneaked into the town and made a deal with just one man. Nothing went out to the town’s people. And all of a sudden we had weeds growing. Can you take out millions of gallons without any harm? The pond now is filled with river water rather than spring water, and the river water is more polluted,» argumentiert Dearborn. Er selbst hat eine hydrologische Studie in Auftrag gegeben, etwas das Nestlé in Fryeburg nie getan habe. Dearborn ist wütend. Er hat dem Gouverneur, eigentlich einem republikanischen Parteifreund, geschrieben. Und noch ein Büschel Algen beigelegt. Die Antwort steht aus.
«Ein Geschäft wie jedes andere»
Dearborns lokaler Widersacher ist Hugh Hastings, auch schon über 80jährig. Seine Vorfahren waren die Richter und Sheriffs von Fryeburg und irgendwie glaubt man, ihm das anzusehen. Ihm gehören die lokalen Forst- und die Wasserrechte, er hat die grösste Pumpe und er (respektive seine Firma) verkauft Fryeburgs Wasser nicht nur an die Gemeinde – sondern auch an Nestlé. «Ein Geschäft wie jedes andere,» sagte Hastings zu mir. Seine Sekretärin verhindert ein spontanes Interview vor der Kamera. Das müsse besser geplant werden.

Nestlé jedenfalls hat im Dorf ein Kontaktbüro eingerichtet. Die bestehende Wasserentnahme über Hastings umstritten, die geplante Erweiterung teilweise fertig aber noch auf dem Weg durch die Instanzen, das bedeutet Kommunikationsbedarf. Jeden Monat erhalten die ersten 50 Besucher im Nestlé-Büro gratis einen Harass «Poland-Springs». Wasser, wie es in Fryeburg aus dem Hahnen kommt.

In der Gemeinde sind die Meinungen über Nestlé geteilt. Viele würden es begrüssen, wenn der Konzern Arbeitsplätze in die Region bringen würde, vielleicht sogar eine Abfüllfabrik statt nur ein zweites Lastwagenterminal baute. «Minimum wage jobs» das sei alles, was Nestlé bringen könnte, meint Dearborn. «The value is the water, everybody lives on that resource. It’s like saying: We are coming in to the gold-mine, we take the gold, but we let you drive the trucks to carry it to the place where we are going to sell it.»

Emily Fletcher erzählt die Geschichte aus dem Blickwinkel einer Bibliothekarin: «It is a soap opera, but it has many aspects of good fiction. It has families, money, politics, intrigues, public misinformation, court action, small town infighting. Its in many way a tragedy. We are wining – but only in the sense that we are not losing. Small town america with no tools to work with – and no people to stand up against a corporate giant, who can sue.»

«The township had no saying»

Die Fahrt nach Rangeley, tief ins Hinterland von Maine, ist besonders eindrücklich. Durch verschneite Wälder, an gefrorenen Seen vorbei. Rangeley liegt am Ende der Strasse, in einer Art Winterwunderland. Rangeley hat kaum 1000 Einwohner und lebt vom Tourismus, im Sommer von den Jägern und Fischern, im Winter von den Schneemobilfahrern. Neuerdings fahren jetzt noch 50 Nestlé-Lastwagen pro Tag durch die enge Hauptstrasse. Der Förster Jim Proctor sitzt in der Verkehrskommission von Rangeley. «The township had no saying,» beschwert er sich. Nur in der «Mud season» bleibt die Staatsstrasse für einige Wochen gesperrt, damit sie durch die schweren Tanklaster nicht zerstört wird.

Jim Proctor ist Förster. Er ist vor einigen Jahren mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach Rangeley gezogen, in die Wildnis. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit Wartungsarbeiten an den Ferienhäusern und in den Gärten der Reichen, die hierhin in den Urlaub fahren. In seiner Freizeit jagt er mit dem Bogen. Oder er wehrt sich gegen Nestlé. Zusammen mit seinen Freunden, dem Zahnarzt Dave McMillan und Jonathan Carter vom «Forest Ecology Network» hat Proctor über 30’000 Dollar aufgewendet, um Nestlé durch die Instanzen zu bekämpfen. Zur Zeit liegt der Fall beim Supreme Court, der letzten Instanz. Falls Proctor gewinnt, muss Nestlé seine Operation in Rangeley einstellen. «They didn’t thought, that such a small group would go so far,» sagt Proctor ein wenig stolz.
Hundert Lastwagen pro Tag

4000 Hektaren Land hat Nestlé rund um Rangeley gekauft. «They went around very quietly, without adressing the community,» sagt Proctor. Seit einem Jahr ist Nestlés Pumpstation für Grundwasser in Betrieb. Nestlé hatte den Bau schon im Berufungsverfahren begonnen. Die Pumpstation ist auf die Entnahme von 184 Millionen Gallonen Wasser im Jahr ausgelegt, für die Betankung von hundert Lastwagen am Tag. Die fahren das Wasser in die Abfüllstation von Hollis, über 100 Meilen entfernt. Nestlé pumpt in Rangeley aus dem selben Aquifer, aus dem auch die Gemeinde ihr Trinkwasser bezieht. Deshalb hat Nestlé eine einmalige Zahlung von 10’000 Dollar an Rangeley geleistet, ohne Rechtsverpflichtung. Denn das Grundstück, von dem Nestlé sein «Poland Springs» pumpt, steht nicht unter Gemeinde- sondern unter Staatsverwaltung.

Linda Dexter betreibt in Rangeley einen Gemischtwarenladen. Privat wohnt sie direkt neben dem Nestlé-Grundstück und kennt die «Good Neighbor Policy»: «They went by and promised scolarships for Rangeley’s students, every kid a thousand dollar. They said, they will help restoring the town hall building, and the promised to raise some funds for a new prowl truck.» Aber Dexter ist nicht begeistert. Sie meint, das seien Almosen. «They are getting resources for free. I’m not getting my stuff for free, give me a break! We have to pay for our water – I pay 400 Dollars for the water I use in this shop. And the largest food corporation in the world takes our water for free – that is not fair.»

Der Maine Supreme Court hat in Sachen Rangeley unterdessen entschieden. Das Recht war auf Nestlés Seite.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktor der Rundschau von SF. Zusammen mit Urs Schnell Co-Autor des Dokumentarfilms "Bottled Life", der ab 26. Januar in den Deutschschweizer Kinos anläuft.

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2 Meinungen

  • am 22.01.2012 um 16:34 Uhr
    Permalink

    Sehr interessanter Background: Die Problematik der Privatisierung eines Grundelements der Menschheit. Sowas darf man nicht der Privatindustrie überlassen. Das ist elementar. Das hat mit «Betroffenheitsstupidität des Publikums » nichts zu tun. Das als sackdumm verlachte Publikum – u.a. viele Nestlé-Kunden – sollte sich derartige Diffamierungen nicht folgenlos gefallen lassen.

  • am 23.01.2012 um 17:10 Uhr
    Permalink

    Nestlé verhält sich wie einer, der sich jedes Recht erkaufen kann. Und offensichtlich hat Nestlé immer Recht.

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