Anders Reisen: Zug statt Flug – was der Umstieg bewirkt
Mit der Serie «Anders Reisen» weist Infosperber auf die Konflikte zwischen wachsendem Reisekonsum und Umweltbelastung hin und zeigt, wie sich diese Konflikte entschärfen lassen. Heute: Ein differenzierter Vergleich zwischen Flug- und Bahnverkehr.
Wie stark Reisen die Umwelt belastet und das Klima aufheizt, hängt primär von der Reisedistanz und der Geschwindigkeit ab. Diesen Zusammenhang zeigte der erste Teil unserer Serie «Anders Reisen» unter dem Titel: «Weniger weit bringt am meisten». Distanz und Geschwindigkeit wiederum bestimmen wesentlich die Wahl des Verkehrsmittels. Konkret: Nach Australien verkehrt kein Tram, und wer als Zürcherin auf dem Uetliberg wandert, benutzt kein Flugzeug.
Verkehrsmittel-Vergleich von Fall zu Fall
Für Reisen auf mittleren Strecken hingegen besteht die Wahl: Eine Reise nach Rom oder Berlin ist sowohl per Flugzeug, Bahn oder Auto möglich – und für gut trainierte Leute, die viel Zeit haben, auch zu Fuss. Dabei benötigt eine vierköpfige Gruppe, die in einem Auto der Mittelklasse reist, pro Kopf weniger Energie und verursacht weniger CO2-Ausstoss, als wenn sie fliegt. Wenn aber vier Personen mit vier überdimensionierten Autos nach Rom, Wien oder sonst wohin fahren, sieht der ökologische Vergleich anders aus.
Wer hingegen vom Flugzeug oder Auto auf die Bahn umsteigt, reist meistens ökologischer. Von Fall zu Fall gibt es allerdings Ausnahmen von dieser Regel. Ebenfalls zu relativieren ist die pauschale Aussage, die Reise im wenig ökologischen Flugzeug sei leider stets billiger und schneller als die Bahnreise.
Je nach Reise- und Buchungszeit klaffen Flug- und Bahntarife weit auseinander. Der Zeitbedarf für Flug- und Bahnreisen schwankt bei gleicher Länge ebenfalls deutlich, je nach Destination. Und die ökologische Bilanz wird vom Belegungsgrad der einzelnen Transportmittel und von der Art der Stromerzeugung (Strommix) in den einzelnen Ländern wesentlich mitbestimmt. In der Hektik der aktuellen Klimadebatte heben deshalb die einen Medien die Schädlichkeit des Luftverkehrs besonders hervor, während andere argumentieren, die Bahn sei weit schlechter als ihr Ruf.
Ökologische Daten zur Verkehrsmittel-Wahl
Wer sich in der vielfältigen Reisedebatte einen groben Überblick verschaffen will, kann sich bei der Wahl zwischen Flug und Zug auf folgende allgemeinen Informationen stützen:
o Energie- und CO2 beim Fliegen Der Flugverkehr verbrennt im Schnitt pro Passagier und 100 Kilometer Distanz (100 Pkm) drei bis vier Liter Kerosin und stösst damit 7,5 bis 10 Kilo CO2 (Kohlendioxid) in die Atmosphäre. Der WWF-Klimaexperte Patrick Hofstetter multipliziert diese Werte mit dem Faktor 2. Andere Ökobilanzierer rechnen sogar mit einem Faktor 3, um die zusätzliche Klimawirkung des Luftverkehrs zu berücksichtigen. Öko-Rechner weisen darum für den Luftverkehr oft 20 bis 30 Kilo CO2 pro 100 Pkm aus; «My Climate» zum Beispiel rechnet für den 12’300 Kilometer langen Hin- und Rückflug Zürich-New York mit 2,3 Tonnen (Economy-) bis 4,5 Tonnen CO2 (Business-Class).
o Differenzen von Fall zu Fall Je nach Flugzeugtyp, Sitzauslastung und Flugdistanz schwanken die Energie- und CO2-Werte beträchtlich. Als Faustregel lässt sich festhalten: Wer fliegt, braucht für die gleiche Strecke etwa gleich viel fossile Energie wie eine Person in einem durchschnittlich ausgelasteten Auto (Belegungsgrad 1,6), belastet aber das Klima insgesamt stärker. Sowohl Flüge wie Autofahrten haben eine deutlich schlechtere Energie- und CO2-Bilanz als Bahnreisen. Doch auch bei den Bahnen schwankt der spezifische Energiebedarf und CO2-Ausstoss beträchtlich; dies je nach Auslastung und Tempo der Züge sowie dem Strommix in den einzelnen Staaten.
