Zeit für Klartext: Mehr Vielfalt ist gefragt
«Kann ich solche Sonderabende irgendwo bestellen?», fragte SP-Nationalrat Cédric Wermuth und ehemaliger Juso-Präsident der Schweiz. Man kann nicht. Jedenfalls bis jetzt nicht. Bis jetzt bietet das Schweizer Farbfernsehen SRF solche Sonderleistungen nur der Schweizerischen Volkspartei SVP. Auch wenn «10vor10»-Moderator Arthur Honegger zugeben musste: «Schon klar: Die grosse Wermuth-Gala zur Primetime würde SP-Wählern natürlich besser gefallen.» Womit Honegger zumindest klargestellt hat, dass das Schweizer Fernsehen am 16. April 2018 der SVP eine richtig schöne Gala offeriert hat. – Zu finden waren die Zitate von Wermuth und Honegger tags darauf, also am 17. April, im «Blick am Abend» unter dem Titel: «Wermuth wettert über ‹Blocher-Gala› von SRF».
Aber schön der Reihe nach. Ich bin selber erst nach und nach auf die Geschichte gestossen – und ich habe zunächst wohl gleich reagiert wie Cédric Wermuth, nachdem ich am 16. April als interessierter Staatsbürger noch rasch «10vor10» eingeschaltet habe, nämlich mit der Frage: «Was ist denn das wieder für eine SVP-Sause?» – Danach habe ich mir dann doch noch das Gespräch mit Christoph Blocher angetan, das so wenig Neues brachte, dass man sich irgendwann gelangweilt abgewendet hat, nachdem der SVP-Parteichef ohne Parteiamt die Parteibasis wieder einmal öffentlich gerüffelt hatte. Erst danach habe ich im «Blick am Abend» die Übersicht über den ganzen Programmteppich entdeckt, den SRF mal wieder für die Schweizerische Volkspartei ausgerollt hatte, und das weckte dann doch das professionelle Interesse. Es war die grosse Show der SVP.
Die «relevanten» Parteien
An dieser Stelle ist für das bessere Verständnis ein kleiner Einschub notwendig.
Grundsätzlich sind alle Gegenstände der Information, also zum Beispiel auch alle politischen Parteien, vor dem Informationsauftrag gleich. Das hat sich im vergangenen Jahr ein wenig geändert. Bei der Jahresmedienkonferenz 2017 hat SRF-Direktor Rudolf Matter für die DOK-Reihe «SRF Heimatland» eine neue, vierteilige Reihe angekündigt: «Vier zum Volk». Eine ganz reizvolle Reihe, in der vier Vertreter politischer Parteien einen Einsatz leisten müssen in einem politisch entgegengesetzten Milieu. Die Unternehmensberaterin Petra Gössi musste auf einen Bio-Bauernhof, Nadja Pieren (SVP) zu einem Einsatz für Flüchtlinge bei der Humanitären Hilfe, Martin Caminada (CVP) ins Transportgewerbe und Armeegegner Cédric Wermuth zum Katastrophenschutz der Armee.
Auf die Frage einer Journalistin, welche Parteien in dem Vierteiler denn berücksichtigt würden, erklärte der Fernsehdirektor: «Sicher relevante Parteien.» Und zu meiner Nachfrage, welche Parteien denn relevant seien, meinte er: «Wie immer im politischen System: eins links, eins rechts, eins in der Mitte.» Ein bisschen schnoddrig, ein bisschen arrogant, und für alle war klar: Relevant sind für den Freund der Mächtigen in erster Linie die Bundesratsparteien, und im Vorfeld von «No Billag» war es sicher nicht falsch, ihnen etwas Gutes zu tun.
Seither wissen wir, dass auch bei SRF in manchen Fällen der schöne Satz von George Orwell gilt: Alle sind gleich, aber manche sind gleicher als andere. Und damit sind wir wieder bei der bei der grossen Show der SVP.
Programmteppich für die SVP
Der 15. April war der Abend für Gemeindewahlen in Zürich und für die Gesamterneuerungswahlen im Kanton Genf. Es war der Tag der Niederlagen der politischen Rechten, vor allem der SVP, und das heisst gleichzeitig, es war der Tag starker Erfolge der Grünen – insbesondere in Genf – und der Sozialdemokraten, vorwiegend im Raum Zürich. Grund genug, beide Seiten journalistisch auszuleuchten: die Seite des Erfolgs wie die Seite und die Gründe des Misserfolgs.
