Schweiz soll in 32 Jahren aus der fossilen Energie aussteigen
«Man rettet die Welt nicht, indem man beschliesst, sie dürfe nicht untergehen.» Das schrieb der Journalist Marcel Hänggi in seinem im Mai 2018 erschienenen Buch «Null Öl, Null Gas, Null Kohle». Mit diesem Satz bezieht er sich auf das Klimaschutz-Abkommen, das die UNO-Staaten und damit auch die Schweiz 2015 in Paris beschlossen haben. Darin verpflichten sie sich, die weltweite Klimaerwärmung respektive den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf «deutlich unter 2 Grad Celsius, wenn möglich auf 1,5 Grad» zu begrenzen.
Um dieses Temperatur-Ziel zu erreichen, muss der von Menschen verursachte Ausstoss von Treibhausgasen ab 2020 alle Jahrzehnte halbiert und ab 2050 auf null reduziert werden. Das zeigen die wahrscheinlichsten Resultate der Klimaforschung. Bei diesen Treibhausgasen handelt es sich zum Grossteil um CO2, das bei der Verbrennung von fossiler Energie (Erdöl, Gas und Kohle) entsteht.
Globale Konsequenz, national umsetzen
Das globale Ziel, «Null CO2-Emissionen» ab 2050, wollen Buchautor Hänggi und weitere teils prominente Personen* per Volksinitiative national verankern, also in der Bundesverfassung festschreiben. Dazu gründeten sie am Samstag, 25. August, unter dem Steingletscher am Sustenpass den Verein «Klimaschutz-Schweiz». Dieser Verein will das Volksbegehren ab Januar 2019 unter dem Titel «Gletscher-Initiative» lancieren. Den provisorischen Initiativ-Text und weitere Informationen dazu finden Interessierte auf der Homepage www.Klimaschutz-Schweiz.ch.
Diese Initiative scheint radikal, doch sie ist konsequent. Denn wenn man ihre Forderung vergleicht mit den – klimawissenschaftlich gestützten – Anforderungen an die globalen Absenkpfade muss die Schweiz bis 2050 nicht nur vollständig aus der fossilen Energie aussteigen, sondern schon in den Jahren zuvor den CO2-Ausstoss massiv senken. Je später sie damit beginnt, desto steiler muss die Emissionskurve fallen (siehe Grafik) .
Exemplarische Emissionspfade, um die Klimaerwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen, bei einem Gesamtausstoss von jeweils 600 Gt CO2, aber unterschiedlichen Jahren, in denen der Wendepunkt erreicht wird. Gestrichelt: ein Beispiel mit 800 Gt CO2-Ausstoss. Grafik: Stefan Rahmstorf, Pottsdamer Institut für Klimaforschung
Konsequenterweise müsste darum auch die Umweltministerin Doris Leuthard, die 2015 dem Klimavertrag in Paris zustimmte, dem Verein Klimaschutz-Schweiz beitreten und der stimmberechtigten Bevölkerung ein unbedingtes Ja zur Initiative empfehlen.
Verfassungsziel, aber ohne Gewähr
Doch selbst wenn das Volk der «Gletscher-Initiative» in drei oder vier Jahren zustimmen sollte, besteht keine Gewähr, dass ihr Ziel, «eine Schweiz mit Null CO2-Emissionen», 2050 tatsächlich auch erfüllt wird. Der eingangs zitierte Satz, «man rettet die Welt nicht, indem man beschliesst, sie dürfe nicht untergehen», fällt damit auf den Urheber zurück: Man vermindert den Kohlenstoff-Einsatz und den CO2-Ausstoss nicht auf null, indem man beschliesst, er müsse auf null sinken. So relativieren folgende Punkte die Erfolgsaussicht:
Auch indirekte Wirkung zählt
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mehrheit der auto- und flugbegeisterten Schweizer Bevölkerung den Öl- und Gashahn mittels Politik zudrehen wird, ist ohnehin nicht sehr gross. Zudem werden Wirtschaft und bürgerliche Parteien das angekündigte Volksbegehren mit vielen finanziellen und rhetorischen Mitteln bekämpfen. Damit fragt sich: Lohnt sich der Aufwand für die Gletscher-Initiative mit ihrem fernen Ziel, aus der fossilen Wirtschaft auszusteigen?
