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Die US-Regierung setzt den chinesischen Betreiber von TikTok gewaltig unter Druck © pixabay

US-Behörden überwachen mit Daten von TikTok

Tobias Tscherrig /  Geleakte Dokumente beweisen, dass Daten der chinesischen Video-Plattform TikTok an US-Behörden fliessen.

Die Video-Plattform TikTok des chinesischen Inhaberkonzerns ByteDance ist vor allem bei Jugendlichen beliebt. TikTok zufolge wird die App in den USA von mehreren zehn Millionen Menschen genutzt, weltweit gebe es demnach Hunderte Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Allerdings steht die App regelmässig in der Kritik: Mutmasslich sollen zum Beispiel Videos, in denen die chinesische Führung kritisiert wird, zensiert worden sein.

Ausserdem hat US-Aussenminister Mike Pompeo TikTok vorgeworfen, Daten, die bei der Nutzung der App anfallen, an die kommunistische Führung in Peking weiterzuleiten. Anschludigungen, für die es derzeit keine Beweise gibt. Auch US-Präsident Donald Trump setzte die chinesischen TikTok-Betreiber unter Druck. Er erliess eine Executive Order und forderte den Verkauf der Videoplattform bis am 20. September. Als aussichtsreichster Kaufinteressent gilt der US-Konzern Microsoft.

Sollte die Video-Plattform nicht innerhalb dieser Frist verkauft werden, sollen in den USA alle Transaktionen und Geschäfte mit TikTok und ByteDance verboten werden. Die Begründung der Massnahmen: Die App sammle gewaltige Mengen an Nutzerdaten, ermögliche es der Kommunistischen Partei Chinas, US-Bürger auszuspionieren, und sei deshalb eine Gefahr für die nationale Sicherheit.

Aktive Überwachung während George-Floyd-Protesten
Nun zeigen geleakte Polizei-Dokumente, dass TikTok haufenweise Nutzerdaten mit US-Strafverfolgungsbehörden teilt. Das berichtet die Nachrichten-Website «The Intercept». Die Daten wurden im Rahmen der sogenannten «BlueLeaks» gesammelt und vom Kollektiv «Distributed Denial of Secrets» (DDoSecrets) veröffentlicht. Sie umfassen mehr als eine Million Akten der US-Regierung, von denen die meisten die US-Polizeikräfte betreffen.

Die Daten zeigen unter anderem, dass TikTok in Dutzenden Fällen Informationen an US-Strafverfolgungsbehörden weitergegeben hat. Sie zeigen ausserdem, dass das Federal Bureau of Investigation (FBI) und das Department of Homeland Security TikTok während der George-Floyd-Proteste aktiv auf Anzeichen von Unruhen überwacht haben. Weiter zeigen sie, dass sich zwei Vertreter mit bytedance.com-E-Mail-Adressen – Adressen des chinesischen Inhaberkonzerns von TikTok – auf der Internetseite des Northern California Regional Intelligence Center (NCRIC) registriert haben. Das NCRIC ist ein Regierungsprogramm für die öffentliche Sicherheit auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Es dient als Sicherheitsknotenpunkt, «der mit dem Nationalen Netzwerk der Fusionszentren und den Hochintensitäts-Drogenhandelsgebieten unserer Nation verbunden ist».

US-Behörden sammeln vor allem bei US-Unternehmen
Experten, die mit Anfragen von Strafverfolgungsbehörden vertraut sind, sagen gegenüber «The Intercept», dass die Menge der von TikTok gesammelten und an US-Behörden übergebenen Daten nicht wesentlich grösser sei als diejenige, die von Unternehmen wie Amazon, Facebook oder Google regelmässig übermittelt werde. Gemäss «The Intercept» liegt das unter anderem daran, dass «US-Technologieunternehmen eine Menge Informationen sammeln und übergeben.»

