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Die Pole sind fast die letzte unberührte Natur. Jetzt müssen sie einen Tourismusboom verkraften. © CC

Mit Airbnb auf PR-Tour in die Antarktis

D. Gschweng /  Gutes tun und dabei den Südpol sehen, so wirbt Airbnb in einer aktuellen Aktion. Nur, der Südpol braucht das nicht. Im Gegenteil.

Airbnb bietet regelmässig Sonderaktionen namens «Sabbaticals» an. Das aktuelle Projekt schickt die Teilnehmer in die Antarktis. Auf dem von Airbnb finanzierten Trip zum Südpol sammeln fünf Freiwillige Schneeproben, die später auf Spuren von Mikroplastik analysiert werden sollen. Eine Reise im Dienste der Nachhaltigkeit und der Wissenschaft, wirbt Airbnb. Quasi nebenbei dürfen die ausgewählten «Citizen Scientists» ein Touristen-Programm absolvieren – und sollen kräftig die Werbetrommel rühren. Dabei ist es das letzte, was die Pole brauchen: noch mehr Tourismus.

Laut Airbnb sollen die fünf Antarktisforscherinnen und -forscher über die Reise hinaus «Botschafter für die Ozeane werden». Das heisst, für die Organisation «Ocean Conservancy», die an dem Projekt teilnimmt, sowie selbstredend für Airbnb und den Tourismusveranstalter «Antarctic Logistics & Expeditions» (ALE), der in der Antarktis mehrere Camps unterhält. Das Ziel der Expedition soll laut Airbnb sein, «besser zu verstehen, wie Reisen ein positiver Katalysator für Veränderung sein kann».

Influencer bevorzugt

Die Teilnehmer sind von einem fünfköpfigen Gremium bereits ausgewählt worden. Das Gremium besteht aus einem Vertreter von Airbnb, einem Vertreter des Tourismusunternehmens ALE, der Meereswissenschaftlerin Kirstie Jones-Williams, die das Projekt wissenschaftlich betreut, einem nicht näher bezeichneten «Mitglied einer Industrieorganisation» und einem «unabhängigen Mitglied».

Besondere Vorkenntnisse brauchten die ausgewählten Teilnehmer nicht. Chancen hatten aber vor allem Bewerber, die unter anderem eine grosse Onlinepräsenz mitbringen, schreibt «Vice» mit Bezug auf die Richtlinien von Airbnb. Teilnehmer würden danach bewertet, ob sie «in der Lage sind, in Zukunft mit einem anderen Publikum in Dialog zu treten und andere über komplexe Themen aufzuklären», sprich: Journalisten und Influencer.

Tourismus-Trip mit wissenschaftlicher Betreuung

Die Teilnehmer fliegen zuerst nach Chile, wo sie eine zweiwöchige Einführung in Glaziologie bekommen und lernen, wie sie Schneeproben sammeln müssen. Nebenbei erkunden sie laut Airbnb die chilenische Wildnis. Danach geht die Reise weiter in zwei verschiedene Camps in der Antarktis – ebenfalls per Flugzeug. Die «Citizen Scientists» haben Gelegenheit, mehrere touristische Sehenswürdigkeiten zu besuchen, Schneemobil zu fahren und mit Fat Bikes durch den Schnee zu radeln. Sie sammeln Schneeproben in der Nähe des Camps und auf einem Gletscher, um herauszufinden, «ob Mikroplastik bereits bis ins Innere der Antarktis vorgedrungen ist».

In der darauffolgenden Woche werden die Proben in einem Labor in Chile unter Mitwirkung von Wissenschaftlern analysiert. Wissenschaftlich betreut wird die Reise von Kirstie Jones-Williams, die laut «Slate» für das Projekt ihre Doktorarbeit unterbricht. «Diese Reise könnte nicht weiter von einem Touristentrip entfernt sein!», schreibt Jones-Williams in einer Email an das Magazin.

