EyesalveAnticbioticsProject

Diese Flüssigkeit ist ein potenter Weg, um resistente Bakterien zu bekämpfen. Das Rezept ist uralt. © The AncientBiotics Project

1000 Jahre alte Tinktur hilft gegen multiresistente Keime

D. Gschweng /  «Wie im Mittelalter» ist in der Regel kein Kompliment für ein Labor. Für eines schon.

Forschende in Grossbritannien haben ein Mittel gefunden, das es mit multiresistenten Erregern aufnehmen kann. Gegen Infektionen mit Staphylococcus aureus wirkte es im Versuch besser als ein vergleichbares Antibiotikum. Das als MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus) bekannte Bakterium gehört zu den bekannten «Krankenhauskeimen» und ist gefürchtet bei Wundinfektionen.

Schlägt kein Antibiotikum an, bleibt manchmal nur eine Amputation, damit sich die Infektion nicht weiter verbreitet. Es wird umfangreich daran geforscht, mit MRSA fertig zu werden. Versucht wurden unter anderem bereits Viren, die das Bakterium befallen sollen, Impfungen, sogar Krebsmedikamente, die ihm den Garaus machen sollten.

Einfaches Rezept mit verwirrenden Zutaten

Das Rezept des vielversprechenden neuen Antibiotikums ist dagegen einfach. Das Besondere daran: Es ist mehr als 1000 Jahre alt. Eine interdisziplinäre Forschergruppe aus Nottingham fand es in einer mittelalterlichen Schrift namens «Bald’s Leechbook». Das aus dem 10. Jahrhundert stammende angelsächsische Arzneibuch enthält ein Rezept namens «Bald’s eyesalve», das gegen eine Infektion am Auge – vermutlich ein Gerstenkorn – helfen soll. Über den Autor selbst ist nichts bekannt.

Abgesehen davon, dass Ochsengalle nicht zu den Standard-Vorräten des modernen Haushalts gehört, liesse es sich problemlos zuhause herstellen. Das «Leechbook» beschreibt auf Altenglisch:

Man nehme Allium und Knoblauch, beides zu gleichen Teilen, stampfe sie gut zusammen, nehme Wein und Ochsengalle, beides zu gleichen Teilen, vermische sie mit dem Allium, lege dies dann in ein Messinggefäss, lasse es neun Tage in dem Messinggefäss stehen, wringe es durch ein Tuch aus und kläre es gut, gebe es in ein Horn, und trage es gegen Abend mit einer Feder auf das Auge auf.

Die Forscher fanden die Wirksamkeit der Tinktur bereits vor fünf Jahren und probierten verschiedene Versionen davon aus. Unter anderem rätselten sie mit Hilfe einer Historikerin, was «Allium» (im Original «Cropleek») bedeuten soll: handelte es sich um Zwiebeln oder Lauch? Und wie sah der Wein vor 1’000 Jahren aus?

Aus hygienischen Gründen setzten sie die Mixtur in einem Glasgefäss an, gaben aber Metallstücke dazu, bevor sie sie für neun Tage ruhen liessen. Statt Ochsengalle kamen Gallensalze zum Einsatz.

Doppelt so wirksam wie ein Reserveantibiotikum

Die nach neun Tagen abgefilterte klare braune Flüssigkeit erwies sich sowohl in Bakterienkulturen wie auch im Tierversuch als erstaunlich wirksam. Sie tötete doppelt so viele Bakterien wie Vancomycin, eines der wenigen gegen Staphylococcus aureus wirksamen Antibiotika. An Menschen wurde «Bald’s Eyesalve» noch nicht getestet, die bisherigen Resultate sind jedoch vielversprechend.


