Wie ein lokales Parlament gegen seine Absicht plante
Planung ist eine komplizierte und aufwendige Sache. Sie beginnt im nationalen Raumplanungsgesetz, führt über die Kantons- sowie Regionalplanung und endet bei der kommunalen Richt- und Zonenplanung. Die Richtpläne bestimmen die Entwicklung über die nächsten Jahrzehnte, die Zonenpläne regeln die Details. Der Fokus wandelt sich Schritt um Schritt – von der schweizerischen Helikopterperspektive bis zum Mikroblick auf die Baumassenziffer jedes Grundstücks, das die Zonenpläne der Gemeinden festlegen.
Dabei müssen die präziseren untergeordneten den übergeordneten Plänen folgen. Oder wie es Paragraph 16 des Planungs- und Baugesetzes (PGB) des Kantons Zürich formuliert: «Die Planungen unterer Stufen haben denjenigen der oberen Stufe, die Nutzungsplanungen jeder Art und Stufe der Richtplanung zu entsprechen.» – Sorry, so viel Theorie war nötig, um die aktuelle Verwirrung einzuordnen, die der Abstimmung über die kommunale Richtplanung in der Zürcher Kleinstadt Illnau-Effretikon (ZH) zu Grunde liegt.
Streit ums Mass der baulichen Verdichtung
Konkret geht es bei dieser Volkabstimmung am 25. November um zwei Vorlagen:
- Den Richtplan B, den der Stadtrat (Regierung), basierend auf Vorarbeiten der Ortsplankommission beschloss und dem Parlament zur Beratung vorlegte. Damit verfolgte der Stadtrat das Ziel, eine bauliche Verdichtung der Besiedelung in der Gemeinde zu ermöglichen nach dem Prinzip: Je näher am Zentrum (und Bahnhof), desto dichter, je mehr an der Peripherie, desto dünner.
- Den Richtplan A des Parlamentes. Damit veränderte die bürgerliche Parlamentsmehrheit (SVP, FDP, BDP und Jungliberale) die Version des Stadtrates in insgesamt 29 Punkten. Darunter fallen auch Änderungen im Siedlungskonzept.
In der Weisung an die Stimmberechtigten begründete die Parlamentsmehrheit ihre veränderte Version mit folgenden Worten: «Die Vorlage des Stadtrates sieht einen sehr hohen Spielraum für eine flächendeckende, relativ starke Verdichtung der verschiedenen Quartiere in Illnau-Effretikon vor.» So wären «in zahlreichen traditionellen Einfamilienhausquartieren mehrstöckige Mehrfamilienhäuser möglich». Die Vorlage des Parlaments hingegen bringe eine «differenziertere bauliche (Weiter-)Entwicklung. Die Verdichtung soll primär und mit Augenmass in den Zentren erfolgen und kontinuierlich abnehmen, je weiter ein Quartier vom Ortszentrum entfernt ist.»
Die gleiche Position verbreiten bürgerliche Parlamentsmitglieder in den Lokalmedien (die den Abstimmungskampf vorwiegend auf den Leserbriefseiten abbilden, selber aber wenig zur Information und Verifizierung der Meinungen beitragen): «Die Parlamentsvorlage will dem masslosen Verdichten klare Grenzen setzen und die bereits bestehenden, klassischen Einfamilienhaus-Quartiere vor hohen, mehrstöckigen Wohnblöcken in der unmittelbaren Nachbarschaft schützen», schrieb zum Beispiel FDP-Gemeinderat Michael Käppeli in der lokalen Gratiszeitung «Regio». Die fast wörtlich gleichen Formulierungen verbreiten auch Gemeinderäte von SVP und BDP in ihren Leserbriefen. Und der Jungliberale Claudio Jegen behauptete: «Nur die Richtplan-Vorlage des Grossen Gemeinderates mit ihrer Begrenzung des verdichteten Bauens stellt sicher, dass unsere Gemeinde in den kommenden Jahrzehnten nicht flächendeckend zubetoniert wird.»
Bürgerliche widersprechen ihrer eigenen Vorlage
Diese bürgerlichen Argumente kommen bei der ländlichen Bevölkerung in Illnau-Effretikon gut an. Sie haben nur einen Nachteil: Sie stehen im Widerspruch zum realen Richtplan A, den die Parlamentsmehrheit beschlossen hat. Denn im Unterschied zum Richtplan B des Stadtrats erzwingen die Bürgerlichen mit ihrer Version in verschiedenen Einfamilienhaus-Quartieren just jene Aufzonung und Verdichtung, die sie angeblich verhindern wollen. Was am konkreten Beispiel zu erläutern ist:
Der Richtplan des Stadtrates unterscheidet zwischen vier Siedlungsstufen – von «sehr hoher» über «hohe», «mittlere» bis zu «niedriger Dichte». Die wesentliche Differenz ergibt sich bei der «mittleren Dichte». Die Version des Stadtrates lässt hier mit Baumassenziffern (BMZ)* von 1,6 bis 2,5 einen breiten Spielraum offen für die nachfolgende präzisere Zonenplanung; über diesen nachfolgenden Zonenplan können Parlament und Volk dann erneut abstimmen.