Aber SRF entschied sich für die einseitige Variante nach dem Motto von SRF-Chefredaktor Tristan Brenn: «Die Niederlagen der SVP haben Newswert.» Also widmete sich SRF in der «Analyse» vom 17. April nahezu ausschliesslich den Verlierern, und sie tat das auf journalistisch ziemlich unaufwendige Weise. Sie liess wie im Sport die Verlierer ihre Niederlagen selber erklären – ‹Warum haben Sie verloren? Wir sind nicht in Topform. Was werden Sie tun? Besser trainieren.» – Ansonsten gaben die Redaktionen weitgehend den ‹Experten› Raum mit ihren rituellen Erklärungen. Das zog sich durch von «Schweiz aktuell» über die Hauptausgabe der «Tagesschau» und «10vor10» bis zum nächtlichen Gespräch von Roger Schawinski mit Christoph Blocher, das auszugsweise auch in der «Tagesschau» gezeigt wurde.
Selbstanalyse der Verlierer
Das Muster lieferte «Schweiz aktuell»: Mauro Poggia, Staatsrat des Mouvement Citoyen Genevois MCG und Parteipräsidentin Ana Roch durften ihre Ratlosigkeit über die politische Kanterniederlage ausbreiten, und anschliessend konnte Marc Fuhrmann nach den Sitzverlusten der SVP mitteilen, dass er keinen Grund sieht, die Haltung der Partei von Grund auf zu ändern. Und der Genfer Politologe Pascal Sciorini stellte fest, dass die drei rechten Organisationen einander zu viel Konkurrenz gemacht und ihre populistischen Themen an Zugkraft verloren hatten – quelle surprise. Und Ana Roch durfte dann nochmals mitteilen, dass es auch in der Politik eben Stimmungsschwankungen gebe.
Bevor der ganze Beitrag definitiv als journalistische Nullnummer endete, konnte der Genfer Korrespondent Marc Meschenmoser seine Hoffnung ausdrücken, dass nach den Jahren der politischen Konfrontation nun eine Etappe der konstruktiven Lösungen folge, etwa durch die Zusammenarbeit der FDP-Mitte mit «pragmatische Kräften wie den Grünen» – die zu einem «politischen Faktor geworden sind in Genf», wie eine Westschweizer Zeitung in ihrer Beurteilung des Wahlergebnisses feststellte.
So ging es auf SRF durch den ganzen Informationsabend. In der Hauptausgabe der «Tagesschau» durften die SVP-Nationalrätin und Marketing-Unternehmerin Natalie Rickli, SVP-Übervater Christoph Blocher und SVP-Wahlkampfleiter Adrian Amstutz an der Selbstanalyse der SVP weiterarbeiten – Amstutz: «Wir sind in einem Allzeit-Hoch…und wir werden es stabilisieren.» So konnte die SVP-Gemeinde vor den Bildschirmen getröstet den weiteren Abend verbringen.
Und für alle, die es noch nötig hatten, betätigte sich Bundeshaus-Korrespondent Christoph Nufer dann noch als journalistischer Wahrsager, wie man es dort gerne tut. Selbst wenn die SVP bei den Eidgenössischen Wahlen von 2019 «ein, zwei Prozent verlieren würde», prognostizierte er, «wäre sie immer noch mit 27, 28 Prozent wohl klar die stärkste Partei in der Schweiz.»
Bühne für die Grossen
Im gleichen Stil ging es weiter bei «10vor10», und einmal mehr nach dem von Rudolf «Ruedi» Matter mit «Vier zum Volk» gesetzten Massstab für die «relevanten» Parteien. Es sind die vier Bundesratsparteien – und vielleicht nicht einmal die.
Im Kommentar zur Grafik wurden neben den Grünen – den relativ stärksten Gewinnern – nur die SP, die FDP und die grosse Verliererin SVP ausdrücklich erwähnt . Die Verlierer CVP und BDP, aber auch die (kleineren) Gewinner EVP und GLP wurden von der Sprecherin schlicht ausgelassen. Man hat das im Fernsehen mal als Kunstfehler betrachtet, denn was im Kommentar zur Fernsehgrafik nicht angesprochen wird, das nimmt in der Geschwindigkeit des Ablaufs das Publikum nicht wahr. Aber die Kleinen sind für die Fernsehmacher am Leutschenbach mittlerweile offenbar «quantité négligeable» – man darf sie vernachlässigen.
Das ist schon eingespielte Gewohnheit.