Ausschnitt aus «Bald’s Leechboik», markiert ist das Wort «Cropleek» (British Library/Ancientbiotics Project auf YouTube)

Dass sich aus natürlichen Zutaten Medikamente ableiten lassen, ist nichts Besonderes. Viele bekannte Arzneien wurden so entdeckt. In der Regel suchen Wissenschaftler in Folge nach dem zugrundeliegenden Wirkstoff und nach einer Methode, ihn herzustellen. Deshalb hat das Team aus Nottingham geprüft, ob sich das Rezept auch anders modellieren lässt und Zutaten ausgetauscht oder weggelassen. Das verblüffende Ergebnis: «Bald’s Eyesalve» wirkt nur als Ganzes. Ein einzelner Wirkstoff liess sich nicht bestimmen. Sogar die Ruhezeit und die Metallteile sind für die Wirkung wichtig.

Nur wirksam als Ganzes

Dass Knoblauch und Zwiebeln schwach antibakterielle Eigenschaften haben, ist bekannt, genauso wie Kupfer aus dem Messinggefäss. Und wer Ochsengalle als Zutat seltsam findet, dem sei gesagt, dass es noch weit abseitigere Stoffe gibt, deren antibakterielle Wirksamkeit nachgewiesen wurde, Pferdemist zum Beispiel. Ihre grosse Wirksamkeit entfalten die Zutaten aber nur zusammen.

Das hört sich schon fast esoterisch an. Esoterisch ist an «Bald’s Leechbook» so einiges. Wer Hilfe sucht, um gegen Elfen, Goblins und ihre bösen Machenschaften vorzugehen, findet in der mittelalterlichen Schrift ebenfalls das passende Rezept. Die Wirksamkeit von «Bald’s Eyesalve» ist jedoch ganz real und ungemein wichtig für die medizinische Forschung.
Multiresistente Keime breiten sich seit Jahren aus, während Pharmaunternehmen die Entwicklung neuer Antibiotika zusehends einstellen, weil sie sich nicht lohnt. Ausser gegen Staphylococcus aureus ist das uralte Rezept noch gegen vier andere Bakterienarten wirksam, darunter weitere «Sorgenkinder» der Infektiologen.

Besondere Wirkung gegen Biofilme

Die Forschenden, die kürzlich eine weitere Arbeit im Fachmagazin «Scientific Reports»* nachgelegt haben, erklären sich die Wirkung der mittelalterlichen Medizin damit, dass Balds Tinktur durch die Zusammenstellung der Zutaten besonders gut gegen Biofilme wirkt. Biofilme – schleimige Organismenverbände unterschiedlicher Dicke – sind nichts Aussergewöhnliches und kommen überall vor. Ein «alltäglicher» Biofilm ist zum Beispiel Zahnbelag. Je nach Dicke lassen sich Biofilme mit Antibiotika aber nur schwer angreifen. Die Behandlung erfordert oft die 100 bis 1‘000-fache Dosis.

«Wir denken, dass die Kombination [der Zutaten] neue Behandlungsmöglichkeiten für infizierte Wunden wie diabetische Fuss- und Beingeschwüre darstellen könnte», sagte Freya Harrison, eine der Autorinnen der Arbeit, gegenüber dem «Guardian». Mit Hilfe digitaler Mittel wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in weiteren mittelalterlichen Schriften vielversprechende Rezepturen ausfindig machen. Die dabei entdeckten Medikamente haben sogar schon eine eigene Bezeichnung: sie heissen wie das Projekt, in dem Bald’s Eysalve gefunden wurde: Ancientbiotics

Lesen Sie auch:

«NDM1, MCR1 und woran wir alle draufgehen könnten», Infosperber im September 2019

«Die Flüsse der Welt sind voll mit Antibiotika», Infosperber im Juli 2019

«Antibiotikaresistenzen: Der Markt kann es nicht richten», Infosperber im September 2019

* In einer früheren Version dieses Textes haben wir irrtümlich angegeben, dass die Arbeit «Anti-biofilm efficacy of a medieval treatment..» im Magazin «Nature» publiziert wurde.


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6 Meinungen

  • am 30.09.2020 um 12:44 Uhr
    Permalink

    Man stelle sich nun vor wie es ist wenn auf all das viele Wissen keine Patente mehr existieren.

  • am 30.09.2020 um 13:47 Uhr
    Permalink

    Viren, Bakterien und Pilze werden ohne Resistenzbildung durch Oxidation eliminiert.