Engerer Spielraum schafft Aufzonungs-Zwang
Die bürgerliche Parlamentsmehrheit hingegen teilte die «mittlere Stufe» auf, nämlich in eine untere Stufe mit einer Nutzung von «1,7 bis 2,0 BMZ» und eine obere mit «2,0 bis 2,5 BMZ». Damit engt ihre Richtplan-Version den Spielraum für die nachfolgende Zonenplanung ein mit dem Argument, man müsse «mit Augenmass verdichten». Bei der unteren Stufe begrenzt sie zwar die mögliche Aufzonung gegenüber der Stadtratsversion (1,6 bis 2,5 BMZ) auf 2,0 BMZ. Bei der oberen Stufe hingegen erzwingt sie eine Aufzonung auf mindestens 2,0 (bei Stadtratsversion nur 1,6). Denn der spätere Zonenplan, so verlangt das eingangs zitierte PBG, muss «dem Richtplan entsprechen». Der frühere Ortsplaner Alwin Suter, der die Richtplanung in Illnau-Effretikon als neutraler Experte beurteilt hat, bestätigte auf Anfrage diesen Befund.
Richtplan-Version des Parlamentes: Zu beachten sind die blauen Flächen. In den hellblauen Quartieren wird die mögliche Aufzonung auf 2,0 BMZ begrenzt. In den dunkelblauen Quartieren, wo heute Baumassenziffern bis 1,3 oder 1,7 gelten, verfügte das Parlament eine zwingende Aufzonung auf mindestens 2,0 BMZ. Im Unterschied dazu lässt die Richtplan-Version des Stadtrates mit Baumassenziffern von 1,6 bis 2,5 auf allen blauen Flächen einen grösseren Spielraum für spätere Aufzonungen offen.
Die Richtplanversion des Parlamentes erzwingt also in den dunkelblauen Quartieren, wo er Stufen von 2,0 bis 2,5 BMZ festlegt, im künftigen Zonenplan eine stärkere Verdichtung als der Stadtrat mit seiner mittleren Stufe von 1,6 bis 2,5 BMZ. Und: Diese höhere Verdichtungsstufe (ab 2,0) betrifft verschiedene Quartiere am Rande des Siedlungsgebiets von Illnau und Effretikon (siehe Plan). Dabei handelt es sich um Quartiere, wo heute eine tiefe Baumassenziffer (maximal 1,3 oder 1,7) gilt, und wo heute viele Einfamilienhäuser mit tiefer Nutzung stehen.
Ortsteil von Effretikon zwischen Auto- und Eisenbahn. Das rot gefärbte Quartier «Guldibuck/Schlimperg» gehört zu den dünn besiedelten Wohnquartieren am Siedlungsrand , in denen die Richtplanversion A des Parlamentes eine Aufzonung erzwingt.
Das zeigt: Wer «klassische Einfamilienhaus-Quartiere» wirklich vor «masslosem Verdichten» und «hohen Wohnblöcken» schützen will, wie das bürgerliche Gemeinderäte propagieren, muss für die Richtplan-Version B des Stadtrats stimmen.
Wussten Sie nicht, was sie taten?
Für den klaren Widerspruch zwischen Propaganda und Richtplan gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder wusste die bürgerliche Mehrheit im Parlament nicht, was sie bewirkt, als sie letzten Sommer im Parlament ihre Richtplan-Version festlegte. Das wäre ein klassisches Eigengoal. Oder die Gemeinderatsmitglieder aus SVP, FDP, BDP und Jungliberalen informieren die Stimmberechtigten bewusst falsch, um ihren eigenen Richtplan und damit auch andere umstrittene Änderungen durchzusetzen. Das behaupten Linke und Grüne, welche im Abstimmungskampf die Version der Stadtregierung unterstützen.
