Nicht ganz dicht: Stillgelegte Bohrlöcher verlieren viel Methan
Im Mai 2012 bemerkte Hanson Rowe auf seinem Grundstück in Kentucky das erste Mal einen starken Geruch nach faulen Eiern. Dieser kam aus einem stillgelegten Gasbohrloch auf seinem Land. Die Gase machten ihn schwindlig und kurzatmig.
Was da stank, war Schwefelwasserstoff. Ausserdem entwich aus dem ehemaligen Bohrloch das Gas Methan. 2006 hatte das Unternehmen «J.D. Carty Resources LLC» auf dem Land der Rowes nach Gas gebohrt. 2008 ging das Unternehmen Konkurs und verkaufte den Bohrplatz an ein anderes Unternehmen, das wiederum von «Blue Energy LLC» gekauft wurde. Beide Unternehmen lehnen die Verantwortung ab.
Manche Bohrungen lecken seit mehr als 100 Jahren
Bezahlt hat vorerst der Staat. 2013 erklärte der Bundesstaat Kentucky das Bohrloch zum ökologischen Notfall. Ein darauf spezialisiertes Unternehmen verschloss das Bohrloch in 40 Tagen. Das Wasser auf dem Gelände ist noch immer nicht geniessbar, Rowe hat noch immer Kopfschmerzen und sein Husten hält an. «Nicht für eine Million würde ich das nochmal mitmachen», sagt er. Der Ruheständler hat die beiden möglicherweise haftbaren Unternehmen verklagt. Der Staat Kentucky versucht ebenfalls, seine Auslagen vor Gericht zurückzubekommen.
Die Geschichte der Rowes ist kein Einzelfall. Auch andere stillgelegte Öl- und Gasbohrlöcher in den USA geben Methan und andere Umweltgifte ab, manche seit mehr als hundert Jahren. Durch zerfallende oder fehlerhafte Bohrlochverschlüsse, lecke Leitungen und fehlende Wartung verschmutzen sie das Grundwasser und pusten klimaschädliches Methan in die Luft. In einigen wenigen Fällen ist das Gas auch schon explodiert.
Knifflige Suche nach weiteren Lecks
Wie viele lecke Bohrlöcher es in den USA gibt, weiss man nicht. Die Dokumentation über ehemalige Bohrungen ist lückenhaft. Stellen, an denen Methan, Öl oder andere Gifte austreten, sind oft sehr schwer zu finden. Verschlossene Bohrlöcher verstecken sich in Wäldern, auf Brachgrundstücken oder in Industriegebieten. Wenn nicht wie bei den Rowes ein stinkendes Gas wie Schwefelwasserstoff mit ausgast, sind sie unauffällig. Methan ist farb- und geruchlos.
Die Forscher Tim de Smet und Alex Nikulin benutzen seit 2013 eine Drohne mit Metalldetektor, um verwaiste Bohrlöcher im Staat New York zu finden. Ohne Aufzeichnungen, auf die sie sich stützen können, ist die Suche schwierig bis aussichtslos. «Es ist viel einfacher, etwas zu finden, wenn man weiss, wo man suchen muss», erklärt Nikulin.
Ein undichtes Bohrloch im Staat New York im Februar 2020 (Lindsay DeDario, Reuters)
Der Weltklimarat IPCC empfahl den Mitgliedern der Vereinten Nationen 2019 Methanlecks nachzugehen und zu veröffentlichen, wie viel von dem Gas aus ihren stillgelegten Bohrlöchern austritt.
Bislang sind die Vereinigten Staaten und Kanada die einzigen Staaten, die stillgelegte Bohrungen dokumentieren. In den USA sind 3,2 Millionen stillgelegte Bohrungen bekannt, 2018 verloren sie 281’000 Tonnen Methan. Das verursacht etwa so viel Klimaschaden wie die Menge an Rohöl, welche die USA in zwei Tagen verbrennen, rechnet «Reuters» vor.
