Den Tabakkonzernen zu Diensten: FDP, SVP und NZZ
Verkauf und Export von besonders starken Tabakwaren sind heute in praktisch allen zivilisierten Industriestaaten verboten. Doch von der Schweiz aus können Tabakkonzerne diesen «starken Tabak» weiterhin massenweise in Entwicklungsländer exportieren. In der Schweiz selber dürfen die Tabakkonzerne Sportanlässe und Jugendfestivals weiterhin sponsern, und in Kinos und – in Kantonen, die das noch nicht verboten haben – auf öffentlichem Grund für Zigaretten werben.
So haben es am 9. Dezember 2016 101 bürgerliche Nationalratsmitglieder entschieden. Über ein neues Tabakproduktegesetz wollten sie nicht einmal debattieren, sondern wiesen es an den Bundesrat zurück. Unter den FDP-Parlamentariern gab es ein einziges weisses Schaf, welches das Gesetz im Parlament behandeln wollte: Der Tessiner Ignazio Cassis – ein Arzt. Dagegen polterte das FDP-Sprachrohr Bruno Pezzatti aus Zug gegen «unnötige staatliche Regulierungen» und gegen «neue Bevormundungen von Erwachsenen». Pezzatti griff auch zum Totschlagargument «Arbeitsplätze»: Die Tabakindustrie und die mitbetroffene Werbebranche würden in der Schweiz 13’000 Personen beschäftigen.
Kein Wort davon, dass es in erster Linie um das verwerfliche, aber lukrative Exportgeschäft der Tabakindustrie ging.
Über das Exportgeschäft sollte möglichst nicht geredet werden
Im Vorfeld der parlamentarischen Behandlung hatte der Lungenspezialist Rainer M. Kaelin über die «legendäre Manipulation der Tabakindustrie» berichtet. Kaelin dokumentierte ausführlich, wie die Tabakkonzerne sowohl Politiker wie die Öffentlichkeit beeinflussen und manipulieren. Sie haben dazu den Gewerbeverband, Gastrosuisse, Economiesuisse und «Werbung Schweiz» eingespannt, welche ihrerseits viele bürgerliche Parlamentarier auf ihren Zahlungslisten haben.
Die Nationalratsmitglieder der SVP, FDP und des grossen Teils der CVP erwiesen sich als willfährige Ausführungsgehilfen der Tabaklobby. Den von Profitaussichten getriebenen, skandalösen Alleingang der Schweiz im internationalen Umfeld erwähnten sie mit keinem Wort. Das exotische Abseitsstehen der Schweiz vom WHO-Übereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums sollte in der Öffentlichkeit möglichst nicht erwähnt, geschweige denn diskutiert werden. Möglichst auch kein Wort darüber, dass in die Ostländer, nach Asien und Afrika «swiss made»-Tabakprodukte exportiert werden, die durch ihren höheren Nikotingehalt noch leichter abhängig machen, und die nirgendwo sonst in der westlichen Welt produziert und exportiert werden dürfen.
Medien im Sog der Tabaklobby
Die meisten Medien spielten das Spiel der Tabakkonzerne mit. In ihren Berichten über den Parlamentsentscheid erwähnten neben vielen andern auch die NZZ, die SRF-Tagesschau und das «Echo der Zeit» weder die Konsequenzen für die WHO-Konvention, noch für das grosse Exportgeschäft. Die NZZ titelte «Strafaufgabe für Alain Berset», wie wenn der Bundesrat ein fehlerhaftes Gesetz vorgeschlagen hätte.
Eine löbliche Ausnahme war Markus Brotschi, der im «Tages-Anzeiger»/«Bund» die «Vernebelungstaktik» kritisierte und festhielt: «Das Tabakgesetz würde die Voraussetzung schaffen, dass die Schweiz dem WHO-Übereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums beitreten könnte. Mit diesem müsste die Schweiz den Export von Zigaretten mit hohen Schadstoffwerten verbieten, die hierzulande und in andern europäischen Ländern nicht mehr verkauft werden dürfen.» Das Parlament habe nicht darüber beraten wollen, ob «die Schweiz Produktionsstandort für Zigaretten mit Teer- und Nikotinwerten bleiben soll, wie sie fast nur noch Drittweltländer ihren Bevölkerungen zumuten».
Was auf dem Spiel stand und steht
Die internationalen Tabakkonzernen mit Sitz in der Schweiz sind Philip Morris International (PMI), British American Tobacco (BAT) und Japan Tobacco International (JTI).
- Diese Tabakkonzerne exportieren in Franken fast so viele Zigaretten und andere Tabakprodukte ins Ausland wie die Milchwirtschaft Käse exportiert.
- Bei diesen Exporten handelt es sich um Tabakprodukte, welche die EU-Länder nicht exportieren dürfen, weil sie einen zu hohen Gehalt an Nikotin, Teer und Kohlenmonoxid aufweisen. Hauptabnehmer sind Länder der Dritten Welt.
- Um dieses verwerfliche Exportgeschäft weiter betreiben zu können, darf die Schweiz das WHO-Übereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums nicht ratifizieren («Framework Convention Tobacco Control» FCTC). Dieser Vertrag verbietet den Verkauf und den Export von solchen schadstoffstarken und noch schneller abhängig machenden Tabakprodukten. Der Vertrag schränkt zudem Werbung und Promotionen auch der weiterhin erlaubten Tabakprodukte ein.
- Mit Ausnahme von Andorra, Liechtenstein und Monaco ist die Schweiz das einzige Land Europas, das diesen WHO-Vertrag FCTC über die Kontrolle des Tabaks nicht ratifiziert und in Kraft gesetzt hat.
- Das internationale Übereinkommen FCTC hält ausdrücklich fest, dass Tabakprodukte von der Industrie entwickelt worden sind, um Abhängigkeit zu erzeugen, und dass die Vertragsparteien sich verpflichten, das höhere Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit über das Partikularinteresse des wirtschaftlichen Gewinns zu stellen.
- Jeder zweite starke Raucher stirbt an den Folgen des Rauchens.
- Zudem schaden Raucher auch Mitmenschen, die nicht rauchen. Wer dagegen zu viel Alkohol, Zucker, Salz oder Fett konsumiert, schadet «nur» der eigenen Gesundheit.
- Anders als bei Zucker, Salz oder Fett gibt es bei krebserregenden Tabakprodukten keine gesunde Menge oder Dosis.
Aus diesen Gründen sind Tabakprodukte in vielen Ländern einer besonderen staatlichen Kontrolle unterstellt. Nicht aber in der Schweiz: Bei uns sind Vertrieb, Verkauf, Promotion und Werbung im Lebensmittelgesetz geregelt.
«Lasst uns kleine Laster»
Besonders erfreut über den Rückweisungsentscheid des Nationalrats zeigte sich NZZ-Redaktor Daniel Gerny und setzte über seinen Kommentar den Titel «Lasst uns kleine Laster des Alltags».
Es versteht sich von selbst, dass Gerny die WHO-Konvention und das verwerfliche Exportgeschäft der Tabakkonzerne mit keinem Wort erwähnte. Dafür bedauerte er den «Verlust an Lebensqualität», wenn «Bars und Quatierbeizen fast vollständig verschwinden, in denen sich Nachbarn auf ein Bier und eine Zigarette trafen». Ein «totales Werbeverbot für Tabakprodukte im öffentlichen Raum, in Print- und Online-Medien und im Kino … befördert die Verarmung des Lebens, weil es die Probleme von Verlagen und Kulturveranstaltern verschärft». Es gehöre «zum freiheitlichen Denken … , dass sich jedermann selbst Risiken aussetzen , aus Erfahrungen Konsequenzen ziehen und daran wachsen kann».
Am Schluss seines Kommentars meinte der NZZ-Redaktor, «die wundervollen Abende in den Bars, die gefährlich lang dauerten und stets viel zu verraucht endeten» würden doch «den Alltag aufhellen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Steuern klauen, bis hin zur eklatanten Kriminalität. Trittbrettfahren und bremsen und seinen Teil nicht leisten bei internationalen Umweltproblemen. Da passt doch dieser Artikel ganz gut zum Gesamtbild. Die Schweiz, ein Schurkenstaat. Immer profitieren, egal, was es andere kostet. Zeit, dass uns die anderen Länder, die Geprellten, eines drauf geben. Ohne das wird es keinen Fortschritt geben. Fordert endlich ein Ende des Wohlfühl-Internationalismus namens Nichteinmischungsgebots. Der Grund, warum Berset es leicht anders sieht, als das gekaufte Parlament, ist womöglich internationaler Druck. Nur gibt es noch nicht genug davon. Aber etwas soziale Kontrolle im Innern kann auch nicht schaden. Gut gibt es Infosperber, wenn die anderen Medien weitgehend versagen.
Zählt der Artikel der NZZ jetzt auch zu den Fake News, die neuerdings verboten werden sollen? Worin liegt der Unterschied zwischen bewusster Irreführung und Falschmeldung?
Schlimm ist, dass die netten Buben auf dem Bild besonders giftige, stark nikotinhaltige Zigaretten rauchen, produziert in der Schweiz und hierzulande verboten. Haben diese bürgerlichen Ratsmitglieder kein Gewissen? Auch hier gilt, genau wie in der Waffenindustrie, das Argument «Arbeitsplätze erhalten» rechtfertigt nicht jede unethische Industriepolitik. Martin A. Liechti, Maur.