So ist die Zahl der Anfragen nach Informationen über Nutzerinnen und -Nutzer, die TikTok nach eigenen Angaben von US-Behörden erhält, deutlich geringer als die Zahl der Anfragen, die die US-Tech-Giganten von US-Behörden erhalten – «wahrscheinlich weil die Polizei eher daran gewöhnt ist, Daten von US-Firmen bei Ermittlungen zu verwenden», vermutet «The Intercept».

TikTok fasst seine Anfragen von Strafverfolgungsbehörden in einem halbjährlichen Transparenzbericht zusammen. Darin steht, dass das Unternehmen in der letzten Hälfte des Jahres 2019 100 Anfragen zu 107 Konten erhalten habe. In 82 Prozent der Fälle habe man Informationen an US-Behörden übergeben. Facebook hingegen gibt an, im gleichen Zeitraum satte 51’121 Anfragen erhalten und in 88 Prozent der Fälle zumindest einige Daten weitergegeben zu haben.

Trotz dieser ungleichen Zahlen haben die US-Behörden ein Interesse an den Daten, die ausländische Technologieunternehmen sammeln. So fand sich in den «BlueLeaks»-Daten auch ein «Ressourcenleitfaden für Ermittlungen im Bereich der Strafverfolgungstechnologie»: Das Dokument enthält polizeiliche Angaben darüber, wie man an Aufzeichnungen der Plattform Musical.ly gelangt, die von ByteDance gekauft und dann mit TikTok zusammengelegt wurde.

TikTok beruft sich auf Datenschutz
Die «BlueLeaks»-Dokumente zeigen, dass TikTok IP-Adressen, Informationen über die zur Registrierung von Konten verwendeten Geräte, Nummern von Mobiltelefonen und eindeutig zugeordnete ID’s, die an Plattformen wie Instagram, Facebook oder Google gebunden sind, an die US-Behörden übergeben hat.

Es ist unklar, ob diese Datenveröffentlichungen als Reaktion auf Durchsuchungsbefehle, Vorladungen oder andere Anfragen erfolgten. Klar ist einzig, dass sowohl Konten mit grosser Reichweite als auch Daten von Personen, die nur für ihre Freunde veröffentlichen, weitergegeben wurden.

Gegenüber «The Intercept» gab TikTok unter Berufung auf den Datenschutz der Nutzer keine Einzelheiten bekannt. «Wir sind verpflichtet, die Privatsphäre und die Rechte unserer Benutzer zu respektieren, wenn wir Anfragen von Strafverfolgungsbehörden nachkommen», sagte der Sprecher von TikTok, Jamie Favazza, gegenüber «The Intercept». «Wir prüfen gültige Anfragen von Strafverfolgungsbehörden sorgfältig und verlangen entsprechende juristische Dokumente.»

Werkzeug für Behörden
Aus den «BlueLeaks»-Dokumenten geht auch hervor, dass US-Bundesermittler und Polizei die App zunehmend als nützliches Werkzeug betrachten. In den frühen Tagen der Proteste nach dem Tod von George Floyd nutzten die Strafverfolgungsbehörden TikTok zusammen mit Facebook, Twitter und anderen Anwendungen, um Proteste und Dissens zu verfolgen.

Ein FBI-Bericht vom 2. Juni mit dem Titel «Civil Unrest May 2020 Situation Report» behauptete, dass TikTok zu den Apps gehörte, die zur Förderung von Gewalt eingesetzt wurden: «Aus nationalen Berichten geht hervor, dass Einzelpersonen traditionelle soziale Medienplattformen und verschlüsselte Nachrichtenanwendungen (YouTube, Facebook, Twitter, Instagram, TikTok, Telegram, Topbuzz, Snapchat, Wickr) nutzen, um über potenzielle Gewalttaten zu diskutieren.»

Drei Tage später warnte eine weitere FBI-Meldung: «Ein identifizierter Benutzer hat ein Video auf TikTok gepostet, in dem gezeigt wird, welche Lasche man ziehen muss, um schnell die Körperpanzerung der Militärs zu entfernen.» Das Video sei mit den Worten: «Macht mit diesen Informationen, was ihr wollt», betitelt gewesen.

