Waldrodungen erhöhen das Risiko für Pandemien
«Gesunde Ökosysteme und gesunde Wälder sind unser bester Schutz gegen Viren.» Das sagt Luis Suárez vom World Wildlife Fund (WWF). «Wenn wir ein Ökosystem, einen Dschungel oder einen Wald zerstören, verändern wir die komplexen Beziehungen, die zwischen den verschiedenen Tieren und Lebewesen bestehen, die diese Viren und Krankheitserreger im Gleichgewicht halten.» In seinem Appell verweist der Koordinator von WWF Spanien auf die weltweit hohe Abholzungsrate, welche die Ausbreitung von zoonotischen Krankheiten wie Covid-19 begünstigt.
Über 200 Krankheiten als Zoonosen identifiziert
Zoonotischen Krankheiten oder Zoonosen bedeuten die Übertragung von Viren, Bakterien, Protozoen, Helminthen (Würmern) und parasitären Pilzen zwischen Tieren und Menschen. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind 70 Prozent aller neuen Krankheiten beim Menschen, die in den vergangenen vierzig Jahren aufgetreten sind, tierischen Ursprungs: Das 2015 aufgekommene Middle East Respiratory Syndrome (Mers) wurde ursprünglich bei Fledermäusen gefunden, sprang dann auf Kamele und schliesslich auf den Menschen über. Ähnliches geschah 2002/2003 mit dem Severe Acute Respiratory Syndrome (Sars), dem Vorläufer von Sars-Cov-2. Das Virus gelangte von Fledermäusen zu Schleich- und anderen Katzen und landete schliesslich im menschlichen Organismus.
Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation hat inzwischen über 200 Krankheiten als Zoonosen identifiziert. Und obwohl die aktuelle Pandemie des neuartigen Coronavirus ihren Ursprung in mehr als 16’000 Kilometern Entfernung hat, weiss man in Ecuador um die Problematik. Denn im Andenstaat wird nicht nur mit Wildtieren gehandelt. Ecuador hat proportional gesehen auch die höchste Abholzungsrate in ganz Lateinamerika und ist daher besonders anfällig für Zoonosen.
Der Einfluss der Rohstoff-Firmen
Nach Angaben der FAO verfügt Lateinamerika über 935,5 Millionen Hektar Wald, also fast die Hälfte der Gesamtfläche des Kontinents. Doch alleine im Jahr 2018 haben die Länder Brasilien, Kolumbien, Bolivien, Peru und Ecuador 1,9 Millionen Hektar Wald verloren. Hinzu kommen die 2,5 Millionen Hektar, die im vergangenen Jahr abgebrannt sind, insbesondere in Brasilien, Bolivien, Paraguay und Peru. Ecuador seinerseits hat gemäss nationalen Erhebungen im zweiten Halbjahr 2019 rund 16’000 Hektar pflanzenbedeckte Flächen durch Brände verloren. Insgesamt werden in Ecuador jährlich 60’000 Hektar Wald abgeholzt. Das entspricht 120’000 Fussballfeldern. Seit den 1990er Jahren ist die Gesamtfläche des ecuadorianischen Urwaldes von 14,5 Millionen Hektar auf 12,5 Millionen geschrumpft.
Die verheerenden Brände des letzten Jahres zerstörten noch mehr Regenwald. Bild: Unsplash /Merritt Thomas
Was bei der Abholzung an Biodiversität verloren geht, landet später als Gewinn auf den Konten der Rohstofffirmen. Ein Beispiel ist die Agrar-Industrie: Sie lässt auf dem gerodeten Land Monokulturen wie Soja, afrikanische Palmen und Eukalyptus anpflanzen oder schickt für die Milch- und Fleischproduktion Kühe zum Weiden. Die dadurch erwirtschafteten Erträge landen aber nicht bei den Bauern und indigenen Gemeinschaften, die vertrieben worden sind. Der Gewinn geht an die Produzenten und Geschäftsleute, die vielfach aus Asien, Nordamerika oder Europa stammen. Dasselbe gilt für die Bergbau-, Erdöl- und Holzindustrie. Deren Financiers fördern nicht nur den Rohstoff und verkaufen ihn ins Ausland, sie finanzieren in Abstimmung mit den jeweiligen Regierungen auch den Bau der notwendigen Infrastruktur – also Strassen, Brücken, Wasserkraftwerke, Häfen oder Flughäfen –, um den Export zu erleichtern.
