Green New Deal – aber radikal!
Schon seit Jahren spukt der Green New Deal durch den Nachhaltigkeitsdiskurs. Er roch nach Kompromiss und Kommerz, stiess in der grünrotbunten Szene zu Recht auf viel Skepsis. Doch mit einer weltweit erstarkenden Klimabewegung wird es denkbar, offensiv einen gerechten globalen Gesellschaftsvertrag zu erreichen. Jedenfalls sind neue grüne Koalitionen in aller Munde. In den USA lancierte den Deal ein «Sunrise Movement», und nicht nur Bernie Sanders nahm den Impuls auf. Bei der Europäischen Union machte Ursula von der Leyen den mit dem Wettlauf zum Mond verglichenen Aufbruch zum zentralen Thema ihres Einstiegs als Kommissionspräsidentin. Für die Unternehmen könne der Wandel zu einer Wachstumsstrategie werden. Versprechen an alle: Jobs, Jobs, Jobs. Für die Schweiz präsentierte die Zeitung «Work» einen Klima-Umbauplan mit ähnlichem Tenor: eine rosige Zukunft ohne Verzicht. Das ebenfalls gewerkschaftsnahe Denknetz baute in sein «System-Change-Klimaprogramm» immerhin noch mehr Ökologie ein. Grüne wie Balthasar Glättli wollen (sich) auch Grundsatzfragen stellen. Käme ein anders verstandener Wohlstand ohne Wachstum aus?
Eine kunterbunte Wundertüte?
Green New Deal? Was genau meint wer? Die neue Ausgabe der seit 1990 erscheinenden Zeitschrift «Politische Ökologie», die vom Verlag vierteljährlich an «Querdenker und Vordenkerinnen» der Nachhaltigkeitsszene adressiert wird, liefert eine kritische Auslegeordnung. Das «an Roosevelts New Deal aus den 1930er-Jahren angelehnte Konzept des sozialökologischen Umbaus» sei zwar in Fachzirkeln schon länger im Gespräch, doch nun komme «jenseits und diesseits des Atlantiks» die politische Debatte darüber in Fahrt. Einerseits finde der Ansatz mehr und mehr Zustimmung, andererseits würden die Erwartungen zunehmend konfus. Sind die vorgeschlagenen Reformen tiefgreifend genug, um den Kollaps noch aufzuhalten? Oder geht es, wie Anke Oxenfarth im Editorial skeptisch einwirft, «eher um kosmetische Massnahmen, weil die Wurzel aller Krisenphänomene – die Mär vom immer währenden Wachstum – weitgehend unangetastet bleibt?» Einhellig fallen die Einschätzungen der beigezogenen Fachleute nicht aus.
Green New Deal. Fassadenbegrünung oder neuer Gesellschaftsvertrag? Politische Ökologie, Band 159. Oekom, München 2019, 130 Seiten, CHF 27.90
Matthias Schmelzer, in Jena mit Konzepten für «Postwachstumsgesellschaften» befasst und auch an der Uni Zürich tätig, konstatiert dazu mit einer britischen Kollegin, dass Deal-Varianten realpolitisch wohl «anschlussfähiger und populärer» seien. «Wachstumskritisch ausgestaltet», könnten sie die notwendige Transformation einleiten, also ein «strategisches Übergangsprogramm» sein. Voraussetzung wäre ein klares Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel inklusive die Forderung nach Klimagerechtigkeit. Und diese müsste weltweit verstanden werden, betont Gabriele Köhler, die als Entwicklungsökonomin in diversen UN-Gremien mitwirkt: «Der entfesselte Kapitalismus lässt sich nur durch eine Rückbesinnung auf den Sozialstaat und die Wiederbelebung des Multilateralismus einhegen.»
Regional wie global gilt es Arbeits- und Produktionsbedingungen verbindlich zu regulieren. Die europäische Sicht beim EU-Innovations- und Investitionsprojekt genügt nicht, um die «Brandherde» zu löschen, welche Greta Thunberg meinte. Ihr gab Köhler zu Beginn ihres abschliessenden Beitrags nochmals das Wort: «Unser Haus brennt.» Es ist nicht die einzige Stelle, wo die junge Anklägerin und die von ihr ausgelöste Bewegung gewürdigt werden.
Klima(gerechtigkeits)bewegung
Auch bei Naomi Klein stehen in Sprache gefasste Bilder von einem Freitag im März letzten Jahres am Anfang. Sie war fasziniert mit dabei, reihte sich ein. «Pappschilder tanzten über der Menschenwelle.» Zitiert werden Slogans sowie ungewohnt deutliche Reden aus aller Welt. Nosrat Fareha etwa, die als 15-Jährige den Schulstreik in Sydney organisiert hatte, wandte sich an die politische Klasse: «Ihr habt uns alle furchtbar im Stich gelassen.» Und junge Leute, die nicht einmal wählen dürfen, tragen die «Folgen eurer Tatenlosigkeit». Doch diese Generation, für die das Zusammenbrechen des Klimas keine ferne Bedrohung mehr ist, sondern Wirklichkeit, beginne sich zu erheben.
