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McDonald's Frankreich sieht sich mit Vorwürfen von sexuellen Übergriffen konfrontiert © pixabay

Sexuelle Gewalt: In der Hölle der McDonald’s-Angestellten (1)

Tobias Tscherrig /  Eine umfangreiche Recherche deckt eine Reihe von sexuellen Übergriffen in den McDonald's-Filialen von Frankreich auf.

Nachdem sie von mehreren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von McDonald’s, dem Kollektiv McDroits und dem Netzwerk React über alarmierende Arbeitsverhältnisse in den Filialen der französischen McDonald’s-Restaurants informiert worden waren, recherchierten die Online-Portale «mediapart» und «Street Press» während zwei Monaten über das Management in den entsprechenden Restaurants.

Die Ergebnisse sind erschreckend: Die Journalistinnen und Journalisten sammelten mehr als 78 Erfahrungsberichte von McDonald’s-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern aus Frankreich, die alle ein «schwieriges Arbeitsumfeld» beschreiben. Konkret geht es um sexistische, rassistische und homophobe Äusserungen – und um sexuelle Übergriffe.

Ein Problem, das nicht nur Frankreich betrifft: McDonald’s-Angestellte auf der ganzen Welt würden von systematischer sexueller Belästigung berichten, schreibt «mediapart». Die Rechercheurinnen und Rechercheure kritisieren die Fast-Food-Kette für ihre «organisierte Verantwortungslosigkeit». Dem Unternehmen gelinge es dank der «Zersplitterung seiner Unternehmen, die Verpflichtungen eines Arbeitgebers für eine Gruppe dieser Grösse zu umgehen.» (Mehr dazu im Infosperber-Beitrag «Wie McDonald’s seine Verantwortungslosigkeit organisiert».)

«Beleidigungen und sexuelle Äusserungen gehören zum Alltag»
Während der Recherche untersuchten die Journalistinnen und Journalisten mehrere Dutzend administrative und juristische Dokumente und sprachen mit fast sechzig involvierten Personen. Darunter zum Beispiel auch mit Managern, Direktoren, Franchisenehmern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hauptverwaltung, Anwälten, Gewerkschaftern sowie mit Angestellten der Fast-Food-Kette.

So trugen die Journalistinnen und Journalisten insgesamt 38 Zeugnisse von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen, die sich als Opfer von einem «gewalttätigen und sehr oft sexistischen Management» darstellen. Dazu kommen 40 Fälle, die vom Kollektiv McDroits und dem Netzwerk React gesammelt wurden.

Die Fälle, die «mediapart» auf mehreren Seiten im Detail beschreibt, sind manchmal schwer zu verdauen. Sie reichen von unangebrachten Bemerkungen oder Beleidigungen in Bezug auf Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung, Trans-Identität – bis hin zu schwerster sexueller Gewalt.
In einigen Restaurants, darunter auch Franchise-Nehmer, berichten mehrere Zeugen, dass Äusserungen mit sexuellen Konnotationen zum Alltag gehören. Eine Empfangsdame gibt zum Beispiel an, dass ihr Manager sie nur wegen der Grösse ihrer Brüste angestellt hat. Eine Mitarbeiterin einer anderen Filiale berichtet, dass ein Manager «mit sehr groben sexuellen Bemerkungen» auf sie reagiert habe. Wie «McDroits» berichtet, sind auch schwarze oder arabische Angestellte und Frauen, die einen Schleier tragen, Verachtung und Entmenschlichung ausgesetzt. So habe etwa ein neuer Franchisenehmer mit den Worten «Wir werden hier alles schöner machen», sämtliche «Schwarzen und Araber» entlassen.

Andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprechen von regelmässigen rassistischen Beleidigungen. «Stigmatisierende Bemerkungen über homosexuelle oder bisexuelle Teamkollegen sind bei McDonald’s ebenfalls gängige Praxis», so McDroits gegenüber «mediapart». McDonald’s präsentiere sich gerne als grosse Familie, sagt der Sprecher von McDroits. «Das hat zur Folge, dass bei sexistischen Äusserungen niemand das Thema zur Sprache bringt, um keine schlechte Atmosphäre zu schaffen, weder die Manager noch die Teamkollegen.»