Viren brauchen neue Wirte
Diese industrielle Wertschöpfungskette, basierend auf der ungebremsten Ausbeutung von Rohstoffen, bedeutet zusätzliche Entwaldung und dadurch ein höheres Risiko in Bezug auf Zoonosen wie Covid-19. So haben Epidemiologen und Virologen des Evandro-Chagas-Instituts in Brasilien bereits im vergangenen Jahrhundert knapp 100 Viren ausgemacht, die in der Flora und Fauna des brasilianischen Regenwaldes und höchstwahrscheinlich auch im übrigen Amazonasgebiet vorkommen. Generell kommen diese nicht mit Menschen in Kontakt, sondern koexistieren mit den Organismen des Waldes, sprich: Ihr Leben und Sterben findet dort statt. «Das Problem beginnt dann», sagt die Enthomologin Sandra Enriquez, «wenn der Mensch in dieses Gleichgewicht des Ökosystems eindringt und beginnt, Bäume zu fällen. Denn damit dringt er auch in den Lebensraum dieser Krankheitserreger ein, die sich dann neue Wirte für ihr Fortbestehen suchen.»
Wird das Ökosystem gestört, können Viren auf Menschen überspringen. Infografik: Victoria Jaramillo
Sandra Enriquez arbeitet am Forschungsinstitut für Zoonosen an der Universidad Central in Quito und dokumentiert dort seit Jahren die Probleme der Leishmaniose. Leishmaniose ist eine zoonotische Krankheit, die nicht tödlich, aber in Ecuador durchaus von Bedeutung ist. Der Vektor, der für die Übertragung des Leishmania-Parasiten verantwortlich ist, ist eine kleine Mücke, die in Ecuador Manta blanca genannt wird. Ihre Brüteorte sind die Höhlen von Wildtieren und die Wurzeln von Bäumen. Die Manta blanca ernährt sich dort vom Saft einzelner Pflanzen sowie von reifen Früchten. Wenn die Weibchen aber ihre Eier legen, sind sie auf das Blut von Säugetieren angewiesen. Dort finden sich die Proteine, um das Überleben ihres Nachwuchses zu garantieren. In diesen Momenten verlassen sie ihre Nester und suchen sich ein Faultier, einen Fuchs oder ein Stachelschwein, stechen das Tier und bringen das Blut zu ihrer Brut. «Das sind natürliche Kreisläufe innerhalb eines Waldes», erklärt Sandra Enriquez. «Und da diese Tiere mit Leishmania leben, entwickeln sie auch keine Krankheiten.»
Menschen werden zur Blutquelle
Im Falle der Leishmaniose beginnt das Problem durch menschliche Aktivitäten, etwa durch die Erweiterung der Agrarflächen. Wenn die Manta blanca das Blut nicht von Wildtieren bekommt, sucht sie es bei Haustieren wie Hunden, Pferden und Ratten. «Da diese Tiere nicht im Wald leben, haben sie auch keine Abwehrkräfte entwickelt und könnten daher früher oder später Symptome von Leishmaniose aufweisen», sagt Sandra Enriquez.
Dasselbe gilt für den Menschen, der eine weitere Blutquelle für die Manta blanca darstellt. Wenn ein mit dem Parasiten infiziertes Weibchen eine Person beisst, dringt der Erreger ins Blut und an der Bissstelle – entweder irgendwo auf der Haut oder im Bereich von Mund, Nasen oder Ohren – kann sich eine nur schwer heilende Wunde bilden. In Ecuador werden jährlich etwa 1’500 Fälle mit Leishmaniose gemeldet, wobei die Dunkelziffer enorm hoch sein dürfte, wie Sandra Enriquez sagt. «Denn die Menschen, die im Risikogebiet leben, haben nur schlechten Zugang zu öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und ziehen es in der Regel vor, sich selbst zu heilen.»
Malaria und Dengue-Fieber auf dem Vormarsch
Das Gesundheitsministerium hat inzwischen festgestellt, dass Leishmaniose nach Dengue und Malaria die dritthäufigste vektorübertragene Krankheit ist. Die Zahl von Malaria-Erkrankten hat in Ecuador im vergangenen Jahr wieder zugenommen, wobei sich die 2’081 gemeldeten Fälle entlang der Küste konzentrierten. Auch die Dengue-Infektionen sind, nachdem sie zuletzt rückgängig waren, wieder auf dem Vormarsch.
Die Hauptüberträger dieser beiden Krankheiten sind Stechmücken. Sie haben sich an ihren neuen Lebensraum gewöhnt, der an der Küste aus Monokulturen besteht: afrikanische Palmen, Eukalyptus und Zedern. Es wird geschätzt, dass diese Plantagen heute etwa 164’000 Hektar Land einnehmen – fast fünfmal so viel wie die Fläche Quitos, der Hauptstadt Ecuadors. Die Konsequenzen: gestorbene oder vertriebene Wildtiere sowie Moskitos, die neue Blutquellen benötigen und weiterhin Viren oder Parasiten übertragen, die sonst eigentlich nur im Urwald leben. Diese Insekten, die in stehendem Wasser nahe von Dörfern oder Städten leben, ertragen heute sogar mehrere Monate Trockenheit und können ihr ganzes Leben im Umfeld von Menschen verbringen.
