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Europäische Zentralbank EZB in Brüssel kauft in grossen Mengen Anleihen von Staaten und Konzernen © cc

EU-Kommission und EZB haben Katalonien erpresst

Ernst Wolff /  Die EU drohte, die EZB werde keine Anleihen katalanischer Banken und Firmen mehr kaufen. Madrid machte per Dekret gerne mit.

Im Streit um die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens zeigte sich letzte Woche, wie Finanzindustrie und Politik zusammenarbeiten, um ihre Macht aufrechtzuerhalten und die eigenen Interessen auch unter Missachtung bisher geltender Gesetze durchzusetzen.

Am 5. Oktober verkündete die EU-Kommission, dass ein unabhängiges Katalonien kein Mitglied der EU bleiben könne und sein Finanzsystem demzufolge von der Finanzierung durch die Europäische Zentralbank EZB abgeschnitten werde.

Bei verschiedenen spanischen Banken und Grossunternehmen, die ihren Hauptsitz in Katalonien haben, kam es umgehend zu Krisensitzungen. Sie sind zum Überleben auf EZB-Nullzinskredite angewiesen, diverse Konzerne brauchen die EZB als einen wichtigen Aufkäufer ihrer Unternehmensanleihen.

Das Ganze ist eine Erpressung, weil das Aufkaufprogramm der EZB sich nicht nur auf EU-Staaten beschränkt. So kauft die EZB auch Anleihen von Schweizer Konzernen, obwohl die Schweiz nicht Mitglied der EU ist. [Siehe Diskussion darüber unten bei den Meinungseinträgen.]

Regierungsdekret erlaubt sofortiges Verlegen von Firmensitzen

Die Chefs der Banken und Grossunternehmen wandten sich nach der Drohgebärde aus Brüssel in grösster Sorge an Premier Rajoy und baten um Hilfe. Rajoy zeigte sich einmal mehr als treuer Gefolgsmann der Finanzelite und handelte umgehend: Bereits am 6. Oktober verabschiedete seine Regierung ein Dekret, das es spanischen Unternehmen erlaubt, ihren offiziellen Firmensitz innerhalb von 24 Stunden in andere Landesteile zu verlegen. Ausserdem entbindet es sie der gesetzlich verankerten Pflicht, vor einer derartigen Entscheidung das Einverständnis ihrer Aktieninhaber einzuholen. Es genügt ein Entscheid des Verwaltungsrats.

Normalerweise dauern Gesetzgebungsverfahren auch in Spanien Jahre, doch die Öffentlichkeit hat sich dort wie anderswo an die Erklärung der Politik gewöhnt: Wenn es um «die Finanzmärkte» und um «systemrelevante Institutionen» geht, wird ganz einfach der Notstand erklärt und geltendes Recht ausser Kraft gesetzt.

Kaum war das Dekret erlassen, da verlegten die beiden wichtigsten in Katalonien ansässigen Banken ihre Firmensitze. Die Caixabank, mit 18,8 Millionen Kunden Spaniens führende Privatkundenbank, zog offiziell nach Valencia. Zu diesem Zweck musste aber nicht einer der 37’000 Mitarbeiter oder auch nur eine der 5’468 Filialen verlegt werden – es reichte ein simpler Mausklick.

Spaniens fünftgrösste Bank Sabadell hatte bereits drei Tage vorher angekündigt, Katalonien den Rücken zu kehren und verlegte den Firmensitz nach Alicante. Gas Natural, einer der grossen Energiekonzerne Spaniens und einer der Hauptprofiteure des Aufkaufprogramms von Unternehmensanleihen durch die EZB, entschied sich für Madrid, genauso wie die Hotelketten Derby und Unico, die Werbeagentur WPP, die Medienfirma Schipsted und der mittelständische Pharmaziekonzern Oryzon Genomics SA.

