Wie viel zahlen Sie pro Tag für Ihr Essen, Herr Ermotti?
Patrik Müller ist Chefredaktor der Zeitungen von CH Media, des neuen Verbundes AZ Medien/NZZ mit allen Regionalzeitungen von Grenchen über Solothurn, Liestal, Aarau und Luzern bis Winterthur, Frauenfeld und St. Gallen. Kein Nobody also.
Und wie man in der Medienszene weiss – auch aufmerksame Leserinnen und Leser dürften es bemerkt haben: Patrik Müller ist, im etwas vulgären Jargon der Journi-Sprache, ausgesprochen promigeil: Nichts macht er lieber, als sich zusammen mit prominenten Interviewpartnern aus der obersten Gesellschaftsetage zu zeigen. So zum Beispiel am 26. Januar 2019, vor zwei Wochen also, mit dem CEO der UBS Sergio Ermotti am WEF in Davos, vier Tage später, am 30. Januar, mit dem ehemaligen Nationalbank-Präsidenten Philipp Hildebrand, und bereits jetzt wieder, am Samstag, 9. Februar, mit Urs Rohner, VR-Präsident der Credit Suisse. Dabei betont Patrik Müller gerne, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, was er da geschafft hat, mit solchen Promis ins Gespräch zu kommen. Dass zum Beispiel Sergio Ermotti am WEF nur ein einziges Interview gegeben hat, nämlich eben dieses mit ihm, Patrik Müller, steht dann – im konkreten Fall – schon im zweiten Satz seines Textes.
Schlimm ist das allerdings nicht, es ist höchstens schade fürs Papier, das für solche Interviews über die Druckerei-Rollen laufen muss. Im Gespräch mit UBS-CEO Sergio Ermotti zum Beispiel – auf der Frontpage der Zeitung seitendominant mit Farbfoto angekündigt – ist nämlich echt wenig herausgekommen. Erstens: Sergio Ermotti findet, in der Schweiz gebe es zu viele «Bedenkenträger» (was immer das auch heissen mag). Und zweitens: Für die Finanzierung der Altersvorsorge gebe es nur eine Lösung, nämlich dass Herr und Frau Schweizer künftig bis 70 arbeiten müssen. Dass Arbeitslose über 55 Jahre schon jetzt kaum eine Chance haben, einen Job zu finden, hat Ermotti offensichtlich noch nicht mitbekommen – ist ja auch nicht das Problem eines 59-jährigen Banken-CEOs mit 14 Millionen Franken Jahreseinkommen.
Riesiges Aufmacherbild der «Schweiz am Wochenende» am 26. Januar 2019: «Die junge Generation soll bis 70 arbeiten.»
Aber Patrik Müllers Tanz auf den Bühnen des Geldadels hat immerhin auch einen Vorteil. Der Chefredaktor hat keine Zeit, sich darum zu kümmern, was seine ihm unterstellten Kollegen tun. Da gibt es nämlich kluge – vielleicht sogar ein wenig subversive – Leute. Simon Maurer zum Beispiel – ein, vom Köpfchen auf der Online-Plattform der AZ zu schliessen, noch recht junger Mann. Der hatte offensichtlich gelesen, was, gefordert vor allem von der SVP, im Moment diskutiert wird: eine Reduktion der Beiträge an die Bezüger von Sozialhilfe um bis zu 30 Prozent. Das hätte – im Kostenkorb der verschiedenen lebensnotwendigen Ausgaben Wohnung, Heizung, Strom, etc. etc. – eine Reduktion des Essensgeldes von 11 Franken pro Person und Tag auf 5 Franken pro Person und Tag zur Folge.
