Jeder Tropfen ein Gewinn?
Es ist eine kleine Nachricht, aber ein grosses Thema: Die Stadt Baltimore hat Anfang November als erste grössere US-Stadt die Wasserprivatisierung abgeschafft. Die Einwohner sprachen sich mit 77 Prozent der Stimmen für die Unveräusserlichkeit der Wasserversorgung aus, berichtete unter anderen die Nachrichtenagentur Reuters.
Die Abstimmung setzte einen Schlusspunkt unter die Erwägung, das veraltete und marode Wasser- und Abwassersystem einem privaten Versorger zu übergeben. Wasserrechts-Organisationen jubelten, die grossen Wasserversorger Veolia und Suez North America, die sich für die Übernahme interessiert hatten, kommentierten das Wahlergebnis nicht.
Private Wasserversorger sind teuer, öffentliche aber auch nicht besser
Die Gedanken, die der Abstimmung vorausgingen, zeigen auf, was sich weltweit auf dem Wassermarkt abspielt. Es gibt zunächst keinen Grund, davon auszugehen, dass ein Privatunternehmen die Wasserversorgung nicht ebenso gut gewährleisten kann wie ein öffentliches. Bis auf einen: Profit. Eine Stadt, die ihre Versorgung verkauft, profitiert davon einmal und hat künftig weniger laufende Kosten.
Ein Unternehmen, dessen Daseinszweck die Erwirtschaftung von Profiten ist, wird in den Vordergrund stellen, was sich auf den Wasserpreis niederschlägt. Ein US-Haushalt, der Wasser von einem privaten Versorger bezieht, zahlt im Schnitt 59 Prozent mehr dafür, als einer, der an öffentliche Versorger angeschlossen ist. Das rechnete die Non-Profit-Organisation «Food and Water Watch» aus, die dazu Daten gesammelt hat. Auf lange Sicht, ist «Food and Water Watch» überzeugt, rechnet sich die öffentliche Versorgung.
Haushalte, die an private Wasserversorger angeschlossen sind, zahlen laut «Food and Water Watch» 59 Prozent mehr für ihr Wasser. (Bild: Food and Water Watch)
Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass ein öffentlicher Versorger es schlechter macht als ein privater. Ausser: Popularität. Investitionen in das Wasser- und Abwassersystem sind quasi unsichtbar. Sie Wählern schmackhaft zu machen, ist schwierig und knappe Kassen können Folgen haben. Flint, wo die USA 2016 wegen sehr hoher Bleikonzentrationen im Trinkwasser den Notstand ausrufen musste, wird vom Staat versorgt. Ein privater Versorger hat weniger Probleme, Investitionen in die Infrastruktur zu machen.
Von löchrigen Rohren und hohen Profiten
Eine Journalistin, die sich vor der Abstimmung in Baltimore mit den Folgen einer möglichen Privatisierung beschäftigt hat, schreibt im «Pacific Standard» treffend: «Pipes get sleek; rates get steep». (Glatte Rohre, steigende Preise). Aber auch das ist kein absoluter Anhaltspunkt, was die Rohre betrifft. In Grossbritannien, wo die Wasserversorgung privatisiert ist, sind sie so löchrig, dass 20 Prozent des Wassers den Verbraucher gar nicht erreichen. Dabei ist die Wasserversorgung – für den Betreiber – äusserst profitabel.
Für die Verbraucher in Baltimore ändert sich zunächst wenig. Die Wasserversorgung bleibt in öffentlicher Hand, die ohnehin hohen Preise steigen wegen der nötigen Investitionen weiter. Als erste Gegenmassnahme hat die Verwaltung eine einkommensabhängige Deckelung der Wasserausgaben für Privathaushalte angekündigt, berichtet «The Real News». Dazu hat sie die Eintreibungspraxis geändert. Der Preis eines Grundbedürfnisses dürfe nicht dazu führen, dass einem Haushalt die Zwangsversteigerung drohe, weil er seine Wasserrechnungen nicht bezahlen kann.
