Kommentar
kontertext: Kunst verändert die Welt
Grosse Begeisterung löst derzeit eine Ausstellung in Bern aus. Das Zentrum Paul Klee zeigt das Werk der amerikanischen Expressionistin Lee Krasner. Lee wer?
Lee Krasner war eine der kreativsten, produktivsten und radikalsten KünstlerInnen ihrer Zeit, das erfahren wir auf eindrückliche Weise in Bern. Sie starb 1984. Schon zu Lebzeiten war ihr ausserordentliches Talent offensichtlich. Sie ersetze Gott durch die Kunst, wurde gesagt. Und, weniger schmeichelhaft: Ihr Werk sei so gut, dass man nicht merke, dass es von einer Frau sei. In jüngeren Jahren war sie nicht ganz so produktiv, weil sie mit dem alkoholkranken Maler Jackson Pollock verheiratet war und ihn pflegte. Doch nach seinem tödlichen Autounfall blühte sie auf und beschenkte die Welt mit einem Werk, das seinesgleichen sucht.
Lee Krasner ist ein Ausnahmetalent. Keine Ausnahme ist, dass das Werk einer Künstlerin viel zu lange unbekannt bleibt. Ähnlich ging es der heute 85-jährigen Teruko Yokoi, deren reiches Werk nun im Kunstmuseum Bern entdeckt werden kann. Yokoi lebt seit Jahrzehnten in Bern, und obwohl die Qualität ihrer Arbeit längst erkannt wurde, fühlten sich die Kunst-Institutionen bisher nicht dafür zuständig. Auch dieser Schatz wurde der Öffentlichkeit lange vorenthalten.
Diese Beispiele machen deutlich: Die Museen brauchen dringend eine Frauenquote. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens für die Kunst, zweitens für die Gesellschaft.
«Weil uns sonst etwas fehlt – die Hälfte der Gesellschaft»
Über eine solche Quote wurde in den letzten Wochen im «Tagesanzeiger» diskutiert. «Eine Quote für Kunst von Frauen – subito!» forderte Andreas Tobler. Sein Argument: «Wir wollen alles sehen, was in der Kunst möglich ist». Die Marginalisierung der Frauen in Schweizer Museen sei nicht zeitgemäss. Öffentliche Institutionen hätten die Pflicht, die Forderung nach Gleichstellung zu erfüllen und den Künstlerinnen gleich viel Raum zu geben wie den Künstlern. Da aktuelle Studien zeigten, wie weit die Museen davon entfernt seien, diesen gesellschaftspolitischen Auftrag ernst zu nehmen, sei eine Quote nötig. «Weil uns sonst etwas fehlt, die Hälfte der Gesellschaft – und das, was wir schaffen könnten.»
Das ist richtig. Die zwei Ausstellungen in Bern zeigen, was uns entgeht, wenn die Vielfalt der Kunst von sexistischen Vorurteilen verhindert wird. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Kunst von Frauen als gleichwertig zu akzeptieren bedeutet mehr als eine Erweiterung der Perspektiven. Es bedeutet, sich auf eine neue Geschlechterordnung einzulassen. Denn die Kunst ist keine x-beliebige Branche. Sie ist ein Ort, an dem die Beziehung der Geschlechter organisiert wird: Subjekt und Objekt. Künstler und Modell. Mann und Frau. Wenn Kunst von Frauen zum Normalfall wird, ist diese asymmetrische Beziehung nicht länger garantiert. Eine Quote bedeutet deshalb auch das Ende des Herrenclubs (Vgl. «Tagesanzeiger» vom 12.11.2019 «Die Kunstwelt funktioniert wie ein Herrenclub»), oder wie es die US-amerikanische Regisseurin Jill Soloway formulierte: «Wenn Objekte zu Subjekten werden, können wir die Welt verändern.»
Die grosse Angst – wovor eigentlich?
Das ahnen auch jene, die diesen Umbruch fürchten. Mit panischem Grundtenor reagiert Michael Marti in seiner Replik auf Toblers Quotenforderung. Er warnt vor «Staatskunst» und fragt tatsächlich: «Wollen wir wirklich Zustände wie in der DDR?» Das klingt verwirrend, und ist es auch. Zur Erinnerung: In der DDR wurden KünstlerInnen, die nicht im Sinne der Staatsideologie wirkten und lebten, mit Ausstellungsverboten belegt, vom Staatssicherheitsdienst belästigt und bedroht, manchmal auch ausgebürgert.
