Standortplanung: wer plant, der profitiert – ein Beispiel
Der Raum Brugg/Windisch, im Schatten der Wirtschaftsmetropole Zürich und dem Mittellandzentrum Aarau/Olten, erlebte bis jetzt ein relativ gemächliches Wachstum. Doch zunehmend setzt sich auch hier der generelle Trend hin zur Standortaufwertung durch eine «moderne» Siedlungsentwicklung durch. Allerdings ist das, was unter «Modernisierung der Siedlungsentwicklung» verstanden werden soll, umstritten: Bedeutet dies etwa den Bau von Hochhäusern wie entlang der Europaallee in Zürich? Oder meint Modernisierung eine verstärkte Akzeptanz neuer Lösungen, das Bewusstsein, dass nicht einfach die Vergangenheit in die Zukunft fortgeschrieben werden kann?
Das diskrete Company-Town-Syndrom
Kantonale raumplanerische Wachstumsvorgaben und Projekte zur «Verflüssigung» des Verkehrs erhöhen den Druck auf die Region. So werden zum Beispiel von Industrie und Gewerbe genutzte Flächen, die keine optimale Verkehrsanbindung geniessen, durch kantonale Strassenprojekte an übergeordnete Achsen angeschlossen. Erst kürzlich fand der Spatenstich zu so einem Projekt statt, das zwar der Region Mehrverkehr bringt, trotzdem aber von allen Parteien begrüsst wurde.
Der Raum Brugg/Windisch wird dabei im Stil eines diskreten Company-Town-Systems verwaltet, das heisst, die wirtschaftliche Macht ist in einzelnen Händen konzentriert und wird auch politisch durchgesetzt. Denn prägend sind vor allem zwei Familien mit ihren Unternehmungen: Einerseits die 1908 gegründeten Kabelwerke Brugg als Teil einer Holding unter der Führung von Otto Suhner mit den Minderheitsaktionären der Familien Wartmann und Merker, anderseits die Gebrüder Knecht mit ihren Reise-, Transport-, Entsorgungs- und Bauunternehmungen sowie einem zunehmend wachsenden Immobilienportefeuille (Stadion Aarau, Welti-Furrer-Areal in Zürich etc.). Während das AUNS-Gründungsmitglied Otto Suhner – er ist auch Mehrheitsaktionär des regionalen Publikationsorgans – vorwiegend im Umfeld der SVP bzw. rechtsbürgerlichen Kreisen verankert ist, liegt das Schwergewicht der Familie Knecht bei den engen Beziehungen zur FDP. Strategischer Denker im Hintergrund ist hier der spartanisch lebende Ex-Chef von McKinsey Thomas Knecht, der sich auf einer übergeordneten Ebene bewegt, während sein Bruder Daniel Knecht, FDP-Grossrat, langjähriger Präsident der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, mit seinen Unternehmen vor allem im Aargauischen – mit Schwergewicht Brugg/Windisch – tätig ist, hier seinen Einfluss geltend macht. Hie und da findet all dies in einem rechtlichen Graubereich statt.
Traditionellerweise besteht eine sehr enge Beziehung zu den kantonalen Behörden. Zumindest ein aargauischer Regierungsrat hat meistens seine Wurzeln im Raum Brugg/Windisch. Die Wahl des jeweiligen Regierungsrates wird jeweils mehr oder weniger diskret unterstützt, was wiederum entsprechende Gefälligkeiten nach sich zieht. Die letzte Vertreterin des Raumes, die SVP-Regierungsrätin Franziska Roth, ist allerdings kürzlich sogar von ihrer eigenen Partei unter Druck geraten, da sie ihr Amt wenig professionell ausübe.
In diesem Rahmen wird nun unter dem Druck des Grossraumes Zürich in der Region Brugg/Windisch eine Modernisierung der Siedlungsstruktur aufgegleist. Bereits vorgängig war es gelungen, die Fachhochschule Nordwestschweiz mit ihrer pädagogischen Abteilung zu der bereits bestehenden technischen Abteilung nach Windisch zu holen und sie in einem Gebäude, das den Charme eines Back-Office-Gebäudes einer Grossbank ausstrahlt, unterzubringen. Kräftig mitgeholfen hat dabei, dass Otto Suhner das vormalige SP-Mitglied Kurt Wernli aus Windisch als Gegenkandidat zur offiziellen SP-Kandidatin aus dem Hut zog und erfolgreich zum Regierungsrat küren liess. Indem mit dem sogenannten «Campus» Brugg/Windisch zu einem Bildungsstandort wurde, erfolgte auch eine Aufwertung der angrenzenden Liegenschaften, deren mit Abstand grösste diejenige der Kabelwerke Brugg sind.
«Bei uns machen die Investoren die Planung»
Nun sind die Kabelwerke Brugg neuerdings unter einem starken wirtschaftlichen Druck: Erst Anfang dieses Jahres gaben sie einen erneuten Stellenabbau der Belegschaft im Raume Brugg beim damaligen Stand von rund 370 Angestellten um rund einen Drittel bekannt. Damit ist eine Umwandlung der Nutzung der bis jetzt von der Industrie genutzten Flächen vorauszusehen. Parallel zu dieser Entwicklung wird in den beiden Gemeinden Brugg und Windisch die neue Bau- und Nutzungsordnung erarbeitet. Fachlich begleitet diesen Prozess die Raumplanungsabteilung der Metron in Brugg. Grundlage für die neue Bau- und Nutzungsordnung ist das regionale Entwicklungsleitbild RELB. Zum RELB fand ein breites Mitwirkungsverfahren statt. Allerdings wurde der wohl zentralste Teil der geplanten Siedlungsentwicklung – insbesondere die zukünftige Nutzung des direkt beim Bahnhof gelegenen Areals der Kabelwerke Brugg – bei diesem Mitwirkungsverfahren ausgespart. Erst als der Planungsprozess bereits in die finale politische Phase eintrat, wurde klar, was mit diesem zentralen Areal zukünftig geschehen soll: Es sollte zu einer «Hochhauszone» erklärt werden, die das Bauen von «dicht gesetzten Hochhäusern» ermöglicht. Mit dieser planerischen Massnahme würde das rund 60’000 m2 umfassende Gelände, das sich zum überwiegenden Teil im Besitze der Kabelwerke befindet, rund 100 Millionen Franken an Wert gewinnen. Gleichzeitig würde diese Umzonung der bisherigen Arbeits- und Industriezone in eine Hochhauszone ohne irgendwelche Auflagen erfolgen. Mögliche Gegenleistungen des Grundeigentümers für die Zusage der Aufzonung wären zum Beispiel die Bereitstellung von sozial nutzbarem Raum oder andere Infrastrukturleistungen zugunsten der Allgemeinheit.
Die konkrete Umsetzung der nur sehr grob skizzierten Hochhauszone sollte dabei einzig und alleine bei den Exekutiven der jeweiligen Gemeinden liegen. Bloss beim Gestaltungsplan bestünde eine Möglichkeit der Einsprache. Aber ein allfälliger Weiterzug der Einsprachen – bisher war die Gemeinde nie bereit auf Einwände einzugehen – wäre jeweils mit einem so hohen Prozessrisiko verbunden, dass es praktisch aussichtslos ist, entsprechende juristische Schritte einzuleiten. Im Aargau sind bei allfälligen Einwendungen sowohl die Bauherren als auch die Gemeinden Gegenparteien, was die Kostenpflicht für einen Unterliegenden in astronomische Höhen treibt. Dazu wurden die Gestaltungspläne im Auftrag der jeweiligen Investoren im Gebiet des Campusareals bis jetzt immer von demjenigen Planungsbüro – der Metron – gemacht, das auch für die Ortsplanung zuständig ist. So ist der Übergang zwischen öffentlichen und privaten Aufträgen fliessend. «Bei uns machen die Investoren die Planung», rechtfertigte kürzlich eine Gemeinderätin dieses Vorgehen.
Als Begründung für die Einführung einer Hochhauszone mussten dabei die Schlagworte «Urbanität» und «Innenverdichtung» dienen. Dabei ist eigentlich niemandem klar, was darunter zu verstehen ist: Bedeutet es eine «Verdichtung» durch Luxuswohnungen für gentrifizierte Pendler und Pendlerinnen aus Zürich mit einem überdurchschnittlichen Anspruch an Wohnfläche? So wie bei dem zur Zeit im Bau befindlichen Hochhaus «Centurion Tower» (Panzerturm), das unter anderem Professoren der Fachhochschule als Zweitwohnsitz angedient wird? Oder geht es schlichtweg darum, die bestehende Bausubstanz durch besser rentierende Gebäude zu ersetzen? Die möglichen sozialen und kulturellen Auswirkungen einer Massierung von Menschen in «dicht gesetzten» Hochhäusern wurde jedenfalls nicht bedacht. Hochhäuser wurden als Symbole für «Urbanität» dargestellt; und das gefiel vielen, weht doch plötzlich ein Hauch von Grossstadt durch die etwas verschlafene Region.
Investorenorientierte Durchbrecherstrategien
Dieser rein technokratisch verstandene Planungsprozess, durchgeführt von Experten ohne breite Mitsprachemöglichkeit der Bevölkerung, ist typisch für das Vorgehen der Raumplanung der Metron in diesem Raum. Ausgehend von einer Durchbrecherstrategie, in der sich die Raumplanungsexperten an die Konzepte der 70er Jahre halten, wird dabei ein Vorgehen über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchgesetzt. Die Behörden wiederum, einerseits unter dem Druck mächtiger Investoren, anderseits beraten von den technokratisch ausgerichteten Planern, kennen keine anderen Konzepte beziehungsweise sind überfordert, alternative Vorstellungen zu entwickeln. Für diese Situation ist es bezeichnend, dass es kaum Unterschiede in den Haltungen der jeweils verantwortlichen Exekutivmitglieder gibt, ob diese nun Mitglieder der Grünen Partei – wie in Brugg – oder der SP bzw. SVP – wie in Windisch – sind. Die enge Zusammenarbeit zwischen der grünen Frau Stadtammann von Brugg und der erfahrenen SVP-Gemeindepräsidentin von Windisch ist unterdessen bereits zum Fasnachtssujet geworden: «D’Barbara (Brugger Stadtammann) hets guet mit em Häidi (Windischer Gemeindepräsidentin)» .
Doch die technokratisch ausgerichtete Planung wird nicht mehr widerspruchslos angenommen. Die beiden Agglomerationsgemeinden Brugg/Windisch konnten sich dem längerfristigen Trend hin zu einer verstärkten Zuwanderung von stärker städtisch und intellektuell geprägter Schichten nicht entziehen, was zu einem teilweisen Aufbrechen der dörflichen Beziehungskultur führte. Zugleich besteht – vor allem in Windisch – seit den 80er Jahren ein Bodensatz an kritischen Menschen, die sich immer wieder erfolgreich gegen technokratisch-neoliberale Durchbrecherstrategien – Projekt einer «Umfahrungsstrasse» quer durch das Siedlungsgebiet – sowie die Privatisierung des gemeindeeigenen EW’s einsetzten. Dank dieser Bewegungen ist es der SP in Windisch bei den letzten Wahlen gelungen, 18 der insgesamt 40 Sitze im Gemeindeparlament zu erobern, was schweizweit auf Echo stiess. Doch die Parteien, eingebunden in die lokalen Machtstrukturen und Zwänge, waren bis jetzt kaum fähig, prospektive Ideen zu entwickeln. Es ist bezeichnend, dass die Anstösse zu einer kritischen Auseinandersetzung mit problematischen Projekten bisher weniger von den Parteien als vielmehr von zivilgesellschaftlichen Organisationsformen ausgegangen sind.
Der Kampf um die Deutungshoheit
Im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen einem technokratisch-investorenorientierten und einem bürgernahen Ansatz ist der Kampf nun um die Deutungshoheit der Begriffe «Urbanität» und «Verdichtung» entbrannt. Dabei hat eine Gruppe eines Quartiervereins von Windisch eine Vortragsreihe organisiert, die im Wesentlichen auf Fragen der Partizipation, der Eigenständigkeit einer Gemeindeentwicklung in Zeiten der Agglomerationsbildung sowie der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Hochhäusern, baulicher Verdichtung und urbanen Qualitäten einging. Referenten waren Sabine Wolf als Fachfrau Partizipation, Angelus Eisinger, RZU-Direktor, als Mann der Planung, sowie der ETH-Soziologieprofessor Christian Schmid von der Architekturabteilung. An den Veranstaltungen nahmen jeweils 80 bis 120 Personen teil. Dabei zeigte sich, dass weniger am Reissbrett oder in Köpfen von Experten entworfene Vorstellungen, sondern vor allem die gemeinsame Entwicklung von Bildern und Vorstellungen der Betroffenen entscheidend für eine zukunftsträchtige Siedlungsentwicklung sind. Wesentlich ist dabei, dass die Bewohner und Bewohnerinnen einer Gemeinde nicht zu den Opfern der Entwicklung werden, sondern sie aktiv mitgestalten. Urbanität wird dabei zu einer Art Synonym für Lebendigkeit, die von der Gestaltbarkeit der Umwelt abhängt – wozu in unserem föderal-demokratischen System durchaus auch Spielraum besteht. In diesem Sinne ist der Kampf um die Deutungshoheit auch mit dem Kampf um die Aneignung der Umwelt verbunden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Wolfgang Hafner ist Mitglied der Quartierentwicklungsgruppe des oben erwähnten Quartiervereins und hat früher hie und da im Auftragsverhältnis für die Metron gearbeitet. Zu den Referaten des Quartiervereins Klosterzelg-Reutennen Windisch hier anklicken.
Interessant. Metron, Planungsbüro, hat sich offenbar stark gewandelt. Kritik an Grundeigentümern, Verfilzung und fehlender Partizipation mag berechtigt sein. Trotzdem bleibt offen, welches dann die zweckmässigen Visionen in sozialer und ökologischer Hinsicht sind. Plusenergieareale? Breite Streuung des Besitzes? Ökologische Räume, Biodiversität? Verkehrsregimes? Durchmischend? Nutzungskonzepte? Mehr Partizipation schafft neue Abhängigkeiten und nicht unbedingt mehr Rechte für die Allgemeinheit und zukünftige Interessen.
Wohnhochhäuser: Will das die Bevölkerung wirklich?
Ist die Akzeptanz von Wohnhochhäusern und dem verdichteten Bauen wirklich gestiegen, oder wird hier aus der Wohnungsnot in den Agglomerationen schnell eine Tugend gemacht?
Richtigstellung der Metron AG, Brugg:
Der Artikel von Wolfgang Hafner zur Siedlungsentwicklung in der Region Brugg/Windisch lässt leider nicht nur Objektivität, sondern teilweise auch den Faktenbezug vermissen:
In seinen Vorprüfungsberichten vom November 2017 würdigt der Kanton Aargau «die sehr breite Partizipation und Kommunikation» im Planungsprozess RAUM BRUGG WINDISCH «als Pionierleistung im Kanton Aargau»: Das Räumliche Entwicklungs-leitbild (RELB) ist in einem intensiven Dialog erarbeitet worden: Eine 40-köpfige Echogruppe begleitete den Erarbeitungsprozess, in drei Foren brachten je 120 Interessierte ihre Inputs ein, und auch die öffentliche Vernehmlassung wurde intensiv genutzt. Viele Inputs fanden Eingang in die definitive Fassung des RELB. Die Erarbeitung von Nutzungsplanung, Komm. Gesamtplan Verkehr sowie Natur- und Landschaftsentwicklungskonzept erfolgte unter Einbezug der rund 30-köpfigen Begleitgruppen, in denen Einwohnerräte, Kommissionsvertreter und Fachexperten beider Gemeinden vertreten waren. Die öff. Infoveranstaltung vom 31.10.16 wurde von weit über zweihundert interessierten Bürgerinnen und Bürgern besucht, die Mitwirkungsfrist auf total neun Wochen verlängert. Über 130 Mitwirkende haben sich schliesslich beteiligt.
Die immer wieder zitierte Hochhausstudie stammt nicht von Metron.
Weitere Fakten auf http://www.raumbruggwindsch.ch
Metron AG, Brugg