o Die Schweizer Bundesbahnen schneiden mit ihrer Energie- und CO2-Bilanz gut ab. Sie verbrauchen pro 100 Passagierkilometer (Pkm) nur etwa 10 Kilowattstunden Strom oder umgerechnet weniger als einen Drittel so viel Endenergie wie durchschnittliche Flugzeuge, obwohl die Bahnen hierzulande viel schlechter ausgelastet sind (im Schnitt rund 25 %) als startende Flugzeuge (bis 80 %). Weil der Schweizer Bahnstrom zu 90 Prozent aus Wasserkraft stammt, ist der CO2-Ausstoss und damit die Klimabelastung der Schweizer Bahnen marginal.
o Bei ausländischen Bahnen sieht die Energie- und CO2-Bilanz in der Regel schlechter aus. Im deutschen Strommix etwa steckt viel Kohlestrom und damit mehr CO2 als in der Schweiz. Zudem fahren viele Züge in Deutschland noch mit fossiler Energie und haben deshalb ebenfalls keine vorbildliche CO2-Bilanz. Hochgeschwindigkeits-Züge in Frankreich und Italien sind in der Regel zwar besser ausgelastet als die im Halbstundentakt verkehrenden Züge in der Schweiz, fressen aber mit Tempi zwischen 160 und 300 Kilometern mehr Strom. Zudem ist der Strommix in Frankreich atom-, jener in Italien erdgaslastig. Trotzdem: Selbst in diesen Ländern ist die CO2-Bilanz im Bahnverkehr pro Passagier und Kilometer im Schnitt deutlich besser als jene im Luftverkehr.
Das ökologische Zwischen-Fazit: Der Umstieg vom Flug auf den Zug senkt in der Regel den Energieverbrauch sowie CO2-Aussstoss. Er verbessert damit die Klimabilanz; dies allerdings nicht in jedem Einzelfall und nicht in allen Ländern gleich stark.
Reisezeit-Vergleich zwischen Flug und Zug
Für Fahrten in 300 bis 500 Kilometer entfernte Städte brauchen Schnellzüge drei bis fünf Stunden. Beispiele für Bahn-Fahrzeiten (schnellste Verbindungen gemäss SBB) ab Zürich: Nach Paris: 4 Stunden und 3 Minuten (abgekürzt: 4.03). Nach Frankfurt: 3.52. Nach Mailand: 3.25, nach München 4.44. Damit ist die Reise mit der Bahn hier ähnlich schnell oder schneller als jene im Flugzeug, wenn man die Anfahrt zu den Flughäfen, das Einchecken und die Weiterfahrt in die Stadtzentren der Zielorte mitberücksichtigt.
Für Distanzen ab 500 Kilometer hingegen dauert die Reise im Zug meist länger als im Flugzeug. Dazu nochmals einige Beispiele für Fahrzeiten (schnellste Verbindungen) mit der Bahn ab Zürich: Nach Rom: 6.49 Stunden. Nach London: 7.58. Nach Madrid über Barcelona: 14.26. Nach Wien mit Tagzug 7.50, Nachtzug 9.25. Nach Berlin mit Tagzug: 8.18, Nachtzug 11.40. Nach Lissabon mit Tag- und Nachtzug über Paris-Bordeaux: 25.56 Stunden. Ab Bern sind die betreffenden Fahrzeiten nach Norden und Süden ähnlich, nach Osten dauert die Fahrt eine Stunde länger, nach Madrid eine Stunde weniger lang. Ab Basel brauchen Reisende nach Osten und Süden eine Stunde länger als ab Zürich, nach Norden und Westen eine Stunde weniger lang.