Eine Quote ist etwas ganz anderes: Sie verbietet keinem Künstler irgendetwas. Jeder Künstler darf – nur als Beispiel – weiterhin nackte Frauen malen, wenn er das möchte. Eine Quote verbietet auch keinem Kurator und keiner Kuratorin, diese Bilder auszustellen. Es gibt auch keinen Grund, das zu verbieten! Eine Quote fordert lediglich, dass sich die Institutionen verpflichten, einen angemessenen Anteil ihrer Ressourcen und ihrer Aufmerksamkeit der Kunst von Frauen zur Verfügung zu stellen.
Hat Kunst ein Geschlecht?
Ein Hauptproblem bei der Diskussion um Quoten ist, dass die GegnerInnen die sozialpolitische Realität schlicht und einfach leugnen. Sie behaupten, dass Kunst «frei» sei und kein Geschlecht habe, dass sich Qualität durchsetze und dass sich die Gleichstellung der Geschlechter von alleine, ohne Zwang, irgendwann schon einstelle. Diese Haltung vertritt auch Björn Quellenberg, Sprecher des Zürcher Kunsthauses. Im Interview erklärt er: «Wir entscheiden nach künstlerischer, international anerkannter Qualität, nach Relevanz der Botschaften, die ein Werk oder seine Schöpferin vermitteln kann.» Eine verbindliche Quote lehnt er ab, denn «wer die Freiheit der Kunst und die Selbstbestimmung der künstlerischen Institution hochhält, sollte sich mit Vorschriften zurückhalten.»
Solche Ideen sind schön, aber naiv. Relevanz und Qualität sind keine absoluten Werte, sondern unterliegen gesellschaftlichen Konventionen und politischen Bedingungen. Was Kunst ist, ob sie «frei» sein soll und was ihre Freiheit ausmacht, wurde historisch sehr unterschiedlich definiert.
Was wir heute unter Kunst verstehen – Kunst als individueller Ausdruck eines kreativen Genies – ist relativ jung. Der Höhepunkt dieses Kunstideals liegt im 18. und 19. Jahrhundert, und damit in einer Zeit, in der auch die Ungleichheit von Mann und Frau besonders aggressiv realisiert wurde. Die Minderwertigkeit der Frau wurde jetzt biologisch begründet. Aufgrund ihrer Biologie, so das Argument, könnten Frauen weder geistige noch künstlerische Werke hervorbringen. Die Frau wurde ins Private gedrängt. Dort sollte sie für Mann und Kinder ständig emotional und körperlich verfügbar sein. Im Gegenzug wurde ihre «Weiblichkeit» ideologisch überhöht: Als Mutter, Gattin, Muse wurde die Frau als besonders wertvoll und begehrenswert gefeiert. Der Preis für diese Idealisierung war allerdings die politische Entmündigung und die emotionale und wirtschaftliche Ausbeutung.
Die Kunst selbst war Teil dieser Gewalt: Während es Frauen verwehrt war, überhaupt künstlerisch tätig zu sein (noch im 20. Jahrhundert waren Frauen an wichtigen Kunsthochschulen nicht zugelassen, selbst an der progressiven Bauhaus-Akademie wurden sie ausschliesslich in der Textilklasse geduldet), wurden sie von Künstlern bevorzugt als verfügbare Objekte, als Projektionsflächen männlicher Phantasien, als Sehnsuchtsorte und Gegenstände ästhetischer Stilübungen dargestellt. Die Kunst der Moderne (und Postmoderne) scheint geradezu besessen davon, die Frau zum Objekt zu degradieren.
Staatliche Museen sind keine Kunst
Das ist selbstverständlich kein Grund, diese Kunst aus den Museen zu verbannen. Doch sollten sich die Institutionen gut überlegen, wie sie mit diesem ideologischen Erbe umgehen. Wollen sie diese Ordnung reproduzieren? Oder sind sie bereit, die Dominanz des männlichen Blicks (und deren Konsequenzen) ernsthaft in Frage zu stellen?
In den letzten Jahrzehnten hat sich die politische und rechtliche Situation der Frauen – sogar in der Schweiz – verändert. Frauen dürfen Kunst studieren, sie dürfen auch ohne Einwilligung des Vaters oder Ehemannes eigenes Geld verdienen und sie sind mittlerweile auch in jenen Positionen vertreten, die über Ausstellungsprogramme von Museen entscheiden. Allerdings war das keine «natürliche Entwicklung», wie Quellenberg behauptet: Es ist das Ergebnis eines Jahrhunderte langen feministischen Kampfes, der sich gegen massive Widerstände durchsetzen musste und riesige Opfer forderte. Niemals in der Geschichte der Frauenbefreiung wurden männliche Privilegien freiwillig und ohne politischen Druck aufgegeben.
Auch heute gibt es Widerstand gegen die Gleichberechtigung: Noch immer beharren gewisse Kreise hartnäckig darauf, dass Männer – insbesondere «Genies» – sich ungestraft an Frauen vergehen dürfen. Trotz Vergewaltigungsvorwürfen wurde Roman Polanski gerade mit dem César geehrt, und der notorische Wiederholungstäter Placido Domingo wird Ende dieses Monats auf der Bühne des KKL in Luzern gefeiert.
