Kommentar

kontertext: Kann man die Tamedia-BaZ wieder abonnieren?

Alfred Schlienger © zvg

Alfred Schlienger /  Blocher weg. Somm weg. Aber was macht jetzt Tamedia mit dem vormals rechtspopulistischen Kampfblatt? Eine Recherche in 16 Punkten.

Seit Anfang dieses Jahres steht die Basler Zeitung unter einer neuen, von Tamedia eingesetzten Leitung. Wie geht es dem Journalismus in diesem Blatt? Was hat sich in diesen acht Monaten getan? Kann man die Zeitung wieder aufschlagen, ohne sich täglich in Grund und Boden zu schämen? Zeit für eine Zwischenbilanz.

1. Damit das gleich klar ist: In einer freiheitlichen Welt hat natürlich jede und jeder das Recht, die Zeitung zu abonnieren, die zu ihr, zu ihm passt. Ein wohlwollender Prüfblick kann aber nicht schaden.

2. Zeitungslesende gelten als traditionsverbundene Menschen. Schon kleine Retuschen am Layout können in der Leserschaft zu geharnischten Reaktionen führen. Man kann diesbezüglich den Verantwortlichen der Tamedia nur allerhöchstes Lob aussprechen: Sie haben den Besitzerwechsel bei der Basler Zeitung inhaltlich so sanft und feinfühlig gestaltet, dass man ihn praktisch nicht merkt.

3. Das beginnt schon beim Redaktionsvorsitz. Der neue Chef ist ein Sportredaktor, der die weitgehend erhalten gebliebene Somm-Crew sich tummeln lässt wie eh und je. Selber ist er in diesen acht Monaten mit knapp einer Handvoll Artikel jenseits des Sports in Erscheinung getreten. Kann sich jemand an seinen Namen erinnern? Wie sympathisch: Nichts von präpotenter Markiersucht, nichts von eitler Selbstinszenierung wie unter seinem Vorgänger. Da hat einer die Grösse und Bescheidenheit, sich selber zum Verschwinden zu bringen. Denn als Sportkundiger weiss er: Das Team ist alles, meine Mannschaft kann’s ja und hat das in den acht Jahren unter Somm zur Genüge bewiesen. Macht schön weiter, Jungs! So sieht Vertrauen in die Belegschaft aus.

4. Natürlich, man darf die herben Verluste in der neuen BaZ nicht ganz verschweigen. Wer von den Somm-Schreibenden es sich leisten konnte, dem heimtückischen Mainstream-Zugriff des Medien-Kraken Tamedia zu entkommen, suchte und fand anderswo Unterschlupf: Bundeshausredaktorin Andrea Sommer konsequenterweise direkt in der Parteizentrale der SVP, die mutigen Genderwahnkritiker Michael Bahnert und Tamara Wernli bei Köppels Weltwoche, und Lokalchef Christian Keller hat sich mit einer eigenen Online-Plattform selbständig gemacht, auf der nun zum Teil wiederum BaZ-Artikel erscheinen. So sehen Mut, Prinzipientreue und Geradlinigkeit aus.

5. Wo nur beginnen bei diesem tollen, gut eingespielten BaZ-Rest-Team? Etwas muss man vorausschicken: Das Profil der alten wie der neuen BaZ wird durch die Herren der Schöpfung bestimmt. Man spürt förmlich das Adrenalin und Testosteron, das durch ihre Adern pumpt, wenn sie in die Tasten hauen. Gut so! Wir wollen wissen, mit wem wir es zu tun haben. «Meinungsstark» heisst die Losung, Fakten sind Nebensache. Wir wollen klare Ansagen, keine feinziselierten Spiegelfechtereien mit komplizierten, gar gegensätzlichen Argumentationen. Wir wollen Futter für die Kommentarspalten. Wir wollen Tumult, Thesen, Temperamente. – Allerdings: Die Frauen in der Redaktion sind schon zu Somms Zeiten mehrheitlich dadurch aufgefallen, dass sie sich weniger in die Mission ihres Chefs einbinden liessen. Auch jetzt meinen sie offenbar, ihre Weiblichkeit durch das ausleben zu müssen, was man früher mal Journalismus nannte: Faktentreue, Fairness, Ausgewogenheit.