    Es gibt 2 bekannte Stoffe, die uns helfen könnten, bzw. dies bereits tun.
    1) H2O2 (Wasserstoffperoxid), das in sehr kleinen Mengen sogar von unserem Körper im Krankheitsfall hergestellt wird.
    2) ClO2 (Chlordioxid), das bereits zur Desinfektion und Lagerung von Blut in Blutbanken gesetzlich vorgeschrieben eingesetzt wird (seit den HIV-Blutplasma-Skandalen).

    ClO2 wird weltweit zur Wasseraufbereitung eingesetzt. Es hat den Vorteil, dass es innerhalb von 2 Stunden in Salz, Sauerstoff und Wasser zerfällt.
    Beide Stoffe nicht patentierbar, versprechen also keine großen Gewinne.
    Fast jedes Krankenhaus benutzt eines von beidem zur Sterilisierung von Arbeitsflächen und chirurgischen Instrumenten im OP-Raum.

    Damit gäbe es Möglichkeiten Erkrankten zu helfen.
    Aber wie immer stellt sich die Frage: Geht es darum, Menschen zu helfen oder darum, Profite zu generieren.
    Wenn es um Profit geht, zeigen leider viel zu viele ihr lächelndes, aber geldgieriges Gesicht.
    ClO2 hat gegenüber H2O2 den Vorteil des tieferen Redoxpotentials. Tiefer als der körpereigene Sauerstoff (ebenfalls ein Oxidativ). Verdünnt kann es getrunken oder unter ärztlicher Aufsicht, mit bereits erforschten Reinheitsvorgaben, intravenös verabreicht werden. Es erhöht messbar den intrazellulären Sauerstoffwert um rund 50%.

    H2O2 kann bei 1-3%-Lösungen mittels Kaltvernebelung eingeatmet werden = Sauerstoff für die Zellen, oxidierte Erreger.

  • am 30.09.2020 um 16:51 Uhr
    Permalink

    Oh – ich dachte schon, es falle das Stichwort «Echinacea».

    Dieser Beitrag fand sich übrigens schon im April 2015 in den Medien.

  • DSCF8389
    am 30.09.2020 um 17:34 Uhr
    Permalink

    @Leonard Fritze: Kaum. Wie im Text erwähnt, fanden das Forscherteam die Rezeptur bereits vor fünf Jahren. Interessanter ist, wie Balds Eyesalve wirkt, d.h. die grosse Wirksamkeit auf Biofilme, zu denen das Team aus Nottingham eine weitere Arbeit vorgelegt hat (https://www.nature.com/articles/s41598-020-69273-8, mehrmals verlinkt).

  • am 30.09.2020 um 21:15 Uhr
    Permalink

    Sehr guter Bericht. Es gibt noch viele solcher Phytopharmaka Kompositionen mit erstaunlichen Effekten. Leider werden sie nie eine Zulassung bekommen. Nun werden wegen diesem Bericht die Influenzer der Pharmalobby auf dem Infosperber herum treten und in Wikipedia sowie Psiram wird man womöglich den Infosperber diffamieren und als Globulipropheten verleugnen. Es gibt zahlreiche Viren und Bakterienhemmende Stoffe in der Naturmedizin, wehe dem, der in Covit Zeiten etwas darüber schreibt. Siehe Echinacea und Artemisin Forschung.

  • am 4.10.2020 um 22:00 Uhr
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    "Man nehme Allium und Knoblauch…."
    Wunderbar.
    "Allium» aber ist der botanische Oberbegriff für «Lauch ».
    Nur, welches Allium sollte man nehmen und mit Knoblauch kombinieren?

    Grundsätzlich ein interessanter Bericht.
    Aber in Zeiten, in denen das Denken in Zusammenhängen, das ökologische Denken, völlig gestrig ist und man zur Monokausalität, die nach Entdeckung der Quantenmechanik einige Jahre zur Disposition stand zurückgekehrt ist, kann man sich doch solche Artikel schenken. Oder?
    Wir haben ja jetzt DIE Ursache für all unsere Probleme gefunden….

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