Glosse
Die Sicht des Wolfs: «Für eine Schweiz ohne Raubmenschen»
Als sie in der Steinzeit in unser Revier eindrangen, war das Zusammenleben noch problemlos. Die Urmenschen beanspruchten wenig Platz. Ihr Bestand blieb während Jahrtausenden nahezu stabil. Sie ernährten sich mit Pflanzen, Beeren und den wenigen Tieren, die sie erjagen konnten. Damit machten sie uns Wölfen die Beute kaum streitig.
Das änderte sich in den letzten hundertfünfzig Jahren. Da vermehrten sie sich rasant und entwickelten sich zu Raubmenschen. Sie übernutzten unsere Böden, plünderten unsere Wälder, verseuchten unsere Wasserquellen und machten sich mit ihren Siedlungen und motorisierten Giftschleudern immer breiter. Viele Mitglieder unserer Rudel wurden von ihren Kugeln oder unter ihren Rädern getötet.
Nachdem wir dieser unguten Entwicklung lange tatenlos zugeschaut hatten, gründete unser Leitwolf 2013 den nationalen Verein «Lebensraum Schweiz ohne Raubmenschen». Als besonders schlagkräftig erwies sich dabei unsere lokale Sektion im Wallis, wo sich die Übergriffe der Raubmenschen auf unsere Rudel sowie auf unsere Verwandten Bär und Luchs in den letzten Jahren häuften. In einem Brief, den die Neue Wolfszeitung (NWZ) veröffentlichte, schrieb unser christlicher Walliser Standeswolf Roberto schon 2010: «Der Raubmensch soll seinen Platz haben, aber nicht in der wolfsreichen Schweiz. Unsere Situation ist nicht mit Russland vergleichbar». Seither empfehlen wir den Menschen: «Ab nach Moskau».
Leider findet ein privater Verein in der Schweiz wenig Gehör. Darum waren wir gezwungen, unsere Forderung gesetzlich durchzusetzen. Nachdem wir jahrelang dafür lobbyiert hatten, beschloss unsere Regierung eine Revision des Menschenjagd-Gesetzes. Damit wollte sie den Raubmenschen zwar nicht völlig aus der Schweiz verbannen, aber «die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um zukünftige Menschbestände regulieren zu können, bevor grosse Konflikte entstehen». Das nationale Wolfsparlament unterstützte dieses Gesetz. Doch dann ergriffen einige Menschenfreunde, auch «Gutwölfe» genannt, das Referendum. Nun muss das Wolfsvolk am 27. September darüber entscheiden.
Um das revidierte Jagdgesetz zu unterstützen, das nach Meinung unserer Walliser Sektion «noch weiter verschärft werden könnte», gründeten wir das Komitee «Fortschrittliches Jagdgesetz – Ja». Um den Menschenfreunden den Wind aus den Segeln zu nehmen, haben wir beim Formulieren unserer Argumente ebenso viel Kreide gefressen wie der Märchenwolf im «Rotkäppchen». Nachstehend einige Auszüge aus dem Argumentarium unseres Komitees:
Die Überarbeitung des 34jährigen Jagdgesetzes war nötig, weil sich die Bestände der Menschen in den letzten Jahren stark vergrössert haben. Das hat immer öfter zu Konflikten mit den Interessen von Wölfen, Bären, Luchsen sowie ihren Naturräumen geführt. Selbstverständlich dürfen die geschützten Menschen nicht gefährdet werden. Das Gesetz will nur die Zahl der Raubmenschen reduzieren; dazu gehören etwa Jägerinnen, Wilderer, Metzger, Automobilistinnen und Bauherren, die allein im Jahr 2018 Tausende von Wild- und Huftiere erlegt, geschlachtet oder verdrängt haben, aber auch alle Prediger des menschlichen Expansonsdrangs. Das revidierte Gesetz erlaubt es nun uns Wölfen sowie den Bären und Luchsen, die Raubmenschen zu regulieren. Es erleichtert damit Risse von Menschen, schon bevor diese in der Natur geräubert haben.
Mit dieser Gesetzesrevision erwecken wir den Eindruck, wir Wölfe wollten nur die Problemmenschen eliminieren. Doch die neusten Studien zeigen, dass die meisten Menschen und besonders jene, die in der Schweiz leben, mit ihrem ökologischen Fussabdruck Raubbau an der Natur betreiben. Darum werden wir auch nach der Abstimmung über das noch unvollständige Gesetz unseren Kampf weiterführen: «Für einen Lebensraum Schweiz ohne Raubmenschen.»
P.S.: Ich bedanke mich beim Bundesrat, beim Verein «Lebensraum Schweiz ohne Grossraubtiere» und dessen Walliser Sektion, beim «Komitee Fortschrittliches Jagdgesetz – Ja» sowie bei Alt-Nationalrat Roberto Schmidt, deren Schriften mich zu dieser Satire angeregt haben.
Ernsthafte Artikel zu diesem Thema auf Infosperber:
– «Erhellende Lektüre zum Wolf, seinen Freunden und seinen Hassern»
– «Ökologischer Fussabdruck: Naturhaushalt ist defizitärer als Staatshaushalt»
– DOSSIER: «Schutz der Natur und Landschaft»
DOSSIER: «Wachstum – Glück oder Crash?»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Hanspeter Guggenbühl war von 1960 bis 1962 Leitwolf im Stamm Fontana des Pfadfinderkorps Glockenhof.
Das war eine Satire? – Dann muss ich den Text noch einmal genau lesen.
Zu diesem Artikel kann man nur sagen:
"Gut gebrüllt, Löwe».
Wichtig wäre noch, dass die unsinnigen Subventionen für die Schafhaltung endlich abgeschafft würden.
Dann gäbe es in der Schweiz mit den Wölfen keine Probleme mehr.
Witzig mit bedenkenswertem Hintergrund.
Grossartig, Hanspeter Guggenbühl. Ihr Text liesse sich beliebig vervielfältigen, jedesmal aus Sicht eines anderen Mitglieds unserer Biosphäre. Für sehr viele dürfte es bedauerlicherweise zu spät sein, besonders für die Kleinen, wenig oder nicht Sichtbaren, deren Bedeutung für das Ökosystem den beschränkten Wahrnehmungs- und Denkorganen der Raubmenschen verborgen bleibt.