Gewohnt ist auch das rituelle Expertengespräch, diesmal zwischen «10vor10»-Moderator Arthur Honegger und dem «Politforscher» Lukas Golder von der «Gesellschaft für Sozialforschung» Bern. Smart und jugendlich sprachen sie in schnellen Worten zuerst über das Formtief der SVP – das kam am Schluss nochmals – und dann über die Wahlgewinner der laufenden Legislatur: die FDP zuerst, mit ihrer achtjährigen Aufbauarbeit, und dann «die Linken – ach, über die Linken haben wir ja schon geredet…» –
«Die Linke… ?» das ist, wenn ich es richtig sehe, eine politische Partei in Deutschland, oder?
– Aber sie meinen mit «die Linken» in der Schweiz ein Parteien-Konglomerat, das sich vor allem in städtischen Gebieten um «mehr ÖV» kümmert und um «mehr Krippenplätze», und «dann bauen sie sich auch noch ihre eigenen Kaffees, wo man auch mit dem Computer arbeiten kann» (Lukas Golder) – also eine Art linke Polit-Schickeria, die sich in den Städten und der Agglo gut einrichten will…
Rituelles Expertengespräch zwischen «10vor10»-Moderator Arthur Honegger und dem «Politforscher» Lukas Golder
Sie meinen mit «die Linken» die SP und die Grünen, die sie der Einfachheit halber einfach in die gleiche Schachtel packen – als starke, differenzierte politische Analyse mag man das nicht wirklich bezeichnen. Dabei bräuchte es nur eine geringe intellektuelle Anstrengung und ein paar wenige Sätze, um die Unterschiede wie die Gemeinsamkeiten auf allen Seiten herauszuarbeiten. Jede dieser Parteien hat ihre eigene Geschichte und ihre eigene Identität: Die SP, die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen ist, im Kampf um den Sozialstaat, um Integration in die Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit und Service public für alle, und die Grünen als moderne Emanzipationsbewegung für Bürgerrechte, Gleichberechtigung, Frieden, Umwelt, Klimapolitik, die sich die Freiheit (und Gleichheit und Solidarität) auf die Fahne schreibt. Um nur ein paar Stichworte zu geben. Soviel Unterscheidung und Identifikation und Namensnennung ginge sogar in der begrenzten Zeit von «10vor10».
Der SVP-Parteipräsident von Kloten, Rico Käser, der das Ohr offenbar näher am Volk hat als die Experten im Fernsehstudio, stellt fest: «Viele Wähler denken gerade an die Umwelt und wählen deshalb rot-grün.» (In Watson, 23, 4.18). Kein Thema im Fernsehstudio, und auch nicht in den Fernseh-Regionen vor Ort, von Genf bis Zürich.
Die Nähe zum politischen Machtapparat
Dass es in der SVP so etwas wie ein innerparteiliches Rumoren gibt, offene Kritik an der Führungsspitze, haben wir – eine Woche nach den Wahlen – aus der privaten Presse erfahren. Das wäre von Interesse, denn Kenner der politischen Verhältnisse sagen uns schon lange, dass die SVP von einer kleinen Gruppe finanzstarker und mächtiger Parteiführer einigermassen autoritär geführt wird, und Kritik an dieser Führung gilt offenbar als «Tabubruch» (Käser). Ausschliesslich diese Gruppe haben wir gehört auf der Informationsstrecke von SRF, einen ganzen Abend lang, plusminus von 18 Uhr bis 23.30 Uhr. Ohne echte Widerrede und ohne wirklich kritische Fragen.
SRF ist kein Staatsfernsehen. Aber der journalistische Apparat des Schweizer Fernsehens steht dem partei-politischen Machtapparat offenbar zu nahe und ist zu weit entfernt von der Bevölkerung, dem «Volk», der «Basis», um solche Strömungen noch wahrzunehmen und über seine Medien in die Öffentlichkeit zu tragen.
In Wort und Bild kamen neben den Führungsfiguren bei den Wahlverlierern nur Vertreter der «relevanten» Parteien zu Wort, die sattelfest im Bundesrat sitzen, FDP und SP. Von kleineren Parteien war niemand zu sehen und zu hören, auch wenn sie zu den Gewinnern zählen (und teilweise auf überdurchschnittlichem Erfolgskurs sind). Und die kleinen Parteien wurden teilweise nicht einmal im Kommentar erwähnt.