Mehr als hundert Jahre lang wurde in den USA nach Öl und Gas gebohrt. Es gibt Millionen aufgegebene Bohrlöcher (Daten: EPA, Grafik: Reuters).
Viele verlassene Bohrlöcher werden wohl erst noch gefunden. Die tatsächlichen Zahlen könnten laut der US-Umweltbehörde EPA dreimal so hoch sein, weil die Daten nicht vollständig sind. Und sie könnten demnächst stark ansteigen. Wenn der Ölpreis nicht über 30 Dollar pro Barrel steigt, könnten nach Schätzungen von Experten in diesem Jahr bis zu 73 US-Bohrunternehmen pleitegehen, weitere 170 Unternehmen 2021.
In Kanada gibt es nur 313’000 bekannte stillgelegte Bohrlöcher, die 2018 10’100 Tonnen Methan emittierten. Grösstenteils deshalb, weil Kanada eher Öl aus Ölsand als aus traditionellen Bohrlöchern gewinnt. Aus den anderen drei grossen Öl- und Gasförderländer China, Russland und Saudi-Arabien gibt es keine Daten. Keines der drei Länder reagierte auf Nachfragen von «Reuters». Die Nachrichtenagentur schätzt die Anzahl stillgelegter Bohrlöcher weltweit auf ungefähr 29 Millionen, ihre Emissionen auf 2,5 Millionen Tonnen Methan im Jahr.
Die US-Regierung geht davon aus, dass die Säuberung und Versiegelung eines leckenden Bohrlochs zwischen 20’000 und 145’000 Dollar kostet. Für die bisher bekannten drei Millionen Problemstellen kämen für die Vereinigten Staaten damit 60 bis 435 Milliarden Dollar zusammen. Kosten, die wahrscheinlich zu grössten Teilen die Allgemeinheit tragen muss, ähnlich wie bei anderen Umweltschäden auch.
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Lesen Sie dazu:
«PFAS: Chemie, die kostet», Infosperber Juli 2020
«Welt-Atommüll-Report: Keiner weiss genau, wohin damit», Infosperber Dezember 2019
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Beispiele gibt es einige: So musste ein Schuldistrikt in Beverly Hills 2017 11 Millionen Dollar aufbringen, um 19 Ölquellen auf dem Gelände der High School verschliessen zu lassen. Weitere 11 Millionen legte der Staat Kalifornien drauf. Auf dem Land eines Farmers in Ohio grub der Staat für fast 200’000 Dollar einen Teil des Drainagesystems aus, das mit Öl aus einer 130 Jahre alten Ölquelle verseucht war. In Marina del Rey, Kalifornien, schoss im Januar 2019 auf einer Baustelle eine mehr als 30 Meter hohe Fontäne aus Gas und Erde aus dem Boden. Die Ursache: ein Bohrloch aus den 1930er-Jahren.
Der Ruf nach Staatsgeldern
Bohrunternehmen müssen zwar eine Art Kaution hinterlegen, die für spätere Aufräumarbeiten gedacht ist, falls sie bankrottgehen. Diese ist aber oft viel zu niedrig bemessen, die Regulierungen sind uneinheitlich.
Industrieverbände wirken darauf hin, dass das auch so bleibt. «Den Bundesstaaten und der Bundesregierung [der USA] stehen viele Finanzierungsquellen zur Verfügung, um aufgegebene Bohrlöcher wieder nutzbar zu machen und zu verstopfen», fand ein Sprecher des American Petroleum Institute (API), der grössten Öl- und Gashandelsgruppe des Landes. Im ersten Quartal 2020 hat API bereits 1,4 Millionen Dollar für Lobbying ausgegeben.
Kentucky hat laut «Reuters» 2019 seine Bestimmungen geändert und die Kaution erhöht. Vertreter mehrerer US-Staaten fordern trotzdem föderale Gelder.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine