Kommentar
Swiss-Stutz statt Klimaschutz
Bis 2050 soll die Schweiz den Ausstoss an CO2 und weiteren Treibhausgasen netto auf null reduzieren und damit klimaneutral werden. Dieses Ziel proklamierte der Bundesrat am 28. August 2019. Das kostete die Schweiz keinen Rappen: «Hehre Ziele sind wohlfeil, unabhängig davon, ob sie via ‹Gletscher-Initiative› in die nationale Verfassung geschrieben oder via Bundesratsbeschluss in die Welt hinausposaunt werden», kommentierte damals Infosperber unter dem Titel «Bundesrat beschliesst starkes Klimaziel – aber ohne Gewähr».
Klimaschutz proklamiert, Wirtschaftsschutz finanziert
Gestern Mittwoch, acht Monate später, beschloss der Bundesrat, die Fluggesellschaft Swiss mit einer Bürgschaft im Umfang von annähernd 1,3 Milliarden Franken zu unterstützen. Die Swiss ist die Marktleaderin im Flugverkehr von und zur Schweiz. Dieser Luftverkehr wiederum verursachte, bevor die Corona-Epidemie ihn temporär weitgehend stilllegte, mehr als zehn Prozent aller nationalen Treibhausgase und ist, wie WWF-Klimaexperte Patrick Hofstetter schreibt, «für 20 Prozent des menschengemachten Klimaeffekts in der Schweiz verantwortlich». (Mehr zum Klimaeffekt des Flugverkehrs hier).
Mit der milliardenschweren Staatskrücke will der Bundesrat einen angeblichen Liquiditätsengpass der Swiss überbrücken, damit diese Klimaheizerin wieder voll durchstarten kann, sobald die Epidemie vorbei ist. Dabei verzichtete die Landesregierung darauf, die grosszügige finanzielle Unterstützung mit irgendwelchen klimapolitischen Bedingungen zu verknüpfen.
Der gestrige Entscheid bestätigt damit eine alte Regel: In der Umwelt- und Klimapolitik wird grossmäulig proklamiert, in der Wirtschaftspolitik hingegen sofort – und oft diametral entgegengesetzt – reagiert und finanziert. Das raubt der Schweizer Klimapolitik jede Glaubwürdigkeit. Der einzige Trost: Das Parlament kann diesen Entscheid in seiner Sondersession nächste Woche wieder umstossen – oder ergänzen.
Wie das Parlament konsequent nachbessern kann
Klimapolitisch konsequent wäre, wenn National- und Ständerat dem gestrigen Beschluss des Bundesrates folgende einfache Bedingung anfügten: «Die Bürgschaft im Umfang von 1,3 Milliarden Franken wird nur gewährt, wenn die Swiss oder eine allfällige Nachfolge-Gesellschaft sich verbindlich verpflichtet, die von ihr verursachten Treibhausgase bis zum Jahr 2030 um einen Drittel unter den Stand von 2019 zu senken.» Und die Begründung dazu: Mit der Reduktion um einen Drittel bewegte sich die Swiss linear auf dem Kurs zum Ziel netto null CO2 im Jahr 2050.
Ich vermute, diese klimapolitische Konsequenz würde die Leitung der Swiss oder der Lufthansa strikte ablehnen. Denn dazu müsste sie ihre Flüge – mangels Alternative für ölbasierten Flugtreibstoff – entsprechend reduzieren. Das würde eine Erhöhung der Flugpreise bedingen und eine Abnahme von unsinnigen Flugreisen nach sich ziehen.
Diese – ökologisch erwünschte – Redimensionierung aber hemmt den Wachstumsdrang der Fluggesellschaften. Statt die klimapolitisch konsequente Bedingung zu akzeptieren, würde die Swiss wohl auf die Bürgschaft verzichten. Und damit beweisen, dass sie diese gar nicht so dringend nötig hat. Oder dass sie ihren Liquiditätsengpass auch mit einem normalen Kredit ohne staatliche Garantie überbrücken kann.
Mit Referendum gegen voreiliges Geschenk
Die bedingungslose Gewährung der Bürgschaft an die Swiss ist aber nicht nur klima- und wirtschaftspolitisch fatal, sondern auch voreilig. Denn die Swiss ist eine hundertprozentige Tochter der deutschen Lufthansa. Die Lufthansa ihrerseits begehrt ebenfalls staatliche Hilfe. Doch entsprechende Verhandlungen mit der deutschen Regierung sind zurzeit blockiert. Da mutet es höchst seltsam an, wenn die Schweiz mit einer Bürgschaft für ein ausländisches Unternehmen vorprescht mit dem Ziel, ihren (ohnehin begehrten) Wirtschaftsstandort zu subventionieren.
Fazit: Die Schweizer Regierung liess sich von der Luftverkehrslobby über den Tisch ziehen. Das Parlament kann das korrigieren. Und falls es trotzdem dem Bundesrat folgt, können und sollten Grüne Parteien und Umweltverbände diesen schrägen Deal mit einem Referendum* stoppen.