Rund um den Globus dringen die Protestierenden zum Kern des Systems vor. Darin sieht die tätige Beobachterin die Kraft dieser Bewegung. «Im Gegensatz zu vielen Erwachsenen, die an den Hebeln der Macht sitzen, haben sie noch nicht gelernt, die unvorstellbaren Gefahren unserer Zeit mit bürokratischen Floskeln und unnötig komplizierten Phrasen zu verschleiern.» Sie kämpften für ihr fundamentales Recht, ein erfülltes Leben zu führen – eines, in dem sie, wie die 13-jährige Alexandria Villaseñor in New York formulierte, nicht «vor Katastrophen davonlaufen müssen». Greta habe mit ihrem ansteckenden Streik eine Supermacht geschaffen.
Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Aus dem amerikanischen Englisch von Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Barbara Steckhan. Hoffmann und Campe, Hamburg 2019, 351 Seiten, CHF 35.90
Die gut 50-seitige, fulminant aktuelle Einführung des «Green New Deal»-Buches der kanadischen Publizistin vermittelt diesen Schwung. Zudem liegt ihr die Deal-Rhetorik der USA näher als uns. Beflügelt durch die «Fridays for Future»-Bewegung könnte aus dem Aufbruch durchaus Rettendes entstehen, wenn der Ansatz radikal genug ist und rasch zu einem Handeln im gesamtgesellschaftlichen Spektrum führt. Dies war beim historischen Modell zur Zeit der Weltwirtschaftskrise der Fall. Ökonomische und soziale Reformen wurden mit Kulturellem verknüpft; ein tiefgreifender Umbruch der Vereinigten Staaten erfolgte. Die weit über blosse CO2-Reduktionen hinaus postulierte Klimagerechtigkeit muss ähnlich umfassend wirken. Damit wäre der Kapitalismus nicht überwunden. Noch nicht. Aber seine neoliberalen Exzesse fänden ein Ende. Planung und Lenkung hielten Einzug.
Denkprozesse eines Jahrzehnts
In den einzelnen Kapiteln werden dann Kleins ab 2010 verfasste Reportagen, Notizen und Analysen zum Thema zusammengefügt. Sie zeigen die Dynamik im letzten Jahrzehnt. Dass sie weitgehend im O-Ton belassen, höchstens mit knappen Nachbemerkungen versehen sind, ist von Vorteil. So sind Denkprozesse, kurze Konjunkturen und globalere Tendenzen, ist auch der Wandel von Stimmungen mitzuverfolgen. Zudem wird die Vielfalt der Arbeit der Autorin sichtbar, die 2000 mit «No Logo», ihrem ersten Buch, der Globalisierungskritik ein markantes Profil gab.
Was hervorheben? Stark sind zu Beginn die Impressionen von der Verwüstung, welche 2010 die Explosion der BP-Ölplattform im Golf von Mexiko angerichtet hat. Nur eine der vergessenen Katastrophen; längst nicht vorbei. Neben den Klimakonferenzen gibt es die Konferenzen von Klimaleugnern; eine wird aus Nahsicht verfolgt. Wer das Buch über die Entscheidung «Kapitalismus vs. Klima» von 2014 nicht kennt, wird mit Systemkritik in Kürze bedient. Aber auch für Linke findet sich Unbequemes: Sozialismus war und ist «nicht von Haus aus grün», ebenso wenig generell solidarisch. Klimagerechtigkeit verlangt von uns mehr als Umweltschutz. Indigene werden oft Opfer von rücksichtslosem Kompensations-Kolonialismus; sollen unseres Lebensstils wegen andere die Lebensgrundlage verlieren? Einblicke in den Geo-Engineering-Disput zeigen, was droht, wenn das Abkommen von Paris und der gegen Schluss ins Zentrum gerückte radikale Green New Deal scheitern. Zwischen all dem finden sich Zeugnisse sensibler Naturverbundenheit.
Eine überzeugende Ermutigung
Speziell vermerkt seien Tagebuchnotizen aus dem Vatikan, wo Naomi Klein zu einer Präsentation der Umwelt-Enzyklika eingeladen war. Sie wurde vom Leiter des Presseamts des Heiligen Stuhls als «säkulare jüdische Feministin» vorgestellt. Die hohen kulturellen Schwellen sind spürbar, aber auch etwas vom tiefgründig ins Weltanschauliche führenden Dialog, den die Klimakrise auslöste. Papst Franziskus habe mit «Laudato si›» nicht nur ein politisches Zeichen gesetzt, sondern das tradierte kirchliche Naturverständnis in Frage gestellt, und wenn eine so alte Institution in der Lage sei, ihre Lehren so rasch und radikal zu verändern, notierte die Besucherin nach den intensiven Diskussionen vor Ort, «dann lassen sich zweifellos auch alle möglichen moderneren und flexibleren Institutionen umgestalten».
Obschon sie diese spontane Notiz im Postscriptum mit Blick auf andere Signale aus dem Vatikan relativiert, klingt hier eine Hoffnung an, die viele weitere Kapitel durchzieht.
