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Dank seinem Marketing gilt der «Starbucks»-Konzern trotz aller Kritik als liberales Unternehmen. © pixabay

«Starbucks»: Die Kehrseite des Zaubertranks

Tobias Tscherrig /  Der ehemalige «Starbucks»-Chef Howard Schultz ist ein Meister des Marketings – und wird als Nachfolger von Donald Trump gehandelt.

Seit «Starbucks» existiert, ist Kaffee nicht mehr bloss Getränk, sondern trendiges Lifestyle-Produkt. Sein gutes Image verdankt der Konzern in erster Linie einem ausgeklügelten Marketing, das auf sozialem Engagement und einem humanistischen Leitbild beruht.

Gleichzeitig steht «Starbucks» in der Kritik: wegen seinem Streben nach Rentabilität, dem Druck auf seine Mitarbeiter, dem Verkauf von Fastfood-Produkten und wegen seiner Steueroptimierungs-Strategie. Obwohl «Starbucks» diese Realität gerne kaschiert, ist es «Arte» gelungen, im Dokumentarfilm «Starbucks ungefiltert», einen Blick auf die graue Realität zu werfen, die hinter dem auf Hochglanz polierten Image des Kaffeeriesen steckt.

Vom Kaffemogul zum US-Präsidenten?
«Starbucks ungefiltert» ist aktuell: Kürzlich ist der langjährige «Starbucks»-Chef Howard Schultz endgültig zurückgetreten. Schultz ist die Schlüsselfigur der aggressiven «Starbucks»-Expansion der vergangenen Jahre, ausserdem mischt er sich immer wieder aktiv in die US-Politik ein. Er ist ein Vertrauter von Ex-Präsident Barack Obama und unterstützte im vergangenen US-Wahlkampf Hillary Clinton. Hätte Clinton gewonnen, wäre Schultz mit einiger Wahrscheinlichkeit Arbeitsminister geworden. Aktuell werden dem 64-jährigen Milliardär gar Ambitionen nachgesagt, bei der US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2020 gegen Donald Trump anzutreten.

Schultz hat sich während seiner Zeit bei «Starbucks» ein liberales und humanes Image zugelegt, in den USA ist er äusserst beliebt. Die Dokumentation «Starbucks ungefiltert» zeigt die andere Seite des Konzerns und seines langjährigen Chefs. Sie zeigt ein Imperium, das funktioniert, weil es seinen Kunden Sand in die Augen streut.

Am Anfang war die Gegenkultur
Die Geschichte von «Starbucks» beginnt Anfang der 70er -Jahre in Seattle. Die Bewegung der Gegenkultur ist auf ihrem Höhepunkt, sie stellt den amerikanischen Lebensstil in Frage. Auch Supermärkte voller eintöniger und fader Lebensmittel gehören zum Feindbild. Die drei Studienfreunde Jerry Baldwin, Gordon Bowker und Zev Siegl wollen gegen diese Vereinheitlichung und den steten Drang nach Konsum ankämpfen und gründen das Unternehmen «Starbucks».

1982 tritt Howard Schultz als Marketing-Direktor in das Unternehmen ein. Der ambitionierte Aufsteiger aus New York erkennt das Potenzial – und hat deutlich grössere Zukunftsvisionen als die drei Gründer. 1986 kauft Schultz den Gründern die Firma ab. Er baut eine eigene Unternehmenskette auf, hat Erfolg und macht aus den kleinen Kaffeeläden ein multinationales und milliardenschweres Unternehmen.

Ausgeklügelte Marketingstrategie
Kaffee, ein eigentlich simples Getränk, wird mit überteuerten Preisen in einen Zaubertrank verwandelt. Der hohe Preis signalisiert den Kunden: Ihr habt es geschafft, ihr seid erfolgreich und könnt es euch leisten. «Starbucks» verkauft eine Form der sozialen Anerkennung.

Der amerikanische Geschichtsprofessor Bryant Simon hat hunderte «Starbucks»-Filialen besucht, um dieses Marketing-Konzept zu erforschen. Gegenüber «Arte» sagt er: «Starbucks hat von Anfang an ausdrücklich eine vermögende Kundschaft anvisiert. Grösstenteils weiss und wohlhabend. (…) Sobald man diese überzeugt hat, kommen andere nach.» Bald bestand die Hauptkundschaft nicht mehr aus reichen Leuten, sondern aus denjenigen, die dazugehören wollten.

Konzept aus der Soziologie: Der «dritte Ort»
Seine Filialen präsentiert der Konzern als Ort der Gemeinsamkeit. Sie sind der «dritte Ort», ein Zufluchtsort zwischen dem Zuhause und der Arbeitsstelle. Die Idee vom «dritten Ort» wurde in den 1980er-Jahren vom amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg entwickelt. Er sah darin einen Ort der Begegnung und des politischen Austauschs für alle Bürger.

Die «Starbucks»-Verantwortlichen klammern die politische Dimension aus und schaffen seit den 90er-Jahren die immer gleichen, ruhigen, geräumigen und luxuriösen Filialen.

