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Zu viel Futterimporte, zu viele Nutztiere, zu viel Mist und Dünger, zu viel Stickstoff-Emissionen © K.Bouda/Pixabay

Stickstoff-Reduktion per Geldstrafe: Vergleich CH – EU

Kurt Marti /  In der EU müssen die Länder mit Milliardenbussen rechnen, wenn sie zu viel Stickstoff ausstossen. Nicht in der Schweiz die Kantone.

Der Missstand ist bekannt: zu viel Tierfutterimporte für zu viele Rinder, Schweine und Hühner, daraus resultieren zu viel Gülle und Mist, wodurch zu viel Stickstoffemissionen (Nitrat und Ammoniak) die Luft, den Boden und das Grund- und Trinkwasser belasten. Rund eine Million Tonnen Kraftfutter, darunter Soja aus Brasilien, werden jährlich importiert, um die überhöhten Nutztierbestände durchzufüttern. Das sind 60 Prozent des gesamten Kraftfutters für die Tierproduktion in der Schweiz. 1990 waren es noch 20 Prozent.

Auch der Bundesrat ist sich des Missstands bewusst. In seiner Antwort auf eine Interpellation der GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy stellte er letzten Februar fest, dass die Ammoniak-Emissionen «seit 2000 auf zu hohem Niveau» stagnieren und dass die Nitrat-Belastung seit Beginn der Messungen 1997 «weiterhin zu hoch» sind.

Zudem hielt der Bundesrat in seinem Umweltbericht 2018 fest, dass die Kantone «mit einem verbesserten Vollzug des bestehenden Umweltrechts» zur weiteren Reduktion der Stickstoff-Emissionen beitragen können. Tatsächlich liegt im mangelhaften Vollzug durch die Kantone einer der Hauptgründe für den jahrzehntelangen Missstand. Aber dem Bund fehlen wirksame Druckmittel, um die Kantone zum Handeln zu zwingen.

Deutschland musste einlenken

Anders in der Europäischen Union (EU): Im Unterschied zur Schweiz sind dort hohe Strafzahlungen vorgesehen, wenn die Nitrat-Richtlinie aus dem Jahr 1991 nicht eingehalten wird. Das bekam in den letzten Jahren Deutschland zu spüren. Im Juni 2018 verurteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Deutschland wegen der Nichteinhaltung der Nitrat-Richtlinie und gab damit einer Klage der EU-Kommission in allen Punkten Recht. Es drohten Strafen von 850’000 Euro pro Tag. Erst Ende März hat Deutschland deshalb seine Düngeverordnung angepasst und entging so den drohenden Strafzahlungen.

Der Kieler Agrar-Professor Friedhelm Taube ist überzeugt, «dass ohne den Druck der EU-Kommission in Deutschland gar nichts passiert wäre». Laut Taube wurden in der EU bisher Strafzahlungen nur angekündigt, aber nicht exekutiert: «Es wirkte bisher stets die Androhung.»

Auch für Raphael Weyland, Büroleiter in Brüssel für den Naturschutzbund Deutschland (Nabu), ist «das Strafzahlungssystem wichtig für die EU und hat schon viele positive Beispiele hervorgebracht beziehungsweise politisch unwillige Staaten zum Einlenken motiviert». Weyland nennt den Fall der Abholzung des Bialowieza Urwalds in Polen.

In der Schweiz hingegen gibt es keine Strafzahlungen für jene Kantone, die das Umweltrecht nicht oder mangelhaft vollziehen. Deshalb wollte das Pro Natura Magazin vom Bundesamt für Landwirtschaf (BLW) und dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) wissen, ob solche Strafzahlungen auch in der Schweiz sinnvoll wären beziehungsweise geplant sind.

Das BLW erklärte formalistisch, dass die Kantone das Gewässerschutzrecht «zu vollziehen» hätten und dass das Bafu den Vollzug beaufsichtige. Und spielte den Ball weiter: «Das Bafu müsste also diese Fragen beantworten.»

Auch das Bafu sagte nicht, was es von Strafzahlungen für die Kantone hält. Stattdessen stellte es fest, dass das Schweizer Umweltrecht «keine finanziellen Sanktionen gegenüber Kantonen» vorsehe, die das Bundesrecht «nicht oder nur ungenügend vollziehen». Das Bafu verfüge über «verschiedene Aufsichtsmittel, um auf einen umweltbundesrechtskonformen Vollzug der Kantone hinzuwirken». Allerdings würden «die beschränkten personellen Ressourcen bei Bund und Kantonen den Vollzug und die Aufsicht darüber» limitieren.

«Dieser Weg fehlt in der Schweiz»

Offen gegenüber Strafzahlungen zeigt sich Andreas Bosshard, Geschäftsleiter von Vision Landwirtschaft, der Denkwerkstatt unabhängiger Agrarfachleute: «Das wäre auf jeden Fall ein möglicher Weg, um endlich vorwärts zu kommen.» Marcel Liner, Landwirtschaftsexperte von Pro Natura, doppelt nach. «Dieser Weg fehlt in der Schweizer Gesetzgebung. Als Pro Natura haben wir nur die Möglichkeit, via eine aufsichtsrechtliche Anzeige in den Kantonen Vollzugsdefizite anzuprangern. Besser wäre es, wenn der Bund härtere Sanktionsmöglichkeiten bekommen würde.»