6. Aber kommen wir zur fulminanten Boy Group, die in der BaZ das Sagen hat. Es sind alles Koryphäen in ihren Sphären – und Experten im Aufmischen von Volkes Stimme:
• An vorderster Front kämpft der SVP-nahe Freikirchler und Milieuforscher Daniel Wahl (Kampfgebiete: Kesb, Trämli, Ausländer (insbesondere Afrikaner) und permanent auf Kriegsfuss mit der deutschen Sprache und mit Intimfeind Wessels, s.u.).
• Aus der sicheren Deckung schiesst der mutige Panzersoldat Serkan Abrecht (SVP-naher FDP-SP-Grünen-Fresser, Politklatschtante lokal und weltweit, Islam-Warner, Klimajugend-Kritiker, Asylbekämpfer, EU-Feind, Experte für Holterdiepolter-Sprache, Waffennarr, Wessels-Wrestler, Freund alles Militärischen sowie von allem und jedem, was irgendwie stinkt und klöpft, s.u.)
• Mister Parkplatz Martin Regenass: Die BaZ leistet sich wohl als einzige Zeitung Europas einen eigenen Redaktor, der jeden verlorenen Parkplatz ausgiebig betrauern und den dafür verantwortlichen Baudirektor und Velofahrer („Hau-den-Wessels!“) ordentlich bashen darf (inkl. Leserfoto, wenn der Baudirektor sein Velo mal falsch parkiert). Endlich kümmert sich eine Zeitung um die wahren Sorgen der Stadtbevölkerung.
• Gewalt- und Kriminalexperte Mischa Hauswirth (SVP-Verbindungsmann, Gerichtsreporter mit feiner Nase für Schmieriges, freihändiger Islam-Kritiker, aufrechter Linken- und Grünenvertilger, betreut zum Ausgleich die Gartenkolumne. Bösartige Kritiker behaupten allerdings, Hauswirth könne oder wolle u.a. Kriminalstatistiken gar nicht richtig lesen).
• Von der Weltwoche zur BaZ gestossen ist der entschiedene Klimawandelleugner und Atom-Freund Alex Reichmuth, der auch wie sein Ziehvater Köppel als Kuriosum ins deutsche Fernsehen eingeladen wird (Fan aller Grosstechnologien und unermüdlicher Entlarver heimtückischer Technikskeptiker).
• Den sagenhaftesten Aufstieg aber legte Jung- und Multitalent Sebastian Briellmann hin (Sportreporter, Sprachkünstler, Trump-Fan, Allergiker gegen alles Klimabewegte, Chefkommentator für die gesamte Welt- und Wirtschaftspolitik, s.u.).
• Diese bissfreudige Kampftruppe bei Laune hält in erster Linie der rauflustige Lokalchef für Stadt und Land, Joël Hoffmann. Nachdem Somm verschiedene Souschefs ausprobiert und wieder abgesetzt hatte, fand er in ihm den willigsten Getreuen. Der gute Mann ist jetzt leider etwas angeschlagen. Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs musste er eine ganzseitige Gegendarstellung ins Blatt rücken zu seiner wochenlangen Kampagne, die er gegen die Arbeitsmarktkontrolle für den schweizerischen Lohnschutz gefahren hatte. Die Freiheit des Gewerbes war der BaZ schon immer wichtiger als dieser Kontrollwahn des Staates. Der Vorgang hat historisches Ausmass: Es ist das erste Mal, dass die BaZ eine grössere Gegendarstellung abdruckt, diesmal sogar ohne den trotzigen Hinweis, man halte an der eigenen Darstellung fest.

Sie alle sind noch von Somm für seine kombattante Truppe rekrutiert worden. Und das ist ja genau das Grossartige: Auch wenn ihr Ex-Chef seine Mission abbrechen musste, die Somm-Boys halten das Kampf-Banner weiterhin hoch und führen die anarcholiberale Mission unerschrocken fort. Das lässt sich an zahllosen Artikeln auf der Website nachprüfen. Diese Helden der freien Schreibe gegen den üblen Medien-Mainstream verleugnen ihre Gesinnung nicht einfach, weil die Zeitung den Besitzer gewechselt hat. Hier stehen sie und können nicht anders. Chapeau! So sieht Charakterfestigkeit aus.