Aber die «dritten Orte» sind nicht wirklich für alle da. Die hohen Preise und die Standorte in den besten Ecken der Städte grenzen einen Teil der Bevölkerung von vornherein aus.

Die Uhr tickt
Bei «Starbucks» lachen zwar die Meerjungfrauen auf den Bechern, nicht aber die Angestellten. Sie stehen permanent unter Druck. Neben dem Verkauf verbringen sie laut «Arte» zwei Drittel ihrer Arbeitszeit mit Putzen. Auch wenn alles sauber ist, Leerlauf gibt es bei «Starbucks» nicht.

Neben dem Putzen müssen die Verkäuferinnen und Verkäufer in den notorisch unterbesetzten Cafés wie Roboter funktionieren: Augenkontakt halten, die Kunden zum Kauf zusätzlicher Produkte verführen. Jeder Kunde müsse in maximal drei Minuten abgefertigt werden. Sieben Stunden werde in den französischen Filialen gearbeitet, die Pause dauere 45 Minuten. Dafür gebe es am Ende des Monats ungefähr 1100 Euro. So die Recherchen von «Arte».

Und die Uhr tickt: Jeder «Starbucks»-Mitarbeiter erhalte bei Stellenantritt einen Timer. Mit diesem werde die Zeit gemessen, die der Angestellte für die einzelnen Aufgaben braucht.

Zuckerbrot und Peitsche
«Starbucks» ist ständig bemüht, die Rentabilität zu erhöhen. Jeder Filialleiter vergleicht den Tagesumsatz mit dem entsprechenden Tag des Vorjahres. Hat sich das Ergebnis verbessert, werden die Angestellten mit einer kleinen Prämie belohnt. Den «Starbucks»-Angestellten winken weitere Vorteile: gute Sozialleistungen, bezahltes Online-Fernstudium. Wer über ein Jahr beim Konzern arbeitet, erhält Aktien.

Die «Starbucks»-Unternehmensleitung nennt alle Mitarbeiter «Partner». Trotzdem gibt es für sie keine Jobgarantie. Die Filialleiter können die Arbeitspläne ihrer Untergebenen abhängig vom Umsatz eigenmächtig anpassen. Die täglichen Kundenzahlen werden mit der Vorwoche verglichen, erst danach wird das Personal für die nächste Woche eingeteilt. Bei einer Reduktion der Arbeitszeit verdienen die Mitarbeiter dann noch weniger.

Im gleichen Jahr, als 20’000 Menschen eine Petition gegen diese Praktiken einreichen, kaufte sich Schultz für 25 Millionen Dollar ein Haus auf Hawaii. In Interviews und Vorträgen spricht er oft von der sozialen Verantwortung, die ein erfolgreiches Unternehmen übernehmen muss.

25 Teelöffel Zucker im Getränk
Der nach eigenen Angaben «beste Kaffee der Welt» ist Fastfood. Um neue Kunden anzulocken, hat «Starbucks» Mischungen entwickelt: Mit viel Milch, Sirup und Sahne. So holte der Konzern die Softdrink-Anhänger ab.

Die Nichtregierungs-Organisation «Action on sugar» veröffentlichte 2016 eine Studie, in der aromatisierte Heissgetränke analysiert wurden. Das Ergebnis: 35 Prozent dieser Getränke erhalten genauso viel oder sogar mehr Zucker, als eine Dose Coca-Cola. Das Produkt mit dem höchsten Zuckerzusatz kam von «Starbucks». Die Übergrösse eines Getränks enthielt 25 Teelöffel Zucker. Drei Mal mehr Zucker, als ein Erwachsener am Tag zu sich nehmen sollte.

Aggressive Expansionspolitik
Im Jahr 2017 konnte «Starbucks» einen Gewinn von rund zwei Milliarden Dollar einfahren. Seit 1992 ist der Konzern an der Börse notiert und muss seitdem seine Aktionäre zufriedenstellen. Deshalb betreibt er eine äusserst aggressive Expansionspolitik. Weltweit expandiert «Starbucks» in schwindelerregendem Tempo. Gemäss «Arte» besass das Unternehmen 2003 insgesamt 7000 Filialen. Zehn Jahre später waren es fast 20’000, im Jahr 2018 stieg die Zahl auf über 28’000 – verteilt auf 75 Länder.

Im Laufe der Jahre hat «Starbucks» die besten Plätze in den Städten an sich gerissen. Einheimische Anbieter oder kleinere Ketten werden gnadenlos verdrängt. Stattdessen wird der Markt mit Einheitsprodukten überschwemmt.

«Fairer Handel» zu eigenen Bedingungen
Im Laufe der Zeit wurde die Kritik an den Geschäftspraktiken von «Starbucks» lauter. Die Konzernleitung reagierte und ging eine Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation «Conservation national» ein. Seitdem rühmt sich «Starbucks», das 99 Prozent der Kaffeebohnen aus ethisch unbedenklicher Herkunft stammen würden. Nur – gemäss «Arte» arbeitet «Conservation national» gegen grosszügige Spenden mit internationalen Konzernen zusammen, die ihr Image aufpolieren wollen. Neben «Starbucks» gehören zum Beispiel «Walmart», «Disney» oder «Apple» zu den Partnern der Organisation.