*Nachtrag Meine pauschale Forderung, «diesen schrägen Deal mit einem Referendum zu stoppen», erhob ich in meinem Kommentar ohne genaue Prüfung der Rechtsgrundlagen. Darum folgende Präzsisierung: Ein Referendum allein gegen die Bürgschaft des Bundes für Überbrückungskredite an die Swiss im Umfang von nahezu 1,3 Milliarden Franken ist rechtlich nicht möglich, da dazu eine Gesetzesgrundlage bereits besteht. Möglich aber ist ein Referendum gegen die neue gesetzliche Grundlage, die der Bundesrat beantragt, um zusätzlich Betriebe des Flughafens mit einer Bürgschaft im Umfang von 600 Millionen Franken zu unterstützen. Da beide Stützungsmassnahmen miteinander verknüpft sind, könnte ein Referendum gegen die erweiterte Gesetzesgrundlage auch die Stützung der Swiss in Frage stellen. Je nach Entscheid, den das Parlament diese Woche fällt, müsste die Opposition das weitere Vergehen beurteilen.
Hanspeter Guggenbühl
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Auch die Bedingung der Behörden an die Swiss, keine Dividenden auszuschütten, wird gar nichts bringen: einerseits dürfte die Swiss dieses Jahr ohnehin Verluste einfahren und künftige Gewinne mit den Verlusten verrechnen, andrerseits wird die Lufthansa bei Bedarf dann einfach mit Management- und Systembeiträgen den Gewinn nach Deutschland abschöpfen.
Herrn Guggenbühls Vorschlag ist nur konsequent. Es wäre die Gelegenheit, in der Klimapolitik den Worten Taten folgen zu lassen.
Was mich aber mindestens so stark stört ist, dass wieder einmal private Konzerne in guten Zeiten Milliarden verdienen und diese sich selber und ihren Aktionären verteilen dürfen, keine Reserven anlegen und dann in der Krise immer wieder von der Allgemeinheit gerettet werden – mit einem Blankocheck, notfalls unlimitiert …
Einer derartigen Regierung, die das in Notrecht verfügt und ohne dass sie dem Steuerzahler ein Mitspracherecht oder Eigentumsrecht erwirkt, sollten wir eigentlich keine Steuern mehr bezahlen bis sie sich wieder in den Dienst ihres Volkes stellt.
Auf dem eingeschlagenen Weg wird sie früher oder später Bankrott gehen und in Privatkonzernbesitz übergehen. Dies scheint das Ziel zu sein.
Das widerspricht meinem Verständnis von Demokratie. Es entspricht einer Konzern-Oligarchie, welche ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstört.
Wie oft hat man beim Ausbau des Zürcher Flughafens alle Einwände abgeschmettert. Der Markt fordere diesen grossen Hub, basta. Lärm, CO2, Belastung durch Zufahrten wurden schlicht ausgeklammert. Wer nicht verstand, dass der Markt alles regelt, alles, was diese Manager interessierte, war keine Ernst zu nehmende Gesprächspartnerin.
Nun würde der brutale Markt regeln. Aber, statt dass wir für sinnvolle Arbeitsplätze sorgen, soll mit unverschämter Selbstverständlichkeit die alte Verschwendung wieder hergestellt werden.
Lernen wir wohl noch rechtzeitig, vernetzt zu denken und zu handeln? Lebensraumzerstörung, Massentourismus und Seuchen haben Schnittmengen.
Wir wissen ja, wie nach der Finanzkrise Lehren gezogen wurden, nämlich keine. Das wird auch «nach Corona» so sein, wenn es denn ein «nach Corona» geben wird.
Ich hätte noch eine andere Idee für das Parlament: Bedingungslose Bürgschaft an die Swiss nur, wenn auf neue Kampfflugzeuge verzichtet wird und das VBS den Flugzeug-Kredit für Gesundheitsprävention um-budgetiert. Kampfjets bezwecken das Töten von Menschen, nicht von Covid 19. Prioritäten nach der Bedrohungslage setzen, bitte.
Wer vom Bundesrat oder vom Parlament etwas Substantielles erwartet, ist selber schuld und soll weiter träumen! Sie reden von Arbeitsplätzen, meinen aber die Profite der Monopole. Sie reden vom Klima, meinen aber Wirtschaftsverträglichkeit.
Ja Es ist unverschämt uns alle Bürgen zu lassen für die Swiss, für die Fliegerei. Doch warum setzen Sie Herr Guggenbühl und Patrick Hofstetter vom WWF sich nicht für Bürgschaften für Investitionen in Energieentschwendung ein. Kombiniert mit einer Energie-Lenkungsabagbe ist dies die wirksamsten Mittel ür eine Energiewende die nicht zum Blackout führt, die Schweiz im Alleingang umsetzen kann und der wirsamste Beitrag der Schweiz gegen den Klimawandel ist. Selbstverständlich müsste das Flugpetrol auch erfasst werden und der Flugbetrieb nur mit einer Krücke wie der geplanten Flugticketabgabe belastet werden. Vileicht braucht der WWF ganz einfach wieder Menschen vom Kaliber eines Dr. Hans Hüssy.