Der Vorgang zeigt deutlich, wie Politik und Finanzwirtschaft sich innerhalb der EU in die Hände spielen: Die Politik hilft Konzernen und Banken, sich auch im Falle einer Abspaltung Kataloniens weiter aus den Töpfen der EZB zu bedienen. Im Gegenzug darf die politische Führung ihre Staatsanleihen weiterhin der EZB verkaufen und sich so mit billigem Geld versorgen lassen – in einem Land, dessen Bankensystem seit Jahren von der EZB künstlich am Leben erhalten wird und dessen politische Elite zu den korruptesten in Europa zählt.
Gegner der Unabhängigkeit brachten katalonische Bank in Schwierigkeiten
Es gab aber noch einen weiteren Grund für Rajoys blitzschnelles Handeln, der in den Medien weitgehend unerwähnt blieb. In der vergangenen Woche zeichnete sich nämlich ein Run auf die Banken in Katalonien ab, von dem insbesondere die Bank Sabadell betroffen war. Ein Teil der Gegner der Unabhängigkeit begannen, ihr Geld abzuziehen, weil sie dem Geldhaus übel nahmen, dass es seinen Hauptsitz in Katalonien hatte. Nun droht der Bank das Umgekehrte: Viele Befürworter der Unabhängigkeit werden ihr Geld abziehen, weil die Bank ihren Hauptsitz nach Valencia verlegt hat.
Katalonien verliert nach Sitzverlegungen Steuereinnahmen
Die Situation zeigt, wie verfahren die Lage in Spanien ist. Sämtliche Massnahmen der Zentralregierung schaden Kataloniens Finanzen, weil sie der autonomen Gemeinschaft Steuergelder entziehen. Eine Kompromisslösung scheint äusserst schwierig, denn keine der beiden Seiten kann zurückrudern, ohne bei der eigenen Anhängerschaft das Gesicht zu verlieren. Es wird also wahrscheinlich zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes kommen, von der man eines bereits sagen kann: Finanzelite und Politik werden sie nutzen, um weiterhin Hand in Hand marschieren und gemeinsam dafür zu sorgen, dass der EZB-Geldfluss in ihre Richtung nicht versiegt.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ernst Wolff ist freier Journalist.

Er publizierte soeben das Buch «Finanz Tsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht», edition e. wolff, 27.90 CHF.
Früher hatte er «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs» im Tectum-herausgegeben, 26.90 CHF.

Zum Infosperber-Dossier:

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13 Meinungen

  • Portrait_Urs_Schnell
    am 9.10.2017 um 13:09 Uhr
    Permalink

    Sie schreiben: «Das Ganze ist eine Erpressung, weil das Aufkaufprogramm der EZB sich nicht nur auf EU-Staaten beschränkt. So kauft die EZB auch Anleihen von Schweizer Konzernen, obwohl die Schweiz nicht Mitglied der EU ist.»
    Auf welchen Grundlagen beruht die erwähnte Regelung des Anleihenkaufs zwischen der EU und der Schweiz?

  • Portrait_Urs_Schnell
    am 9.10.2017 um 13:11 Uhr
    Permalink

    Ich muss die Frage korrigieren:
    Auf welchen Grundlagen beruht der EZB-Ankauf von Schweizer Anleihen?

  • am 9.10.2017 um 14:21 Uhr
    Permalink

    Da braucht es weder ein Gesetz noch einen Vertrag. Die EZB kann wie die Schweizer Nationalbank beliebige Obligationen von Staaten oder Unternehmen kaufen, um die Geldmenge zu erhöhen. Meistens beschränken sich die Nationalbanken auf Obligationen mit gutem Rating.
    Eine Erpressung ist die Aussage der EU-Kommission – von der EZB unwidersprochen – , dass die EZB keine Anleihen von Firmen mit Sitz in Katalonien mehr kaufen würde, wenn (=weil) Katalonien nicht mehr zur EU gehören würde. Das tönt so, als ob die EZB nur Obligationen von Firmen mit Sitz in der EU kaufen dürfte. Das ist nicht der Fall. Die EZB kauft auch Obligationen von Konzernen mit Sitz in der Schweiz.