Tarif-Dschungel sowohl bei Flug und Zug
Die Feststellung, Fliegen sei billiger als Bahnfahren, stimmt in vielen Fällen, wo Luft- und Schienenverkehr im Wettbewerb stehen. Aber auch hier ist zu relativieren. So werben Fluggesellschaften gerne mit tiefen Last-Minute- oder andern Sondertarifen, um ihre Energieschleudern auszulasten. Doch diese Tickets sind begrenzt. Normaltarife sind oft um Faktoren höher.
Das Gleiche gilt, zwar weniger ausgeprägt aber zunehmend, auch bei den Bahnen. Wir verzichten deshalb darauf den Preis- und Tarifdschungel von Flug- und Bahnverkehr weiter zu durchforsten und beschränken uns am Schluss dieses Textes auf eine Preistabelle der SBB.
Modalsplit: Bis 500 Kilometer kann die Bahn mithalten
Die Verteilung des Reiseverkehrs zwischen Zug und Flug hängt weniger vom – schwankenden – Preisunterschied ab als von der Reisezeit. Auf Distanzen zwischen 300 (etwa Zürich-Milano) und 500 Kilometer (Zürich-Paris) kann die Bahn gegenüber dem Flugzeug heute gut konkurrieren. «Bis zu Reisezeiten von etwa vier Stunden zeigt sich, dass die Bahn beim Modalsplit Flug/Zug einen Marktanteil von 60 bis 80 Prozent erreicht», schreiben dazu die SBB auf Anfrage von Infosperber.
Nicht berücksichtigt bei all diesen Angaben ist der Autoverkehr, der den Gepäcktransport auf Urlaubsfahrten im Vergleich zum Zug- und Flugverkehr erleichtert. Dessen Anteil am Modalsplit dürfte im Umkreis bis 500 Kilometer deutlich höher sein als jener sowohl von Flug- als auch Bahnverkehr. Das jedenfalls lässt eine Erhebung des Bundesamtes für Statistik über den alpenquerenden Verkehr aus dem Jahr 2015 erahnen. Demnach durchquerten 85 Prozent aller Reisenden aus dem Norden die Schweizer Alpen im Auto, lediglich 15 Prozent per Bahn. Auf Strecken mit schlechten Bahnverbindungen, zum Beispiel nach München, dürften auch Fernbusse einen beträchtlichen Teil der Reisenden transportieren.
Das grosse Potenzial zum Umsteigen
Weit grösser als bei Kurzstrecken bis 500 Kilometer ist das Umsteigepotenzial vom Flug- auf den Bahnverkehr im Distanzbereich zwischen 500 und 1500 Kilometern, wo der Anteil der Bahnen heute tief ist. Und dieses Potenzial ist gross und relevant. Das zeigen folgende Resultate der Statistik des Flughafens Zürich-Kloten:
o 75 Prozent aller Flugpassagiere in Direktflügen ab Zürich fliegen nach Zielen innerhalb Europas. 57 Prozent aller Passagiere ab Zürich landen in Deutschland, Spanien, Grossbritannien (vorab London), Italien, Frankreich und Österreich. Bei diesen sechs Ländern handelt es sich um Destinationen, die weniger als 1500 Kilometer entfernt liegen, und die sich per Bahn ab Zürich innerhalb eines Tages oder einer Nacht erreichen lassen (siehe Beispiele für Bahnreise-Zeiten weiter oben). Ähnlich dürfte es sich bei den andern grossen Schweizer Flughäfen Genf-Cointrin und Basel-Müllhausen verhalten.
o Rund die Hälfte aller Flugpassagiere, die in der Schweiz starten oder landen, könnten ihr direktes Reiseziel per Bahn in einem Tag oder in einer Nacht erreichen. Das sind, so lässt sich aus der Schweizer Flugverkehrs-Statistik ausrechnen, pro Jahr rund 30 Millionen Fluggäste, für die das Umsteigen vom Flug auf den Zug zumutbar wäre. Das Umsteige-Potenzial ist also riesig.