7. Vielleicht ist dafür aber viel mehr noch der überraschend zahme Medien-Krake Tamedia zu belobigen. Nix da mit dem befürchteten Einheitsbrei, Basel soll weiterhin seinen Kampfplatz gegen die links-grüne Bevölkerungsmehrheit haben. Nicht nur dieses Lokal-Glück bleibt Basel erhalten. Die aktuelle BaZ-Crew darf offenbar auch selber entscheiden, welche Artikel aus dem überregionalen Tamedia-Topf sie übernehmen will und welche nicht. Von den eher linksliberalen Kommentaren und Hintergrundberichten des Tages-Anzeigers bleibt der BaZ-Leser jedenfalls weitgehend verschont. Felix Civis Basiliensis!

(Es gibt allerdings freche Zungen, die behaupten, dieser Schmusekurs mit der jüngsten Vergangenheit der BaZ sei schlicht und ergreifend einer Blocher-Forderung beim Deal mit Tamedia geschuldet. Blocher habe verlangt, dass niemand aus seiner BaZ-Crew entlassen werde. Dafür spreche nicht nur, dass es bei der BaZ zu keinen Kündigungen gekommen sei (auch nicht bei Personen, die nachweislich nicht schreiben können oder permanent den Presserat beschäftigen), sondern auch der grosszügige Tamedia-Fallschirm für Somm sowie die Übernahme von Ex-Lobbyist Dominik Feusi und Beni Gafner (*), beides ehemalige Bundeshaus-Kampfredaktoren der BaZ, ins Impressum des Tages-Anzeigers. Die Pointe dabei: Tamedia als grösster Arbeitsplatzvernichter in der Geschichte des Schweizer Pressewesens kann sich im Falle der Ex-Blocher-Zeitung als Arbeitsplatzsicherer inszenieren.

Die gleichen Stimmen behaupten, Tamedia gehe es schon lange nicht mehr um die publizistischen Inhalte, sondern einzig und allein um eine perfekte ökonomische Werbeabdeckung im wichtigen Wirtschafts-Dreieck Zürich – Bern – Basel. Dafür sei Tamedia buchstäblich bereit, jeden Preis zu bezahlen.

Zudem: Unter Somm haben sich die Abo-Zahlen bekanntlich halbiert. Tamedia aber wolle offensichtlich gar nicht die Vor-Somm-BaZ-Leserschaft zurückholen, das sei eh vergebliche Liebesmüh. Wichtiger und ertragssicherer sei es, Somm-Anhänger und das ganze SVP-nahe Segment nicht zu verlieren und mit der Krawall-Crew die Klickzahlen in die Höhe zu treiben und die Kommentarspalten zu füllen. Dafür spreche auch, dass viele Krawall-Artikel nicht hinter die Paywall gesetzt und so die Klickzahlen von Nichtabonnenten befördert würden. Das alles sei – ökonomisch betrachtet – durchaus rational.

Das sind natürlich alles bösartige Unterstellungen. Träfen sie auch nur zur Hälfte zu, bedeutete dies die definitive Selbstaufgabe jeder publizistischen Rest-Würde von Tamedia.)»

