Das CO2-Gesetz – und die Chance, die das Parlament verpasst
«Ja sagen und mit den Zähnen knirschen». Diese Position zur Revision des CO2-Gesetzes, über die der Nationalrat diese Woche beraten wird, vertritt Redaktorin Bettina Dyttrich in der linken Wochenzeitung WOZ. Damit hat sie aus realpolitischer Sicht wohl Recht. Denn das umfangreiche, komplizierte und bürokratische Gesetz bringt gegenüber dem heutigen Stand tatsächlich einige strengere klimapolitische Regulierungen. Aber seine Mittel bleiben weit hinter dem zurück, was das globale Klimaabkommen von Paris und das nationale Ziel des Bundesrats verlangen, nämlich «netto null CO2» ab dem Jahr 2050.
Statt nur mit den Zähnen zu knirschen, zeigt und rechnet Infosperber hier vor, wie die Schweiz ein zentrales Instrument in diesem Gesetz, die CO2-Abgabe, konsequent umsetzen könnte. Und welche umwelt-, sozial- und staatspolitischen Vorteile diese – immer noch bescheidene – Lenkungsabgabe hätte. Oder: Welche Chance der Nationalrat bei der Bereinigung des «realpolitisch» vorgespurten CO2-Gesetzes diese Woche verpassen wird.
CO2-Abgabe heute: Ein Zwitter mit Löchern
Beginnen wir beim heutigen Stand. Die Schweiz erhebt seit 2008 eine CO2-Abgabe, aber nur auf jener fossilen Energie (Heizöl und Erdgas), die als Brennstoff genutzt wird. Fossile Treibstoffe (Benzin, Diesel, Flugpetrol) und weitere Treibhausgase sind von dieser Abgabe befreit. Zudem ist die Brennstoff-Abgabe ein Zwitter aus Förderung und Lenkung: Rund ein Drittel des Ertrags zweigt der Bund ab, um energetische Gebäudesanierungen und andere Technologien zur Reduktion der CO2-Emissionen zu subventionieren. Der Rest des Ertrags wird pro Kopf und pro Arbeitsplatz an die Bevölkerung und Wirtschaft zurück verteilt nach dem Prinzip: Wer weniger CO2 aus Brennstoffen verursacht als der Durchschnitt, muss weniger bezahlen, als ihm zurückerstattet wird.
Damit kommen wir zur Rechnung, Stand 2018 (Hinweis: Die vielen Zahlen, die hier folgen, fassen wir weiter unten in einer Vergleichs-Tabelle nochmals übersichtlich zusammen): Die Brennstoff-Abgabe belastet eine Tonne CO2 heute mit 96 Franken; das entspricht einem Aufschlag von rund 25 Rappen pro Liter Heizöl. Im Jahr 2018 verursachte die Verheizung dieser Brennstoffe eine Emissionsmenge von 16,8 Millionen Tonnen. Multipliziert mit 96 Franken resultierte daraus theoretisch eine Verteuerung respektive ein Ertrag von 1613 Millionen Franken pro Jahr. Doch das Gesetz sieht Ausnahmen insbesondere für energieintensive Betriebe vor. Rund zehn Prozent der CO2-Emissionen aus Brennstoffen werden darum von der Abgabe befreit.
In der Praxis bleibt damit ein Ertrag von rund 1470 Millionen Franken. Davon fliessen 450 Millionen Franken als Subvention ins Gebäudesanierungs-Programm plus 25 Millionen in einen Technologiefonds. Die verbleibenden rund 1000 Millionen (1 Milliarde) Franken werden rückvergütet, davon 44 Prozent an die Wirtschaft, 56 Prozent an die Bevölkerung. Aus der Rückerstattung des CO2-Abgabeertrags an die Bevölkerung resultiert pro Person ein Betrag von rund 64 Franken. Dazu kam 2018 eine zusätzliche Rückerstattung (ebenfalls via Reduktion der Krankenkassen-Prämie) von 12 Franken aus der VOC-Abgabe. Ergibt ein Rückzahlungs-Total von 76 Franken pro Person. Soweit, so wenig und so kompliziert.
Konsequente Klima-Abgabe: Lenkt 11 Milliarden um
Der Entwurf zur Revision des CO2-Gesetzes in der Fassung von Bundes- und Ständerat erlaubt dem Bundesrat, die erwähnte Brennstoff-Abgabe von heute 96 auf maximal 210 Franken pro Tonne CO2 zu erhöhen (210 Franken pro Tonne entspricht 52 Rappen pro Liter Heizöl). Angesichts des Ziels «netto null CO2» wäre es nötig und konsequent, diesen maximalen Abgabesatz auf alle Treibhausgas-Emissionen auszudehnen, welche die Schweiz im Inland verursacht. Dazu gehören ausnahmslos alle CO2-Emissionen aus fossilen Brenn- und Treibstoffen gemäss Gesamtenergie-Statistik (also inklusive Absatz von Flugpetrol) sowie die übrigen Treibhausgase (Methan, Lachgas, etc.). Gleichzeitig sollte der heutige Zwitter zu einer reinen Lenkungsabgabe umgewandelt werden, womit die bürokratisch aufwändigen Subventionen für Gebäudesanierungen und Technologie-Förderungen ebenso wegfallen wie neu geplante Förderinstrumente.
Aus dieser konsequenten Lenkungsabgabe resultieren folgende Zahlen (wiederum basierend auf dem Stand 2018): Gemäss Treibhausgas-Inventar erzeugte die Schweiz in jenem Jahr 46,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Dazu kommen weitere 5,5 Millionen Tonnen CO2 aus dem Luftverkehr (Absatz von Flugpetrol an inländischen Flughäfen), die das Inventar ausklammert. Das ergibt ein Total von rund 52 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Multipliziert mit 210 Franken resultiert ein Jahresertrag von 10’920 Millionen. also rund 11 Milliarden Franken.
Wir gehen davon aus, dass dieser Ertrag zu gleichen Teilen wie heute pro Arbeitsplatz an die Wirtschaft (44%) und pro Kopf an die Bevölkerung (56%) zurück verteilt wird. Das ergäbe eine Rückverteilungss-Summe von 6160 Millionen Franken allein an die Bevölkerung. Dividiert durch 8,6 Millionen Einwohner resultierte daraus pro Kopf eine Rückerstattung von 716 Franken respektive 2864 Franken für eine vierköpfige Familie.
Nachfolgend nun der Zahlenvergleich in Tabellenform:
Drei Fliegen auf einen Streich
Im Vergleich zur heutigen CO2-Abgabe, dem Zwitter mit Löchern, bringt unser Vorschlag für die höhere und konsequente Klima-Abgabe punkto Klimaschutz, Entbürokratisierung und Belohnung (für unterdurchschnittliche Emissionen) folgende Vorteile:
o Mehr Klimaschutz Die heutige CO2-Abgabe verteuert fossile Brennstoffe in der Schweiz pro Jahr um 1470 Millionen Franken, die konsequente Klima-Abgabe alle Treibhausgase um 11’000 Millionen Franken. Der finanzielle Anreiz, Treibhausgase zu vermindern, wird damit 7,5 Mal grösser. Damit lohnt es sich wirtschaftlich für alle, den Ausstoss von CO2 und weiteren klimawirksamen Gasen zu vermindern, sei es mittels Effizienzsteigerung oder Verhaltensänderungen. Partielle Subventionen sind damit überflüssig.
o Ent-Bürokratisierung Die konsequente und damit griffige Klimaabgabe erspart viele bürokratische Regulierungen (man denke nur an den Papierkrieg zur Erlangung von Gebäudesubventionen), welche das CO2-Gesetz heute vorsieht. Weil die neue Klima-Abgabe den Flugverkehr stärker belastet als die geplante – und teils bekämpfte – Flugticker-Abgabe, kann man auf diese ebenso verzichten wie auf den damit verknüpften Fonds zu Gunsten der Flugbranche. Insgesamt wird der Vollzug des Klimaschutzes also stark vereinfacht.
o Belohnung und Bestrafung Die Mehrheit der Wirtschaft und der Bevölkerung, die weniger Treibhausgase verursacht als der Durchschnitt, wird mit der Klima-Abgabe elf Mal stärker belohnt als heute, weil die Summe der Rückerstattungen von bisher einer Milliarde auf 11 Milliarden Franken steigt. Elf Mal höher wird damit auch die finanzielle Belastung für die Minderheit, die viel fossile Energie verschwendet – respektive der Anreiz, diese Verschwendung zu reduzieren. Da reiche Leute, die mehr Wohnraum beanspruchen, dickere Autos fahren und viel mehr fliegen als ärmere, tendenziell mehr CO2 verursachen, führt die höhere Abgabe zudem zu einer Umverteilung von oben nach unten (mehr dazu hier auf Infosperber).