«Vergewaltigung auf Party»
Eine 21-jährige Studentin, die in einer McDonald’s-Filiale in der Nähe von Paris arbeitet, berichtet, wie ihr Manager «von Anfang an im Vorbeigehen meine Brüste und meinen Po streichelt». Obwohl sich mehrere Mitarbeiterinnen darüber beklagt hätten, bleibe das Gefühl, «dass mich jemand zum Schweigen bringen wollte.» Eine Zeugenaussage, die so oder ähnlich noch von vier weiteren Angestellten der gleichen Filiale erzählt wird. Sie berichten von unangemessenen Blicken, Bemerkungen und Kommentaren gegenüber anderen Kolleginnen. Ein Angestellter kündigte nach drei Jahren, weil «oft über den Körperbau der Frauen, Teammitglieder und Kunden» gescherzt worden sei. Im April 2019 sei ein neues, junges Teammitglied in der Filiale vorgestellt worden. Der Manager habe gesagt: «Du bist hübsch. Wann werden wir Sex haben?».

Eines Abends im Dezember 2018 beschliessen die Teammitglieder, gemeinsam einen Drink zu nehmen und begeben sich nach Angaben mehrerer Befragter in eine Wohnung eines Angestellten. Eine Mitarbeiterin erzählt gegenüber «mediapart»: «Ich bin allein mit dem Manager. Er spricht mit mir über meine Brust. Er berührt meine Brüste, während ich wiederhole, dass ich das nicht will. Ich stosse ihn weg. Ich habe Angst, dass er sich für meine Weigerung rächen wird, aber ich sage ihm mehrmals, dass ich das nicht will. Dann stellt er sich hinter mich. Er zieht mir das Höschen aus und fingert mich, immer ohne meine Zustimmung. Ich war wie versteinert, ich wollte nicht, ich konnte nicht mehr sprechen.»

«Es tut mir leid, dass ich dich vergewaltigt habe»
Das Opfer des sexuellen Missbrauchs versucht, eine Gruppenklage gegen den entsprechenden Manager einzuleiten. Er schreibt ihr eine Kurznachricht: «Können Sie mir das Problem jetzt erklären? Ich verstehe nicht… Anscheinend willst du, dass ich gefeuert werde, schön.» Schliesslich lädt ihr gemeinsamer Vorgesetzter den Manager und die Angestellte zur Konfrontation. Der fehlbare Manager leugnet den Übergriff nicht. «Es tut mir leid, dich vergewaltigt zu haben», sagt er gemäss mehreren Quellen. Dann habe er gesagt, dass es «Blicke gegeben habe und dass wir Freunde seien».

Danach erhielt der Manager von seinem Chef eine Belehrung, Sanktionen habe es allerdings keine gegeben. Die betroffene McDonald’s-Angestellte traf ihren Peiniger dann während eineinhalb Jahren tagtäglich bei der Arbeit. Die Folgen sind unter anderem Angstzustände. Eine Klage hat sie nicht eingereicht, aus Angst vor der Reaktion der Polizei.

«Besondere Arbeitseinteilung» bei McDonald’s
Viele Frauen, die in einem McDonald’s-Restaurant gearbeitet und von «mediapart» und «Street Press» interviewt wurden, berichten von einer besonderen Arbeitsteilung in den Filialen. Als weisses Mädchen stünde man mit ziemlicher Sicherheit an der Kasse, Männer anderer Herkunft würden in der Küche beschäftigt. Und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als zu alt oder zu wenig schön gelten würden, müssten in der hinteren Küche Tomaten schneiden.

Zwei andere McDonald’s-Mitarbeiter bestätigen die Praxis, wonach männliche Angestellte der Fast-Food-Kette die Mitarbeiterinnen nach ihrem Aussehen einteilen würden. Und immer wieder komme es zu sexistischen Bemerkungen: Ein Mitarbeiter spricht von der neuen McDonald’s-Angestellten als «das kleine Mädchen mit den grossen Brüsten, der ich es gerne machen würde.» Ein junger Transmann erinnert sich an sein Vorstellungsgespräch, bei dem er noch als Frau erschien. Der Manager habe zu ihm gesagt: «Ich hoffe, dass Sie gerne putzen und dass Sie keine Prinzessin sind, denn Hygiene ist in unserem Restaurant wichtig.»