Bei allem Lob für den Druck aus Brüssel bleiben Agrar-Professor Friedhelm Taube und Nabu-Vertreter Raphael Weyland in Bezug auf die Umsetzung der Düngeverordnung in Deutschland skeptisch. Taube verweist auf die Agrarlobby, die im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) «nach wie vor voll präsent ist». Zudem fordere der Bauernverband im Zuge der Corona-Diskussionen schon jetzt, «man müsse sich jetzt vornehmlich um Ernährungssicherung kümmern und nicht um Umweltfragen». Und laut Weyland kann niemand sagen, ob die Düngeverordnung «ausreicht, um die Grenzwerte der Nitrat- Richtlinie einzuhalten».

Laut Taube braucht es in Zukunft deutlich bessere Kontrolldaten, nämlich «eine ambitionierte Hoftorbilanz aller Betriebe: Die Betriebe würden verpflichtet, sämtliche Buchführungsdaten bereitzustellen, um die Zufuhr und Abfuhr von Nährstoffen in den Betrieb hinein und aus dem Betrieb heraus valide zu dokumentieren». In Abhängigkeit des Umfangs der Tierhaltung im Betrieb müssten dann «ambitionierte Grenzwerte gesetzt und bei deren Nichteinhaltung Strafzahlungen eingefordert werden».

Im Verdachtsfall müsse die kontrollierende Behörde die Möglichkeit haben, «Bodenproben im Herbst zu nehmen, um zu prüfen, ob der Betrieb mit den Nährstoffen effizient» umgehe. Auch hier brauche es bei Nichteinhaltung zu definierender Nitrat-Grenzwerte «klare Sanktionsmechanismen».

«Dafür sind dann die Folgegenerationen verantwortlich»

Dass die Nitrat-Richtlinie der EU aus dem Jahr 1991 hohe Strafzahlungen vorsieht, ist auf den ersten Blick erstaunlich, weil solche Entscheide Einstimmigkeit erfordern. Viele Länder stimmten der Richtlinie also im Wissen zu, dass sie später von hohen Strafzahlungen betroffen sein könnten. Wie kam also diese Richtlinie zustande? Agrar-Professor Friedhelm Taube erinnert sich an die «Aufbruchstimmung in Sachen Umweltschutz Ende der 80er- und zu Beginn der 90er-Jahre mit damals progressiven konservativen Ministern wie Klaus Töpfer». Er und seine Wissenschaftskollegen hätten «in den 90er-Jahren alle Daten bezüglich der Fragen der Landnutzung und Nitratauswaschung geliefert, die die Politik für Ihre Entscheidungsfindung brauchte».

Taube vergleicht die Situation mit dem heutigen Klimaplan 2050: «Solange das Ziel recht weit in die Zukunft geschoben wird, haben ja die heutigen politischen Akteure keine Veranlassung zu befürchten, dass sie einmal für diese Entscheidungen verantwortlich gemacht werden — dafür sind dann die Politiker- Folgegenerationen verantwortlich. Und so war es auch damals.»

Laut Raphael Weyland vom Naturschutzbund Deutschland sind solche Strafzahlungen «keine Besonderheit der Nitrat-Richtlinie», sondern ein «allgemeines Vollzugssicherungs-Instrument der EU», das auch in anderen Bereichen gelte. Oftmals stimmten die Mitgliedstaaten «gewissen Regelungen zu, wissend dass diese erst Jahre später in Kraft treten, wenn negative Berichterstattung nicht mehr die gleichen Politiker trifft, die zugestimmt haben.

Dieser Beitrag ist erstmals im Pro Natura-Magazin 4/2020 erschienen.


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Eine Meinung zu

  • am 20.11.2020 um 13:38 Uhr
    Permalink

    Der Schweizer Nationalfonds stellte in seinen Studien betreffend den wirksamsten Massnahmen im Zusammnhang mit Energie und der Klimapolitik fest, dass lenken durch Lenkungsabgaben 5 mal wirksamer ist, als durch vorschreiben oder fördern. Es gibt keinerlei Anhalstpunkte, dass dies im Agrarbereich anders sein sollte. Warum führen wir nicht Ressourcen-Lenkungsabgaben auf importierte Futtermittel, Kunstdünger usw. ein?. Per Definition müssen Lenkungsabgaben an die Bevölkerung zurück bezahlt werden. Eine solche Abgabe ist somit nichts anderes als eine andere Finanzierung eines nachhaltigen Grundeinkommen. Letztlich brauchen wir ein Grundeinkommen, dass finaniert wird durch Ressourcen-Lenkungsabagben und eine Mikrosteuer auf Finanztransaktionen. Jeder kann sich damithochwetige Lebnsmittel leisten. Solche im Zusammnhang neue Ansätze scheinen jedoch sehr schwer kommunizierbar. Ich bin gespannt, wann das Thema von der Redaktion vielleicht doch aufgenommen wird.

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