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Viel Wasser für die Stromproduktion hinter der Staumauer, kein Restwasser für die Natur darunter © H.Guggenbühl

Im Wasserschloss Europas verschärft sich der Kampf ums Wasser

Hanspeter Guggenbühl /  Das Wasser in der Schweiz reicht nicht mehr für alle. Das zeigt der Konflikt zwischen Gewässerschutz- und neuem Energiegesetz.

Wie viel Wasser für die Stromproduktion, wie viel «Restwasser» für die Natur, also Bäche, Flüsse, Fische, Auen, Wasserhaushalt und schützenswerte Landschaften? Diese Frage spaltet Stromproduzenten und Naturschutz-Organisationen seit Jahrzehnten. Die Auseinandersetzungen darüber gingen unterschiedlich aus. Vielfach gewannen die Stromunternehmen, indem sie umstrittene Kraftwerke realisieren konnten – von Rheinau über Marmorera bis Ilanz. In andern Fällen siegten die Naturschützer: Dank ihrem Widerstand und dank tiefen Preisen auf dem Strommarkt verzichteten die Stromproduzenten auf mehrere umstrittene Projekte, unter anderem auf der Greina, im Val Madris oder am Alpenrhein zwischen Landquart und Bodensee.

Konflikt zwischen Gewässerschutz- und Energiegesetz

Der alte Streit wird verschärft durch zwei neuere Gesetze, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen:

  • Das Gewässerschutz-Gesetz von 1992 verlangt Sanierungen von bestehenden Wasserkraftwerken mit dem Ziel, die Restwassermengen zu erhöhen, die unterhalb der Wasserfassungen in den Bächen und Flüssen verbleiben müssen. Einen kleinen Teil dieser Anpassungen haben die Kantone fristgerecht bis 2012 umgesetzt. Weitere Sanierungen müssen folgen, spätestens dann, wenn frühere Konzessionen zur Nutzung der Wasserkraft auslaufen.
  • Das revidierte Energiegesetz von 2018, das die Stimmberechtigten im Mai 2017 als Teil der neuen Energiestrategie beschlossen, setzt das Ziel, die mittlere Stromproduktion aus Wasserkraft in der Schweiz zu erhöhen. Dieses Gesetz klammert, wie Infosperber schon früher thematisierte, die wachsenden energetischen Verluste der Pumpspeicherung aus.

    Was das Gewässerschutz-Gesetz bewirken kann

    In einer neuen Studie* hat der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) jetzt untersucht, wie sich die Umsetzung des Gewässerschutz-Gesetzes auf die Stromproduktion aus Schweizer Wasserkraftwerken auswirkte und in Zukunft auswirken kann. Dabei unterscheidet die Studie zwischen vier Szenarien und vier Zeiträumen.

    Szenario 1 basiert auf den minimalen Anforderungen an die Restwassermengen, welche die Kantone bei den bisher verfügten und umgesetzten Sanierungen anwendeten. Szenario 2 und 3 berücksichtigen erhöhte Anforderungen des Gesetzes bezüglich Wassertiefe für Fische und Auenschutz. Das 4. Szenario rechnet damit, dass die Behörden das Gesetz konsequent zu Gunsten der Natur umsetzen, indem sie mit einer «simultan-dynamischen Dotierung» dafür sorgen, dass unter den Wasserfassungen (Stauseen, Stolleneingängen,, etc.) jederzeit eine bestimmte Menge des natürlichen Abflusses in den Gewässern verbleibt.

    Die Resultate dieser Restwasser-Vorschriften fasst die folgende Tabelle zusammen:

    Tabelle vergrössern

    Dazu folgende Ergänzungen und Erläuterungen, basierend auf dem Szenario 1: Bei mittlerer Wasserführung erzeugen alle Schweizer Wasserkraftwerke heute pro Jahr 36 300 Gigawattstunden Strom (Stand: 2018); dies ohne den Strom aus hochgepumptem Wasser in Pumpspeicherwerken. Die Sanierungen, welche die Kantone seit 1992 aufgrund des Gewässerschutz-Gesetzes bereits verfügten, verringerten die mittlere Stromproduktion bisher um 560 GWh pro Jahr (zweitunterste Zeile der Tabelle). Ohne dieses Gesetz wäre die mittlere Stromproduktion heute also etwas höher.

    Falls die Kantone ihre bisherigen Anforderungen an künftige Sanierungen beibehalten, wird die mittlere Stromproduktion bis 2035 gegenüber dem Stand von 2018 um 810 GWh sinken, bis 2050 um weitere 1470 GWh und bis 2070 nochmals um 230 GWh. Das Minus an Stromproduktion, welches dieses Gesetz bei minimaler Umsetzung der Restwasser-Normen verursacht, summiert sich also von 1992 bis 2070 auf 3070 GWh, Das entspricht einem Anteil von 8,5 Prozent an der heutigen Stromproduktion aus Schweizer Wasserkraft. Bei strengeren Auflagen zu Gunsten der Gewässer (Szenarien 2 bis 4), so zeigt die Tabelle weiter, sind die Einbussen deutlich höher.

    Was das neue Energiegesetz anstrebt

    Bis zum Jahr 2035 soll die Schweiz einen Ausbau der Wasserkraft-Nutzung «anstreben», der die Stromproduktion bei mittlerer Wasserführung im Jahr 2035 auf «mindestens 37 400 GWh» erhöht; dies wiederum exklusive Strom aus Pumpspeicherung . Das verlangt das neue, seit 2018 rechtskräftige Energiegesetz in Artikel 2. Gegenüber dem Stand im Jahr 2018 (36 300 GWh) muss bei mittlerem Wasserzufluss die Stromproduktion bis 2035 also um 1100 GWh steigen.

    Damit dieser angestrebte Wert erreicht wird, erhebt das Energiegesetz im Artikel 12 die Nutzung von erneuerbarer Energie und damit auch die Stromproduktion aus Wasserkraft zum «nationalen Interesse». Mit diesem und weiteren Artikeln im Energiegesetz schwächten Bundesrat und Parlament den Stellenwert des Naturschutzes gegenüber den Produktionszielen der Energiestrategie.

    Fürs Jahr 2050 rechnet der Wasserwirtschaftsverband, basierend auf einer früheren Fassung des Energiegesetzes, mit einer auf 38 600 GWh steigenden Stromproduktion aus Wasserkraft. Gegenüber 2018 erforderte das eine Mehrproduktion von 2300 GWh.

    Wachsende Lücken in den Jahren 2035 und 2050

    Mit der Mehrproduktion, die das Energiegesetz bis 2035 respektive 2050 anstrebt, sowie der Minderproduktion, die aus Umsetzung des Gewässerschutz-Gesetzes entsteht, wird die Differenz noch grösser. Die Gesamtbilanz zieht der SWV mit folgender Tabelle:


    Tabelle vergrössern

    Lesehilfe zur Tabelle: Zwischen den Anforderungen des Gewässerschutzes (mehr Restwasser) und der Energiestrategie (mehr Stromproduktion aus Wasserkraft) öffnen sich bis 2050 Lücken, die je nach Szenario zwischen minimal 4580 (Szenario 1) und maximal 8710 GWh (Szenario 4) Stromproduktion schwanken. Um nur schon die kleinste Lücke gemäss Szenario 1 zu stopfen, müsste die Schweiz bis 2050 mit dem Ausbau der Wasserkraft jährlich 4580 GWh zusätzlichen Strom erzeugen, was laut SWV «unrealistisch» sei.

    Der Konflikt wird sich zuspitzen

    In der Zusammenfassung seiner Erhebung folgert der SWV als Lobby der Betreiber von Wasserkraftwerken: «Soll das mit der Energiestrategie 2050 angestrebte Produktionsziel Wasserkraft erreicht werden, dürfen die Mindest-Restwassermengen nicht erhöht und müssen die ökologischen Anforderungen an die Wasserkraft vernünftig ausgelegt werden.» «Vernünftig» heisst in diesem Fall zu Lasten der Natur und zu Gunsten der Stromfirmen. Auf der andern Seite fordern die Umweltverbände die trödelnden Kantone seit Jahren auf, das Gewässerschutz-Gesetz fristgerecht und konsequenter umzusetzen.

    Damit wird sich der politische Konflikt zwischen Stromproduktion und Naturschutz, der sich schon bei der Beratung der Energiegesetz-Revision abzeichnete, weiter zuspitzen. Um ihn zu entschärfen, gibt es nur einen Ausweg: Die Schweiz muss ihren Stromverbrauch senken, um nicht nur den mittelfristig wegfallenden Atomstrom zu ersetzen, sondern auch die weitere Ausbeutung der Wasserkraft zu begrenzen.


    * Die Erhebung des SWV über «Einbussen aus Restwasserbestimmungen» wird in der Zeitschrift «Wasser, Energie, Luft» im Dezember 2018 veröffentlicht. Unser Artikel basiert auf einem Vorabzug dieser Publikation, den der Wasserwirtschaftsverband den Medien zur Verfügung stellte.