Wie ein 19-Jähriger zur Bedrohung wurde
Ein anderes, satirisches TikTok-Video erhielt sogar einen eigenen Geheimdienstbericht. Ein 19-jähriger TikTok-Nutzer postete ein Video, in dem er einen Twitter-Kommentar eines Komikers aufgriff. Nachdem die Nationalgarde in Minneapolis stationiert worden war, twitterte Komiker Jaboukie Young-White: «Gott sei Dank bringen sie die Armee mit.» Und: «Es würde mir das Herz brechen, wenn jemand einen Panzer ausser Gefecht setzen würde, indem er Wasserballons mit klebrigen Flüssigkeiten (vor allem eine Art Zucker/Milch/Sirup-Kombination) in ein Glasgefäss füllt und es an die Windschutzscheibe wirft, wodurch er für unsere Truppen unbrauchbar würde.»

Im Geheimdienstbericht wurden sowohl das Video als auch die entsprechenden Tweets ohne Angaben von Quellen wörtlich zitiert. Der Titel des Geheimdienstberichts: «Social Media Video bietet Taktiken, Techniken und Verfahren (TTPS) darüber, wie man die U.S. Nationalgarde bei Ausschreitungen stört.» Also galten der 19-jährige TikTok-Nutzer und sein satirisches Video für den US-Geheimdienst als unmittelbare Bedrohung.

Verstärkte Zusammenarbeit mit US-Behörden
TikTok versucht seit Längerem, sich von seinen chinesischen Ursprüngen zu distanzieren. Das Unternehmen stellte zum Beispiel eine ehemalige Disney-Führungskraft als CEO ein, engagierte Lobbyisten mit Verbindungen zur Trump-Kampagne und versprach, in den Vereinigten Staaten 10’000 Arbeitsplätze zu schaffen. Einen Teil dieser Abnabelung von China sieht «The Intercept» in der Erweiterung der Zusammenarbeit mit den US-Behörden. So habe TikTok vor kurzem einen Spezialisten für die Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden gesucht und stelle derzeit einen globalen Projektleiter für Strafverfolgungsprojekte ein. Das Team, das die Anfragen von Strafverfolgungsbehörden prüft, hat seinen Sitz nicht in China, sondern in Los Angeles.

Kritik an TikTok ist angebracht
Der chinesische Staat hat beträchtliche Ressourcen in den Einsatz künstlicher Intelligenz investiert, um die öffentliche Meinung zu überwachen und zu manipulieren – und ByteDance wurde in diese Bemühungen miteinbezogen. So hat das Unternehmen vor kurzem ein Joint Venture mit einer staatlichen chinesischen Mediengruppe gegründet und dabei die Möglichkeit offengelassen, dass ein Teil seiner Technologie für Propagandazwecke genutzt werden könnte.

In der Datenschutzrichtlinie von TikTok steht, dass das Unternehmen Benutzerinformationen mit «einer Mutter- oder Tochtergesellschaft oder einem anderen Tochterunternehmen unseres Konzerns» teilen kann. Mehrere Sammelklagen haben TikTok beschuldigt, Daten nach China zu senden, obwohl TikTok sagt, dass die Daten von US-Benutzern in Virginia gespeichert und in Singapur gesichert werden.

TikTok hat auch politische Inhalte zensiert, die von der chinesischen Regierung missbilligt werden. Darunter Videos über die Proteste in Hongkong und Videos über die unterdrückte muslimische Minderheit der Uiguren, die in unmenschlichen Lagern im Nordwesten Chinas interniert werden.

Weiter zeigen interne Dokumente, die «The Intercept» vorliegen, dass TikTok Moderatoren angewiesen hat, Beiträge zu unterdrücken – wenn deren Ersteller oder Erstellerin als arm, hässlich oder behindert galten.


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