Und was machte der aufgeweckte junge Mann? Er machte aus Anlass des Beginns der neuen Winter-Rekrutenschule ein Interview mit einem erfahrenen Truppenkoch der Schweizer Armee (19. Januar 2019). Und dieser Truppenkoch – er heisst Sascha Heimann – erklärte ihm, wie schwierig es ist, mit einem Budget von nur 8 Franken und 75 Rappen pro Tag die Soldaten satt werden zu lassen. Sascha Heimann verriet sogar das Geheimnis, warum das trotz so wenig Geld überhaupt möglich ist: Die CHF 8.75 fürs Essen pro Kopf und Tag werden der Soldaten-Küche nämlich sieben Mal in der Woche zugeschrieben, und dies, obwohl die meisten Soldaten Samstag/Sonntag nach Hause fahren und am Samstag also nur gerade das Frühstück und am Sonntag gar keine Verpflegung brauchen. Man rechne: 7 x CHF 8.75 verteilt auf etwa 5,2 Tage. Das gibt fast 12 Franken pro Tag, an dem Verpflegung angeboten werden muss. Und das in einer Küche, die einheitlich für hundert Leute kocht, nicht für eine Kleinfamilie!
Zum Bild: Adjutant Unteroffizier Sascha Heimann (links) in der Truppenküche in Thun. (Foto Alex Spichale)
Interessanter als Ermotti und Co.
Wer unter uns «Normalsterblichen» interessiert sich denn schon für die «Probleme» der Einkommensmillionäre vom Schlag der Ermotti & Co.? Wer interessiert sich für Interviews, in denen der interviewende Journalist es tunlichst vermeidet, auch kritische Fragen zu stellen und bei ausweichenden Antworten hartnäckig nachzuhaken?
Wohl niemand.
Interessanter ist tatsächlich die Frage, wieviel Geld es pro Person braucht, um sich anständig und gesund zu ernähren? Selbst in der reichen Schweiz gibt über 600’000 Personen, die unter der Armutsgrenze leben – und also jeden einzelnen Franken zählen müssen. Zumindest die Politiker und Politikerinnen müsste das interessieren.
Die Redaktion der Schweizer Ausgabe der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» hat, nein, nicht mit UBS-CEO Sergio Ermotti und nicht mit CS-VRP Urs Rohner, aber mit Felix Wolffers, dem (Noch)-Co-Leiter – neben Therese Frösch – der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS, ein ausführliches Interview gemacht. Daraus seien sieben Aussagen hier wörtlich wiedergegeben:
- «Die sozial Schwächsten haben es in der Schweiz seit einiger Zeit schwer: Angetrieben durch einen Steuerwettbewerb unter den Kantonen werden für die Top-Verdiener und Unternehmen die Steuern gesenkt, gleichzeitig nimmt der Druck auf die Ärmsten zu.»
- «Durch die Steuersenkungen geraten die öffentlichen Haushalte aus dem Lot. Deshalb muss man sparen – und tut dies in hohem Masse bei den sozial Schwächsten.»
- «Von 2007 bis 2016 haben die Sozialhilfekosten schweizweit um 900 Millionen Franken zugenommen. Im selben Zeitraum haben die Kantone und Gemeinden 12 Milliarden Franken mehr eingenommen. Aber darüber spricht niemand. Kommt hinzu, und das kann ich nicht oft genug wiederholen: Es gibt kein günstigeres System als die Sozialhilfe. Sie sichert 275.000 Menschen die Existenz und verursacht nur 1,6 Prozent der Kosten aller Sozialwerke.»
- «Sozialstaatliche Aspekte und Fakten haben in der aktuellen Debatte nur wenig Gewicht. Man bekämpft aus finanzpolitischen Gründen die Armen und nicht die Armut.»
- «Ich finde es erbärmlich, ernsthaft darüber zu diskutieren, ob man sich in der Schweiz mit fünf Franken pro Tag anständig ernähren kann. Wir wissen alle, das geht nicht.»
- «Die am stärksten wachsende Gruppe in der Sozialhilfe sind die über 55-Jährigen. Der Arbeitsmarkt will sie einfach nicht mehr.»