  • Portrait_Urs_Schnell
    am 9.10.2017 um 14:32 Uhr
    Permalink

    Kapiert. Dann ist wohl die Aussage der EU-Kommission entweder unpräzis oder kolportiert.
    Gemeint ist wohl, die EZB könne keine Anleihen von einem Nicht-EU-Mitglied kaufen, wenn dieses vorher einseitig die Unabhängigkeit von einem EU-Mtigliedstaat erklärt hat?

  • am 9.10.2017 um 14:49 Uhr
    Permalink

    @ Urs Schnell: Meines Erachtens ist Ernst Wolffs Formulierung irreführend und dient dazu, seiner Erpressungshypothese Gewicht zu verleihen.

    Dass die EZB – oder um präziser zu sein: die nationalen Zentralbanken des Eurosystems – im Rahmen des CSPP (Corporate sector purchase programme) Anleihen von Schweizer Unternehmen kauft, trifft zwar zu. Dafür müssen allerdings zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss es sich um Anleihen handeln, die in Euro denominiert sind. Zweitens müssen die Anleihen in der Eurozone emittiert worden sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich beim in der Eurozone domizilierten Unternehmen um ein Tochterunternehmen mit Konzernhauptsitz in der Schweiz, Burkina Faso oder eben einem unabhängigen Nicht-EU-Mitglied Katalonien handelt – entscheidend ist einzig, dass das emittierende Unternehmen juristisch seinen Sitz in der Eurozone hat.

    Bei aller Sympathie für Katalonien: Die EU vertritt seit jeher die Position, dass eine Region, welche sich von einem EU-Land abspaltet, nicht automatisch EU-Mitglied wird. Vielmehr müsste Katalonien den «normalen» Prozess durchlaufen, um der EU beizutreten (und Spanien könnte de facto ein Veto gegen einen Beitritt einelgen). Damit die katalanischen Unternehmen weiterhin vom EZB-Anleihenkaufprogramm profitieren könnte, müssten sie ganz einfach in Spanien oder anderen Euroländern Niederlassungen eröffnen. Oder eine eigene Zentralbank mit eigener Währung würde die katalanischen Unternehmensanleihen kaufen.

  • am 9.10.2017 um 14:56 Uhr
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    @ Urs P. Gasche: Meines Wissens kauft die EZB nur Obligationen von Schweizer Firmen, wenn diese Obligationen von Tochterfirmen im Euroraum und in Euro begeben wurde:

    "Bonds issued by issuers incorporated in the euro area are eligible for CSPP purchases.

    In practical terms, this means that issuers must be euro area residents, as in the list of marketable assets eligible as collateral for Eurosystem liquidity-providing operations. The location of incorporation of the issuer’s ultimate parent is not taken into consideration in this eligibility criterion. Thus, corporate debt instruments issued by corporations incorporated in the euro area but whose ultimate parent is not established in the euro area are eligible for purchase under the CSPP, provided they fulfil all other eligibility criteria."

    Quelle: https://www.ecb.europa.eu/mopo/implement/omt/html/cspp-qa.en.html

  • am 9.10.2017 um 16:48 Uhr
    Permalink

    Danke für diese Präzisierungen. Allerdings werden diese Banken und Konzerne mit Hauptsitz in Katalonien ihre Anleihen wie bisher in Euro herausgeben und Tochterfirmen in EU-Ländern haben. Wie Sie zitieren: «The location of incorporation of the issuer’s ultimate parent [i.g. Catalonia] is not taken into consideration in this eligibility criterion.»

  • am 9.10.2017 um 17:17 Uhr
    Permalink

    @Urs P. Gasche: Eben. Darum ist die angebliche Erpressung Kataloniens durch die EU-Kommission bzw. die EZB eine Fiktion. Ernst Wolff schreibt: «Das Ganze ist eine Erpressung, weil das Aufkaufprogramm der EZB sich nicht nur auf EU-Staaten beschränkt. So kauft die EZB auch Anleihen von Schweizer Konzernen, obwohl die Schweiz nicht Mitglied der EU ist."