Zusammen mit «Conservation national» gründete «Starbucks» sein eigenes Fair Trade-Label, das «C.A.F.E. Practices». Auch dieses Label ist umstritten, da sich «Starbucks» damit nur den eigenen Kriterien unterwirft. In Bezug auf fairen Handel kontrolliert sich das Unternehmen selbst.

Eigentlich verspricht «fairer Handel» höhere Preise für Kleinproduzenten. Eine solche Partnerschaft hilft den Bauern, die Zwischenhändler zu umgehen und so mehr Margen zu erzielen. Aber die Kleinproduzenten, die im Rahmen des Labels mit «Starbucks» zusammenarbeiten, wurden bald enttäuscht. Für den Kauf grosser Mengen forderte «Starbucks» trotzdem den Weg über einen Zwischenhändler. Dieser diktiert die Preise und Bedingungen, kauft die Kaffeebohnen bei den Bauern günstig ein, verarbeitet sie und verkauft sie teurer an «Starbucks».

Eine Million Bäume pro Jahr – für Becher
Obwohl sich «Starbucks» seiner Initiativen zum Schutz der Erde rühmt, ist der Becher, das Symbol des Unternehmens, noch immer nicht wiederverwertbar.

Die Becher haben innen eine dünne Kunststoffbeschichtung, die nicht von der äusseren Pappe getrennt werden kann. «Jahr für Jahr kommen vier Milliarden Becher in Umlauf», sagt Todd Paglia von der Umweltorganisation «Stand earth» gegenüber «Arte». «Jährlich werden über eine Million Bäume für diese Becher gefällt, die schliesslich auf der Mülldeponie landen.»

Für das Jahr 2015 hatte «Starbucks» wiederverwertbare Becher versprochen. Und sein Versprechen gemäss «Arte» nicht gehalten. Stattdessen gab es 2018 die Ankündigung, bis zum Jahr 2020 in allen Filialen Plastik-Trinkhalme abzuschaffen. Im selben Jahr kündigte der Kaffeegigant an, 10 Millionen Dollar für die Entwicklung umweltfreundlicher Becher zu investieren – ohne Zeitangabe.

Kreative Tricks zur Steuervermeidung
Im Oktober 2015 ermittelt die EU-Kommission gegen «Starbucks». Sie beschuldigt den Konzern, sich durch ein ausgeklügeltes System einen Wettbewerbsvorteil verschafft zu haben. So zahlte das Unternehmen zum Beispiel in Grossbritannien während Jahren keine Ertragssteuern – obwohl der Konzern dort knapp 900 Cafés betreibt. «Starbucks» hatte seine Europa-Zentrale im steuergünstigen Amsterdam eingerichtet. Zusätzlich schloss das Unternehmen mit den niederländischen Steuerbehörden ein geheimes Steuerabkommen ab.

Alle europäischen Starbucks-Filialen mussten bei der Zentrale in Amsterdam Lizenzen kaufen. Wegen dieser Ausgaben machte «Starbucks» unter anderem in Grossbritannien oder in Frankreich, während Jahren offiziell gar nie Gewinne – und musste keine Ertragssteuern bezahlen. Während der Konzern sein Angebot in den betreffenden Ländern stetig ausbaute und – am Beispiel von Frankreich – einen Umsatz von fast 100 Millionen Euro erwirtschaftete.

Die Europäische Kommission verurteilte «Starbucks Manufacturing» schliesslich zu einer Steuernachzahlung von rund 26 Millionen Euro. In der Zwischenzeit hat «Starbucks» seine Europazentrale nach London verlagert.

«Grosse Konzerne müssen Demokratie schützen»
Trotz all der Kritik wächst «Starbucks» weiter. Die Kunden stehen noch immer stundenlang Schlange, wenn eine neue Filiale eröffnet wird. Der Kaffee-Konzern nutzt Marketingstrategien, um sich als liberaler, humaner und umweltbewusster Arbeitgeber zu präsentieren. So wird ein Bild vermittelt, das nicht zur Realität passen will.

«Howard (Schultz, Anm.d.Red.) hat exzellente Führungsqualitäten auf allen Ebenen. Die Bürger der USA vertrauen den Institutionen nicht mehr. Sie vertrauen einander nicht einmal mehr von Mensch zu Mensch. Jetzt sind die grossen Konzerne gefordert. Sie stehen (…) für demokratische Werte und müssten diese schützen. Wir, die grossen multinationalen Unternehmen, müssen uns heute mehr denn je für die Schaffung einer besseren Welt einsetzen», sagt Scott Bedbury, ehemaliger Marketing-Direktor von «Starbucks» gegenüber «Arte».

Das klingt entweder wie eine Kampfansage, wie der Auftakt zum Wahlkampf für die US-Präsidentschaft. Oder: Wie leere Worte zur Beruhigung von Konsumenten.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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