Giftiger Elektromüll als Milliardengeschäft
Kaputte Fernseher, alte Computer und Handys, ausrangierte Kühlschränke: Jedes Jahr fallen in Europa Millionen Tonnen Elektroschrott an. Das meiste davon landet nicht in offiziellen Recycling-Betrieben, sondern wird illegal nach Afrika und Asien exportiert, um die teure Entsorgung im Ursprungsland zu umgehen. Auf qualmenden Müllkippen nehmen dann meist Kinder die ausrangierten Geräte auseinander, auf der Suche nach wiederverwertbarem Material. Dabei atmen sie hoch giftige Dämpfe ein. Allein in Afrika sollen laut UNO gegen 20’000 Kinder auf solchen Elektroschrott-Halden arbeiten.
17 Milliarden Euro Umsatz mit Elektroschrott
Diese Missstände sind schon seit vielen Jahren bekannt, doch nun hat das UN-Umweltprogramm (Unep) erschreckende Zahlen zum Ausmass der illegalen Entsorgung von Elektroschrott vorgelegt: «Bis zu 90 Prozent des weltweit anfallenden Elektromülls werden illegal gehandelt oder entsorgt», heisst es im kürzlich veröffentlichten Unep-Bericht «Waste Crimes, Waste Risks» («Müll-Verbrechen, Müll-Gefahren»).
Das illegale Entsorgen von Elektroschrott hat sich in den letzten Jahren zum Milliardengeschäft entwickelt. Laut Unep werden damit weltweit etwa 17 Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt – Tendenz steigend. Denn die globale Schrotthalde wächst: Bis in zwei Jahren dürfte der jährliche Müllberg von derzeit 41 Millionen auf rund 50 Millionen Tonnen anwachsen, schätzt die Unep. «Wir sind konfrontiert mit der Entstehung einer beispiellosen Menge von Elektroschrott, die sich über die Welt ergiesst», kommentiert Unep-Direktor Achim Steiner den Bericht. Dies berge Gefahren für die Gesundheit und die Umwelt.
Arsen, Blei, Cadmium und Quecksilber
In all den Fernsehern, Computern, Stereoanlagen, Kühlschränken und Smartphones stecken giftige Stoffe wie Arsen, Blei, Cadmium und Quecksilber. Deshalb ist der Export kaputter Elektrogeräte in Staaten, die nicht der OECD angehören, verboten. Die gefährliche Schrottware sollte in den Industrieländern recycelt oder entsorgt werden, aus denen sie kommt. Laut Unep sind Betrugsfälle jedoch an der Tagesordnung: Tausende Schiffsladungen mit giftigem Elektromüll werden bei der Ausfuhr falsch deklariert, zum Beispiel als funktionstüchtige Secondhand-Ware oder als Plastik- oder Mischmetallmüll. Zoll und Polizei erklären, sie seien weitgehend machtlos.
In 77 Tagen von Hamburg nach Accra
Die ausrangierten Geräte verschwinden meist in Asien und Afrika – oftmals auf verschlungenen Wegen. Ein Rechercheteam des NDR-Magazins «Panorama», der «Zeit» und von «Arte» hat die Reiseroute dokumentiert: Die Reporter präparierten einen kaputten Fernseher mit einem Peilsender und verfolgten ihn über Wochen. Insgesamt 77 Tage dauerte die Schrottreise, die auf einem Recyclinghof in Hamburg begann und nach vielen Zwischenstationen im Norden Ghanas endete. (Auf «Arte Future» können Sie die GPS-Jagd auf einer interaktiven Karte mitverfolgen.)
Ghana gilt als Schrott-Umschlagplatz für halb Westafrika. Im Hafen von Tema, 25 Kilometer von Ghanas Hauptstadt Accra entfernt, treffen jeden Monat etwa 500 Schiffscontainer mit alten Elektrogeräten ein. Zum Jahresende, wenn sich viele Europäer modernere Fernseher, Stereoanlagen und Laptops kaufen, sind es bis zu 1000 Container. Nur ein Teil des Wohlstandsmülls bleibt in Ghana. Vieles wird weitertransportiert nach Burkina Faso, Niger, Mali oder Benin.
Afrikas giftigster Müllberg
Speditionen und Reedereien verdienen am Schrott ebenso wie Transportunternehmen, Zwischenhändler und lokale Reparaturbetriebe in Ghanas Hauptstadt Accra. Doch irgendwann landet der Elektroschrott auf den Karren der Müllsammler. Diese schleppen die unverkäuflichen Geräte nach Agbogbloshie, der grössten Elektroschrott-Müllhalde in Afrika.
Agbogbloshie ist ein Slum am Rande der Hauptstadt Accra. Noch vor 15 Jahren war das Gebiet eine grüne Lagune. Heute leben die Menschen dort auf einer meterhohen Schicht aus Elektro- und Plastikschrott. Laut einer Studie des New Yorker Blacksmith Institutes gehört Agbogbloshie zu den zehn am meisten verseuchten Orten der Welt. Der Müllberg ist vergiftet mit grossen Mengen an Blei, Cadmium und Quecksilber. Durch das ehemalige Marktviertel zieht schwarzer Qualm. 40’000 Menschen leben hier, 250’000 sind von den Giften betroffen, sagt die ghanaische Umweltbehörde.
Auf der giftigsten Müllhalde Afrikas arbeiten Tausende Ghanaer, darunter viele Kinder, welche die alten Geräte ausschlachten, darunter auch solche aus der Schweiz. Aus purer Not durchsuchen sie den Schrott nach Resten und leben vom Geld, das sie von lokalen Händlern für Kupfer, Aluminium und Eisen bekommen. Viel ist es nicht. Das Aluminium eines Monitorrahmens ist nur ein paar Cents wert, das Kupfer der Kabel, herausgelöst in giftigen Feuern, bringt etwa 50 Cents.
Einträglicher dürfte das Geschäft für die Grosshändler sein. Sie kaufen die wiederverwertbaren Rohstoffe auf und exportieren sie zurück in die Industriestaaten, wo die kaufkräftige Kundschaft bereits Schlange steht für das neueste Smartphone-Modell.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.