Glosse
Das bedingungslose Grundeinkommen im Praxistest
Red. Diese Glosse vom 20.1.2017 veröffentlichen wir auf Wunsch von Lesern und Leserinnen jetzt übersetzt auf Deutsch. Marc Chesney ist Professor der Finanzwissenschaften an der Universität Zürich. Er verfolgt die Politik in Frankreich.
Zwei Themen beherrschten in den letzten Tagen die Debatte rund um die französischen Präsidentschaftswahlen: die fiktiven Anstellungen des Kandidaten François Fillon und das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen, das Kandidat Benoît Hamon vorschlägt. Doch die offiziellen Meinungsmacher in Frankreich haben es – trotz ihrem Scharfsinn – verpasst, diese beiden Themen miteinander in Verbindung zu bringen.
Ein Zusammenhang besteht jedoch sehr wohl. Denn zahlreiche Parlamentarier, rechte wie linke, haben – selbstverständlich aus reinem Gemeinsinn und mit grosser Diskretion – das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen an ihren Liebsten getestet. Die Form des Grundeinkommens, welche diese Politiker wählten, war freilich nicht wirklich allgemein, kommt es doch vor allem ihren Gattinnen, Kindern und Mätressen zugute. Überdies kann man nicht wirklich von einem Grund-Einkommen sprechen, da es nicht in der Grössenordnung von 600 oder 750 Euro liegt, sondern offensichtlich 5000 bis 7000 Euro pro Monat erreicht.
Diese extrem hohen Beträge für ein Grundeinkommen wählten sie zweifellos mit der Absicht, dass der Test eindeutige Ergebnissen bringt. Die wesentliche Eigenschaft eines allgemeinen Grundeinkommens bleibt dabei erhalten: Es ist bedingungslos. Die betroffenen parlamentarischen Zudiener beziehen es ganz unabhängig von ihrer tatsächlichen Arbeit. Ob sie zum Coiffeur gehen oder zum Fischen, ob sie sich um ihre Kinder kümmern oder irgendwelche Papiere verfassen – sie bekommen auf jeden Fall ihr Einkommen.
Die Bezüger haben sich seit vielen Jahren als Versuchskaninchen für die höheren Interessen Frankreichs geopfert. Das erlaubt es jetzt den teilnehmenden Parlamentariern, das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens äusserst gründlich zu analysieren.
Den Ergebnissen dieser Analysen ist es vermutlich zuzuschreiben, dass die Mehrheit der Politiker die Idee eines Grundeinkommens ablehnt. Mit Grund: Sie sind inzwischen wahre Experten in Sachen Grundeinkommen. Als intime Kenner können sie bestätigen, wie sehr ein solches bedingungsloses Einkommen ihre Lieben zum Müssiggang und in die völlige Abhängigkeit vom Staat geführt hat.
Das wollen sie dem Rest der Bevölkerung ersparen.
Auch für François Fillon hat sich das Auszahlen dieser Art bedingungsloses Grundeinkommen nicht gelohnt. Es hat ihn politisch geschwächt. Er versuchte, die Lage wieder in den Griff zu bekommen, indem er einen Satz von sich gab, der eine gewisse Klarheit aufweist: Er sei darin bestärkt worden, dass in der französischen Demokratie «etwas faul sei».
Diesmal sind die Franzosen mit ihm einverstanden. Jede Wette!
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Die erste Fassung dieser Glosse erschien am 31. Januar auf französisch in der «Tribune de Genève».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Marc Chesney ist Professor der Finanzwissenschaften an der Universität Zürich.
Nun, im Prinzip machen wir dieses Experiment schon seit vielen Jahren mit CxOs von Grossfirmen: Sie verdienen zum Beispiel angemessene 500’000 pro Jahr, und bekommen zusätzlich ein bedingungsloses Grundeinkommen von zwischen einer und 20 Millionen ausbezahlt (Diese Grundeinkommen ist in der Tat bedingungslos, da sie es immer bekommen, auch dann, wenn sie etwa strafbare Handlungen, die unter ihrer Verantwortung geschehen, nicht bemerken oder gar wenn sie ihre Firma an die Wand fahren. Oft bekommen sie es auch dann, wenn sie die Firma verlassen, oder wenn sie neu in die Firma eintreten.)
Um so erstaunlicher ist es ja, dass gerade diese Kreise sich oft gegen ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen aussprechen.