    ———-

    Nachtrag: «Gutes Leben mit weniger Energie»

    Mit der künftigen Energieversorgung beschäftigten sich am Wochenende auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Seminars im Bildungs- und Ferienzentrum Salecina bei Maloja (GR). Diese Veranstaltung organisierten die Alpenschutz-Organisation Cipra, der Grimselverein, die Stiftung Salecina, die Stiftung für Landschaftsschutz, der Gewässerschutz-Verband Aqua Viva und die Wochenzeitung WOZ gemeinsam. Ihre Erkenntnisse und Forderungen fassten die Teilnehmenden in einem Manifest zusammen unter dem Titel «Energiewende – nachhaltig oder hinterhältig?»

    Darin kritisieren sie, die Schweizer Energiepolitik setze immer noch auf fossile Energie, Atomkraft und den Bau neuer Wasserkraftanlagen. Das sei falsch. Als Alternative, so forderten sie, soll der Bund «die Solarenergie als kostengünstige Lösung in den Mittelpunkt seiner Energiepolitik stellen». Denn auf bestehenden Gebäuden gebe es «genug Platz für die Versorgung der Schweiz mit Solarenergie, ohne dass die freie Landschaft verbaut werden muss».

    Die geplante weitere Liberalisierung des Strommarktes beurteilen die Teilnehmenden am Seminar «kritisch». Es sei an der Politik, dafür zu sorgen, dass «jeder und jede zu sozial tragbaren Bedingungen mit Strom versorgt werden kann». Gleichzeitig gelte es, «auch erneuerbare Energie sparsam und effizient zu nutzen» und den Energieverbrauch einzuschränken, etwa mit weniger Autoverkehr. Denn, so folgert das Manifest abschliessend: «Ein gutes Leben mit deutlich weniger Energieverbrauch ist möglich.»


    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    keine

  • Zum Infosperber-Dossier:

    Stromleitungd

    Die Politik der Stromkonzerne

    Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

    SolaranlageBauernhof-1

    Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

    Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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    4 Meinungen

    • am 1.10.2018 um 12:46 Uhr
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      Die Zielerreichung der ES2050 ist nicht nur bei der Wasserkraft, sondern bereits nach so kurzer Zeit ebenfalls bei der Geothermie und der Windenergie völlig unrealistisch. Damit wird etwa die Hälfte der vorgesehenen Ersatzmenge der heutigen Stromerzeugung aus der Kernkraft fehlen.
      Bei Wärme und Verkehr fossile Energie durch Strom zu ersetzen, von einem weiteren Bevölkerungswachstum auszugehen und dann noch den gesamten Stromverbrauch in absoluten Zahlen reduzieren zu wollen, das scheint mir doch ein ziemlich verzweifelter Ansatz zu sein!

    • am 2.10.2018 um 00:48 Uhr
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      Wasser, bald rarer als Erdöl. Und wr kriegts? Fragen Sie die Native Americans. Vorschlag: Europäische Unabhängigkeitserklärung subito (US out of Europe), denn: die Amis wussten bereits 1776, dass das überlebensentscheidend ist, nicht zufällig ist das ihr mit Abstand wichtigster Feiertag: 4th of July.
      Bald keine Zitrusfrüchte mehr aus Italien? Mi piacciono Blutorangen!
      http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/spanien-und-portugal-leiden-unter-extremer-trockenheit-15314870.html

    • am 2.10.2018 um 12:52 Uhr
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      Die Lösung des Problems Wasserkraft scheint mir vergleichsweise einfach: Pumpspeicherung mit solarer Abfallenergie, so, dass mindestens alle Restwasserauflagen erfüllt werden können. Von oben wird vermutlich weniger kommen (Klimawandel, Gletscherschwund), ergo muss der Ersatz von unten kommen. Warum wehrt sich die Energielobby gegen Pumpspeicherung? Eine ökologisch bessere Speicherung von Energie durch Lageenergie von Wasser gibt es bisher nicht. Die Kosten für die Pumpspeicherung können getrost dem Verbrauch belastet werden.

    • am 14.10.2018 um 19:30 Uhr
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      Kein Ende der Schrecken. Wir nehmen der Natur das Wasser weg, um daraus, na was wohl, Strom zu machen? Ich hatte gedacht, wenigstens in der Schweiz sei wenigstens das Wasser kein Problem. Wann wird die Forderung nach sparsamem Umgang mit Energie und nach Suffizienz kein Tabu mehr sein?

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