Wildtierhandel: jährlicher Umsatz von 10 Milliarden Dollar
Bei der Entstehung von Krankheiten wie Covid-19 spielt die Zerstörung des Lebensraums von Viren, Bakterien, Parasiten oder Pilzen also eine entscheidende Rolle. Ein anderer wichtiger Punkt, der sowohl von WWF Spanien als auch vom Biologen und Epidemiologen Juan Carlos Navarro betont wird, sind die Wildtiermärkte wie im chinesischen Wuhan. «Die Leute romantisieren den Handel mit Wildtieren», sagt Navarro, der an der Privatuniversität SEK in Quito unterrichtet und mit Sandra Enriquez von der Universidad Central zusammenarbeitet. «Viele dieser Tiere sind Träger genau jener Viren, die zoonotische Krankheiten verursachen können und durch einen Biss, Sekrete, Speichel oder Exkremente leicht übertragbar sind.» Ein Grossteil des Wildtierhandels in Ecuador – es geht vor allem um Vögel, Säugetiere und Reptilien – dient dem Fleischkonsum, sowohl lokal als auch international. Julia Campoverde, Biologin und Koordinatorin der Wildlife Conservation Society Ecuador zur Bekämpfung des Wildtierhandels, warnte kürzlich in einem Online-Seminar vor dem Verkauf dieses Fleisches. Obwohl es frisch und geräuchert sei, «die Konservierungs- und Transportbedingungen sind äusserst prekär. Das öffnet zoonotischen Krankheiten Tür und Tor und macht sie für Menschen zu einer Zeitbombe.»
Das Argument, dieses Geschäft aufrechtzuerhalten, obwohl es sowohl für die Menschen als auch für das Gleichgewicht der Ökosysteme gefährlich ist, ist dasselbe wie bei der Abholzung: Geld anhäufen. Experten sagen, dass der Handel mit Wildtieren nach dem Handel mit Drogen-, Waffen und Menschen als weltweit eines der grössten Geschäfte gilt. Dazu werden oft dieselben Netzwerke genutzt, die die organisierte Kriminalität aufgebaut hat. Gemäss Schätzungen werden durch den Wildtierhandel alleine in Lateinamerika jährlich über 10 Milliarden Dollar erwirtschaftet.
Zika-Virus als Vorbote
Aus diesem Grund hält der Epidemiologe Juan Carlos Navarro eine strenge Regulierung des Handels mit wilden Tieren und Pflanzen sowie der Abholzung für unerlässlich. «Denn wenn nicht, dann laufen wir Gefahr, dass auch in Ecuador zoonotische Krankheiten ausbrechen, die sich später zu einer Epidemie entwickeln können.» Er erwähnt den Ausbruch des Zika-Virus im Jahr 2014/2015, der beinahe zu einer Pandemie geführt hätte, und warnt: «Aufgrund der Zerstörung der Ökosysteme, in denen diese Viren leben, und wegen des Handels mit Wildtieren und Pflanzen kann es jederzeit zum Ausbruch irgendeiner Zoonose kommen. Es ist zwar unvorhersehbar, aber durchaus wahrscheinlich.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine Dieser Beitrag erschien bereits auf der Website: mutantia.ch
- Mitarbeit: Vicky Novillo Rameix und Katharina Hohenstein
Infografik: Victoria Jaramillo
Revision: Dra. Sandra Enríquez, Biologin und Enthomologin sowie Dr. Juan Carlos Navarro, Enthomologe und Spezialist in molekularer Epidemiologie.
sehr interessanter Artikel, danke!
Je grösser der Teil der Erdoberfläche wird, auf dem der Mensch die natürlichen Kreisläufe zerstört, desto wahrscheinlicher wird die Verbreitung von Zoonosen, also von Krankheiten, die von Tieren auf den Mensch übertragen werden.
Wenn z.B. Insekten keinen Urwald mehr vorfinden, in welchem sie sich einst vom Blut von Säugetieren ernähren –, welche sich ihrerseits evolutiv an die von den Insekten weitergegebenen Erreger angepasst haben –, dann ziehen sie eben in Gegenden, wo sie Säugetiere finden: Menschen und deren Nutztiere.
Die Erhaltung möglichst grosser natürlicher Habitate ist also nicht «nur» wegen des Naturschutzes enorm wichtig, sondern auch aus artegoistischen Gründen. Es geht uns allen besser, wenn es der Natur gut geht – wir sind schliesslich ein Teil von ihr, ein Tier unter andern Tieren.
Geld-Gier hat es immer gegeben und wird es, solange es den nicht so weisen Homo Sapiens gibt, weiterhin geben. Aber früher brauchte dieser Gierige Tage, wenn nicht Wochen um zum Beispiel einen Teak-Baum zu fällen – heute, dem technologischen «Fortschritt» sei Dank, ein paar Stunden. Die rasante Entwicklung der Technologien in jedem Bereich trägt wesentlich der Zerstörung der Natur bei.
Wenn es nicht gelingt, die Zunahme der Weltbevölkerung von jährlich 80 Millionen Menschen zu bremsen, werden sämtliche Bemühungen i.S. Umwelt, Klima, Ressourcen ins Leere laufen. Leider gibt es keinerlei Ansatz.