CzechNATO1999

Tschechien trat 1999 der NATO bei: Bild aus einem Video auf der Website von Radio Free Europe © RFERL.org

US-Propaganda als „fact-based reporting“?

Christian Müller /  Was ist Information? Was ist Propaganda? Die Rede eines tschechischen Politikers in Schweden macht es transparent.

«Wir müssen ehrlich sein. Nur die auf Fakten basierende Berichterstattung kann funktionieren. Deshalb haben wir noch immer Radio Free Europe in Prag, in Erinnerung an die dunkle Zeit, als in unserer eigenen Geschichte die Quellen der heimischen Information erfolgreich zensuriert wurden.»

(We need to be honest. Only fact-based reporting can work. That is why we host Radio Free Europe in Prague, remembering the dark days when during our own history, our domestic information sources were effectively censored.)

Das sagte vor ein paar Tagen der tschechische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten Tomas Prouza in einer Rede vor dem SIPRI in Schweden. Das Thema der Rede war die russische Desinformation, die in Europa immer mehr um sich greife. Der bei der Weltbank in Washington DC in den USA auf westliche Finanzwirtschaft trainierte ehemalige Stellvertretende Finanzminister der Tschechischen Republik nannte als Beispiel für den Erfolg der russischen Propaganda, dass heute 50 Prozent der tschechischen Bevölkerung meinen, für den Flüchtlingsstrom aus Syrien seien die USA verantwortlich. Die Desinformation von russischer Seite müsse mit allen Mitteln bekämpft werden!

Radio Free Europe berichtete «fakten-basiert»?

Der tschechische Spitzenpolitiker verwies auf etliche Massnahmen, die gegen die russische Desinformation bereits ergriffen worden seien, darunter der Einsatz des EEAS East STRATCOM Teams oder etwa das «Training» von ukrainischen Journalisten. Vor allem forderte er aber noch mehr Aufklärungsarbeit des Westens in russischer Sprache. Und er verwies mit einem gewissen Stolz darauf, dass die zentralisierten Aktivitäten von Radio Free Europe heute in Prag angesiedelt seien – siehe oben.

Nur: Was machte damals Radio Free Europe – und was macht es heute?

Radio Free Europe ist das Gegenstück zur russischen Propaganda. Der Sender nahm seinen Sendebetrieb schon im Jahr 1950 auf, damals noch von München aus. Finanziert wird er vom Kongress der USA. So sagen sollte man das allerdings nicht. Noch 1997 stand auf der Umschlagklappe des Buches des ungarischen Publizisten George R. Urban, der selber für RFE im Einsatz war, wohlklingend: «In vivid detail, Urban describes how the Radios promoted the cause of liberal democracy and the free market economy for more than four decades ….» (… wie Radio Free Europe die liberale Demokratie und die freie Marktwirtschaft anpries …). Stacey Cone, ein US-amerikanischer Professor von der Ohio University, bezeichnete die beiden Radiosender Radio Free Europe und Radio Liberty im gleichen Jahr in der Zeitschrift «Journalism History» immerhin schon wörtlich als amerikanische «Propagandasender des Kalten Krieges». Erst der US-amerikanische Historiker A. Ross Johnson sagte es offen, nämlich schon im Titel seines im Jahr 2010 erschienenen Buches, wer da mitmischelte: Radio Free Europe and Radio Liberty: The CIA Years and Beyond (Stanford University Press).

Radio Free Europe und Radio Liberty haben auch nach dem Kalten Krieg nie aufgehört zu senden. Heute betreiben sie zusätzlich eine umfangreiche, laufend aktualisierte, mehrsprachige Website mit vielen Videos. Man findet dort 34 regionale Portale in der jeweiligen Landessprache. Selbst wenn man die meisten davon nicht versteht, die Bilder und Videos verraten schnell die behandelten Themen.

Propaganda oder Information – eine Frage des Blickwinkels

Der tschechische Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten Tomas Prouza schloss seine Rede über die russische Desinformation mit den Worten: »Ich persönlich glaube fest an unsere Mitgliedschaft in der EU und in der NATO. Wenn diese Vereinigungen gemeinsamer Werte und Interessen (!) zusammenhalten, haben wir eine gute Chance, in diesem Krieg gegen den Einfluss der Desinformation zu gewinnen.»

I, personally, strongly believe in our membership in the EU and NATO. If these communities of shared values and interests remain united, we stand a very good chance to fight and win this battle with the influence of disinformation.»)

Es ist doch ganz einfach: Für den nach eigener Aussage NATO-gläubigen tschechischen Politiker ist die «Information» aus Russland Propaganda, die Propaganda der US-finanzierten Sender Radio Free Europe und Radio Liberty aber «Information» – oder, wie er es formulierte: fact-based reporting, «auf Fakten basierte Information».

Der Standpunkt bestimmt den Blickwinkel. Der Blinkwinkel bestimmt die Terminologie.

Es gilt, aufmerksam zu bleiben.

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Nachtrag vom 17.10.2016

Wie heute bekanntgegeben wurde, hat die britische Bank Natwest dem russischen Medienunternehmen Russia-Today das Konto gesperrt. Wenn zwei das gleiche tun, so ist es nicht das gleiche.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor arbeitete in den 1990er Jahren als CEO von Ringier CR in Prag. Er hat dabei einige Mitarbeiter von Radio Free Europe persönlich kennengelernt. – Aufmerksam auf die Rede von Tomas Prouza wurde er durch den täglich erscheinenden Newsletter "fleet sheet's final word" des in Prag ansässigen Amerikaners Erik Best.

Zum Infosperber-Dossier:

Kalter_Krieg

Der Kalte Krieg bricht wieder aus

Die Grossmächte setzen bei ihrer Machtpolitik vermehrt wieder aufs Militär und gegenseitige Verleumdungen.

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