Dieser Aufwand lohnt sich aus zwei Gründen: Erstens im Interesse der Glaubwürdigkeit. Denn es ist heuchlerisch, ein globales Klimaschutz-Abkommen zu unterzeichnen, ohne gleichzeitig die nationalen Konsequenzen zu ziehen. Zweitens kann die Initiative zumindest indirekt eine griffigere Politik zur Linderung des Klimawandels in die Wege leiten. Denn wenn am Horizont der vollständige Verzicht auf Öl, Gas und Kohle droht, wächst der Druck, das bestehende CO2-Gesetz zu verschärfen. Als Mittel dazu dienen etwa Lenkungsabgaben oder Mengenbegrenzungen, beides Mittel, welche die Initiative ausdrücklich vorschlägt.
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* Wer steht dahinter?
Rund sechzig Personen gründeten am Samstag (25. August) am Fuss des Steingletschers den Verein «Klimaschutz Schweiz». Zum engeren Kreis gehören Buchautor Marcel Hänggi, die Bieler Stadträtin Myriam Roth und der Alpenschützer Dominik Siegrist (die den Verein gemeinsam präsidieren), der Chemie-Nobelpreisträger Jacques Dubochet, die Forstingenieurin Monika Frehner, der Gletscherforscher Wilfried Haeberli, der Kabarettist Franz Hohler, der Snowboard-Profi Nicolas Müller, der Umwelthistoriker Christian Pfister, der Schriftsteller Peter Stamm. Unter den weiteren Mitgliedern findet man Leute, die in der Wald-, Land-, Wasserwirtschaft, im Tourismus sowie in der Wissenschaft und Forschung tätig sind.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Es ist wohl vielfach menschlich, bis zur letzten Sekunde mit Veränderungen zu warten.
Aktuelles Beispiel:
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde Ende Dezember 2015 beschlossen. Als Stichtag für die Einführung wurde der 25. Mai 2018 festgelegt. Bis etwa zwei Wochen vor der Einführung tat sich so gut wie nichts. Und dann gab es auf einmal überall Hektik und teilweise Panik, um den Termin doch noch zu schaffen.
Irrtümlich wurde am 27. Aug. um 23.20 ein fehlerhafter Entwurf aufgeschaltet. Korrekte Fassung:
Schöne Luftblasen! Fakt ist – zur gefälligen Kenntnisnahme: Die Schweiz exportierte 2014 5’419 GWh Strom. 2016 musste sie netto erstmals Strom importieren, nämlich 3’923 GWh. 2017 erhöhte sich der Nettoimport bereits auf 5’550 GWh und er nimmt 2018 weiter zu (Handelszeitung 16.08.2018). Es handelt sich bei diesem im Winterhalbjahr nötigen Import um Strom aus Kohlekraftwerken und Atomstrom. Dass erstere gewaltige Dreckschleudern und CO2-Emittenten sind, sollte mittlerweile bekannt sein. Wenn in der Schweiz trotz Subventionen in alternative Energien und des weiteren Zubaus von Solarzellen der Strombedarf und folglich -import dennoch ständig zunimmt, so stimmt an der Fantasie «Null Öl, null Gas, null Kohle» wohl etwas nicht. Genau wie an der Idee einer sog. Energiewende, die sich auch vor dem Hintergrund der propagierten und gepushten Elektromobilität als Luftschloss erweist.
Herr Fröhlich, ich habe den zitierten Artikel in der Handelszeitung nicht gefunden. 2018 nimmt der Netto-Stromimport ab und nicht zu. Vielleicht wird es sogar ein Netto-Exportjahr geben.
Studieren Sie die Statistik vom Bundesamt für Energie. In den ersten 5 Monaten sind es über 4000 GWh weniger verglichen mit 2017.
Hier einige Zusatzinformationen, um die «Gletscher-Initiative» besser, also faktenbasiert, beurteilen zu können: http://www.youtube.com/watch?v=ttNg1F7T0Y0.
Das eigentliche Referat von John Christy dauert zwar drei Viertel Stunden, aber der Aufwand lohnt sich. Er zeigt irgendwo in der Mitte des Referats, dass sich der globale Erwärmungspfad aufgrund der IPCC-konformen Modellrechnungen nur marginal abschwächen würde, wenn die USA morgen von der Weltkarte verschwinden würden. Dies nebst unzähligen weiteren interessanten Fakten und Daten.