Zwei Einwände – und ihre Relativierung
Skeptiker mögen an dieser Stelle einwenden, das obige Loblied auf eine konsequente Klima-Lenkungsabgabe verschweige allfällige Nachteile. Das stimmt, denn die Einwände überlasse ich den Gegnern, die seit Jahrzehnten eine griffige Energiespar- und Klimapolitik verhindern, und die auch dafür sorgen werden, dass der obige Vorschlag politisch bekämpft wird. Auf zwei naheliegende Einwände gehe ich an dieser Stelle trotzdem ein:
– Einwand 1: Die Erhebung der Klima-Abgabe ist aufwändiger als jene auf fossilen Brennstoffen allein, weil unzählige zusätzliche Quellen von Treibhausgasen (man denke nur ans Methan aus der Landwirtschaft) erfasst werden müssen. Einwand stattgegeben. Als Alternative kann man die Klima-Abgabe allein auf den CO2-Ausstoss aus fossiler Energie begrenzen. Diese Abgabe ist einfach zu erheben und erfasst immerhin 80 Prozent aller klimawirksamen Gase in der Schweiz. Der Ertrag der Abgabe sinkt damit von 11 auf knapp 9 Milliarden Franken.
– Einwand 2: Je stärker die Klima-Abgabe wirkt respektive der Ausstoss von Treibhausgasen sinkt, desto kleiner wird – bei unverändertem Ansatz – der Ertrag. Das stimmt ebenfalls. Doch ein Rückgang der Emissionen ist ja das erwünschte Ziel der Abgabe. Da kann man die entsprechende Verminderung von Bestrafung und Belohnung in Kauf nehmen.
Spätestens wenn das Ziel «netto null CO2» erreicht ist, wird die vorgeschlagene Klima-Abgabe obsolet – und die Menschheit wird damit ein grosses Problem weniger haben.
Weitere Informationen zu diesem Thema:
– «Bundesrat ignoriert seinen eigenen Klimarat»– DOSSIER: «Die Klimapolitik kritisch hinterfragt»
– Expertise «Covid-19/Klimakrise: Impulsprogramm 2020/30» von Ruedi Meier und Walter Ott, April 2020.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Hier in D. haben wir immer höhere Preise bei gleichzeitiger Zerstörung der Kernindustrie dank angeblich alternativloser Politik Lenkung bezüglich des Klimas. Als Ingenieur mit jahrelanger Ausbildung mit dem Fokus auf Modellbildung erfüllt mich der momentane geistige Zustand des gesellschaftlichen Diskurses bez. des Klimas mit nacktem Entsetzen und totalem Grauen. Aufgrund von nichtprüfbaren Behauptungen wurden mittlerweile weltweit Billionen verbrannt, ganz zu Schweigen von den Auswirkungen auf die geistige Gesundheit vieler. Der Diskurs hat eine totale Autorität erreicht, es gibt keine zulässige Alternativmeinung. Erinnert mich an die Nazizeit. Jeder sollte sich zumindest diese Frage stellen: was ist, wenn wir mit all dem Klimareligionsschwindel einfach nur komplett daneben liegen? Was wir übrigens auch tun. Das kann ich Ihnen dank meiner hervorragenden Ausbildung versichern. Nichts gegen lokale Emmisionsfreiheit, autarke Energieerzeugung oder Verzicht von Giften in Böden, Wasser und Nahrung. Aber das ganze hat längst Ausmaße angenommen, die jenseits jeglicher Vernunft liegen. Die Menschen sollten wählen dürfen ohne Schuld und Strafe. Genauso wenig brauchen wir die Schar von Steuergeldschmarotzer mit ihrem lächerlichen fundamentalistisch autoritären Getue. Grüße aus der deindustriealisierten Zone nördlich der Schweiz. Jenes Land, das bald keine Ingenieure mehr braucht, dafür jede Menge Pferde.
Sehr interessante, informative und übersichtliche Darstellung – Information pur ohne unterschwellige Ressentiments und Ideologie, vielen Dank. Hoffentlich kapiert’s das Parlament auch und schont nicht schon wieder in erster Linie den Bauerndiesel.
