Newsrooms: Zu weiss, zu urban, zu elitär
Sei es die unerwartete Wahl Donald Trumps, #MeToo oder die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich: Kaum jemand hatte sie kommen sehen. Die Medien begaben sich danach monatelang auf Spurensuche, um herauszufinden, was passiert war. Journalisten reisten in ihre Heimatdörfer, lasen die Tweets feministischer Autorinnen und fuhren in die Banlieue.
Ein Grund, weshalb das auf einmal nötig wurde, war die Zusammensetzung der Redaktionen. Jemand, der die Situation von innen kannte, war selten zu finden. Newsrooms sind zu weiss, zu männlich, zu urban und zu elitär, fand eine Studie des «Reuters Institute» heraus, das die Nachwuchssituation in den Medien Deutschlands, Grossbritanniens und Schwedens untersucht hat.
Die meisten Redaktionen wollen mehr Diversität, gleichzeitig wird die Nachwuchssuche schwieriger. Mit den Herausforderungen der Digitalisierung und der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten gehört die Suche nach neuen Talenten und das Bestreben nach Vielfalt zu den drei Top-Prioritäten der meisten Medienhäuser, stellten fünf Forscherinnen und Forscher nun fest. Dazu befragten sie Führungspersonal grosser Medienorganisationen, Journalistenschulen und Journalistenschüler. «Alle deutschen Newsrooms, die ich kenne, sind sehr homogen», bestätigte etwa Sven Gösmann, Chefredaktor der Nachrichtenagentur dpa: «die einzige Frau, die im dpa-Büro ein Kopftuch trägt, ist die Putzfrau». Das Personal bildet die Gesellschaft, die es versorgt, nicht ab.
Der durchschnittliche Newsroom ist homogen
Ganz besonders trifft das auf Grossbritannien zu. Absolventen der Universitäten Oxford und Cambridge stellen nicht nur die Mehrzahl aller Politiker, sondern auch derjenigen, die über diese Politiker berichten. Das ist erstaunlich, denn in Grossbritannien lebt schon länger eine diverse Bevölkerung. Die Klassenunterschiede spielen bei der Berufswahl allerdings eine grosse Rolle, im Gegensatz etwa zum eher egalitären Schweden, wohin erst in jüngster Zeit viele Einwanderer aus dem globalen Süden gekommen sind. Deutschland liegt in beiden Punkten dazwischen.
Noch immer ein Traumberuf, trotz steigender Anforderungen
Die Anforderungen an Berufseinsteiger sind in den letzten Jahren gestiegen. So sollen Bewerber inzwischen Multimedia- und IT-Kenntnisse mitbringen und kollaborativ arbeiten. Etwas, wofür sie nicht immer gut ausgebildet sind, sagen ihre Chefs. Wer gute technische Kenntnisse habe, bewerbe sich inzwischen lieber bei Google und Facebook. Die gute Seite an der sich eintrübenden Perspektive – auch die gibt es: Während der Beruf für Männer zunehmend unattraktiv wird, zieht er mehr Frauen an, die vor allem in deutschen Medien unterrepräsentiert sind.
Für viele junge Menschen ist Journalismus aber immer noch ein Traumberuf. Zumindest, was grosse Medien in grösseren Städten angeht. Dort mangelt es nicht an Nachwuchs. In der Provinz aber fehlen schon die Bewerber. Auch ausgebildete Journalisten «vom Land» zu bekommen, ist schwieriger geworden, seit Lokalmedien zunehmend Personal abbauen oder ganz eingestellt werden. Wer kann, geht in die Stadt, und dort möglichst in die angesagten Quartiere, was eine weitere Einengung bedeutet.
In den Redaktionen dominiert die Mittelklasse
Ein Ziel der befragten Führungskräfte ist es, mehr Nachwuchs aus finanziell weniger gut gestellten Familien zu gewinnen. Der Anteil der Journalisten mit «working-class background» sinke immer mehr, sagt zum Beispiel Ian Carter (Kent Media Group).
Einem lesbischen «Landei» mit Migrationshintergrund stünden also alle Türen zu einer Medienkarriere offen. Theoretisch zumindest, denn praktisch fehlt dazu das Geld. Der typische Newsroom befindet sich in einem Ballungsraum und arbeitet multimedial auf mehreren Kanälen. Wer sich bewirbt, von dem werden Grundkenntnisse erwartet. Aber das Problem beginnt dann schon mit dem Gehalt für ein zu absolvierendes Praktikum, falls da überhaupt ein Gehalt bezahlt wird: Damit lässt sich das Leben in einer Grossstadt nicht finanzieren. Ohne Studienabschluss haben Bewerberinnen und Bewerber ebenfalls wenig Chancen. Wer nicht über entsprechende finanzielle Unterstützung verfügt, schafft es kaum, so weit zu kommen. Am wenigsten eine Rolle spielt Geld für angehende Journalisten in Schweden, wo die universitäre Bildung kostenlos ist und das soziale Netz gut ausgebaut ist.