Das macht deutlich, wie die Diskussion verläuft. Einerseits ist Wasser eine Ware wie andere auch. Je knapper sie ist, desto teurer wird sie. Andererseits gibt es seit 2010 das Menschenrecht auf den Zugang zu sauberem Trinkwasser. Für die einen kommt nach «Daten sind das neue Öl» jetzt «Wasser ist das neue Gold», für die anderen ist es ein unveräusserliches Recht.
Wo Wasser verbraucht wird
Den grössten Teil des Wassers braucht jedoch niemand zum Trinken. Nur 10 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs entfallen auf Haushalte. 70 Prozent nutzt die Landwirtschaft und etwa 20 Prozent verbraucht die Industrie als Kühlwasser oder für die Produktion von Gütern. Ein riesiger Wasserverbraucher ist Fracking, das derzeit als «saubere» Technologie propagiert wird, aber nicht nur viel Wasser benötigt, sondern es auch dauerhaft unbrauchbar macht.
Geniessbares Wasser ist eine kostbare Ressource. Der Grossteil wird jedoch nicht zum Trinken verwendet, sondern von der Landwirtschaft und der Industrie gebraucht.
Nicht nur im globalen Süden wird deshalb um Wasser gekämpft. Wer am Hahn sitzt, sichert sich nicht nur eine lebenswichtige Ressource, sondern auch die Gewinne daraus. Die Frage, ob Wasser ein Spekulationsgut ist, ist de facto beantwortet: Wasser gehört nicht nur denen, die darauf angewiesen sind, sondern vor allem denen, die sich davon Renditen erhoffen. Ihre Kunden sind zum Beispiel Lebensmittelkonzerne oder Ölgesellschaften wie Shell, Exxon und BP, schreibt Harry Elhardt in der Abhandlung «Von der Macht, Wasser zu besitzen» in «Die Gazette».
Wer Wasser verschmutzt, profitiert von laxeren Gesetzen
Sparen können Private wie Öffentliche zum Beispiel an der Wasser-Reinigung, deren Kosten ständig steigen. Sei es, weil der Rohstoff Wasser immer schmutziger wird, oder weil die Schädlichkeit vieler Verunreinigungen erst neu bekannt wird. Man denke an das Insektizid DDT und seine Abbauprodukte, das noch in den 1960er-Jahren massenhaft versprüht wurde, oder an Fluorverbindungen wie PFOA, deren Gesundheitsschädlichkeit erst nach und nach bekannt wurde. Und da wird die Sache schwierig. Wer Wasser nutzt, ist in der Regel auch derjenige, der es verschmutzt.
Die US-Umweltbehörde EPA hat Anfang Dezember eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, die den «Clean Water Act» nach Ansicht des Portals «Mother Jones» wesentlich schwächen würde. Das Gesetz war erst 2015 von der Obama-Administration überarbeitet worden, was vor allem Vertreter der Agrar-Lobby als Überbürokratisierung ablehnen. Diese, das sei offensichtlich, stecke nun auch hinter der Schwächung des Wasserschutzes. Die Änderung würde laut «Mother Jones» das Trinkwasser von einem Drittel der US-Amerikaner beeinflussen.
Und in Europa?
Die meisten europäischen Länder schaffen es bislang, Trinkwasser in guter Qualität und ausreichender Menge für einen bezahlbaren Preis zur Verfügung zu stellen. Entscheidungen, ob die knappe Ressource besser der devisenbringenden Landwirtschaft oder den Endverbrauchern zu Verfügung stehen soll, gibt es selten. Doch auch in der EU steigt der Druck. Mit dem Freihandelsvertrag JEFTA soll der Marktzugang für Private geöffnet werden. Entscheiden, wie weit sie den Markt öffnen, können die Nationalstaaten jedoch selbst. Falls sie können. Griechenland beispielsweise wurde im Rahmen der Austeritätspolitik «empfohlen», seine Wasserversorgung zu privatisieren…
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine