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Cover-Ausschnitt © edition e. wolff

Das Finanzmarkt-Casino hat die Politik im Griff

Ernst Wolff /  Die Politik schafft es nicht, eine nächste grosse Krise zu verhindern. Sie kapituliert vor der Supermacht der «Finanzmärkte». (1)

upg. Das Folgende ist ein Ausschnitt von Ernst Wolffs neuem Buch «Finanz Tsunami – wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht».

Dass «Geld die Welt regiert», wird von niemandem mehr ernsthaft bestritten. Die Art und Weise, wie es seine Macht ausübt, hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten allerdings erheblich verändert. Hielt sich vor allem das grosse Geld früher eher diskret im Hintergrund, so hat es diese Zurückhaltung weitgehend aufgegeben und sonnt sich heutzutage geradezu im Rampenlicht – vor allem in Gestalt der «Finanzmärkte».

Kaum eine Nachrichtensendung, in der nicht danach gefragt wird, was denn die Finanzmärkte zu dieser oder jener Entscheidung sagen. Werden wichtige politische Weichen gestellt, so wird zuerst einmal überlegt, wie denn die Finanzmärkte darauf reagieren könnten. Wollen Politiker oder Wirtschaftler Vorschläge der Konkurrenz in ein schlechtes Licht rücken, verweisen sie einfach auf deren negative Auswirkungen auf die Finanzmärkte.

Die Finanzmärkte scheinen zum Mass aller Dinge geworden zu sein. Wieso? Was hat ihnen so viel Macht verliehen? Wer ist für diese Entwicklung verantwortlich? Werfen wir einen kurzen Blick auf ihre Geschichte: Der Aufstieg des Finanzkapitals , aus dem die heutigen Finanzmärkte hervorgegangen sind, begann im 19. Jahrhundert. Damals sorgten die Banken durch das Verleihen von Geld – die Kreditvergabe – dafür, dass die Industrie durch Investitionen wachsen konnte. Nach und nach gewannen sie durch die Einnahme von Zinsen immer mehr Macht und Einfluss, bis sie mit Beginn des 20. Jahrhunderts – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – das wirtschaftliche und politische Geschehen aus dem Hintergrund zu lenken und zu leiten begannen.

Getrieben vom Hunger nach immer höheren Profiten entstand ein zunehmend schärferer internationaler Wettbewerb. Er gipfelte in kriegerischen Konflikten, die von den Banken wiederum zur Kreditvergabe genutzt wurden. Nach zwei Weltkriegen übernahmen die vor allem durch diese Kreditvergabe zur Weltmacht aufgestiegenen Finanzinstitute der New Yorker Wall Street die globale Führung. Auf der Konferenz von Bretton Woods wurde 1944 von der Politik ein Währungssystem ins Leben gerufen, das ganz und gar auf die Bedürfnisse der Wall Street zugeschnitten war und die gesamte Welt der Herrschaft des US-Dollars unterwarf.

Deregulieren liess Finanzsektor explodieren

Der anschliessende Nachkriegsboom schürte bei vielen Menschen die Illusion, dass nun auf der Grundlage ungebrochenen Wachstums ein Zeitalter des Friedens und des Wohlstands angebrochen sei. Mit dem Ende dieses Booms zu Beginn der Siebzigerjahre stiess das Finanzkapital jedoch an die ihm gesetzten Grenzen. Die Politik reagierte und verhalf ihm im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts durch die «Deregulierung» – die Abschaffung verschiedenster rechtlicher Einschränkungen – zum grössten Schub seiner Geschichte. Diese Deregulierung liess den Finanzsektor förmlich explodieren und ermöglichte es dem internationalen Finanzkapital, sich zu einem erheblichen Teil von der Realwirtschaft zu lösen, ihre Grösse innerhalb weniger Jahre um ein Vielfaches zu übertreffen und unter dem Namen «die Finanzmärkte» ein nie dagewesenes Eigenleben zu beginnen.

Dabei ist der Begriff «Finanzmärkte» selbst irreführend: Die klassischen Märkte waren Handelsplätze, auf denen sich Käufer und Verkäufer gleichberechtigt gegenüberstanden und der Preis der Waren durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt wurde. Die Finanzmärkte von heute haben weder mit Gleichberechtigung noch mit Angebot und Nachfrage zu tun. Sie werden gelenkt, gesteuert und manipuliert, und zwar von den grossen Investoren dieser Welt, d.h. internationalen Grossbanken, Hedgefonds, multinationalen Konzernen und seit einiger Zeit in immer grösserem Ausmass von den Zentralbanken.

Häufig unterschätzter Einfluss

Auch wenn wir uns der Ursache häufig nicht bewusst sind, spüren wir alle tagtäglich die Auswirkungen: Das Geschehen an den Finanzmärkten beeinflusst die Höhe unseres Lebensstandards und entscheidet darüber, welche Ausbildungs- und Beschäftigungschancen wir haben, ob wir im Krankheitsfall abgesichert oder im Alter versorgt sind. Es legt fest, wer uns regieren darf und wann und unter welchen Umständen unsere demokratischen Freiheiten eingeschränkt werden können, wie weit Klima und Umwelt zerstört und bis zu welcher Höhe zukünftige Generationen mit Schulden belastet werden dürfen, die sie selbst nicht zu verantworten haben. Sogar die Frage, ob wir in Frieden leben oder von sozialen Unruhen oder gar von Krieg und im schlimmsten Fall von einer nuklearen Katastrophe bedroht werden, hängt letztlich vom Geschehen an den Finanzmärkten ab.

Trotz dieser enormen Bedeutung scheuen die meisten Menschen davor zurück, sich näher mit der Wirkungsweise und den Gesetzmässigkeiten unseres Finanzsystems zu beschäftigen. Viele fürchten, die Zusammenhänge auch bei genauem Hinsehen nicht zu verstehen. Gleichzeitig aber verspüren sie aufgrund der von den Finanzmärkten ausgehenden Veränderungen ein zunehmend mulmiges Gefühl.

Extreme Konzentration von Reichtum und Vermögen

Kein Wunder, denn neben den am eigenen Leib gemachten Erfahrungen ist die arbeitende Bevölkerung der gesamten Welt heute mit einigen zutiefst beunruhigenden Entwicklungen konfrontiert. Eine der wichtigsten dürfte die Explosion der sozialen Ungleichheit sein. Die Hilfsorganisation Oxfam hat festgestellt, dass im Jahr 2014 fünfundachtzig Personen, im Jahr 2015 nur noch zweiundsechzig Personen und 2016 noch ganze acht Personen über das gleiche Vermögen verfügten wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Das US-Magazin Forbes hat im März 2017 berichtet, dass die Zahl der Milliardäre 2016 weltweit um insgesamt 233 auf 2’043 und ihr Reichtum im selben Zeitraum auf 7,67 Billionen Dollars angestiegen ist.

Auch wenn diese Zahlen nur grobe Schätzwerte sein können, so enthüllen sie doch mehr als nur ein krasses Missverhältnis. Sie verdeutlichen, dass auch der Einkommensabstand zwischen den Menschen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, und denen, die von ihrem Vermögen leben können, nicht nur grösser ist als jemals zuvor, sondern in einem nie dagewesenen Tempo zunimmt.

Erbrecht und Steueroasen als Beschleuniger

Hinzu kommt, dass dieser Trend durch die bestehenden Gesetze nicht abgemildert, sondern sogar noch gefördert und beschleunigt wird: Das Erbrecht begünstigt wohlhabende Erben gegenüber Bürgern aus einfachen Einkommensverhältnissen und das Steuerrecht bittet Arbeitseinkommen grundsätzlich stärker zur Kasse als angehäufte oder ererbte Vermögen – und zwar weltweit. Ganz zu schweigen von den zahllosen legalen Steueroasen, die den Wohlhabenden und ihren Unternehmungen rund um den Globus zur Verfügung stehen, während Sparer, die ihr hart erarbeitetes Geld im eigenen Land anlegen, immer weniger Zinsen erhalten und sogar damit rechnen müssen, dass ihnen durch Negativzinsen ein Teil ihres Geldes genommen wird.

Auch die Zunahme militärischer Konflikte, die daraus resultierenden Flüchtlingsströme, die weltweite Aufrüstung und die immer häufigeren Terrorakte bereiten den Menschen Angst. Am tiefsten aber verunsichert sie das Verhalten von Politik und Medien: Während die Medien verkaufsfördernd zwischen Euphorie und Panikmache hin- und herschwanken, flüchten sich Politiker fast einhellig in Besänftigung, Beschwichtigung und Verharmlosung. Dabei wirken sie in Wirtschafts- und Finanzfragen oft überfordert, unzureichend informiert oder weitgehend ahnungslos und weisen vor allem für die jüngere Vergangenheit eine verheerende Bilanz auf.