Medien müssen ihre Einstellungskriterien ändern
Unter dem Strich werden immer dieselben eingestellt, weil gezielt nach ihnen gesucht wird. Medien erwarten von vielversprechenden Bewerbern zunächst ausgezeichnete Sprachkenntnisse, dazu eine sehr gute Allgemeinbildung und Kenntnisse des Mediensystems. Besonders in Schweden, das eine vergleichsweise junge Migrationsgeschichte hat, bremst die sprachliche Hürde viele Migrantinnen und Migranten aus. Um mehr Talente aus Randgruppen zu begeistern oder zu rekrutieren, so empfehlen die Autoren der Studie, müssten die Medien ihre Einstellungspraxis ändern.
«Fundierte Allgemeinbildung», die den klassischen Bildungskanon beinhaltet, können Angehörige von Randgruppen ebenfalls nur selten bieten. Zuwanderer, die bereits in ihren Herkunftsländern als Journalisten gearbeitet haben, kämen dagegen mit dem Mediensystem oft nicht zurecht, sagt der Leiter der Journalistenschule Sundsvall, Peter Jonriksson. Transparenzgesetze, Ausgewogenheit und der Begriff der freien Presse seien ihnen unbekannt.
Nachwuchs mit Migrationshintergrund steht noch vor anderen Hindernissen: In vielen migrantischen Gemeinschaften gilt «Journalist» nicht als angesehener Beruf mit guten Perspektiven. Viele Eltern sehen Sohn oder Tochter lieber als Arzt oder Anwältin.
Nach beendeter Ausbildung als «Vorzeigemigrant» präsentiert zu werden, ist auch nicht besonders attraktiv. Wozu das Ganze, wenn man sich nachher ausschliesslich um die eigene ethnische Gruppe kümmern muss, während die Ressorts Politik und Wirtschaft fest in anderen Händen bleiben? Den Journalistenschulen sind diese Umstände bewusst. Es brauche mehr Ausbilder, die selbst aus Randgruppen stammen, eine flexiblere Ausbildung, mehr Unterstützung und andere Aufnahmekriterien, sagen sie.
Zwischen Bekenntnis und Umsetzung hapert es
Trotz aller Beteuerungen: Konkrete Programme zur Förderung der Diversität unter den Medien-Schaffenden gibt es nur wenige. Und wenn, kommen sie «unten» nicht an, sagen die befragten deutschen Journalistenschüler und Berufsanfänger. Arroganz, fehlende Offenheit und das Gruppendenken der Etablierten verhindern bereits viele Bewerbungen, sagen sie. Den Rest besorge die Routine. Selbst wenn eine Redaktion divers aufgestellt sei, werde die Berichterstattung nicht notwendigerweise breiter. Dafür sorgten schon der hohe Takt in den 24/7-Newsrooms, der Gruppendruck, die Blattlinie und die Zielgruppenfestlegungen.
Aber auch die Medienschaffenden selbst sehen das Problem. Sie empfinden die Medienlandschaft als einseitig, homogen und wenig offen. Bekenntnisse zu mehr Diversität erleben sie als reine Lippenbekenntnisse. «In meiner bisherigen Karriere habe ich niemanden in meinem Alter getroffen, der auch aus Ostdeutschland stammt. Ich war die einzige in der Journalistenschule, und nun bin ich wieder die einzige», sagt beispielsweise eine junge deutsche Journalistin. Da fehle im Resultat einfach ein grosser Teil der Perspektive. Sie glaubt, dass das auch auf andere Gruppen zutrifft.
Einige schaffen es doch
Trotz positiver Beispiele, ohne bewusste Anstrengung werde keine Redaktion diverser, befinden die Autoren der Studie abschliessend. Die befragten Chefredaktoren äusserten sich selbstkritisch, wenn sie nach der konkreten Umsetzung von Diversitätsanforderungen gefragt wurden. Am Ende sind Leserzahlen und Kostensenkungen wohl doch wichtiger. Als Ausnahme lobten mehrere Interviewpartner die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» und die britische «BBC».