Die Asymmetrie der Geschlechter wird heute nicht mehr von frauenfeindlichen Gesetzen aufrechterhalten, sondern von einer symbolischen Ordnung, die unser Sprechen, Denken und Fühlen organisiert. Die Kunst ist Ausdruck dieser Ordnung, aber sie ist auch ein Ort, an dem diese Ordnung reflektiert und kritisiert werden kann.
Staatliche Museen sind öffentliche Institutionen, die Kunst im Dienste der Gesellschaft verwalten. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, eine kunstpolitische Ideologie zu konservieren, sondern die Bedeutung, das Potential, die Gefahren und Bedingungen von Kunst sichtbar zu machen und zur Diskussion zu stellen. Wenn die Gesellschaft zu Recht verlangt, dass Frauen als gleichwertige Subjekte in Erscheinung treten, dann sind die Kunstinstitutionen aufgefordert, sich ihrer Verantwortung zu stellen.
Einige Museen haben das verstanden. (Vgl. «Ausstellungen von Kunst von Frauen in der Schweiz»). Doch gerade die grossen Schweizer Museen sträuben sich offenbar, über den Zusammenhang von künstlerischem Kanon, Qualitätskriterien und Geschlecht nachzudenken, wie das Interview mit Björn Quellenberg zeigt. Solche Museen brauchen dringend eine politisch verordnete Quote, damit sie ihre gesellschaftliche Aufgabe in Zukunft wahrnehmen können, und sich nicht ins Abseits manövrieren.
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Infosperber-Artikel zum Thema:
Schweizer Museen zeigen wenig Kunst von Frauen
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Martina Süess ist Literaturwissenschaftlerin und Autorin des Buches «Führernatur und Fiktion. Charismatische Herrschaft als Phantasie einer Epoche». Sie arbeitet als Dozentin, Journalistin und Radiomacherin.
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.
Habe den Beitrag von Martina Süess gelesen und kann nur den Kopf schütteln über den sterilen Dogmatismus, welcher in ihrem Artikel zum Ausdruck kommt. – Nein, Frau Süess; Quotenregelungen sind so ziemlich das Letzte, was wir brauchen im kulturellen Leben. Nur Qualität, nur Relevanz und nichts anderes soll zählen – in allen Bereichen künstlerischen Schaffens und deren Vermittlung ans Publikum. Dass Frau Süess in ihrem Beitrag dann auch noch abenteuerliche Pirouetten schlägt und das Thema «Frauenquoten an Museen» via «Gleichberechtigung» praktisch nahtlos mit jenem der Vergewaltigung von Frauen durch (männliche) «Genies» verknüpft, kann füglich als abwegig bezeichnet werden.
Ein einleuchtendes Plädoyer. Aber vielleicht reichen Quoten allein nicht. Vielleicht braucht es auch obligatorische Fortbildungen zu Frauenkunst für KunstbetriebsleiterInnen, die davon noch zu wenig verstehen. Und wie steht es um die Ausbildung an den Kunsthochschulen? Werden dort die Weichen richtig gestellt für eine geschlechtergerechtere Zukunft in Kunstmuseen?
Die zahlreichen genderlehrstühle zeitigen wirkung. Wie kann man sich auch nur so verrennen? Bei quotenkunst müssten doch eigentlich alle alarmglocken schrillen. Unabhängig davon, welche gesellschaftsgruppe gerade bequotet werden soll. Nun, wir werden warten müssen. Die dialektik wirds richten. Der marktwert von machos wird steigen. Ein wohl nicht beabsichtigter effekt.
Sehr gut beobachtet und geschildert, vielen Dank für diesen Beitrag. Wann haben die Künstlerinnen in den Museen gleiche Zugangschancen. Wann wird ihre Kunst wahrgenommen? Dasselbe gilt übrigens auch für die anderen Museen, die Geschichtliche Entwicklungen aufzeigen. Der Beitrag von Frauen an die Entwicklungen in der Gesellschaft gehört zur Geschichte und zur Kunst. Das muss bald selbstverständlich werden und wird gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen. Es wird ums stereotype Männer und Frauenbild gehen.
Vielen Dank für diesen Beitrag. Die Darstellung von Frauen und ihren Leistungen, sei es in Kunst, Geschichte oder Gesellschaft wird das Bild das die Gesellschaft von Frauen und Männern hat verändern. Weg von stereotypen Frauen- und Männerbildern zu menschlichen Menschenbildern. Es wird schon noch kommen…….mit oder ohne Quoten.
Martha Beéry-Artho