Eine weitere Mitarbeiterin fühlt sich von der McDonald’s-Hierarchie «überhaupt nicht unterstützt», als sie sexuelle Belästigung – sowohl mündlich wie auch schriftlich – anprangert. Andere Mitarbeiterinnen sprechen von hartnäckigen und ungewollten Flirts von älteren Teamkollegen, die bald zur Schikane geworden seien – zum Beispiel habe ein rund 60-jähriger Angestellter seine Genitalien berührt, während er vor den Augen der Teamkollegen und des Managers anzügliche Bemerkungen gemacht habe. Wiederum andere Frauen berichten von einem Manager, der Mitarbeiterinnen kontaktiert und sie um Nacktfotos gebeten habe. Erst lange Zeit später sei er entlassen worden.

«Ketchup passt gut zu ihrem Hurenlippenstift»
Wie «mediapart» und «Street Press» schreiben, verlassen immer wieder Mitarbeitende ihre Stelle bei McDonald’s, weil der Sexismus in einigen Filialen weit verbreitet sei. Als eine junge Frau nach nur einem Monat aufgrund von abfälligen Bemerkungen, ungerechter Arbeitsaufteilung und dem grossen Druck kündigt, wird sie vom Manager und einem Angestellten der entsprechenden Filiale mit Ketchup beworfen. «Es war mein letzter Tag im Job und der Manager sagte: ‹Ketchup passt gut zu Ihrem Hurenlippenstift›.»

Auf YouTube haben sich mehrere ehemalige Mitarbeiter der Fast-Food-Kette dazu entschlossen, über den Druck und die sexistischen Äusserungen zu sprechen, die ihr tägliches Leben geprägt hätten. Megane Celia berichtet von der Hölle, die eine ihrer Kolleginnen durchmachte, weil sie haarige Beine hatte. Allison Maurel erinnert sich daran, dass sie gezwungen wurde, einen Rock zu tragen – und an die erniedrigenden Bemerkungen von Kunden. Offely K hat ein Video mit dem Titel «My McDonald’s Experience: Demütigung, Einschüchterung, Atmosphäre» veröffentlicht.

McDonald’s gibt keine konkreten Informationen
Die Zeugenaussagen, die «mediapart» und «Street Press» zusammengetragen haben, sind weitreichender und detaillierter, als die Zusammenfassung, die «Infosperber» liefert. Die Unternehmensleitung von McDonald’s hat die Fragen betreffend den detaillierten Fällen gegenüber «mediapart» und «Street Press» nicht beantwortet. In einer E-Mail erklärte sie, dass sie keine (…) Kommentare zu einzelnen Situationen, internen Untersuchungen oder Gerichtsverfahren, die möglicherweise im Gang seien, abgebe. In ähnlicher Weise könne McDonald’s es nicht dulden, dass öffentlich falsche Anschuldigungen gegen die Mitarbeiter erhoben würden. Wie immer in Fällen, die noch nicht vor Gericht verhandelt wurden, gilt auch hier die Unschuldsvermutung.

Die amerikanische Kette, deren Slogan «Come as you are» lautet, fügt hinzu: «McDonald’s Frankreich verurteilt auf das Schärfste jedes Verhalten mit sexuellen oder sexistischen Konnotationen, jedes Verhalten, das die Würde des Einzelnen aufgrund eines erniedrigenden oder demütigenden Charakters verletzen würde, und jedes Verhalten, das eine einschüchternde, feindselige oder beleidigende Situation schaffen würde.»

Allerdings muss sich die Fast-Food-Kette auch in anderen Ländern als in Frankreich mit ähnlichen Vorwürfen auseinandersetzen. Ausserdem ist sie Gegenstand einer Beschwerde bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wegen «systematischer sexueller Belästigung».

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Lesen Sie dazu den zweiten Teil: «Wie McDonald’s seine Verantwortungslosigkeit organisiert».

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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