Coole Stimme, professionelle Arbeit, blanke Nerven
Selbstverständlich ist das nicht: Seit Monaten führen Initianten und SVP-Politiker eine aggressive Kampagne für ihre No-Billag-Initiative und gegen das nationale Informations- und Unterhaltungsnetz der SRG. Die Initiative verbietet bundesweite Gebühren. Das würde unausweichlich dazu führen, dass die heute in allen vier Landessprachen produzierten Radio- und TV-Programme eingestellt werden müssten. Mehrere tausend MitarbeiterInnen würden ihre Arbeitsplätze verlieren.
Trotzdem funktioniert die SRG vier Wochen vor der Abstimmung perfekt. Moderatorinnen und Moderatoren, Wetterfrösche, ReporterInnen und all die sehr vielen wichtigen MitarbeiterInnen im Hintergrund machen rund um die Uhr professionell ihre Arbeit: Wie immer weckt «Heute morgen» zu früher Stunde extrem heiter. Wie immer bietet das «Echo der Zeit» am Abend Ernsthaftigkeit, Relevanz und umfassende Weltoffenheit. Zur Abendbrotzeit liefert die Tagesschau aus Schrecklichem, Erfreulichem, politisch Obligatorischem und Belanglosem einen helvetischen Kuchen. Wie wenn es keinen 4. März gäbe.
Gezwungen, reaktionslos zuzuschauen
Abseits von Mikrofonen und Kameras sind aber Verunsicherung, Angst und Empörung unüberhörbar. Chefs haben ihre Leute – meist spurlos mündlich – wissen lassen, dass öffentliche Meinungsäusserungen jetzt nicht drin liegen, dass Teilnahme an Demonstrationen nicht verboten werden können, es aber gut wäre, wenn Mediengesichter nicht auf Fotos erschienen.
An einer Demonstration der Mediengewerkschaft SSM auf dem Bundesplatz gegen No-Billag sah man Hunderte Romands und Tessiner, aber viel weniger DeutschschweizerInnen. Achselzuckende Begründung: In der französischen Schweiz herrsche in Bezug auf organisierten Widerspruch halt «eine andere Kultur». Zitieren lassen kann sich niemand. Aber viele BerufskollgInnen von Radio und TV sind bereit, über ihr Leben in No-Billag-Zeiten zu reden.
SRG-JournalistInnen wissen, dass Klagen über den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze im Abstimmungskampf nicht helfen. Sie finden es aber unerträglich, wenn sie in der No-Billag-Auseinandersetzung von Initianten als «Billag-Profiteure» abqualifiziert und gezwungen werden, reaktionslos zuzuschauen, wenn mit der SRG eine Institution der kulturellen Identität der Schweiz und die Arbeit ihrer MitarbeiterInnen durch den Dreck gezogen werden. Wäre es jemandem in den Sinn gekommen, vor der Abstimmung über die Initiative «Schweiz ohne Armee» Offiziere und Personal des Verteidigungsdepartements als «Armee-Profiteure» von der politischen Diskussion auszuschliessen?
Gujer und Köppel ziehen über SRG her
Zwei Frontalangriffe auf die SRG haben die Gemüter besonders erregt:
- Am 16. Dezember 2017 überschrieb Chefredaktor Eric Gujer einen Leitartikel zur No-Billag-Initiative auf der Frontseite der NZZ mit dem Titel: «Die Schweiz braucht keine Staatsmedien». In den ersten vier Zeilen schrieb er, die SRG sei «ein Kind einer Zeit, in der Hitler und Stalin die neue Radiotechnik nutzten, um ihre Propaganda zu verbreiten.» «Staatsmedien», «Hitler», «Stalin», «Propaganda»: Dieser Texteinstieg stellt das nationale Radio- und Fernsehnetz des Landes unweigerlich in die Gesellschaft von brutalsten Diktaturen. SRG-MitarbeiterInnen erscheinen als Akteure oder Mitläufer eines totalitären Systems. Unter SRF-MitarbeiterInnen hat Gujers Artikel Entrüstung ausgelöst. Aber niemand aus der Leitung hat widersprochen.
