«Es ist einfach Bürgerpflicht, die Sache totzuschweigen»
Crypto, eine in der Schweiz ansässige, von der CIA und dem deutschen Nachrichtendienst BND kontrollierte Firma, lieferte manipulierte Chiffriergeräte an ausländische Staaten. So konnten CIA und BND den vertraulichen Nachrichtenverkehr zahlreicher Regierungen und amtlicher Institutionen mitlesen. Das ist nichts Neues, wie Hans Ulrich Jost hier darlegt. Jost lehrte von 1981 bis 2005 an der Universität Lausanne Neuere Allgemeine Geschichte und Schweizer Geschichte.
Die Schweiz als Hort vertraulicher Nachrichtenvermittlung und Spionage beruht auf einer langen Tradition. Eine der diesbezüglich grössten Affären kam Anfang 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, ans Tageslicht. Zwei Obersten der Nachrichtenabteilung der Armee hatten regelmässig ihre Bulletins den deutschen und österreichischen Militärattachés zugestellt. (Infosperber berichtete über diese Affäre bereits ausführlich.) Man kann darin eine ähnliche Dienstleistung der Schweiz zugunsten ausländischer Mächte sehen, wie jene des Unternehmens Crypto zugunsten Deutschlands und den USA.
Es lohnt sich, die Affäre von 1916 näher anzuschauen. André Langie, einem zivilen, mit dem Dechiffrieren betrauten Angestellten der Nachrichtenabteilung des Generalstabes, war aufgefallen, dass die von ihm bearbeiteten Depeschen von den Deutschen offenbar mitgelesen wurden. Langie informierte die Chefredaktoren der «Gazette de Lausanne» und des «Journal de Genève», die ihrerseits beim Chef des Militärdepartements, Camille Decoppet, vorsprachen. Dieser versuchte die Affäre vorerst mit General Wille zu klären. Doch Wille weigerte sich einzugreifen und schrieb sogar an Decoppet, die «Herren» – gemeint sind die beiden Obersten – hätten «sich keines Verbrechens oder schweren Vergehens schuldig gemacht». Er schloss sein Schreiben an den Bundesrat mit den Worten, «dass es einfach Bürgerpflicht [sei], die Sache totzuschweigen». Totschweigen konnte man «die Sache» dann aber nicht. Gegen den Widerstand Willes kam es zu einem militärgerichtlichen Verfahren. Der General seinerseits griff in unziemlicher Weise persönlich in das Verfahren ein. Die «Herren» kamen denn auch mit wenigen Tagen Zimmerarrest davon.
Die Frage einer eventuellen Neutralitätsverletzung wurde heruntergespielt. Generalstabschef Sprecher gab zwar zu, dass man von Neutralitätsverletzung sprechen könne, meinte aber einschränkend, «in unserem Nachrichtendienst [seien] wir nicht gebunden an den strengen Begriff der Neutralität». Diese Ansicht wurde mit dem Argument untermauert, der schweizerische Nachrichtendienst könne sich nur wichtige Informationen beschaffen, indem er mit ausländischen Stellen zusammenarbeite. Dieses Argument gehört bis heute zum Standardrepertoire, mit dem neutralitätswidrige Zusammenarbeit mit dem Ausland gerechtfertigt wird.
Ein fragwürdiges Nachrichtennetz der Zwischenkriegszeit
Dieses Doppelspiel findet sich in der Zwischenkriegszeit auch im staatspolitischen Bereich. Ein drastisches Beispiel bildet die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und dem 1919 von Eugen Bircher gegründeten «Vaterländischen Verband». Diese Vereinigung, die den Zusammenschluss der zahlreichen nach dem Landesstreik entstandenen rechtslastigen Bürgerwehren organisierte, schuf einen eigenen Nachrichtendienst. Der «Vaterländische Verband» und Bircher pflegten dabei enge Kontakte mit rechtsextremistischen deutschen und österreichischen Organisationen. In der Schweiz sollten, so ein Beschluss des Verbandes, vor allem die Linken und die «sogenannten rosenroten Bürgerlichen», die «gefährlicher [seien] als die ganz Roten», überwacht werden.
Dieser Nachrichtendienst des «Vaterländischen Verbandes» verarbeitete zahlreiche, bei Auslandbesuchen gesammelte Informationen, die auch der Bundespolizei zugestellt wurden. Selbst das Politische Departement schöpfte aus diesen Quellen, und eine Reihe ausgewählter Journalisten wurde ebenfalls mit Material beliefert. Bircher selber übermittelte persönlich der Nachrichtensektion der Armee Berichte, wofür er monatlich mit 100 Franken entschädigt wurde. So war ein informelles, mit ausländischen Partnern kommunizierendes Nachrichtennetz entstanden, das eng mit amtlichen Stellen, aber ohne jede parlamentarische Zustimmung, zusammenarbeitete.
Tragischer Tod eines Bundesanwalts
Es würde hier zu weit führen, den komplizierten Verhältnissen im Nachrichtendienst während des Zweiten Weltkrieges nachzugehen. Diese sind übrigens von der Forschung noch nicht umfassend bearbeitet worden. Doch auf eine weitere Affäre der Nachkriegszeit sei noch kurz hingewiesen: der Fall Dubois. Der Bundesanwalt René Dubois liess, zwecks Observation des algerischen «Front de Libération Nationale» (FLN), die Telefone der ägyptischen Botschaft in der Schweiz überwachen. Max Ulrich, Inspektor der Bundespolizei, war mit diesem Dossier betraut. Und er stand im Kontakt mit einem zwielichtigen Mann des französischen Geheimdienstes, der die Informationen über den FLN dankbar entgegennahm. Vieles in dieser Affäre ist unklar – sicher ist nur, dass der Inhalt der telefonisch überwachten Gespräche der ägyptischen Botschaft den Franzosen zugespielt wurde. Die Associated Press machte am 21. März 1957 die Affäre publik. Zwei Tage später, am 23. März, wurde Dubois tot aufgefunden – er soll Selbstmord begangen haben.
Biegsames Neutralitätskonzept
Diese Affären weisen uns auf ein grundsätzliches Problem unseres Neutralitätsverständnisses hin. Geht man davon aus, dass es sich um Grauzonen der internationalen Nachrichtenbeschaffung handelt, bei denen die Schweiz profitiert, dann könnte man, wie Generalstabschef Sprecher im Ersten Weltkrieg, die neutralitätspolitischen Defizite herunterspielen. Damit folgte man der Logik des alten Doppelspiels, bei dem man je nach Opportunität die Neutralität in den Vordergrund rückt oder aber unter den Teppich wischt. Nicht ganz klar ist, ob die Schweiz von dieser Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern tatsächlich profitiert.
In einer anderen, weiter gefassten Perspektive, bringt eine solche Zusammenarbeit durchaus Gewinn. Ähnlich wie die politisch fragwürdigen Arrangements im Bereich der Aussenwirtschaft – wie etwa der Goldhandel mit dem von einem Embargo belegten Südafrika, oder die lange unter dem grosszügigen und diskreten Bankgeheimnis gepflegten Geschäfte mit Steuerhinterziehern – zählen die Affären im Nachrichtendienst zu den traditionellen Dienstleistungen der Schweiz. Natürlich widersprechen diese Geschäfte dem feierlichen Neutralitätsdiskurs – aber haben wir uns nicht schon lange an das Doppelspiel gewöhnt? Es gehört zum helvetischen Geschäftsmodell, neben den Guten Diensten auch verschiedenste anrüchige Geschäfte abzuwickeln. Diese sorgen dann jeweils von Zeit zu Zeit für grosse Aufregung in der einheimischen Presse und den politischen Instanzen. Im Ausland aber freuen sich jene, die von diesen «Dienstleistungen» profitieren, über die von der Schweiz diskret gepflegte Zusammenarbeit. Dabei gilt die Neutralität in diesen Kreisen ohnehin als Fiktion, die bestenfalls in der politischen Folklore der Schweiz ihren Platz hat.
Selbst im Politischen Departement wird gelegentlich die Biegsamkeit der schweizerischen Neutralität angesprochen. Dies war etwa 1948 der Fall, als Alfred Zehnder, Chef der politischen Abteilung, die Neutralität der Schweiz mit folgenden Worten umschrieben hat:
«In einem Konflikt zwischen Westeuropa und dem Slawentum gibt es für die Schweiz weder Gesinnungsneutralität noch staatliche Neutralität. Die Schweiz hat ausserhalb Westeuropas, zu dem sie gehört, keinen Bestand. Man darf die Objektivität nicht so weit vergöttern, dass man dem eigenen Henker die Haustüre öffnet.»
Auch heute noch folgt die schweizerische Aussenpolitik der Devise, dass man weder die mächtigen Vereinigten Staaten von Amerika noch Nachbarn wie Deutschland vor den Kopf stossen und ihnen, auch im trüben Geschäft der Nachrichtendienste, die Mitarbeit verweigern solle. Die Neutralität spielt dabei, wie die Vergangenheit zeigt, keine wesentliche Rolle.
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Der erste, der zur Crypto recherchierte und Ungereimtheiten erkannte, war der schottische Journalist Duncan Campbell – im Jahr 1975! Er wurde der Verleumdung bezichtigt und so zum Schweigen gebracht. Das «Echo der Zeit» hat mit ihm gesprochen. Das Gespräch kann hier abgehört werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Genau so ist es – eine jahrzehntealte Kultur im Dienst der Geheimdienste.
Zudem wird aktuell wird daran gearbeitet sämtliche Daten der Schweizer Bevölkerung via Cloud-Services der NSA zur Verfügung zu stellen.
z.B. diejenigen der Arbeitslosenkasse im Projekt Asalfutur.
Man lese zuden Saxerbericht von 2014 und der dort dokumentierten dutzenden von Straf- und Administrativuntersuchungen – alles ohne tatsächliche Konsequenzen.
Bei diesem Projekt wurde ohne sachliche Notwendigkeit extra die Software SAP HCM neu eingekauft, obwohl bereits heute bekannt ist, dass diese 2025/2030 durch eine Cloudlösung ersetzt werden wird.
Schaut man sich die Asset der Schweiz an, so findet auch hier ein Ausverkauf statt: Immobilien oder Firmenbeteiligungen von CS, Migros usw. werden für ein Butterbrot verscherbelt.
Die Bilanz der SNB mit Aktien von Facebook und Uber (Jahresverlust 3.7 Mia) aufgebläht.
usw usf.
Und sämtliche «Leistungsträger», d.h. das komplette Parlament, die ETH, Staatsanwaltschaften, Datenschutzbeauftragten wissen davon.
So ist es nunmal.
Schliesslich will keiner das Schicksal von Dubois teilen.
So geht das Image der Schweiz als neutrales Land nach und nach bachab! Auch unser Kniefall vor Forderungen der EU weicht unsere Neutralität weiter auf. Als nächstes sollten allfällige «geheime» Beziehungen zur NATO untersucht werden.
Nun ist der Schuldige ja gerfunden: JO LANG. Er hat als erster den Nachrichtendienst- UND den Zuger Sumpf analysiert. Er hat die Konsequenzen gezogen und die ersten Demonstrationen dagegen organisiert. Die «Schweizer» Staatsmedien folgern nun messerschart, dass ER versagt hat bei der Ausmistung der Nachrichtendienst-Affäre.
MfG
Werner T. Meyer