Versagen der Politik

Selbst nach dem Beinahe-Crash des globalen Finanzsystems von 2008 und während der immer wieder aufflackernden Eurokrise haben Politiker trotz zahlreicher Ankündigungen und Versprechungen nicht eine einzige wirksame Massnahme getroffen, um die Auswüchse an den Finanzmärkten einzudämmen und gefährliche Fehlentwicklungen zu stoppen. Im Gegenteil: Zunächst haben sie die Verursacher der Krise über alle nationalen Grenzen hinweg für «too big to fail» («zu gross, um sie zusammenbrechen zu lassen») erklärt und sie vor dem Bankrott gerettet, indem sie private Verluste durch öffentliche Gelder (Steuern) ausglichen.
Seit 2008 lassen sie ihnen unter dem Vorwand, die lahmende Wirtschaft wieder ankurbeln zu wollen, von den Zentralbanken Unmengen an Geld zur Verfügung stellen – obwohl offensichtlich ist, dass diese Summen nicht als Kredite in die Realwirtschaft, sondern zum überwiegenden Teil zur Spekulation in den Finanzsektor fliessen und das System so noch instabiler, krisenanfälliger und unsozialer machen. [upg. Einen Kollaps wie nach 1929 haben Notenbanken und Regierungen mit einer Geldschwemme wohl erfolgreich verhindert. Seither aber hätten sie diese risikoreiche Politik längst zurückfahren müssen.]

Zu ihrer Rechtfertigung beruft sich die Politik auf die immer gleichen Argumente: Die Massnahmen seien [weiterhin] notwendig und unumgänglich, da die Finanzmärkte sonst Schaden nehmen oder gar zusammenbrechen könnten. Der Logik der offiziellen Politik zufolge handelt es sich bei den Finanzmärkten um eine dem Willen der Menschen entzogene Macht, der wir uns alle – so wie dem Wetter oder anderen Naturphänomenen – fügen müssen.

Ist das wirklich so? Sind die Finanzmärkte tatsächlich etwas, auf das wir keinen Einfluss haben, deren Kapriolen und deren zum Teil verheerenden Konsequenzen wir widerspruchslos hinnehmen müssen? Sind wir gezwungen, tatenlos mit anzusehen, wie die Welt um uns herum immer instabiler, unsicherer und unsozialer wird? Oder wird uns das nur gesagt, um uns ruhig zu stellen und zu verhindern, dass wir uns dagegen auflehnen? Verbirgt sich hinter dem Bild, das uns seit Jahren von den Finanzmärkten vermittelt wird, vielleicht etwas, das wir nicht wissen oder nicht wissen sollen?

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ernst Wolff ist freier Journalist.

Er publizierte soeben das Buch «Finanz Tsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht», edition e. wolff, 27.90 CHF.
Früher hatte er «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs» im Tectum-herausgegeben, 26.90 CHF.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Euro- und Währungskrise

Noch mehr Geldspritzen und Schulden bringen die Wirtschaft nicht mehr zum Wachsen. Sie führen zum Kollaps.

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3 Meinungen

  • am 2.10.2017 um 09:52 Uhr
    Permalink

    Casino-Kapitalismus:
    Jean Ziegler wird deswegen seit Jahren belächelt, verhöhnt und gar zu irrsinnigen Bussen verklagt. Also aufgepasst, solche Aussagen können teuer zu stehen kommen…

  • am 2.10.2017 um 12:44 Uhr
    Permalink

    Ich spür das verarmt sein täglich. 50+ , seit längerem auf Stellensuche und praktisch chancenlos. Da bleibt nur der Weg vom RAV ins Sozialamt – einer/eine von vielen – noch wenig beachtet, weil die derzeit noch Einkommen-Habenden den Kopf im Sand gesteckt halten (Angst). Die Wirtschaft regiert und die Finanzbosse (u.a. Banken) optimieren für die Milliardäre die Gewinne. Vollgeldinitiative auf jeden Fall JAAAAAAA

  • am 16.12.2017 um 08:00 Uhr
    Permalink

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