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Ein eher seltenes Bild, aufgenommen an deutschen Jugendmedientagen 2019. © Torben Krauss, CC

Diversität in den Medien: Wunsch ohne Praxis

D. Gschweng /  Wer Vielfalt will, sollte wenigstens anfangen zu zählen. Und das ist noch lange nicht genug, sagt eine deutsche Studie.

Seit dem Tod von George Floyd ist Rassismus das Thema der Stunde – in den Medien und auch auf der Strasse. Tausende versammelten sich, um gegen strukturellen Rassismus zu demonstrieren, nicht nur in den USA. Auch in der Schweiz werden Migranten oft nicht gehört und ihre Anliegen nicht gesehen, bestätigen spätestens die Interviews aus den letzten Wochen.

Viele Medien haben sich vorbildlich der Aufgabe gewidmet, mit Migranten zu sprechen, statt über sie zu schreiben. Dass Migranten über andere Migranten – oder überhaupt über irgendein Thema – berichten, passiert jedoch quasi nie. Medienschaffende mit Migrationshintergrund haben Seltenheitswert.

«Viel Wille, kein Weg»

Das sagen zumindest die verfügbaren Zahlen. Die jüngste Untersuchung über Diversität in den Medien knöpfte sich die deutschen Chefredaktionen vor und trägt den vielsagenden Titel «Viel Wille, kein Weg». Erstellt wurde sie vom Verein «Neue Medienmacher», der sich für Vielfalt in den Medien einsetzt. Die «Neuen Medienmacher» schrieben 122 der reichweitenstärksten deutschen Medien aus den Bereichen Print, Online, Radio und TV an und führten mehrere Einzelinterviews.

Dass Diversität als strategisches Ziel fast allen Medienhäusern wichtig ist, bestätigte die hohe Rücklaufquote von 90 der 126 Angeschriebenen. Nur: Zum Ziel fehlt anscheinend eine greifbare Strategie. Dort, wo die Macht sitzt, suchten die «Neuen Medienmacher» Vielfalt vergebens. Für die Schweiz gibt es keine repräsentativen Untersuchungen.

Wo die Macht ist, kommt Diversität nicht hin

Von den 126 befragten Chefredaktorinnen und Chefredaktoren sind 118 Deutsche ohne Migrationshintergrund. Die übrigen acht Personen stammen sämtlich aus Europa, meist aus Nachbarländern, die nur wenig als «fremd» erlebt werden, wie etwa aus Luxemburg, aus Holland oder aus der Schweiz. Keine einzige befragte Person ist schwarz oder stammt aus einer muslimischen Gemeinschaft. Türkische, polnische oder russischsprachige Mitglieder als Repräsentanten der grössten Einwanderergruppen gibt es in deutschen Chefredaktionen nicht.

Keine Zahlen, keine Strategie

Die Untersuchung konzentriert sich auf Personen mit Migrationshintergrund, in anderen Bereichen sieht es aber wenig besser aus. Der Frauenanteil in Führungspositionen liegt nur bei wenigen deutschen Medien über 40 Prozent, bei den meisten nicht über 30 Prozent, berichtet die Organisation «Pro Quote», die seit 2012 den «Machtanteil» der Frauen in deutschen Medien erhebt.

Auf die Frage, wie divers die eigene Redaktion denn aufgestellt sei, konnten fast alle Befragten nicht antworten, weil sie keine Zahlen erheben. Die einzige der befragten deutschen Redaktionen, die die Staatsangehörigkeit ihrer Angestellten erhebt, ist die Nachrichtenagentur Thomson Reuters. In der Schweiz sieht es diesbezüglich besser aus zeigt eine Umfrage, die der «Schweizer Journalist» Anfang des Jahres publiziert hat. Von zwölf befragten Schweizer Medien kannten alle den Frauenanteil in ihren Newsrooms, acht gaben an, wie gross der Migrantenanteil ist.

Eine Diversitäts-Strategie gibt es in keinem deutschen Haus, allenfalls einzelne Projekte. Deutsche Chefredaktionen seien eine «homogene Enklave», schliessen die «Neuen Medienmacher». Und in Folge auch ihre Redaktionen. Zu ähnlichen Schlüssen kam auch eine Studie des «Reuters Institute», die 2019 die Nachwuchssituation in Deutschland, Grossbritannien und Schweden verglich (Infosperber: «Zu weiss, zu urban, zu elitär»).

Auch der Schweizer Medien-Nachwuchs ist homogen

«In der Schweiz dürfte es sich nicht anders verhalten», schätzt Martina Fehr, Direktorin der Schweizer Journalistenschule MAZ. In der Diplomausbildung Journalismus führt das MAZ seit 2013 eine standardisierte Seismograf-Befragung durch und erhebt Daten über Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Nationalität der Studierenden. Die grosse Mehrheit besitzt den Schweizer Pass. Den bisher höchsten Ausländeranteil zählte das MAZ 2018 mit 15 Prozent.

Derzeit gibt es laut Fehr zwei Studierende ohne Schweizer Pass. Die Vielfalt beschränkt sich auf Personen mit europäischem Hintergrund. «Viele Studierende kommen von den Lokalmedien» sagt Fehr, «das schränkt den Kreis bereits ein». Man müsse sich lokal auskennen und Netzwerke haben, sonst komme es gar nicht erst zur Bewerbung, führt sie aus.