- «Es ist mir wichtig, mitzuhelfen, dass in unserem Land auch Menschen anständig behandelt werden, die nicht allein über die Runden kommen. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben des Sozialstaats. Dass wir heute über radikale Kürzungen diskutieren müssen, ist eine sozialpolitische Schande.»
Und ein PS:
Patrik Müller hätte den UBS-CEO Sergio Ermotti zum Beispiel auch fragen können, ob die UBS nach dem Libor-Betrug noch weitere Leichen im Keller habe. Vielleicht hätte dann Sergio Ermotti gesagt: «Ja, haben wir, zum Beispiel mit einem äusserst problematischen Kredit an Papua-Guinea.» Dann hätten die CH Media-Zeitungen dank Chefredaktor Patrik Müller den Primeur gehabt, nicht Radio SRF.
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Lesen Sie morgen, welche unkritischen Fragen Patrik Müller dem Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse, Urs Rohner, stellte.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Zum Autor. Es gibt keine Interessenkollisionen.
Die erfolgreiche Rhetorik von Ermotti ist aus den USA bestens bekannt.
Die Wortkombination Steuer-Wettbewerb ist so ein heimtückisches Wort aus der Giftküche von denen die kaum gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.
Steuer-Dumping trifft den Sachverhalt.
Einer der Pflichten der Staats-Verwaltung ist es, die Schwachen in der Gesellschaft zu schützen und zu befreien. Also ist es wenig verwunderlich, dass die gewaltig Starken weniger Staat wollen. Es gibt Arbeit die gesellschaftlich nötig ist, z.B. CARE-Arbeit, mit der aber nicht viel Kapitalrendite zu erzielen ist. Deshalb muss diese Arbeit zu möglichst tiefen Kosten un Abhängigkeit, sprich niedrigstes Arbeitseinkommen erledigt werden.
Zu dieser kritischen Würdigung des journalistischen Wirkens von Patrik Müller, seines Zeichens Chefredaktor der Zeitungen von CH Media, wäre allenfalls auch noch der Hinweis auf die Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 11. Juli 2016 aufschlussreich, mit welcher eine Beschwerde von 18 Schweizer Parlamentariern gegen die «Schweiz am Sonntag» und die «Schweiz am Sonntag online» (Nr. 23/2016 «Verletzung der Privatsphäre / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen») in vollem Umfang gutgeheissen und dem verantwortlichen Journalisten (Patrik Müller) eine schwere Verletzung von Artikel Ziffer 7 über den Schutz der Privatsphäre der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» vorgeworfen wird.
Also zu «Bedenkenträger» sie sind eine Plage. Was immer man übermittelt, kommt:
"ja aber, es könnte doch anders sein»… Als puncto Sozialhilfe Kürzung muss ich beiden widersprechen allein beim Essen: für 5 Fr. kann man nicht menschenwürdig leben, UN,
UINICEF..ausserdem produziert man damit enorme Kosten. wo? Überall!! das freut dann die Medizinalbranche, es verhindert Umsatz in den Branchen fürs tägliche Leben, aber noch schlimmer, es beeinträchtigt die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, damit die Zukunft der Schweiz. von 1995 bis 2100 hat uns die UNO bereits gewarnt:
Ausgaben Gemeinden Steigerung 13 % Gesundheitskosten 77 % und NCD’s (nichtübertragbare Krankheiten) sind 50% und davon wieder 50% sollte man VERMEIDEN. Nein wir lassen zu, dass Swissmedic & Co alle Information verbieten, die
Kosten vermeidet. Lesen Sie Sperber 28.01. NR Regina Sauter, zu Franchise
Wieso hat die Schweiz eine Altersarmut von ca 26% ein nordisches Land 2 % und
OECD Durchschnitt beträgt 13 %.Wo bleiben da Politiker und die Justiz. Lesen im Sperber über diese Skandale.