Kommentar

Vom Umgang mit Widersprüchen zwischen Umwelt und Wirtschaft

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Klimaschutz hier, Luftverkehr dort. Themen, die eng zusammenhängen, werden publizistisch separiert, Konflikte ausgeblendet.

Ich habe mich vor drei Jahren in Zürich vertraglich verpflichtet, 170 Jahre alt zu werden. Das Problem ist nur: Herz- und Kreislaufkrankheiten streben ein stetiges und dauerhaftes Wachstum an. Die Krebszellen wollen sich ebenfalls weiter vermehren. Die Zahl der Alzheimer-Erkrankungen, so prognostizieren Ärzte, werde sich bis 2050 verdoppeln. Trotzdem haben alle meine Bekannten das Zürcher Abkommen «170 Jahre Guggenbühl» unterzeichnet.

Ähnlich verhält es sich mit dem 2015 abgeschlossenen Klimavertrag von Paris. Alle UNO-Staaten haben dem Abkommen zugestimmt, wonach die globale Erwärmung auf «weniger als zwei Grad Celsius, wenn möglich 1,5 Grad» zu begrenzen ist; einzig US-Präsident Donald Trump will 2020 aus dem Vertrag wieder aussteigen.

Um das Pariser Abkommen zu erfüllen, müssen die Emissionen von CO2 und weiteren menschengemachten Treibhausgasen bis 2050 auf Null sinken, haben Klimatologen ausgerechnet. Darum wollen die Urheber der Gletscher-Initiative das Ziel «Null CO2-Emissionen ab 2050», also «Null Erdöl, Erdgas und Kohle», jetzt in der Bundesverfassung festschreiben. NZZ, Tamedia-Newsnet und weitere Medien, darunter auch Infosperber, haben letzten Sonntag sachlich bis wohlwollend über diese angekündigte Initiative berichtet.

Das Problem ist nur: Der internationale Luft- und Schiffsverkehr wird im Klimavertrag von Paris ausgeklammert. Der Anteil des Luftverkehrs an den gesamten CO2-Emissionen, der heute global bei fünf Prozent liegt (in der Schweiz bereits viel höher), wird sich bis 2050 auf 22 Prozent erhöhen, wenn die Wachstumsziele der Flugbranche erfüllt werden. Der Schiffsverkehr wächst ebenfalls rasant. Und dem Treibhaus ist es egal, ob es mit CO2 aus Flugzeugen, Automotoren oder Kohlekraftwerken geheizt wird. Die Gletscher-Initiative ihrerseits lässt Ausnahmen vom «Null-CO2-Ziel» zu für «technisch nicht substituierbare Anwendungen». Während beim Schiffsverkehr Windkraft das Schweröl allenfalls ersetzen kann, ist beim Luftverkehr kein Ersatz von fossilem Treibstoff in Sicht.

Wenn Medien, die auf der einen Seite wohlwollend über den Pariser Klimavertrag oder die Gletscher-Initiative informieren, auf andern Seiten über den wachsenden Luftverkehr oder neue Automodelle berichten, klammern sie das Thema Klimawandel dort meist aus. Beispiel: Die NZZ veröffentlichte kürzlich ein Gespräch mit dem Chef der Fluggesellschaft Swiss, Thomas Klühr (NZZ vom 4.8.2018). Darin jammerte Klühr über die Engpässe im europäischen Luftraum im allgemeinen sowie auf dem Flughafen Kloten im besonderen und sagte: «Mittel- und langfristig braucht dieser Flughafen aber Wachstumspotenzial.» Die Rückfrage, wie sich dieses Wachstum mit dem klimapolitischen Zweigrad-Ziel vereinbaren lasse, blieb aus; auch im übrigen ganzseitigen Interview findet man keinerlei Verknüpfung mit dem Klimawandel. Ähnliche Beispiele findet man täglich auch in andern Medien.

Zwischen dem fiktiven Zürcher Abkommen «170 Jahre Guggenbühl» und dem realen Pariser Klimavertrag «Weniger als zwei Grad Temperaturanstieg» sowie der Initiative «Null CO2-Emissionen im Jahr 2050» gibt es einen wesentlichen Unterschied. Meine Bekannten wissen, dass die Zunahme von Kreislaufkrankheiten, Krebs und Demenz das menschliche Leben begrenzt; würden sie einen Vertrag für 170 Lebensjahre unterzeichnen, kämen sie ins Irrenhaus. Die Verkäufer von Flugreisen, Autos oder Kreuzfahrten und ihre BotschafterInnen in den Medien hingegen tun so, als ob es keinen Konflikt zwischen dem Wachstum ihres Geschäfts, der vertraglich begrenzten Klimaerwärmung und der angestrebten Vermeidung des CO2-Ausstosses gäbe.

Widersprüche zwischen Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft sind unvermeidlich. Sie zu verschweigen oder mit Worthülsen wie «Nachhaltigkeit» oder «Qualitatives Wachstum» zu verschleiern, ist eine intellektuelle Beleidigung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Eine Meinung zu

  • am 5.09.2018 um 22:06 Uhr
    Permalink

    Widersprüche? Ich sehe keine. Logisch. Es geht doch in allen Fällen um das Eine; Chlütter verdienen. Ob Alzheimer-Medikamente oder C02 Abgaben. Der kleine Bürger soll blechen, was die Industrie und Politik sich ausdenkt – Hauptsache die Heilige Industrie – Sprich die Grossverdiener und Aktionäre, Banken und Politikerelite bekommt regelmässig Ihre Pfründe. Da ist Ökologie oder gerechte Einkommensverteilung reine Makulatur. Willkommen in der Realität.

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