Wahlen finden alle vier Jahre statt. Und dazwischen gibt es in einer freiheitlichen, direkten Demokratie den ständigen Wettbewerb der Ideen, in den die BDP, die EVP, die GLP und die Grünen ihre Werte und Meinungen und qualifizierten Lösungsvorschläge einbringen ebenso wie die Bundesratsparteien, teilweise mit wachsendem Erfolg. Das hat seine starken Gründe in den konkreten Lebensinteressen der Menschen. Publizistische Schwerpunkt-Entscheidungen an dieser Realität vorbei verfehlen das Gebot der Vielfalt.
Das ist ein Trend am Leutschenbach: Man findet ihn bei der Präsentation von Abstimmungsparolen der kleineren Parteien, beim Besuch von Delegiertenversammlungen, bei der exklusiven Befragung von Bundesratsparteien zu politischen Sachthemen (zum Beispiel vor Bundesratswahlen), bei der Platzierung der «Kleinen» auf den Hinterbänken der «Arena». Das ist Rechenschieberjournalismus, der sich nicht an der vielfältigen, lebendigen politischen Debatte orientiert sondern an den Machtverhältnissen.
Man kann über publizistische Entscheidungen im Einzelnen immer diskutieren. Aber das setzt voraus, dass auf beiden Seiten die Bereitschaft zu einer offenen und selbstkritischen Diskussion vorhanden ist – und in diesem Fall vor allem bei den Fernsehmachern, die diese Entscheidungen treffen. Die kühle und auch etwas spöttische Reaktion der Entscheidungsträger auf die Kritik von Cédric Wermuth an der SVP-Sause im Schweizer Fernsehen deutet eher darauf hin, dass die Arroganz aus der Direktionsetage mittlerweile vielleicht bis ans Moderationspult durchgesickert ist.
Aber für publizistische Entscheidungen, die das Gebot der Vielfalt so deutlich verfehlen wie der einseitige SVP-Abend vom 16. April, gilt sinngemäss der Satz, den Daniel Binswanger kürzlich zur «verbalen Kampfzone» der «Arena» gesagt hat. Die Auseinandersetzung, oder, wie in diesem Fall, die Informationsleistung sieht aus «wie der Triumph einer bodenständigen (oder professionellen) demokratischen Auseinandersetzung. Doch es ist das Symptom ihrer bedrohlichen Schwächung.»
Die Debatte über die publizistische Leistung des Service public steht an. Sie ist ein notwendiger Teil der Mediendebatte. Und es ist Zeit für Klartext.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter der SRG. Er ist seit 2017 Mitglied der Grünen Partei.
Selbstverständlich habe ich gegen «No-Billag» geweibelt und gestimmt – aber ehrlich gesagt primär, weil ich nicht auf den Service public der SRF-RADIOS (insbesondere Kanäle 1 + 2) und die Leistungen der Radio-Nachrichtenmagazine verzichten will und deren Existenz für unverzichtbar halte.
Ganz anders verhält es sich mit dem Schweizer FERNSEHEN. Das empfinde ich bei praktisch jedem (seltenen) Einschalten als SVP-TV und boykottiere es seit Jahren praktisch (aus Selbstschutz). Wie ihr Artikel zeigt, hat sich die Ausrichtung des Senders nicht geändert. Ist das «Identifikation mit dem Agressor"? Ist das Fernsehen rechts unterwandert? Oder beschränkt sich das TV-Publikum inzwischen auf ältere Menschen in Randgebieten? Jedenfalls danke für Ihren Artikel. Ich halte die Diskussion über einen ausgewogenen Service Public beim Fernsehen auch für dringend nötig.
Kennt irgendwer «Mauro Poggi, Staatsrat des Mouvement Citoyen Genevois MCG» ?
@Josef Hunkeler. Danke für die Frage. Bei Mauro Poggi fehlt ein Buchstabe. Er heisst Mauro Poggia. Das sei hiermit korrigiert. Ich bitte um Nachsicht.