8. Gibt’s denn nichts Lustiges aus der BaZ zu berichten? Oh doch! Lesen Sie Sebastian Briellmann. Zum Firmenjubiläum des Fleischkonzerns Bell füllt er eine ganze Seite und überschreibt sie gleich mit dem aktuellen Werbeslogan der Firma: «La vita è Bell» – aber ohne Anführungszeichen, als wäre der Titel seine Erfindung. Und wie wunderbar leichtfüssig er den Artikel eröffnet! Und bitte, werden Sie jetzt nicht gleich ungeduldig, da schreibt schliesslich eine Edelfeder, die sich Zeit und Raum nehmen darf: «Vielleicht ist es ja wirklich nur ein ungutes Gefühl, eine ungute Grundstimmung, vielleicht auch nur ein Trend, der wieder abklingt; wenn dem aber nicht so sein sollte und Nachrichten (alleine aus der letzten Woche) dominieren, wie jene aus dem Kanton St. Gallen, wo das Berufs- und Weiterbildungszentrum in Wattwil wegen zu wenigen Anmeldungen womöglich keine Klasse für Fleischfachkräfte zusammenbekommt – oder wenn im Kanton Basel-Stadt die Grünen für ein Werbeverbot von Fleisch weibeln: Dann kann man davon ausgehen, dass diesem einst so geschätzten (und respektierten) Handwerk schwierige Zeiten bevorstehen.» – Uff! – Sind wir da unversehens im 19. Jahrhundert gelandet? – Falls Sie noch nicht genug haben: Hier können Sie den ganzen Artikel geniessen – garantiert fleischlos. So, meine Damen und Herren, sieht wirtschaftsfreundlicher Journalismus aus.

9. Briellmann kann’s aber auch weltpolitisch. Mutig tritt er als Trump-Versteher in die Fussstapfen Somms und zeigt auf, dass nicht Trump rassistisch sei, sondern die vier dunkelhäutigen demokratischen Abgeordneten selber, die der US-Präsident kürzlich zum Verlassen des Landes aufgefordert hat. Briellmanns intellektuell überzeugender Schachzug: Trump habe ja mit keinem Wort die Hautfarbe oder die Religion der vier Politikerinnen erwähnt. Wer mag, kann hier den ganzen Artikel lesen und sich auch in den Kommentar-Kaskaden suhlen, die solche Beiträge auslösen. Und falls sich jemand über Briellmanns Schlaumeierei vielleicht ärgern sollte: Überzogene Originalität muss man ihm jedenfalls nicht vorwerfen. Das Jungtalent hat’s ja nicht selber erdacht, sondern die Anregung nur aus Tamedias SonntagsZeitung übernommen. So sehen sinnvolle Synergien aus.

10. Der wahre Tausendsassa auf der Redaktion ist aber der Jungspund und Alleswisser Serkan Abrecht. Kein Thema denkbar, zu dem der 26-Jährige nicht etwas zu sagen hätte. Mit 21 und ohne jegliche Ausbildung heuerte er vor fünf Jahren bei Somm an und erschrieb sich schnell einen Ruf als Mann fürs Grobschlächtige. Am liebsten über Militärisches – und sei es das Flatulenz-Geknatter in der Truppenunterkunft. (Der puerile Text scheint ihm – oder seiner Freundin? – inzwischen selbst so peinlich, dass er auf der Website nicht mehr verfügbar ist.) Wobei Peinlichkeit wahrscheinlich nicht der richtige Begriff ist: Es gibt kaum einen Journalisten, der sein Privatleben so stark in seine Artikel einfliessen lässt wie Serkan Abrecht. Seine Mutter, sein Bruder, seine Freundin, seine Freunde, seine Duschgewohnheiten, sein Ausgangsverhalten, sein Umgang mit Energie, nichts zu privat, um nicht Thema zu sein. Ego-Journalismus? Weit gefehlt. Das ist wahre, lebensechte Authentizität. Das eigene Erleben als die einzige Richtschnur.

Kopfschreiber gibt’s ja genug. Abrecht ist der geborene Bauchschreiber. Das Chaos seiner Gefühlswelt treibt ihn vorwärts. Zur Höchstform läuft er auf, wenn er sich persönlich angegriffen fühlt, sei’s von der Klimajugend, der er tüchtig Zunder gibt (die Medienwoche hat das bereits virtuos analysiert), sei’s von Bundesrätin Viola Amherd, der er als gefechtserprobter Panzersoldat den Tarif durchgibt, weil die Verteidigungsministerin sich erfrecht hat, laut über Sinn und Zweck seiner Panzerverbände nachzudenken ). So sieht gepanzertes Selbstbewusstsein aus, das sich mit sich selbst zur Deckung bringt. Gut so! Nur nicht kuschen vor hohen Tieren. Auch das hat er von Somm gelernt.

Sein journalistisches Waterloo hat Abrecht ja bereits hinter sich. Er hat in der BaZ-Kampagne gegen die Unidozentin Franziska Schutzbach ein Zitat des zuständigen Dekans so verfälscht, dass die Leser meinen mussten, die Genderwissenschaftlerin sei von der Uni entlassen worden. Beim Presserat kam Abrecht deswegen zünftig an die Kasse. Wer aber weiss, dass er auf der richtigen Seite kämpft, dessen Selbstgewissheit bleibt dadurch unberührt. Abrecht ist jetzt ein Jahr älter, aber kein bisschen leiser.

11. Für Abrechts aussenpolitische Souplesse muss man einen eigenen Lobespunkt eröffnen. Wir gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürger ahnen vielleicht von Ferne, wie überaus komplex und verfahren diese ganze Brexit-Geschichte in England ist. Für Abrecht alles kein Problem. In schwindelerregender Metaphernseligkeit weiss er genau, wer jetzt «der richtige Kapitän für die raue See» ist: «Es muss Boris Johnson sein. Es kann nur Boris Johnson sein.» Und er zitiert einen durchaus gewagten Vergleich, den ihm der erzkonservative Telegraph eingeflüstert hat: «Neville Chamberlain (der Vorgänger Churchills), dachte, man könne Hitler trauen. Theresa May dachte, man könne der EU trauen.» EU gleich Hitler? Was soll’s, ich hab’s ja nur zitiert. Jeder darf sich dazu denken, was er will.

Direkt schon rührend in diesem Kontext ist Abrechts Bewerbungsschreiben bei der NZZ unter dem Titel «Gekommen um den Gottesdienst zu stören». Hat je einer einen Artikel von immerhin 7’000 Zeichen so ressourcensparend verfasst, nämlich ohne einen einzigen eigenen Gedanken beizufügen? Das ist ja auch einer der unschätzbaren Vorteile des modernen Journalismus: Man kann bequem vom Bürostuhl aus im Internet alles Mögliche zusammenklauben und leicht neu abmischen. DJ Abrecht ist ein Meister darin. Nicht aufgeben, DJ! Ziehvater Somm hat’s ja auch fast geschafft.
Um doch noch eine etwas andere Stimme zum gleichen Thema beizufügen, sei hier auf Daniel Binswangers Beitrag «Die neuen Freunde der NZZ» in der Republik vom 13.7.2019 verwiesen.

12. Das Grossartige an der BaZ ist ja: Hier darf jeder über alles schreiben. Fachredaktoren? Sorgfältig erarbeitete Expertise? Mehrjähriger Aufbau von Sachkompetenzen und Hintergrundwissen? Das ist doch alles elitärer Ballast von gestern! Hast du eine Wut, die andere auch haben könnten: Schreib darüber! Subito und aus dem Bauch heraus! Und wenn die Wut noch nicht da ist, dann erzeuge sie! Halbe Fakten, bunter Mix, ein paar provokante Stimmen kriegst du von überall her. Tummle dich in den sozialen Medien, höre, woher der Wind weht, erspüre das Empörungspotenzial. Und lege sofort los. So sieht heute lebendiger, Aufmerksamkeit weckender Journalismus aus.

13. Diese Art von Journalismus hat in der BaZ Daniel Wahl zur wahren Blüte gebracht. Er ist unser Mann fürs Boulevardeske. Irgendwo ein Nachbarschaftsstreit, ein Beizenzoff, wieder mal Ärger mit Behörden? Daniel Wahl leiht Ihnen sein Ohr und bringt Sie ins Blatt. Ungeschminkt, in bodennaher Schnellschreibe, wutbürgernah. Idealerweise bringen Sie eines der Stichworte «Kesb», «BVB-Schlamassel», «Wessels», «Staatsbürokratie», «Sexualkundeunterricht» oder sonst ein schönes Reizwort ins Spiel und Ihnen ist eine ganze Seite mit Bild garantiert. Wahl ist clever, er muss gar nicht recherchieren, er lässt sich die Geschichten einfach zutragen – und hat damit gleich den O-Ton.