Besuchen Sie den Südpol, so lange er noch steht

Für die Teilnehmer dürfte die Reise tatsächlich ein «einmaliges Erlebnis» darstellen. Schon aus Kostengründen: Der Veranstalter ALE bietet die Reise in «das abgelegene Innere des weissen Kontinents» als «Antarctic Odyssey» normalerweise für 26’000 Dollar pro Person an. Die Teilnehmerzahl ist jeweils begrenzt.

Um fair zu sein: Airbnb ist nicht das einzige Unternehmen, das unter dem Label der Nachhaltigkeit Reisen in die Antarktis anbietet. Der Tourismus an den Polen boomt. Organisatorisch und logistisch sind Reisen ins Landesinnere sehr aufwendig. Camps sind oft temporär sowie nur wenige Monate im Jahr und auf dem Luftweg zugänglich. Die Veranstalter werben unter anderem damit, den fragilen, menschenleeren Kontinent zu bereisen, bevor der Klimawandel ihn für immer verändert …

Mehr Tourismus ist das, was die Antarktis garantiert nicht braucht

«Das Letzte, was die Antarktis braucht, sind mehr Menschen, die dort hinfahren», sagt Jessica Green, Politologin an der Universität Toronto auf Nachfrage von «Slate». Green beschäftigt sich mit politischen Auswirkungen auf den Klimawandel und hält Tourismus für eine der grössten Bedrohungen für den antarktischen Kontinent. Dafür zu werben, hält sie für wenig hilfreich.

Airbnb will nach eigener Auskunft in Zukunft keine Reisen in die Antarktis anbieten und auch keine Reisen bewerben. Den ökologischen Fussabdruck der Reise will das Unternehmen immerhin durch Spenden an anderer Stelle kompensieren. Beim «Antarctic Sabbatical» handle es sich um ein einmaliges «Citizen Science»-Projekt, lässt das Unternehmen wissen.

Wie Airbnb den Begriff «Citizen Science» verdreht

Auch diese Bezeichnung darf man in Frage stellen. «Citizen Science», zu Deutsch: Bürgerwissenschaft oder Laienwissenschaft, macht sich die Ressourcen von Laien zunutze. Sei es, weil diese ohnehin vor Ort sind, Zugang zum zu erforschenden Gegenstand haben oder die Mittel durch ihre schiere Anzahl vergrössern. Freiwillige zählten im Dienst der Wissenschaft bereits Pinguine, Insekten und Vögel, katalogisierten Müll am Ufer von Schweizer Gewässern und Würmer in ihren Ackerböden. In der Regel leisten sie während ihrer Freizeit einen Beitrag von einigen Stunden. Insofern wäre es zielführender gewesen, Touristen oder Wissenschaftler, die sich ohnehin in der Antarktis aufhalten, um Schneeproben zu bitten. Fünf Personen eigens dorthin zu fliegen belastet das empfindliche Ökosystem der Antarktis nur noch mehr.

Inwieweit die Ergebnisse des antarktischen Schneesammelns wissenschaftlich verwertbar sein werden, sei ohne Detailwissen schwer zu sagen, sagt die Meeresökologin Melanie Bergmann, die «Vice» dazu befragt hat. Bergmann hat Erfahrung mit der Einbindung wissenschaftlicher Laien beim Sammeln von Schnee. Die Qualität der Studie hänge von der Reinheit der Schneeproben ab, also davon, wie sorgfältig sie gesammelt werden, sagt sie. Jones-Williams jedenfalls will die Ergebnisse der Antarktis-Studie in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlichen.

Falls Airbnb die Umweltwissenschaften weiter fördern möchte, gäbe es dazu noch ein paar andere und sicherlich bessere Ideen: die Ausschreibung eines Stipendiums beispielsweise oder die finanzielle Beteiligung an einer wissenschaftlichen Expedition. Hilfe bei der Ausstattung von Laboren und Beiträge an die Transportkosten von Mensch und Material sind meist ebenfalls willkommen. Auch kostenlose Airbnb-Unterkünfte wären dem wissenschaftlichen Nachwuchs, der oft viel reisen muss, die sinnvollere Unterstützung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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