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Der CEO von Philip Morris Schweiz schreibt sich in der NZZ seine Forderungen von der Seele © nzz.ch

NZZ im Dunstnebel der Tabakindustrie

Rainer M. Kaelin /  Erneut publiziert die Neue Zürcher Zeitung einen PR-Artikel der Tabakindustrie. Die Zusammenarbeit hat Tradition.

Red. Der Arzt Rainer M. Kaelin ist ehemaliger Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ehemaliger Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.

Am 12. (online) und am 13. September (NZZ am Sonntag) veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) einen Text mit dem Titel «Warum man bei Philip Morris am Ende der Zigarette arbeitet». Immerhin war der Beitrag als «Meinung» deklariert – und das war auch bitter nötig. Denn der Verfasser des Textes ist kein geringerer als Dominique Leroux, der CEO des Tabakgiganten «Philip Morris» (PM) Schweiz.

Im Beitrag darf sich der Chef von PM Schweiz über die «Zukunft des Rauchens» äussern und wiederholt mantraartig die PR-Phrasen der Tabakkonzerne, die auf «neue, rauchfreie Produkte» setzen würden, was «gesundheitspolitisch von Vorteil» sei. Seine Forderung: Die Politik solle diese rauchfreien Produkte doch bitte anders behandeln, als herkömmliche Tabakwaren.

PR-Zusammenarbeit hat Tradition
Dass die Tabakindustrie Öffentlichkeit und Parlament mit allen Mitteln von ihrer grundlegenden Wandlung überzeugen will, ist spätestens seit dem Gründungsjahr 2017 ihrer Stiftung «for a smoke free World» offensichtlich. Neu ist, dass eine als seriös wahrgenommene Zeitung für diese Promotion dem PM-Schweiz-Chef eine redaktionelle Spalte öffnet. Bei genauerem Hinsehen ist die PR-Zusammenarbeit zwischen NZZ und Tabakindustrie aber schon längst traurige Tradition.

In den 90er-Jahren war Professor Peter Atteslander Kolumnist der NZZ. Obwohl weder Mediziner noch Suchtfachmann, war er einer der Experten der Gesundheitskommission, dem das Parlament (1) mit der Ablehnung der Zwillingsinitiative gemäss den Argumenten folgte : «Werbeverbote … sind das untauglichste Mittel (…).» «Erhebliche Zweifel bestehen, dass Werbeverbote und Werbeeinschränkungen… die gewünschte Wirkung zeigen.» Über Atteslander wurde später bekannt, dass er sich für seine «unabhängigen» Expertenmeinungen regelmässig von der Tabakindustrie bezahlen liess (2).

Gegen griffige Massnahmen, für staatliche Förderung
Zu den Massnahmen der Tabakprävention erläuterte in der NZZ (3) etwa Georg Felser, Professor für Markt- und Konsumpsychologie der Hochschule Harz in Wenigerode, die «expressive Funktion der Werbung.» Damit ist gemeint, dass Werbung für etwas überhaupt existiert oder nicht. Er gestand zwar ein, dass «einiges dafür spricht, dass ein Werbeverbot über seine expressive Funktion stärker wirkt (…)», kam aber bereits im Untertitel seines Textes zum Schluss, dass «Plakative Warnungen sinnvoller sind als Werbeverbote.» Felser behauptete zudem, dass Werbeverbote die Intoleranz gegenüber Rauchern fördere.

Toleranz und Höflichkeit zwischen Rauchern und Nichtrauchern war das Thema einer seit 1994 angelaufenen mehrjährigen PR-Kampagne, die Philip Morris mit Gastrosuisse organisierte und finanzierte (2). Dass Warnhinweise auf Packungen vergleichbare Wirkung wie Werbeverbote haben sollen, findet sich auch im für den Gewerbeverein erstellten Gutachten von Professor Urs Saxer, der auch für Japan Tobacco arbeitet (4).

In einem Gastkommentar der NZZ sprach sich 2017 zudem der österreichische Sozialmediziner Michael Kunze dafür aus, dass die «risikoärmeren Tabakprodukte» wie E-Zigaretten, rauchloser Tabak und Snus staatlich gefördert werden sollten. «Keinesfalls sollten (dafür) Hürden wie ein vollständiges Werbeverbot oder höhere Steuern aufgebaut werden» (8). Denn der Professor aus Wien schrieb den Erfolg der Tabakprävention in Norwegen und die damit einhergehenden sinkenden Gesundheitskosten des Landes dem Mundtabak zu, wobei er geflissentlich nicht erwähnte, dass Norwegen im Gegensatz zu Österreich die Tabakrahmenkonvention der WHO seit Jahren umsetzt.

Neuestes Bindeglied zwischen NZZ und Tabakindustrie
Im November 2018 setzte die NZZ ihren Leserinnen und Lesern die Artikelserie «Die Zukunft ohne Rauch beginnt in der Schweiz» (9) vor. Diese war Teil der PR-Kampagne, deren Werbecharakter in Medien als redaktionelle Inhalte maskiert wurden (10). Die NZZ wies darauf hin, dass ihre Serie «im Rahmen der Zusammenarbeit PM-Schweiz und NZZ content solutions» entstanden sei.

Der Artikel «Darum arbeiten wir bei Philip Morris am Ende der Zigarette» erweist sich als neuestes Bindeglied zwischen NZZ und Tabakindustrie, von CEO Leroux höchstpersönlich vorgetragen. Der sachlich daherkommende Text weist die Eigenschaften der vergangenen PR-Botschaften der «unabhängigen», meist nicht-ärztlichen Experten auf: einschränkende Gesetze sind Gift für das Geschäft; Werbeverbote sind nutzlos. Der Beitrag ignoriert die Jugend als Zielpublikum und die Nikotinabhängigkeit als Grundlage der Tabakepidemie. Er ignoriert die Rahmenkonvention der WHO und ist in Zeitpunkt und Inhalt abgestimmt auf die jeweilige parlamentarische Debatte, im vorliegenden Fall auf die Diskussion um das Tabakproduktegesetz.

«Wandlung» der Tabakindustrie ist unglaubhaft
Die nicht plausible grundlegende Wandlung der Tabakindustrie, wonach sie seit 2016 Partner der öffentlichen Gesundheit sein wolle, erwähnt Leroux eher diskret: die Tabakindustrie habe in der «Vergangenheit ein Glaubwürdigkeitsproblem» gehabt.

Der Text räumt dieses Problem aber nicht aus, seine Widersprüchlichkeiten werden vielmehr verstärkt. Dass die Industrie nun auf die früher als «unwirksam» beschriebene Werbung angewiesen sei, um ausschliesslich erwachsene Raucherinnen und Raucher zum Umsteigen auf ihre neueren Produkte zu bewegen, kann unmöglich ehrlich gemeint sein. Denn das würde bedeuten, dass der Markt der Tabakindustrie in einer Generation austrocknet. Wie seit jeher beruht das Fortbestehen der Tabakindustrie im Gegenteil unverändert darauf, dass sie die Jugend in die Nikotinsucht verführt: Denn weder Genussrauchen von Zigarren, noch Rauchstopp, noch umsteigende Nikotinsüchtige bedürfen der Werbung. Beratung und Kundenkontakt im Fachgeschäft genügen.

Vernebelung als Geschäftsmodell
Dass die Tabakindustrie seit 2016 nur noch «rauchfreie» Produkte vermarkten wolle, widerspricht ihren Exporten von nikotinreicheren Tabakprodukten aus der Schweiz in Länder mit schwächeren Regelungen, ihren Verkaufszahlen und ihrer eigenen Information an ihre Aktionäre (11).

Dass «unabhängige» Wissenschaftler die Daten der Industrie über IQOS bestätigen, vernebelt, dass diese Studien nicht entfernt mit der Epidemiologie über das Rauchen der letzten 50 Jahre vergleichbar sind. Der Begriff «unabhängig» tönt zudem zwiespältig aus dem Mund eines Kaders der Tabakindustrie, die systematisch Behörden und Öffentlichkeit mit vordergründig«wissenschaftlichen» Argumenten belieferte, um die Tabakprävention zu untergraben. Immerhin hatte die Tabakbranche alle von ihr besoldeten Wissenschaftler als unabhängig ausgegeben, bevor man sie als gekauft identifizierte.