Dass Wahls Artikel sprachlich immer sehr fehlerhaft sind und Leser deshalb immer mal wieder mäkeln, er solle seine Artikel doch bitte noch jemand anderem zum Lesen geben, bevor er sie veröffentliche, dann könnte man vielleicht die schlimmsten Böcke noch eliminieren… – jetzt mal unter uns: Ist das nicht elitäres, bildungsbürgerliches Getue? Es geht doch um die Sache. Und hat Wahls Sprache nicht gerade dadurch dieses Unverfälschte, Ungeschönte, Direkte? Fällt dadurch nicht in sehr volksnaher Anmutung die Fallhöhe weg zu den Kommentarspalten, die er mit seinen Artikeln ja vor allem bewirtschaftet und wo die Leute ja auch reden und schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist? Klar doch, Wahls scheinbares sprachliches Unvermögen ist in Wahrheit eine raffinierte, nur leicht anbiedernde List: Der grosse und gewichtige BaZ-Journi ist einer wie wir!

Obwohl die Wahl-Ernte überaus reichhaltig ist, müssen wir uns hier aus Platzgründen auf ein jüngeres Beispiel beschränken: eine idealtypische Kesb-Geschichte. Verzweifeln Sie bitte nicht, wenn Sie wegen des unkonventionellen Schleuderkurses des Artikels nicht ganz mitkommen, was wirklich Sache ist. BaZ-Leser wissen dank Wahl seit Langem schon im Voraus: Kesb ist immer schlecht und hat immer unrecht. So schafft man Orientierung in dieser überkomplexen Welt.

14. Aus aktuellem Anlass sei aber ein weiteres Beispiel beigefügt, das Wahl den schändlichen Vorwurf des Rassismus eingebracht hat. Vor einem Jahr, also noch unter Somms Regime, schrieb Wahl in wohlbekannter Technik den Artikel «Vorne ‚Schweinebucht’, hinten ‚Nuttenbahnhof’». Hören Sie die Klicks und Kommentare auch schon knattern? Der Text schildert Nachtlärm und Littering im Basler Rotlicht-Milieu. Die Stossrichtung des Artikels zielt klar auf die Beamten des Baudepartements, das für die Öffnungszeiten der Gastronomie und für die Stadtreinigung zuständig ist. Der Text ist durchzogen von einer Stimmungsspur, in der achtmal von schwarzafrikanischen Dealern und möglicherweise mafiösen Eritreern sowie fünfmal von weiteren ungebetenen Ausländern die Rede ist. Gegen diesen Artikel hat das Baudepartement des Kantons eine Anzeige wegen Rassismus eingereicht, weil darin Schwarze in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise pauschal kriminalisiert würden.

Die Staatsanwaltschaft hat nun nach einem Jahr die Klage abgewiesen. BaZ-Lokalchef Hoffmann triumphiert natürlich und teilt unter dem Titel «Wessels’ totalitäre Anwandlungen» gleich kräftig gegen den Vorsteher des Baudepartements aus. Hoffmann schreibt: Wessels «träumt wohl insgeheim von Orban und Kaczynski oder gar von Putin und Erdogan. (…) Und nun wollte der Magistrat seinen Kritiker wegen eines harmlosen Nebensatzes mit der Rassismuskeule erschlagen.» Wegen eines harmlosen Nebensatzes? Dass Hoffmann sich so offensichtlich verzählt, darf man nicht zu eng sehen. Man muss seine Wut und Erleichterung verstehen. Der Mann war schon vor einem Jahr Lokalchef und hatte den Artikel mitzuverantworten. Er war verständlicherweise entsprechend nervös, denn in so kurzer Zeit eine weitere Schlappe wie beim Rechtsstreit mit der AMBK (s.o. unter 6.) einzufangen, hätte er – unter seriöser Tamedia-Aufsicht – beruflich wohl nicht überlebt.

15. Auf der Website der BaZ (www.baz.ch) sind die meisten Artikel einsehbar. In der Suchfunktion einfach den Namen des Journalisten eingeben, und alle seine verfügbaren Texte ploppen auf. (Achtung bei Mischa Hauswirth: Da macht das Korrekturprogramm ungefragt «Mist Hauswirth» draus.)