Danke für diesen klaren, einfachen und effizienten Vorschlag. Diesem sollten eigentlich auch alle bürgerlichen PolitikerInnen zustimmen, wenn sie ihr Credo von Eigenverantwortung und Markt erstnehmen.
Leider wird voraussichtlich das Sprichwort obsiegen: «wieso das Einfache, wenn es auch kompliziert geht?». Damit können Eigeninteressen und Klientelpolitik urständ feiern.
Tja, jetzt müsste es nur noch ein Gesetz geben, dass bei ausbleibendem Gegenvorschlag des Parlaments automatisch das Referendum zur Anwendung kommt. «Klimaziel 2030/2050» wird sich ohne Abgaben und re-Investitionen gar nicht ermöglichen lassen.
Den Leuten zu sagen, sie müssen «einfach energie sparen». ist doch nur «Austeritätspolitik» auf Energie-Ebene. Die Energie muss erst mal gesammelt werden, genauso wie das Geld, um das überhaupt erst zu ermöglichen.
Da die Atom/Erdöllobby hier nun mal 2 Sitze von 7 im Bundesrat Inne hat, und die FDP sie mit Ihren 2 Sitzen noch unterstützt, steht es 4:3 sitze im Bundesrat gegen die «Angestrebten Ziele». Dass diese nicht mit unseren Strom-und Benzin/Erdölpreisen zu verwirklichen sind, muss Jedem klar sein der auf der Dividendenliste von Swissoil oder Axpo steht. Und Preise für Energie zu erhöhen führt zwangsläufig zu weniger Absatz. Das Geheule der wenigen übertönt mal wieder den Volkswillen. Höhere Preise nerven mich auch. aber wenn sie dafür in 5 Jahren dauerhaft gesenkt werden können, warum denn nicht?
Meistens wird populistisch das Bild oder der Frame,
DER reichen Schweiz und DEN reichen Schweizern gemacht.
Es gibt viele 4-köpfige Familien mit einem bloss niedrigen Lohneinkommen u. ohne eigene Wohnung, die mit 4×716=2876 Fr. schon arg gefordert würden. Obwohl, deren Verbrauch an fossilen Energien ist meist auch niedriger.
Am meisten jammern oder lassen jammern, sind die mit höheren und hohen Einkommen, gerade auch aus Kapital, Mieten und anderen Assets mit Wertsteigerungspotential, die mit dem nahezu kostenlosen Fremdkapital ihre Renditen ohne weitere Leistung erhöhen können.
Also, kurz und schlecht, DIE reiche Schweiz und die ansonsten übermenschlichen Schweizer werden kein Vorbild für die Welt geben, dass es ohne Zusammenbruch und mit etwas Verzicht geht, statt der Betäubung mit mehr oder weniger Verschwendung.
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Ludwig Pirkl , 15louphi@gmx.ch
Welche Chance verpasst ?
DIE Schweiz könnte höchstens vorbildlich voran gehen.
Aber damit ist kein Geld zu machen
Der Vorschlag der totalen Rückverteilung an die Bevölkerung wirft die Frage auf: was machen die Leute mit dem Geld? Mehr Fleisch konsumieren? Mehr fliegen? Mehr tanken ? Das Schema funktioniert nur, wenn der CO2-Ausstoss aus der neu ermöglichten Tätigkeit kleiner ist als der durch die CO2-Abgabe erspart.
Dann zur Bürokratie: heute müssen zur Erstellung einer PV-Anlage 13 verschiedene Gesuche auf Ämter eingereicht werden, auf einem mehr oder weniger kommt es nicht mehr darauf an.
Aber eins kann ich zustimmen: auf dem heutigem Weg erreicht die Schweiz 0% CO2 nie.
Danke Herr Guggenbühl! Offenbar kann man Kompliziertes durchaus klar und einfach darstellen, wenn man nur wirklich will. Und wenn jemand (z.B. ein Lobbyist) sich mit Händen und Füssen gegen das Wegblasen des von ihm verteilten Nebels wehrt, weil die «Sache sehr komplex» sei, dann hat der Betreffende vermutlich ein Interesse am Verbeib des Nebels.
Wie sieht es eigentlich mit der Schweiter Hochseeflotte aus? Ist die irgendwo im Klimaziel enthalten, oder werden die Autos bestraft und die grössten «Dreckschleudern» kurven weiterhin in fremden Ländern umher?