NZZ verwirrt Leserinnen und Leser
Leroux als Autor eines «externen Standpunktes» verwirrt die Leserschaft der NZZ zusätzlich: Was wäre denn der aktuelle «interne» Standpunkt der Zeitung, nachdem ihre Kolumnisten jahrelang unter dem Mäntelchen der freien Meinungsäusserung die Botschaften der Industrie propagierten?

Die Tribüne, die das älteste Medium der Schweiz dem Tabakgiganten Philip Morris zur Verfügung gestellt hat, lässt erschreckend deutlich erkennen, wie Lobbying, PR-Arbeit und Geld seit Langem die Tabakprävention auf Kosten der Jugend unterminieren. Das schadet dem Ansehen der NZZ, deren vornehmste Aufgabe die seriöse Information ihrer Leserinnen und Leser wäre. Dass dieser journalistische Auftrag solchem Druck weicht, untergräbt den demokratischen Prozess, der ohne Transparenz nicht funktionieren kann.
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Quellen:

  1. Ständeratsdebatte vom 2.03.1993. www.admin.parl.ch
  2. Chung-Yol Lee, Glantz SA: The Tobacco Industry’s Successful Efforts to Control Tobacco Policy Making in Switzerland. Inst.Health Policy Studies. Universitiy of California. 2002.
  3. Felser Georg: «Rauchen lässt ihre Haut altern. Plakative Warnungen sind sinnvoller als Werbeverbote» NZZ 4.08.2005.
  4. Kaelin RM.: Tabakindustrie. Täuschen gehört zum Geschäft. Infosperber 12.09.2019.
  5. Beda Stadler: Als nächstes wird der Handel mit Kohlehydraten reguliert. NZZ am Sonntag, 14.08.2011.
  6. Stadler B: Enttarnte Wunder. Weltwoche, 6.08.2008.
  7. Bonetti PO, Trachsel LD, Kuhn M.U, Schulzki T, et al: Incidence of acute myokardial infarction after implementation of a public smoking ban in Graubünden Switzerland. Swiss Med.Wkly, 2011;141: w13206.doi 10.4414/smw.2011.13206
  8. Kunze M: Alternativem zum blauen Dunst. Gastkommentar. NZZ, 15.4.2017
  9. Artikel-Serie der NZZ 27.11-20.12.2018. NZZ.ch/philipmorris.
  10. Stellungnahme des Schweizer Presserates 4/2019 vom 5. April 2019. Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung/Native Advertising. (Kaelin c. blick.ch)
  11. PMI Inc. Reports 2019. Fourth Quarter and Full Year Results. February 6, 2020 : «….demonstrating our ability to maintain combustible tobacco leadership internationally, as evidenced by Marboro’s full year cigarette share of 10% – an all time high»».

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Arzt Rainer M. Kaelin ist ehemaliger Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ehemaliger Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.

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Eine Meinung zu

  • am 1.10.2020 um 17:06 Uhr
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    An dieser Stelle sei an DIE ‹Freiheit› und den Frame (Bedeutungsrahmen) des Marlboro-Cowboys erinnert. Mit der blossen Erwähnung des ‹Schlagwort auf den Geist› Freihei (welcher und für wen) lässt sich schon im kommerziellen Marketing alles mögliche und unmögliche vermarkten.
    Tatsächlich tun die die sogenannten E-Zigaretten oder Verdampfer für sich alleine nichts. Es kommt auf die Substanzen an, die da verdampft werden. Nikotin macht weiterhin süchtig, insberondere auch das THC(A), das viel wirksamere stärkere artificale (künstliche) THC wie es in der Hanfpflanze vorkommt. Auch künstliche Duftstoffe, besonders in deren Kombinationen sind in ihren möglichen Langzeitschädigungen kaum erforscht.
    Aber der Chef von Altria hat eh gesagt, alle ihre Wissenschaftler in den eigenen Labors und die universitären Wissenschaftler die um welche Ecken auch immer Drittmittel einwerben u. bekommen wurden niemals ‹fake science› betreiben.
    Vertrauen ist güt, Kontrolle u. Falsifikation ‹wäre› besser, in einer Blase, die noch vor Jahren Nikotin als ‹gesundheitsfördernd› verkauft hat, im Namen DER ‹Freiheit›.
    Die grossen Verführer aller Zeiten, wussten schon immer, das Volk (engl. folk, die follower) vergessen schnell.

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