Flugverkehr verteuern, Bahnangebot ausbauen
Somit stellt sich die Frage, was es braucht, damit der mögliche Umstieg Wirklichkeit wird. Oder anders gefragt: Wie bringt man das riesige Potenzial von Reisenden innerhalb Europas auf die Bahn? Zwei Mittel stehen im Vordergrund: Es gilt erstens, den Flugverkehr wesentlich zu verteuern, entweder mit einer CO2-Abgabe auf Kerosin oder mit einer Flugticket-Abgabe. Zweitens muss das Angebot der Bahn im internationalen Verkehr massiv ausgebaut werden, sei es durch den Ausbau oder mit einer besseren Auslastung der Bahntrassen. Wichtig und wirkungsvoll – und bei höheren Flugpreisen auch rentabel – wäre die Renaissance der Nachtzüge. Denn besonders in Nachtstunden verfügt Europa noch über viel Kapazität auf den Schienen.
Das Fazit aus unseren Recherchen: Um den Konflikt zwischen Umweltbelastung sowie Klimawandel und Reiselust zu dämpfen, gilt es primär, weniger weit zu reisen, zweitens auf kürzeren Distanzen vom Flugzeug auf die Bahn oder andere weniger umweltbelastende Verkehrsmittel umzusteigen.
——– Anhang
SBB-Tarife für sechs europäische Destinationen
Infosperber wählte sechs oft angeflogene Hauptstädte in Europa aus, die sich ab der Schweiz sowohl mit Flugzeug als auch per Bahn erreichen lassen. Der SBB-Medienabteilung stellten wir die Frage, wie hoch die Tarife der SBB für Hin- und Rückfahrt samt notwendigen Reservationen zu diesen Städten ab Zürich sind, bei Nachtzügen im Liegewagen; dies zum Normaltarif, zum Spartarif und, wo billiger, mit Interrail-Pass. Dieser Pass bietet für europäische Staaten innerhalb eines Monats drei Tageskarten an zu einem fixen Preis, entweder für einen Staat ausserhalb des Ausgangslandes (Länderpass) oder mehrere Staaten (Globalpass).
Die SBB lieferten die gewünschten Zahlen, die wir ohne Gewähr in der untenstehenden Tabelle veröffentlichen. Diese Zahlen erlauben eine grobe Orientierung. Sie bilden allerdings nur einen Ausschnitt der grossen Tarif-Vielfalt ab, die allein bei den Bahnen herrscht. Bei den Flugtarifen ist die Vielfalt noch unübersichtlicher; hier haben wir kapituliert und überlassen damit Preisvergleiche von Fall zu Fall den Reisenden.
In unserer Serie «Anders Reisen» veröffentlichten wir in den kommenden Wochen Vorschläge und Beispiele für lustvolle alternative Reiseformen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Ihr habt noch eine Reiseart vergessen: Der Fernbus. Es wäre interessant gewesen, herauszufinden, wie es mit dem Vergleich hier abschneidet. Vor allem weil man hier auch Nachts fahren kann.
Antwort des Verfassers: Fernbusse können ökologischer sein als Fernverkehrszüge, wenn sie besser ausgelastet sind; dies insbesondere in Ländern mit hohem Anteil an Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken. Nur: Wenn neue Fernbusse bestehende Fernverkehrszüge konkurrenzieren, sind sie mitverantwortlich für den tieferen Besetzungsgrad dieser Züge. Es gilt also auch hier von Fall zu Fall abzuwägen. Hanspeter Guggenbühl
Zwei wesentliche Punkte wurden ausser Acht gelassen: Das Gepäck hat im Flugzeug und im Auto einen festen, sicheren Platz. Im Zug ist es allen im Weg oder wird geklaut. Im Flugzeug sitze ich nur 1 bis 2 Stunden unbequem. Im Zug sind es bis zu 7 oder 9 Stunden. Fazit: Gepäckwagen und tolle Erstklassabteile, dann fahre ich mit Begeisterung Zug in Europa.
Zu Recht weist Hanspeter Guggenbühl auf das Tarifchaos bei internationalen Bahntickets hin. Ein Fehler ist es hingegen, deswegen zu kapitulieren und sich auf die von den SBB verlangten Preise zu verlassen. Mit dem Buchungsportal trainline.com gibt es für Bahn- und Fernbusreisen eine bequeme und einfache Alternative. Mit wenigen Klicks bekommt dort eine Übersicht über Fahrzeiten und Preise. Von Zürich-Berlin retour kostet dort eine Reise per Bahnim Juli mit Halbtax 120 Franken, nach Rom und wieder zurück reist man dank Trainline für 140 statt 280 Franken. Voraussetzung ist allerdings, dass man früh bucht.