16. Das Fazit: Schluss mit der bitteren Ironie! Ich habe die BaZ während acht Monaten gelesen, durchaus in der Hoffnung, dass ich eine Basler Zeitung mit dem Qualitätsanspruch des Tages-Anzeigers wieder abonnieren könnte. Das Ergebnis ist ernüchternd. Und was diese Boy Group dieser Zeitung – und der Bevölkerung dieser Stadt, deren Namen sie trägt – antut, ist wirklich schwer erträglich. Vielleicht habe ich einen etwas empfindlichen Magen, aber mir wird zuverlässig schlecht, wenn ich ein Blatt lese, in dem diese Kampfschreiber tagtäglich die Menschenwürde, die Vernunft, den Anstand, die Fairness, die Sprache mit Füssen treten.

Obwohl natürlich auch klar ist:
• Der vom Tages-Anzeiger gelieferte Mantelteil der BaZ mit der Berichterstattung zu Schweiz, Ausland, Wirtschaft und zum Teil auch Kultur ist wesentlich besser, substanzieller und vielfältiger geworden.
• Bei der BaZ arbeiten immer noch eine Handvoll gute und zuverlässige Schreibende mit eigenständiger Weltsicht, die ihr Bestes geben. Aber sie stehen im dunklen Schatten der von Somm «journalistisch» sozialisierten Boy Group, die viel mehr Aufmerksamkeit generiert.
• Ein effektives Korrektorat existiert bei der BaZ ganz offensichtlich nicht, geschweige denn eine Kultur des kompetenten Gegenlesens. Beides ist schlicht eine Schande für ein öffentliches Publikumsorgan.

Ebenso klar ist: Die Boy Group der BaZ kann und will nicht anders. Der eigentliche Skandal liegt deshalb bei den Tamedia-Verantwortlichen, die diesem Treiben tatenlos zusehen.

P.S.
Die Boy Group der BaZ bedient, wenn auch auf höchst bescheidenem Niveau, ganz offensichtlich eine rechtspopulistische Diskursstrategie. Wer sich auf deutlich höherem und analytisch fundierten Niveau über solche Strategien kundig machen will, dem sei das aktuelle Buch von Franziska Schutzbach empfohlen: Die Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick. Xanthippe Verlag, Zürich Dez. 2018, 143 S., ca. CHF 20.-.

(*) Nachtrag der Redaktion: Infolge eines Fehlers der Redaktion wurde im Text zuerst auch Beni Gafner als Ex-Lobbyist bezeichnet. Das war falsch. Die Redaktion entschuldigt sich für den Fehler bei Beni Gafner in aller Form. (cm)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Alfred Schlienger, Theater- und Filmkritiker, u.a. für die «Republik»; ehem. Prof. für Literatur, Philosophie und Medien an der Pädagogischen Hochschule; Mitbegründer der Bürgerplattform Rettet-Basel!; lebt in Basel.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Robert Ruoff, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

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2 Meinungen

  • am 5.09.2019 um 17:19 Uhr
    Permalink

    Korrigenda:
    Somm ist nicht weg. Er bekommt sein Gnadenbrot bei TAmedia, war wahrscheinlich Teil des Deals zwischen Blocher und Supino, und darf seine Überlegungen in der SZ und dem TA publizieren! Dass Blocher sich auch für die anderen rechtsnationalen Hetzer der BAZ eingesetzt hat ehrt ihn. Sie wären wie David Klein, Bassam Tibi oder Markus Melz in der Versenkung verschwunden. Abrecht darf weiter wüten um die SVP Klientels Basels zu befriedigen! Die Zukunft der BAZ ist voraus sehbar. Irgendwann zieht Supino die Notbremse und die BAZ wird zur Regionalzeitung abgestuft, 3 Seiten Basel, mit Inseraten, Rest copy-paste aus Tages-Anzeiger!

  • am 15.09.2019 um 20:23 Uhr
    Permalink

    Da schreibt sich einer in Rage und giesst Häme über die armen Somm-Mannen. Zu viel der Ehre. Leider sieht aber auch Alfred Schlienger nicht, dass ein unabhängiger Journalismus gar nicht möglich ist, solange die SchreiberInnen lohnabhängig sind. Nur wenn mir die Zeitung gehört, kann ich auch schreiben, was ich will. Alles andere ist Augenwischerei

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