Naomi Klein per Video in der Roten Fabrik
Am ersten Tag des diesjährigen Reclaim-Democracy-Kongresses wird in der Roten Fabrik in Zürich bei einem betont international zusammengesetzten Abendplenum über Klimagerechtigkeit und System-Chance die kanadische Publizistin und Aktivistin Naomi Klein per Video zugeschaltet sein. Mehr zu dieser Veranstaltung, die am 27. Februar um 19.30 Uhr beginnt, sowie zum ganzen dreitägigen Programm: www.reclaim-democracy.org.
Zu einem Kunstprojekt, das den New Green Deal und damit endlich wieder Zukunftsvisionen per Film unter die Leute bringen soll, wird ein Lehrer zitiert, der diesen mit unerwartet starker Resonanz im April 2019 vorgeführt hat. «Unsere Schüler hungern nach Hoffnung.» Einige hätten dabei allerdings auch geweint – «geweint über alles, was bereits verloren war, und das, was wir noch immer bewahren können». Dieser doppelten Emotion entspricht der für viele womöglich zu reisserisch-ultimativ klingende Titel der deutschsprachigen Ausgabe des Buches. Aber sein Inhalt ermutigt.
Perfekt nicht, aber entschieden
Misstrauischer nahm ich das Bändchen in die Hand, mit dem der Oekom-Verlag ins neue Nachhaltigkeitsjahr einsteigt: «Going green». Janine Steeger, eine ehemalige Privat-TV-Frontfrau, die sich selbst als lange Zeit konsumgeile Karrieristin einführt, firmiert jetzt als «Green Janin» und tourt moderierend sowie alternativ missionierend durch die Lande. Ein dazu gefertigtes Video hatte meine Neugier geweckt: Steeger im Gespräch mit Jan Tecklenburg, einem jungen Klimaaktivisten. Ob er es nicht – wie sie selbst manchmal – peinlich finde, wenn Leute wie sie an «Fridays for Future»-Demos teilnehmen? Ja, sagt er, es sei peinlich, «wie die Erwachsenen sich verhalten haben», in der Vergangenheit und «in grossen Teilen» nach wie vor. Sie wüssten seit Jahrzehnten, was los ist auf diesem Planeten. «Aus Profitgier haben alle die Füsse stillgehalten.» Wenn sie nun mitmarschierten, wäre dies okay, falls dem Taten folgten. Das sei ein «charmanter Schlag ins Gesicht» gewesen, kommentiert die Autorin.
Janine Steeger: Going Green. Warum man nicht perfekt sein muss, um das Klima zu schützen. Oekom-Verlag, München 2020, 173 Seiten, CHF 24.90
Bezeichnend ist eine fast entsetzte Frage ihres Söhnchens: «Mama, fliegen wir jetzt nie wieder?» Aber die ganze Familie gewann der improvisiert umgekrempelten Urlaubskultur bald neue Qualitäten ab. Ein perfektes Lastenrad wird mehr als nur der Ersatz für ihr Auto, das sie in Köln eigentlich gar nicht brauchen und kaum vermissen.
Radikal ist der Bruch nicht unbedingt, perfekt will die mit der neuen beruflichen Betätigung spürbar zufriedene Journalistin nicht sein. Aber die plausible Beschreibung einer persönlichen Wende liest sich leicht und es kann sich lohnen, konkrete Hindernisse und gemachte Erfahrungen in politische Überlegungen einzubeziehen.
Was die Transformationskonzepte im Grossen betrifft, zieht die Vermittlerin wiederholt Fachleute bei. So auch Michael Kopatz, der am renommierten Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie wirkt und da etliche Studien verfasst hat. Doch in einem zentralen Punkt widerspricht sie ihm entschieden: Aufrufe zu individueller Verhaltensänderung halte er für zweitrangig, entsprechenden Druck für problematisch. «Regeln und Verbote von oben nähmen dem Einzelnen die moralische Last ab, immer das Richtige zu tun.» Zudem wirkten sie schneller, leiteten neue Routinen ein. Steeger dagegen weist auf die Wechselwirkungen von persönlichem und politischem Handeln hin. Erst beidseitiges Drängen und Lernen erzeuge die notwendige Dynamik, könne zu einem neuen Konsens führen. Mir scheint, in dieser Passage erweise sich die vom früheren Leben auf Popularität getrimmte Journalistin als die klügere Strategin.
Vielleicht kann den Lebensstil noch rascher ändern, wer den im Anhang angezeigten Ratgeber für eine «35-Tage-Challenge» bestellt. Den ersparte ich mir, obschon dessen Autoren sogar den Weg «zum Klimahelden» weisen würden. Aber das in der Werbung verwendete Zitat gefiel mir: «Je mehr wir sind, desto leichter können wir die Klimakrise bewältigen.»
Dieser Beitrag erscheint auch als Politeratour-Beitrag im P.S.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Wenn Konsumenten versuchen, klimaneutraler zu leben, dann verändern sie sich selbst, aber sonst nichts! Denn der Kapitalismus braucht «immerwährendes» Wachstum. Und dieser Kelch soll endlich an uns vorübergehen!