Seilziehen um Parkplätze und Einkaufszentren
Die weiteren umstrittenen Punkte betreffen den Verkehr, die Zulassung von verkehrsintensiven Einrichtungen an der Peripherie sowie die natürliche Umgebung, die der kommunale Richtplan ebenfalls regelt. Im Unterschied zu den verwirrenden Informationen in Sachen Siedlungsdichte sind hier die Fronten klar; sie spiegeln die verkehrs- und umweltpolitische Debatte, wie sie auch auf nationaler und kantonaler Ebene stattfindet:
Linke und Grüne (in Illnau-Effretikon unterstützt von den Mitteparteien EVP und CVP) wünschen mehr Umweltschutz, weniger Autoverkehr, weniger Energieverbrauch, etc. und befürworten im konkreten Fall die ursprüngliche Richtplan-Version des Stadtrates. Die Rechte und Wirtschaftsverbände wollen weniger Einschränkungen. Deshalb strich oder verwässerte die bürgerliche Mehrheit in der Richtplan-Version des Parlamentes verschiedene Auflagen der Stadtregierung. Drei Beispiele:
- Grünflächenkonzept Um seine «Gesamtstrategie Landschaft» umzusetzen, verlangte die Stadtregierung ein «Grünflächenkonzept», das Landschaften, Naturräume und Siedlungen miteinander vernetzt und damit auch die Biodiversität erhält. Die Parlamentsmehrheit strich diese Massnahme.
- Parkplätze Die Stadtregierung will öffentlich zugängliche Parkplätze «grundsätzlich bewirtschaften». Das Parlament, das weiterhin Gratisparkplätze ermöglichen will, machte daraus eine «Kann-Formulierung».
- Einkaufszentren an der Peripherie In Gewerbezonen können neben Arbeitsplätzen in der Regel auch Einkaufs- oder Freizeitzentren angesiedelt werden. Der Stadtrat möchte solche Einrichtungen in den Zentren der Ortsteile Effretikon und Illnau konzentrieren und damit den Detailhandel im Zentrum stärken.Darum schloss er «verkehrsintensive Einrichtungen» in verschiedenen an der Peripherie gelegenen Zonen ausdrücklich aus. Er folgte damit dem übergeordneten Regionalplan, der in diesen Gebieten noch konkreter verfügte: «Kein Detailhandel». Die bürgerliche Mehrheit hingegen strich diese Einschränkung. Ihre Begründung, populär zusammen gefasst: Man könne die Konsumenten nicht hindern, mit dem Auto zum Aldi oder Lidl zu fahren, und wenn sie das schon täten, siedle man diese Einkaufszentren lieber in der eigenen Gemeinde an. Das Problem ist nur: Weil der übergeordnete regionale Richtplan verbindlich ist für den kommunalen Plan, wird die Kantonsregierung als Aufsichtsbehörde diese verkehrsintensiven Einrichtungen an der Peripherie wohl wieder verbieten.
Hohe Anforderungen an die Stimmberechtigten
Richtplanung im Allgemeinen und in Illnau-Effretikon im Besonderen gehört nicht zu den attraktivsten Medienthemen. Wer aus diesem Artikel noch nicht ausgestiegen ist, mag ermessen, wie schwierig es für Stimmberechtigte ist, sich fundiert zu informieren und die Konsequenzen eines Ja oder Nein zu den beiden Vorlagen (samt Stichfrage) abzuschätzen, wenn offenbar nicht einmal das Stadtparlament draus kommt.
Die Abstimmung über eine wichtige kommunale Weichenstellung kann damit zur Lotterie werden: A oder B – welcher Buchstabe liegt näher? Oder reagiert da die verunsicherte Bevölkerung mit einem zweifachen Nein? Infosperber wird das Ergebnis am 25. November an dieser Stelle nachliefern.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine. Hanspeter Guggenbühl lebt zwar in Illnau. Aber im Quartier, in dem er wohnt, bewirken die Richtpläne sowohl von Stadt und Gemeinderat keine Änderung.
Der Einwand, durch bauliche Verdichtung könne leicht viel Wohnraum gewonnen werden, ist falsch. Verdichtung bringt viel weniger, als die meisten denken. So bringt die Erhöhung der Geschosszahl bei weitem keine proportionale Zunahme des Wohnraums. Vielmehr wächst der Platzbedarf für die innere Erschliessung durch Lifte, Treppen und Leitungen überproportional. Zudem wachsen die Baukosten massiv, und die Wohnqualität in den unteren Geschossen nimmt ab. Insgesamt bringt deshalb langfristig Bevölkerungswachstum bei knappen Bauzonen und zunehmender Verdichtung einen Lebensqualitätsverlust.
Beim guten Artikel von Hanspeter Guggenbühl ist noch anzufügen, dass dieser Entscheid noch in der alten Zusammensetzung des Parlaments an ihrer letzten Sitzung gefallen ist.
Nach Sitzverlusten im neu gewählten Parlament können die Wahlverlierer nicht mehr gleich agieren.
Als Machtdemonstration einer sehr fragwürdigen Politik und ein letztes Aufbäumen jener, die keine Erkenntnisse aus den eben verlorenen Wahlen zogen!
Hanspeter Guggenbühl schreibt es anständiger, als ich: Nun wird der Abstimmungskampf mit «alternativen Fakten» geführt.