    Die EZB kauft nur Anleihen, die von Tochterfirmen von Schweizer Firmen in EU-Ländern begeben wurden. Im Falle von Nestlé wurden die Bonds von einer belgischen Tochter begeben, im Falle von Glencore wurden die Anleihen von einer Finanzgesellschaft auf einer britischen Kanalinsel emittiert. Katalanische Banken und Unternehmen könnten also nach einer Sezession Kataloniens (wie der Banco Sabadell oder CaixaBank) ihren Hauptsitz de jure in ein EU-Land verlegen oder (wie Nestlé oder Glencore) in einem EU-Land eine Niederlassung gründen – dann kämen sie weiterhin in den Genuss von Finanzierungsvorteilen durch die EZB-Programmn.

    Von einer Benachteiligung katalanischer Firmen gegenüber Schweizer Firmen, wie von Ernst Wolff insiuiert, käme es also nicht. Die EU-Kommission und die EZB haben nur wiederholt, was seit langem klar ist: Spaltet sich eine Region von einem EU-Mitglied ab, ist dieser neue Staat kein EU-Mitglied. Die EZB hat NICHT gesagt, dass sie keine Anleihen von EU-Tochterfirmen katalanischer Konzerne kaufen würde. Katalanische Unternehmen wären mit Schweizer oder US-Firmen völlig gleichgestellt.

  • am 9.10.2017 um 17:22 Uhr
    Permalink

    Ernst Wolff schreibt: «Am 5. Oktober verkündete die EU-Kommission, dass ein unabhängiges Katalonien kein Mitglied der EU bleiben könne und sein Finanzsystem demzufolge von der Finanzierung durch die Europäische Zentralbank EZB abgeschnitten werde.» Letzteres ist eine Drohung, wenn auch offensichtlich eine leere, weil die katalonischen Unternehmen von der EZB-Finanzierung nicht ausgeschlossen wären. Oder sehe ich das falsch?

  • am 9.10.2017 um 17:31 Uhr
    Permalink

    Die EU-Kommission, die EZB, die Altfrancisten und Burbonen, und nun auch noch die Sozialisten (PSOE) gemeinsam gegen die Autonomie der Katalanen! Dabei geht es auch um die Autonomie ūber ihre Finanzen, etwas was den Basken zugestanden wird.

  • am 9.10.2017 um 17:47 Uhr
    Permalink

    Je nach journalistischem Skandalisierungsbedürfnis kann man die Aussage der EU-Kommission als Drohung an die katalanischen Sezessionisten interpretieren, klar. Neues hat die EU-Kommission aber de facto nicht verkündet: Dass ein Nicht-EU-Mitglied nicht Teil des Eurosystems sein kann, ist altbekannt. Die insinuierte Ungleichbehandlung zwischen Katalonien und der Schweiz ist – wie oben aufgezeigt – schlichtweg eine Irreführung des Lesers.

  • am 9.10.2017 um 17:57 Uhr
    Permalink

    Der Satz «Das Ganze ist eine Erpressung, weil das Aufkaufprogramm der EZB sich nicht nur auf EU-Staaten beschränkt» kann vielleicht missverstanden werden. Aber es ist doch so (siehe obige Einträge), dass Unternehmen mit Hauptsitz ausserhalb der EU vom Aufkaufprogramm der EZB ebenfalls profitieren können – unter den Bedingungen, die Sie wohl korrekt angegeben haben. Die EZB kauft Anleihen von Schweizer Konzernen, wie sie auch Anleihen von katalanischen Unternehmen weiter kaufen könnte. Ein Konzern besteht immer aus Hauptsitz und zugehörenden Unternehmen in vielen Ländern.

  • am 16.12.2017 um 08:01 Uhr
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