Der Stromlobbyist im Tarnanzug eines Chefbeamten
«Neuer BFE-Chef Benoît Revaz kommt aus der Privatwirtschaft» titelten die meisten Schweizer Zeitungen Anfang Juli 2016. Damit übernahmen sie kritiklos die Akzentuierung der Energieministerin Doris Leuthard anlässlich einer Medienkonferenz: «Er wird vor allem die Erfahrungen aus der Privatwirtschaft einbringen, die ja mit der Energiestrategie sehr betroffen ist.» Beiläufig ergänzte Leuthard: «Er hat seit dem Jahr 2000 immer so ein bisschen im Strombusiness gearbeitet.»
Harter Kern der Strom- und Atomlobby
Tatsächlich arbeitete Revaz bloss zwei Jahre von 2014 bis 2016 in der Privatwirtschaft, nämlich als Mitarbeiter der Beratungsfirma «E-Cube Strategy Consultants». Zuvor war er 14 Jahre für diverse Stromkonzerne tätig, und zwar nicht nur «so ein bisschen», wie dies die Energieministerin Leuthard bezeichnete, sondern als führender Manager und Lobbyist. Das zeigt ein Blick auf die letzten 20 Jahre:
- 1999 – 2004: Geschäftssekretär der «Entreprises Électriques Fribourgeoises» (heute «Groupe E)
- 2004 – 2007: Geschäftssekretär der Westschweizer Stromgesellschaft «Energie Ouest Suisse» (EOS)
- 2007 – 2009: Mitglied der Geschäftsleitung der EOS
- 2009 – 2013: Mitglied der Geschäftsleitung des Alpiq-Konzerns, der aus der Fusion der «Aare-Tessin AG für Elektrizität» (Atel) und der EOS hervorgegangen ist
- 2013 – 2014: Mitglied des Vorstands des «Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen» (VSE)
- 2012 – 2014: Mitglied der Verwaltungsräte der AKW Gösgen und Leibstadt
Das sind alles Firmen, die grossmehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand sind. Von Privatwirtschaft keine Spur. Als Alpiq-Manager sowie als Verwaltungsrat zweier AKW und als Mitglied des VSE-Vorstands gehörte Revaz zum harten Kern der Strom- und Atomlobby.
Alpiq-Bosse kassierten schamlos ab
Revaz stand in den Jahren 2009 bis 2013 beim Stromkonzern Alpiq in der operativen Verantwortung. Obwohl die Alpiq in den Jahren 2011 und 2012 happige Verluste von 1,3 beziehungsweise 1,1 Milliarden Franken einfuhr, kassierten im Jahr 2011 die Mitglieder des Alpiq-Verwaltungsrats und der Alpiq-Geschäftsleitung total 12,4 Millionen Franken.
Trotz Alpiq-Krise und Milliardenverlusten sahnten die Alpiq-Bosse also weiterhin schamlos ab. Und der amtierende BFE-Direktor gehörte dazu. Umso kräftiger ertönte dafür der Alpiq-Ruf nach Subventionen und der Senkung der Wasserzinsen. Mittlerweile verweigert der Alpiq-Konzern im Wallis sogar die Zahlung eines Teils der Wasserzinsen.
Genialer Schachzug der Stromlobby
Jetzt also sitzt der langjährige Alpiq-Manager und Strom-Lobbyist plötzlich auf der anderen Seite, auf dem Stuhl des obersten Energiebeamten der Schweiz. 52 Bewerber und 5 Bewerberinnen haben sich fürs BFE-Direktorium beworben. Revaz stach alle aus. Das Kriterium «ehemaliger Stromlobbyist» war offenbar kein Nachteil.
Wie auch immer das Bewerbungsverfahren gelaufen ist und welche BewerberInnen auf der Strecke blieben: Die Besetzung dieses zentralen Postens in der Energiepolitik war ein genialer Schachzug im Interesse der Stromkonzerne, insbesondere für den krisengeschüttelten Alpiq-Konzern, den früheren Arbeitgeber von Revaz. Das zeigen zwei Beispiele eindrücklich:
1. Alpiqfreundliche Studie von «Ernst & Young»
Im November 2017 veröffentlichte das BFE eine 75‘000 Franken teure Studie mit dem Titel: «Wirtschaftliche Situation von Schweizer Energieversorgungsunternehmen im Zeitverlauf». Diese wies zahlreiche Mängel auf, insbesondere blendete sie die internen Fehler der Alpiq völlig aus.
Zudem verglich die Studie Äpfel mit Birnen. Mit einer irreführenden Gegenüberstellung von Dividenden und Wasserzinsen suggerierte sie, die Gebirgskantone würden im Vergleich zu den Mittellandkantonen übermässig abkassieren.
Infosperber kam damals zum Schluss:
Wie kam es zu einem solchen alpiqfreundlichen Ergebnis? Das BFE unter der Direktion des ehemaligen Alpiq-Managers Benoît Revaz hatte den Studienauftrag ausgerechnet der Revisionsfirma «Ernst & Young» (EY) erteilt, die jahrelang die Alpiq-Misswirtschaft kritiklos abgesegnet hatte und damit Teil der Alpiq-Krise war.
Die Revisionsfirma EY wurde vom Alpiq-Konzern für ihre Revisionsarbeiten fürstlich entlöhnt. In den Jahren 2011 und 2012, als der Alpiq-Konzern Rekordverluste von 1,3 und 1,1 Milliarden verzeichnete, sackte EY rund 6,4 beziehungsweies 8,4 Millionen Franken ein.
Die internationale Treuhandfirma «Ernst & Young» leistete für Alpiq nicht nur Revisionsarbeiten, sondern beriet den Stromkonzern auch in Fragen der Steuer-Optimierung beziehungsweise Steuerflucht. In der Zeit von 2009 bis 2013, als der heutige BFE-Direktor in der Alpiq-Geschäftsleitung sass, optimierte Alpiq seine Steuern mittels fünf Firmen auf den Offshore-Inseln Cayman Islands, Jersey und Guernsey (siehe: Subventions-Bettlerin Alpiq im Steuer-Paradies). Auf diese Weise hat der Alpiq-Konzern dem Schweizer Fiskus Steuern vorenthalten und gleichzeitig nach Subventionen gerufen.
2. Alpiqfreundliche Wasserzins-Vorlage des Bundes
Nicht nur mit der EY-Studie leitete der neue BFE-Direktor Revaz Wasser auf die Mühlen des Alpiq-Konzerns, sondern auch mit der inzwischen gestrandeten Wasserzins-Vorlage. Die Chronologie des Lobbyings zeigt, dass Revaz vor der Ernennung zum BFE-Direktor Teil der Anti-Wasserszins-Lobby war:
Bereits im Jahr 2007 bekämpfte Revaz als Geschäftssekretär der EOS die Erhöhung der Wasserzinsen, wie der «Tagesanzeiger» vom 23. April 2007 berichtete. «Man darf die Wasserkraft nicht benachteiligen», erklärte der heutige BFE-Chef damals lauthals.
Als dann im August 2014 die Umweltkommission Urek des Ständerats eine Motion zur Neuregelung der Wasserzinsen ab 2019 einreichte, zogen im Hintergrund der «Schweizerische Wasserwirtschaftsverband» (SWV) und «Swisselectric» die Fäden mit dem Ziel, die Wasserzinsen dank eines Flexibilisierungs-Modells massiv zu senken (siehe: Wasserzins-Debatte: Strom-Lobby mit direktem Draht).
Auch der Stromlobby-Verband VSE hatte einen Vertreter in der SWV-Kommission für Wasserkraft «Hydrosuisse», welche die Wasserzins-Motion der Urek des Ständesrats vorbereitete. Revaz sass zum Zeitpunkt der Einreichung der Motion im August 2014 im Vorstand des VSE, war also Teil der Anti-Wasserzins-Lobby.
Sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat lehnten im Dezember 2015 beziehungsweise im März 2016 eine Fokussierung auf das Flexibilisierungs-Modell ab, mit dem die Stromlobby im Extremfall eine massive Senkung der Wasserzinsen von 550 auf 200 Millionen Franken bezweckte.
Trotz des klaren Auftrags des Parlaments tauchte das Flexibilisierungs-Modell der Stromwirtschaft mit dem Start der Vernehmlassung im Juni 2017 erstaunlicherweise wieder im Bericht des Bundesrats auf.
Zwischen dem Auftrag des Parlaments vom März 2016 und der Botschaft des Bundesrats vom Juni 2017 lag die Wahl des neuen BFE-Direktors Revaz im Juli 2016. Unter der Leitung des ehemaligen Alpiq-Managers hatte sich das BFE über den Auftrag des Parlaments hinweggesetzt und das Modell der Strombranche in die Vorlage geboxt.
Trotzdem wollte das BFE im August 2017 auf Anfrage von Infosperber nichts von einer Missachtung des parlamentarischen Auftrags wissen. Der Bericht sei zwar «missverständlich formuliert», aber der Auftrag des Parlaments sei «jederzeit erfüllt» gewesen. Zur Begründung verwies das BFE auf Gespräche mit der Energiewirtschaft und den Gebirgskantonen, die «in den Grundzügen ähnliche Modelle» verfolgt hätten.
Doch die Gebirgskantone stellten sich der Kooperation von Stromlobby und BFE vehement entgegen, angeführt vom Bündner Widerstand. Im November 2017 musste Bundesrätin Leuthard zurückkrebsen und im Mai 2018 die dreiste Vorlage aus der Küche der Stromlobby endgültig versenken. Eine schwere Niederlage für die Stromlobby und ihren Mann Benoît Revaz im Tarnanzug eines Chefbeamten.
Das hinderte BFE-Direktor Revaz nicht daran, kürzlich in einem Interview mit der «Handelszeitung» (31. Mai 2018) erneut gegen die Interessen der Gebirgskantone das Flexibilitäts-Modell zu propagieren: «Eine Flexibilisierung des Modells stösst in den Bergkantonen auf grosse Widerstände. Wenn man aber ein nachhaltiges Modell anstrebt, dann muss man sich am Markt orientieren. Dies gilt auch bei den Wasserzinsen. Es kann nicht sein, dass man hier an statischen Preisen festhält.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Was heisst «Meinung» ? Es gib da nichts zu «meinen»: Es bleibt Einem einfach die Spuke weg vor solcher Dreistigkeit – mit finanziellem «Benefice» – der Chef-Etagen, hier im Energie-Bereich im Bundeshaus oder anderswo. Da keine politische Partei sich wirklich getraut, sich diesen Verfilzungen gegenüber klar zu positionieren, glimmt die Wut der «normalen» Bürger so vor sich hin, um sich ab und zu zu entladen in manchmal absurden Vorstössen – wie die «Vermummungsinitiative» gegen ungefähr 50 Frauen gerichtet …
Die Grüne Partei Schweiz positioniert sich da klar. Das ist ja wohl auch der Grund, warum sie immer wieder zur Seite gedrängt wird.
Zunächst mal vielen Dank für die umfänglich recherchierte Berichterstattung über die staatliche Stromlobby und Strombranche. Als Leser bin ich damit gut informiert, aber auch vor Machenschaften des Bundes gestellt, die zwar über andere Informationen schon lange zu vermuten waren, aber in diesem Ausmass schlicht entsetzen.
Ein weiteres Feld, auf dem die Bevölkerung schamlos ausgeplündert wird, denn schlussendlich zahlen die Steuerzahler diese Art der Korruption. Das sind keine genialen Coups, sondern unverfrorene Machtdemonstrationen, gegen die sich eine Bevölkerung schlecht wehren kann.
# bernhard sartorius: trefflich! Spuke weg! Über der Doris schwebt immer noch der Schein-Heiligenschein, noch!