- An der Delegiertenversammlung der SVP vom 27. Januar 2018 zog der Zürcher Nationalrat und «Weltwoche»-Besitzer Roger Köppel in einer Rede über die SRG und ihre MitarbeiterInnen her: Die «Monopolsender-Anstalt» SRG habe eine «intim-kuschelnde Nähe zum Bundesrat, zur Verwaltung und zu den sie hätschelnden Politikern entwickelt», mit «schleimspurigen SRF-Interviews mit Medienministerin Doris Leuthard». Das sei «keine Berichterstattung», sondern grenze an «sexuelle Belästigung». «Was die SRG/SRF-Medien betreiben, ist (…) reiner Schnurrnalismus (…). Fehlleistungen sind nicht die Ausnahme, sondern staatlich geförderter Zweck.» Die «erste Fake-News Fabrik» habe die SRG schon lang vor Donald Trump gegründet. Köppel stellt die SRG-Medien – wie Gujer in der NZZ – in die Nähe von «Propagandaminister Goebbels in Nazi-Deutschland» oder von «Ländern mit totalitärem Sozialismus». Die «vollständige Liquidierung der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten» sei «ein dringliches Gebot der Zeit».
Köppels Stil erinnert an die im Enthüllungsbuch «Fire and Fury» beschriebene Brandstifter-Strategie des von Präsident Trump kürzlich geschassten Chefberaters Steve Bannon: Konflikt als Köder für die Medien. Reaktion der Gegner als Orientierungskraft für die eigene Position. Politik nicht als Mittel zum Kompromiss, sondern als Kunst der Konfrontation. Die extremsten Passagen von Köppels Rede liefen im «Echo der Zeit» über die SRF-Sender. Ohne Bemerkung oder Gegenfrage. Ein SRF-Journalist, der sagt, über Fehler könne man immer reden, findet es falsch, sich ohne Gegenwehr «abschlachten zu lassen». Viele SRG-MitarbeiterInnen erklären, sie fühlten sich von ihren Chefs «allein gelassen». «Was uns fehlt, ist einer, der hinsteht, wenn es nötig wird.»
Seit Dezember herrscht verbreitet Panik
Bis im letzten Herbst, sagen viele, hätten sich die meisten SRG-MitarbeiterInnen noch keine existenziellen Sorgen gemacht. Man habe «verdrängt». Als im Dezember aber Prognosen einen Vorsprung der Befürworter anzeigten, sei verbreitet Panik ausgebrochen. «Seither liegen die Nerven weitherum blank.» Ende Januar wies zwar eine neue, von Fachleuten im Unterschied zu den frühen Prognosen als seriös eingestufte Umfrage einen Vorsprung der No-Billag-Gegner aus. Viele hoffen jetzt wieder, «dass es nicht zur Katastrophe kommt». Aber alle wissen auch, dass der Kampf gegen die SRG nicht zu Ende ist, wenn am 4. März eine deutliche Mehrheit der Stimmbevölkerung zur No-Billag-Initiative Nein sagen sollte.
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Kasten:
Christoph Blocher und Tamedia setzen auf die zweite Runde
No-Billag-Befürworter haben angekündigt, im Fall einer Ablehnung unverzüglich eine Initiative zur Halbierung der Gebühren nachzuschieben. Ihr Projekt einer Redimensionierung der SRG segelt bereits unter dem Namen «Plan R». Im zweiten Anlauf können rechtsstehende Kritiker der SRG-Programme und libertäre Staatsminimalisierer mit Unterstützung von politischen Schwergewichten rechnen, die im laufenden Kampf um No-Billag noch opportunistisch am Rand stehen.
- Christoph Blocher sagt, er stimme Ja zu No-Billag, unterstütze die «extreme» Initiative aber nicht. Sie werde «sowieso abgelehnt». Blocher hat momentan andere Prioritäten: Im Hinblick auf die sich anbahnende Auseinandersetzung um das Verhältnis der Schweiz zur EU heizt er unter anderem auf «TeleBlocher» den Ofen ein für den Kampf gegen «ein aus Bundesrat, Parlament, Bundesverwaltung und Bundesgericht bestehendes Gauner-Syndikat», das die «Demokratie abschaffen will». Sollte No-Billag gewinnen, können Blocher und weitere Superreiche als patriotische Retter in der Not landesweit einer politisch gefügigen privaten Radio- und Fernsehanstalt auf die Beine helfen. Wird No-Billag abgelehnt, können sie zu bescheideneren Kosten dabei helfen, die SRG mit einem «Plan R» in die Knie zu zwingen.
- Bei der NZZ durfte nach dem einsamen Keulenschlag des Chefredaktors gegen die SRG im Dezember ein Redaktor zur Beruhigung empörter Abonnenten und Aktionäre in einer leisen Stimmempfehlung vor der Abstimmung erklären, den Pro-Billag-Initianten sei Dank: Ihre Kampagne habe sehr viel erreicht. Es sei jetzt vernünftig, die SRG mit einem «Nein» zur Initiative überleben zu lassen, damit man ihr im «Plan R» die Flügel stutzen könne.
- Der mächtigste private Medienkonzern des Landes Tamedia hat sich bisher formell aus dem No-Billag-Kampf herausgehalten. Auf 20-Minuten online hat Tamedia aber SRF-Medien angegriffen und Befürworter der Initiative mit populistischen Texten (z.B. «So einseitig berichtet SRF über No-Billag») zu Empörungswellen animiert. Ende Dezember kaufte Tamedia die Werbevermarkterin Goldbach, die den grössten Teil der Werbung von in der Schweiz aktiven deutschen Privat-TV-Sendern organisiert. Seither erklären Branchenkenner, mit Goldbach würde Tamedia von einer Annahme der No-Billag-Initiative profitieren. Fünf Wochen vor der Abstimmung hat sich Tamedia-Verleger Pietro Supino am PR-Event für Kunden und Politiker im Zürcher Schiffbau vor dem staatspolitisch exististenziellen Entscheid mit einer auffallend gewundenen Stellungnahme für «die Gebührenfinanzierung der SRG» ausgesprochen: «Es stimmt nicht, dass Tamedia von einer Annahme der No-Billag-Initiative profitieren und diese befördern würde. Im Gegenteil unterstützen wir die Gebührenfinanzierung der SRG. Sie stellt einen bedeutenden Teil der reichen Schweizer Medienlandschaft dar und erfüllt wichtige Funktionen. No-Billag würde dem Mediensystem Mittel entziehen und es schwächen. Kein langfristig orientiertes Medienunternehmen kann daran und einer damit einhergehenden Verunsicherung interessiert sein.» Mit einem letzten Satz machte Supino klar, was Tamedia in einem «Plan R» verlangen würde: «Aus Verlegersicht ist es überlebenswichtig, dass das Privileg der Gebührenfinanzierung nicht dazu genutzt wird, um das private Angebot zu konkurrenzieren.»
Dass die SRG in den nächsten Jahren unter massiven politischen Spardruck gerät, scheint schon akzeptierte Sache. Es geistern auch schon Zahlen herum: Bis zu 10 Prozent weniger Stellen? Die Auseinandersetzung darüber, wo gespart werden soll, läuft, seit Privatmedien-Pionier, Ex-Sat 1-Chef und SRF-Talk-Master Roger Schawinski in seinem Buch «No Billag» locker vom Hocker den Radiokanal «SRF 2 Kultur» zum Abschuss freigegeben hat.
SRF-MitarbeiterInnen wechseln die Seite
Zusätzlich zur Ungewissheit, was ein «Plan R» mittelfristig bringt, sehen sich SRF-MitarbeiterInnen kurzfristig im Rahmen des Projekts «Newsroom» mit internen Reorganisationen und Sparmassnahmen konfrontiert. Die Produktion aller tagesaktuellen Nachrichten- und Sport-Sendungen wird trimedial für Radio, TV und Online in einem neuen Raum in der SRF-Zentrale Leutschenbach zusammengeführt. Das bringt neue Produktionsabläufe, straffere hierarchische Verantwortlichkeiten und Arbeitsortwechsel.
Die Medienstelle von SRF erklärt: «Die Leute freuen sich darauf.» Gespräche mit MitarbeiterInnen lassen da noch Zweifel erkennen. In den letzten Monaten haben sich bei SRF Abgänge von bekannten MitarbeiterInnen gehäuft. Die Inlandchefin von Radio SRF Géraldine Eicher z.B. wechselt im Frühjahr in die Bundesverwaltung. Kündigungen werden dem beruflichen Fortkommen zuliebe meistens nicht konkret begründet.
Aber wenn Leute, die gern und gut als Journalisten gearbeitet haben, als Amts- oder Firmensprecher die Seite wechseln, ist das häufig eine Flucht vor Arbeitsbedingungen in den Medien, die berufliche Qualitätsziele und Privatleben nicht mehr unter einen Hut bringen. Grosses Vertrauen geniesst beim SRG-Personal der neue SRG-Generaldirektor Gilles Marchand. Man setzt auf seine «Sorgfalt, Sachkenntnis und seinen menschlichen Anstand». Aber Marchand komme von weit her und rede noch nicht so gut Deutsch…
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine.
Mit einem taktischen JA zu NoBillag zu einem neuen Medienartikel
Die Argumentation des NoBillag Komitees passt mir auch nicht. Ich will eine starke, aber schlankere und ethisch verantwortungsvollere SRG mit weniger Gebühren- und Werbeeinnahmen. Wenn die SRG im Vorfeld angekündigt hätte, in Zukunft auf die Hälfte der Krimi-, Gewalt- und Zynikerfilme zu verzichten und Satiriker aus allen politischen Lagern zum Zuge kommen zu lassen, hätten wir jetzt diese unsägliche Abstimmungsdiskussion nicht. Aber die SRG und die damit verbandelten PolitikerInnen bewegen sich nicht und werden sich auch bei einem NEIN nach dem 4. März nicht bewegen lassen. Es braucht jetzt einen neuen Verfassungsartikel «Medien», der eine abgespeckte SRG und das Überleben von privaten Qualitätsmedien konkret ermöglicht.
Richard Aschingers ebenso brillanter wie aufschlussreicher Bericht zur Panikstimmung hinter den Kulissen der SRG gibt zu denken. Leisetreterei aus Schiss vor den Trompetenbläsern aus der «No-Billag»-Fraktion wirkt bloss kontraproduktiv. Etwas mehr Selbstbewusstsein würde nicht schaden; etwas mehr Unterstützung aus der Chefetage, um dem Personal den Rücken zu stärken auch nicht. Kleinlautes In-Deckung-Gehen wird von den libertären Foulspielern um Jung-FDP, SVP und Gewerbeverband bloss mit höhnischer Verachtung quittiert. Ich habe an der Demonstration der Mediengewerkschaft SSM auf dem Bundesplatz teilgenommen und war über die beschämend magere Präsenz der deutschschweizerischen Medienschaffenden konsterniert. – Auffallend ist überdies, dass sich die SRF-TV-Programmgestaltung im Verlauf des sich mittlerweile schon über vier Monate hinziehenden Abstimmungskampfs zunehmend auf das konservative ländliche Publikum ausrichtet, offenkundig um beim SVP-Stimmvolk zu punkten. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass zum Beispiel eine Frauenvereinspräsidentin, die an ihren nachmittäglichen Kaffeekränzchen («Lismi-Namittag») zusammen mit ihren Landfrauen Regenbogensöckchen strickt mit einer viertelstündigen Reportage zur besten Sendezeit zur «Heldin des Alltags» emporstilisiert wird («Schweiz aktuell», 2. Februar). Mag auch der Zweck manches Mittel heiligen, Programmprovinzialisierung gehört entschieden nicht dazu.
» Die Produktion aller tagesaktuellen Nachrichten- und Sport-Sendungen wird trimedial für Radio, TV und Online in einem neuen Raum in der SRF-Zentrale Leutschenbach zusammengeführt», steht da. Das sind heisse News für das Radiostudio Bern! Denn hier ist dieser Plan offenbar noch nicht bekannt – er würde die Schliessung des Berner Studios mit seinen rund 150 Mitarbeitenden bedeuten. Man wüsste gerne, wo Richard Aschinger diese Absichtserklärung vernommen hat!
Die Schliessung des Studios Bern als Sitz der Radio-Informationssendungen war allerdings schon vor rund 15 Jahren mal vorgesehen: Der damalige Radiodirektor Walter Rüegg wollte die Info-Sendungen (Nachrichten, Rendez-Vous, Echo der Zeit etc.) ins Studio Zürich verlegen; in Bern verblieben wäre nur die örtliche Regionalredaktion und (im Bundeshaus) einige Leute aus der Inlandredaktion.
Dieser Plan provozierte damals eine derart heftige Reaktion der Berner (und auch der Freiburger) Kantonsregierung, dass die Zentralisierung in Zürich fallengelassen wurde.
Wenn der Plan nun unter dem Titel «die SRG spart» wieder hervorgeholt wird, wäre dies im Widerspruch zur föderalistisch-breiten Verankerung, derer sich die SRG im «No-Billag"-Abwehrkampf zu Recht rühmt. Erneuter heftiger Widerstand aus der bernischen Politik ist jedenfalls zu erwarten: Die Bundesstadt will als Standort nationaler Medien nicht bedeutungslos werden, und sie wird sich dem Wegzug von 150 Arbeitsplätzen widersetzen.