Dass Migranten weniger Interesse am Journalismus haben, hat nach Fehrs persönlicher Erfahrung auch damit zu tun, dass sie eher befürchten, sich zu exponieren. Oder dass sich ihre Community den Beruf als nicht genügend prestigeträchtig vorstellt. Ein Hindernis, das auch das «Reuters Institute» beschreibt.

Weniger akademischer Nachwuchs

Der Schweizer Journalistennachwuchs ist im Vergleich mit dem nördlichen Nachbarland eher bodenständig. Im Schnitt der letzten Jahre steigen 29 Prozent der Studierenden mit Mittelschule und Matur direkt in den Journalismus ein, 14 Prozent mit Berufsschule und Lehre, 18 Prozent haben einen universitären Bachelor-Abschluss, vergleichsweise wenige haben einen Master-Titel. Nach einem internationalen Vergleich lag der Akademikeranteil unter den Schweizer Medienschaffenden 2016 dennoch bei fast 70 Prozent (Deutschland: 75 Prozent). Ein Hinweis darauf, dass einige den Weg in den Beruf auf anderen Wegen finden.

Im Unterschied zum deutschen Nachwuchs wollen viele angehende Schweizer Medienschaffende später auch im Lokalen arbeiten. Im Nachbarland zieht es junge Journalistinnen und Journalisten eher in die Metropolregionen. Oft zwangsläufig, weil lokale Medien weniger ausbilden und jetzt eher Stellen abbauen.

Visionen gibt es, Praxis kaum

Um Vielfalt zu fördern, empfehlen die Studien des «Reuters Institute» und der «Neuen Medienmacher» Journalistenschulen und Medienhäusern, ihre Auswahlkriterien anzupassen und sich gezielt an Bewerber mit Migrationshintergrund zu wenden. Das MAZ hat darauf keinen Einfluss, thematisiert transkulturelle Kompetenz und Berichterstattung aber in seinen Kursen.

«Die Gewinnung von Personal mit Einwanderungsgeschichte wird von den Entscheider*innen als klare Strategie mit eindeutigen Zielvorgaben formuliert, mit der Belegschaft geplant und umgesetzt», so formulieren die «Neuen Medienmacher» eine Diversitäts-Strategie, die den Namen auch verdient. «Wer nicht gezählt wird, der zählt nicht», setzen sie dazu. Ausser bei den grossen Medienhäusern und Nachrichtenagenturen, die zukünftige Korrespondenten suchen, bewegt sich die Nachwuchssuche jedoch mehrheitlich im alten Muster. Entscheider, das ist mehrfach belegt, stellen bevorzugt Leute ein, die ihnen ähnlich sind.

Die von den «Neuen Medienmachern» befragten Unternehmen haben Leitbilder, die kulturelle Vielfalt als Teil ihres Auftrags darstellen. Dies schon im eigenen Interesse – ein Viertel der deutschen Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund und stellt damit auch ein Viertel der potentiellen Zielgruppe. Chefredaktoren wie Peter Frey (ZDF) und Sven Gösmann (dpa) bemerken jedoch durchaus selbstkritisch, dass sich die deutsche Einwanderungsgesellschaft in den Medien inhaltlich und personell nicht niederschlage. In demokratischer Hinsicht, sagt die Medienwissenschaftlerin Christine Horz, die die Daten analysiert hat, sei das bedenklich.

Abzählen allein reicht nicht

Als Vorbild in Sachen Diversität gilt die britische «BBC», die dezidierte Diversity-Pläne aufstellt, sie transparent monitort und weiterentwickelt. Abzählen und Vielfalt verordnen reicht dafür nicht aus. «Aus Unternehmenssicht könnten wir sagen: Wir haben eine Belegschaft, die zu 15,2 Prozent divers ist, also haben wir das Ziel erreicht», sagt Miranda Wayland, BBC Head of Creative Diversity.

Aus Sicht eines einzelnen Mitarbeiters sehe die Situation aber unter Umständen anders aus. Es bedürfe einer Änderung der Unternehmenskultur. «Wir wissen, dass die Erlebnisse in Fokusgruppen oft mit den eigenen Vorgesetzten verknüpft sind» verdeutlicht sie, weshalb «BBC» viel mit den Vorgesetzten arbeite. Die inhaltliche und personelle Vielfalt verlaufe nicht unbedingt parallel, stellt Christine Horz fest.

Sehr simpel ist dafür Waylands Antwort auf die Frage, wie sich Diversität messen lasse: «Der wahrscheinlich einfachste Ausgangspunkt [für Medien] ist ihr Output, also die Diversität in ihren Programmen und ihren journalistischen Inhalten».


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Eine Meinung zu

  • am 17.06.2020 um 16:49 Uhr
    Permalink

    Ein Medium das ich kenne, das sich mit «Migranten als Medienschaffenden» auseinandersetzt, ist die «Autonome Schule» in Zürich, welche auch für die «Papierlose Zeitung» wirbt. Den Podcast dazu gibts auf Spotify, Itunes oder als RSS-feed.
    Leider das einzige medium, das ich bisher gefunden habe, das sich Explizit damit beschäftigt.
    Surprise wirft den Blick halt eher auf die generelle Not Sozialhilfe-Abhängiger. Auch da gibt es Podcasts.

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