Kommentar

Teure Wohnungen – verdient wirklich niemand daran?

Werner Vontobel © zvg

Werner Vontobel /  Gefährdet die Volksinitiative für mehr bezahlbare Wohnungen die freie Marktwirtschaft? Der Tagesanzeiger stellt die falsche Frage.

In einem Hintergrundbericht über die Volksinitiative für mehr bezahlbare Wohnungen, stellt sich der Tagesanzeiger (TA) die Frage: „Wann ist eine Wohnung gemeinnützig?“ Und beantwortet sie so: „Die Bewohner zahlen nur die tatsächlichen Kosten, etwa für Hypotheken, Unterhalt, Rückstellungen und Abschreibungen. Niemand verdient daran.“ Doch verdient wirklich niemand daran? Weiter im Text erfährt man, dass aktuell nur 3,8% der Schweizer Wohnungen gemeinnützig sind und warum das so ist: „Die Stadt verfügt nur noch über wenig Landreserven und Zukäufe sind teuer. Die Preise werden durch die Bieterverfahren derart in die Höhe getrieben, dass die Wohnungen nur noch preisgünstig vermietet werden können, wenn Zürich Geld einschiesst.“

Demnach ist also der Grundbesitzer, der den Bodenpreis mit einem Bieterverfahren in astronomische Höhen treibt, für den TA ein Niemand. Der TA sieht nur das Verhältnis von Mieter und Vermieter. Hat dieser das Grundstück frisch zum Marktpreis gekauft, dann „verdient“ nicht er, sondern der Verkäufer des Grundstücks. Doch dieser wird in der Rechnung des TA offenbar ausgeblendet. Dass der TA (und nicht nur er) die hohen Bodenpreise offenbar als eine Art Naturgewalt und als unveräusserliches Natur-Recht der Bodenbesitzer sieht, zeigt auch die Textpassage, in der es um das Vorkaufsrecht geht, das die Initianten den Kantonen und Gemeinden einräumen wollen. Danach dürfen diese ein Grundstück zu dem Preis erwerben, zu dem es der Höchstbietende gekauft hätte. Ein solches Vorkaufsrecht, so der TA, sei ein „grosser Eingriff in die freie Marktwirtschaft.“ Grosser Eingriff? Dem Verkäufer entgeht lediglich die Möglichkeit, dem Staat noch einen Aufpreis zum Höchstpreis abzuknöpfen.

Das ist seltsam. Bei nüchterner Betrachtung ist es gerade umgekehrt: Die Marktwirtschaft wird nicht durch die Initiative gefährdet, sondern durch die exorbitanten Monopolrenten auf dem Immobilienmarkt. Man rechne: In Zürich kostet ein Quadratmeter Bauland für Mehrfamilienwohnungen laut Wüest Partner im Schnitt 7200 Franken. Die Nettorendite, die auf solchen Liegenschaften erwirtschaftet wird, liegt bei 3,7%. Für eine Wohnung von 100 Quadratmetern Nettowohnfläche ergibt das eine jährliche Belastung von rund 20’000 Franken allein für die Benutzung des Bodens. (Die eigentlichen Wohnkosten kommen noch dazu.) Diese gut 20’000 Franken entsprechen gut einem Drittel des Jahreseinkommens eines durchschnittlichen Stadtzürcher Steuerzahlers. Dieser muss also – wenn er eine Marktmiete bezahlt – seinem Bodenbesitzer gut doppelt so hohe Steuern bezahlen, wie dem Staat. Und wenn Zürich Geld einschiesst, muss Zürich die Steuern erhöhen, um den Bodenbesitzern ihre Monopolrenten zu finanzieren.
Eigentlich könnte die „Initiative für bezahlbare Wohnungen“ ein Anlass sein, diese Grundsatzfrage zu diskutieren. Doch wie dieses Beispiel zeigt, wird nichts daraus. Dazu ist die Heiligkeit der freien Marktwirtschaft zu stark in den Köpfen der Journalisten verankert.


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4 Meinungen

  • am 10.01.2020 um 10:31 Uhr
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    Die Initiative ist falsch, weil ein Teil der Bevölkerung dann in den günstigen Wohnungen lebt und der andere Teil – mit exakt identischen Wirtschaftsverhältnissen – in teuren Wohnungen wohnt und gleichzeitig die günstigen noch via Steuern bezahlen muss.

    Es gibt auch aktuell gar keinen Markt z.B. für Wohnhäuser in der Stadt Zürich.

    Wer eines hat, wohnt darin oder vermietet es.

    Ein Lösungsansatz: Besteuerung von Wohnfläche ab einer gewissen Anzahl Quadratmeter pro Person, egal ob zur Miete oder zum Eigentum bei gleichzeitiger Abschaffung des Eigenmietwertes.

    In Städten wäre diese Quadratmeterzahl kleiner als auf dem Land und je nach Höhe der Besteuerung wird wieder ein Markt entstehen, der sowohl sozialverträglich ist als auch eine Besteuerung nach Leistungsfähigkeit vorsieht.

    Zudem ist es nicht möglich, sich dieser Besteuerung durch Steuerabzüge zu entziehen, was zu stabilen Staatseinnahmen führt.

  • am 10.01.2020 um 13:16 Uhr
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    Natürlich sind in den Grossagglomerationen potente Marktplayer tätig, welche den Nachfrageüberhang brutal ausnützen und nur noch Mieter anziehen, welche die hohen Mietpreise bezahlen können. Und das ist in der Regel nicht die durchschnittliche Mieterschaft. Warum werden denn nicht die Zonenvorschriften entsprechend revidiert? In den Städten wird ja auch das Kleingewerbe so geschützt.

  • am 11.01.2020 um 07:47 Uhr
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    Wie fast überall wird der Aufstand auch auch in der Schweiz an der Bodenfrage ausgelöst werden. Denn anhand dieser Frage kann jeder Stimmbürger rasch und einfach erkennen, dass in unserem Land nicht mehr die Arbeit zu Wohlstand führt. Sondern dass das konzentrierte Kapital eine so enorme Dichte erreicht hat, gleich einem Schwarzen Loch. Auch das letzte Fünferli wird noch wie von Geisterhand in diesen Schlund entschwinden; wenn wir weiterhin mit verschränkten Armen zusehen.
    Der Ansatz von Frau Badran, Güterklassen mit je eigenen Marktregeln einzuführen, ist wohl momentan der einzige zukunftsfähige Vorschlag, der realistische Chancen hat, auch umgesetzt zu werden. Wir sollten Frau Badran darum unterstützen und die Idee weiterverbreiten. Wird die Entwederoderpolitik der Pole weiterhin die Eidgenössische Politik dominieren, dann wird weder der Kapitalismus noch die Natur, noch die direkte Demokratie (also die Eidgenossenschaft als solches) überleben.

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