Ruoff zeigt eine Dynamik auf, die seit Jahren gang und gäb ist in den TV- Informationsleistungen. Der Service-Public-Sender befindet sich damit in guter Gesellschaft: Auch beim Tages-Anzeiger ist die gleiche Dynamik feststellbar: Sie wird ausgelöst und gefuttert durch das, was die SVP einbringt und einsteckt. JournalistInnen kümmern sich dann um die SVP wie Eltern um ihr geliebtes Kind und befragen dazu auch noch die andern grossen Geschwister. Der Effekt ist klar: Die Agenda wird weiterhin von der SVP bestimmt. Ruoff hat Recht, wenn er mehr Vielfalt von einem Service Public verlangt. Dies verlangt jedoch von den JournalstInnen, dass sie nicht auf Polarisierungen,
Skandalisierungen, Personifizierungen und Simplifizierungen setzen sondern auf eine Art Informationsleistung, die BürgerInnen einen Mehrwert in ihrer Mündigkeit vermittelt. Dazu gehören sachgerechte Analysen, die nur aufgrund einer guten Kenntnis der Prozesse in unserem demokratischen System möglich sind. Mit der Fokussierung auf das Lieblingskind und die grossen Geschwister wird verkannt, wie wichtig eine Vielfalt für das Funktionieren unseres demokratischen Systems ist. Ich vermute jedoch, dass der Ruf von Ruoff gar nicht gehört wird, denn ihm könnte seine Transparenz zum Verhängnis werden, weil man ihm den Neid des verschmähten kleinen Bruders aus der Grünen Partei unterschiebet, was durchaus dem Politistil entsprechen würde, den die SVP und ihre ergebenen Medienvollstrecker pflegen.
Ruoff zeigt eine Dynamik auf, die seit Jahren üblich ist in den TV-Informationsleistungen. Der Service-Public-Sender befindet sich damit in guter Gesellschaft: Auch beim Tages-Anzeiger ist die gleiche Dynamik feststellbar: Sie wird ausgelöst und gefuttert durch das, was die SVP einbringt und einsteckt. JournalistInnen kümmern sich dann um die SVP wie Eltern um ihr geliebtes Kind und befragen dazu auch noch die andern grossen Geschwister. Der Effekt ist klar: Die Agenda wird weiterhin von der SVP bestimmt. Ruoff hat Recht, wenn er mehr Vielfalt von einem Service Public verlangt. Dies verlangt jedoch von den JournalstInnen, dass sie nicht auf Polarisierungen, Skandalisierungen, Personifizierungen und Simplifizierungen setzen sondern auf eine Art Informationsleistung, die BürgerInnen einen Mehrwert in ihrer Mündigkeit vermittelt. Dazu gehören sachgerechte Analysen, die nur aufgrund einer guten Kenntnis der Prozesse in unserem demokratischen System möglich sind. Mit der Fokussierung auf das Lieblingskind und die grossen Geschwister wird verkannt, wie wichtig eine Vielfalt für das Funktionieren unseres demokratischen Systems ist. Ich vermute jedoch, dass der Ruf von Ruoff gar nicht gehört wird, denn ihm könnte seine Transparenz zum Verhängnis werden, weil man ihm den Neid des verschmähten kleinen Bruders aus der Grünen Partei unterschiebet, was durchaus dem Politistil entsprechen würde, den die SVP und ihre ergebenen Medienvollstrecker pflegen.
Das ist doch seit Jahren die gefühlte Leutschenbachsche Ausgewogenheit: Der gegen den TV-Journalismus polemisierenden SVP wird hofiert, die dagegen und für die öffentlichrechtlichen Medien argumentierende SP hat nur selten «Newswert». Solcher Art «News-Journalismus» ist ja auch mitverantwortlich für den SVP-Aufstieg der letzten 20 Jahre und fürchtet sich nun wohl vor möglichen provokationsärmeren Zeiten. Mit Blick auf «No Billag» erinnern so unreflektiert funktionierende SRG- bzw. SRF-Verantwortliche an «Biedermann und die Brandstifter». Verwunderlich nur, dass auch nach «No Billag» vielerorts der Lerneffekt auszubleiben scheint. Umso wichtiger sind kritische Artikel wie der vorliegende. Hoffen wir, dass sie bei der SRG auch höheren Orts gelesen werden. Merci!
Jetzt ist die SVP ganz klar still. Denn es sind sonst immer ihre Parteivertreter, die lauthals röhren, dass sie beim Schweizer Fernsehen so schlecht behandelt werden, dass das Medium so linkslastig sei, etc. und bla bla bla.
Da finde ich doch die Kritik von Wermuth mehr als nur berechtigt.
Schon noch interessant: Vor der No-Billag-Abstimmung wurde vor allem kritisiert, TV SRF sei klar links unterwandert. Und jetzt lese ich, es sei klar rechts unterwandert. Daraus kann man eigentlich nur schliessen, dass man es bei TV SRF gar nicht so schlecht macht: Einmal sind die Linken hässig und einmal die Rechten.