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Anmerkung des diensttuenden Redaktors:
Da wird «fundierte Allgemeinbildung» erwartet? Das Problem beginnt schon mit der Bologna-Reform im Universitätsleben. Die Universität – Universitas – war früher einmal das Bildungsinstitut für die «Gesamtheit», für das «Umfassende», das «Universale» – also eben für eine gute, breite Allgemeinbildung. Man besuchte ganz selbstverständlich Vorlesungen an verschiedenen Fakultäten und entschied sich für ein Abschlussfach oft erst im zweiten oder dritten Semester. Seit der Bologna-Reform 1999 ist das Universitätsstudium aber zu einer reinen Fachausbildung verkommen. Man lernt nur noch das, was man zur schnellstmöglichen Erreichung des Abschlusses im schon im Voraus ausgewählten Fach absolviert haben muss. Von «Universitas», von «Universalität», von «Gesamtheit» – also von «Allgemeinbildung» – ist da nicht mehr viel zu finden. Der «homo oeconomicus» muss einfach möglichst schnell rentieren. Und das merkt man leider, wenn man die Zeitung liest. Die Journalisten verstehen etwas von IT – sie kennen z.B. die Copy-Paste-Tasten – aber von Geschichte etwa, davon, wie unsere Welt so geworden ist, wie sie heute ist? Pustekuchen! (cm)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Das sehe ich seit langem so und wenn es sich um Frauen und ihr in der Welt stehen handelt, ist es genau so. Die Geschichte ist ebenfalls meist die Sicht von Männern auf das Geschehen und auch da bleibt vieles was Frauen betrifft unbenannt und damit auch verborgen und oft vergessen. Frauengeschichte ist kaum erforscht und will auch heute nicht wahrgenommen werden. Schon eine korrekte Benennung der Geschlechter ist oft «zu mühsam» und wird deshalb unterlassen. So bleibt auch «die Geschichte» homogen, weiss, männlich, urban und elitär.
Ich habe als 76-Jähriger fast 60 Jahre Berufs- und Medienerfahrung als Fotoreporter, Journalist und Redaktor und verfüge über einen enormen Erfahrungsschatz, ein breites Allgemeinwissen und ein weit gefächertes Netzwerk. Geistig, gesundheitlich und körperlich darf ich mich noch zu den ausserordentlich aktiven Menschen zählen.
Doch leider würde mich heute keine Redaktion mehr einstellen, auch nicht zu einem Lehrlingslohn, auch nicht als Freelance, weil viele so genannte soziale Errungenschaften, rechtliche Aspekte oder gesellschaftliche Normen dies verunmöglichen.
Unsere Arbeitswelt diskriminiert und verschleudert dadurch wertvolle Ressourcen, denn es braucht Jahre an beruflicher und menschlicher Erfahrung, bis man sich als «Vollblut-Journalist oder -Journalistin bezeichnen darf. Ich würde gerne in meinem geliebten Beruf weiter arbeiten, aber die mir angelegten Handschellen machen das unmöglich.
In jugendlicher Euphorie habe ich mal geglaubt, Journalist sei mein ein Leben lang, bis zum letzten Atemzug. Die Realität sieht leider anders aus.
Utopie: Von grossen Medienhäusern umfassend, kritisch und unabhängig in Kenntnis des Geschehens gesetzt werden. Gerne auch mal mit einem persönlichen Kommentar einer universell gebildeten/gelehrten Journalistin oder ihrem männlichen Pendant. Realität: Meinungsbildung/Steuerung des Denkens der breiten Bevölkerung. Dafür braucht man keine JournalistInnen sondern Mitläufer/Opportunisten. Die oben zitierte Studie hätte man sich daher vermutlich sparen können, sie riecht nach Scheindebatte. Der Fisch stinkt immer vom Kopf. Aber es gibt ja Infosperber, Rubikon und dergleichen. Wer den Aufwand nicht scheut, kann auch heute noch versuchen, sich eine eigene Meinung zum Weltgeschehen zu bilden. Durch die «News-Überflutung» im Alltag ist das jedoch nicht immer ganz einfach umzusetzen, zu viel Müll wird uns täglich ins Gehirn gehämmert. Und das ganz bewusst gesteuert von weissen, männlichen, urbanen und elitären «Fachleuten» die man getrost Spalter/Teiler/Kriegshetzer oder Geschichtsfälscher nennen darf. Das Positive: Noch dürfen wir uns im öffentlichen Raum dazu äussern, ohne (allzu drastische) Repressionen fürchten zu müssen. Das ist nicht überall auf der Welt so und dafür sollten wir dankbar sein. Doch auch bei uns weden die (Denk-)Räume enger, vgl. «Anmerkung des diensttuenden Redaktors:"