MorteratschgletscherStand1970

Morteratschgletscher im Oberengadin: Allein seit 1970 um mehr als einen Kilometer Länge geschrumpft © B.Mühlethaler

Wie man Tourismus, Fernflüge und Gletschereis ideal verknüpft

Hanspeter Guggenbühl /  Bündner Touristiker wünschen mehr Gäste aus China. Technokraten wollen Gletschereis rezyklieren. Wir empfehlen den dritten Weg

In den Medien werden die Themen meist säuberlich voneinander getrennt. Da gibt es die Wirtschaft, die wachsen möchte. Da gibt es den Heimatschutz, der sich gegen die Auswüchse des Wachstums stemmt. Da gibt es die Politik, die heute die Konjunktur ankurbeln und morgen den Klimawandel begrenzen will. Und überall mischen Technokraten mit, die alles schon irgendwie richten werden.

Tourismuspläne hier, Tourismusleid dort …

Kaum jemand schaut dabei über den Zaun heraus, der sein Thema von jenen der andern abgrenzt. Daraus entsteht zuweilen ein Mix an Berichten, der jedes für Absurditäten sensibilisierte Hirn beflügelt. Zum Beispiel letzten Montag:

o An diesem 2. Juli titelte die «Südostschweiz» (SO) auf Seite 1: «Der Bündner Tourismus soll in Asien und Amerika Fuss fassen.» Anlass dazu bildete ein Interview mit Jürg Schmid, dem ehemaligen Direktor von «Schweiz Tourismus», der jetzt als neuer Präsident von «Graubünden Ferien» lokal Fuss zu fassen versucht. Schmid will die Feriengäste aus dem benachbarten Deutschland und dem übrigen EU-Raum, die weniger häufig als früher in Graubünden logieren, durch Feriengäste aus China, den USA und den Golfstaaten ersetzen. «Es ist», sagt Schmid dramatisierend, «die letzte Chance, die wir haben.»

o Ebenfalls am Montag steht auf Seite 16 der «Luzerner Zeitung sowie im «St. Galler Tagblatt» der Titel: «Touristenparadies stösst an Grenze.» Gemeint ist hier das fernöstliche Thailand, das «unter seiner Beliebtheit bei Touristen leidet». Weiter erfährt man in diesem Bericht, dass die aus Europa, den USA und China nach Thailand jettenden Sonnenhungrigen das freundliche Ferienland einem «Dichtestress» aussetzen, die Korallenriffe zum Ersticken bringen und den Staat zwingen, Milliarden in den Ausbau von Bangkoks Flughäfen zu investieren.

… und unter den Fliegern schmelzen die Gletscher

Die Feriengäste aus der Ferne, die Thailand zu viel werden, und die «Graubünden Ferien» vermisst, haben eines gemein. Sie fliegen sehr weit, bevor sie ihr Ziel erreichen. Der rasant wachsende Flugverkehr, so erfährt man im Ressort Wissenschaft, ist mitverantwortlich für die Klimaerwärmung, die global den Meeresspiegel erhöht, in Fernost die Korallen zerstört, in Afrika Dürren auslöst und in der Schweiz die Gletscher schmelzen lässt.

Doch soweit haben weder Touristiker noch Medienschaffende über ihren Tellerrand hinaus geschaut, Andernfalls wären sie vielleicht auf die Idee gekommen, den von Europa unerwünscht nach Thailand jettenden Feriengästen das näher liegende Graubünden als Alternative anzupreisen.

Am gleichen Montag, als die einen den Fernflug-Tourismus herbeisehnten und die andern ihn verwünschten, stellte Radio SRF in der Sendung «Rendez-vous» zwei kühne Projekte zur Rettung der Gletscher vor, die unter dem sich erwärmenden Klima schmelzen. Eines dieser Projekte betrifft den Morteratsch-Gletscher im Engadin, der in den letzten Jahrzehnten besonders stark schrumpfte. Hier will der Glaziologe Felix Haller mit grosstechnischem Einsatz das Gletscherwasser in Schnee zurückverwandeln. Damit dieses Recycling ergiebig genug ausfällt, um den Morteratsch-Gletscher wieder wachsen zu lassen, müsste der Staat rund hundert Millionen Franken investieren.

Der dritte Weg bringt dreifachen Gewinn

Bleibt die Frage, wie sich die drei isolierten Nachrichten – Bündner Tourismusförderung in Fernost, Thailands Schutz vor europäischen Ferienhorden und Gletschereis-Recycling in den Alpen – sinnvoll verknüpfen lassen. Ganz einfach: Die Tourismusorganisationen in Graubünden, in der übrigen Schweiz und Thailand engagieren sich gemeinsam für eine Lenkungsabgabe auf dem Flugverkehr in der Höhe von, sagen wir, einem Dollar pro Flugmeile. Damit liesse sich der interkontinentale Flugverkehr und der damit erzeugte Klimawandel erstens mindestens halbieren. Zweitens spülte der verbleibende Fernflugverkehr Milliarden von Franken Ertrag in die Kassen der vom Touristenboom und Gletscherschwund betroffenen Länder und Regionen. Mit diesem Geld könnten die Gebirgskantone drittens das Recycling der dann weniger schnell schmelzenden Gletscher locker finanzieren.

Kurzum: Eine Luftverkehrs-Abgabe löst alle drei Probleme auf einen Schlag. Sozusagen eine Win-Win-Win-Lösung. Und wenn die Flugkosten sich vervielfachen und die Gletscher wieder wachsen, kehren wohl auch die Deutschen und Holländerinnen ferienhalber gerne wieder nach Graubünden zurück. Worauf Tourismusförderer Schmid dann endlich in den Ruhestand treten kann.

*

Ökologisches Gleichgewicht des Schreckens

Nachtrag: Wahrscheinlicher als die baldige Einführung einer wirksamen Luftverkehrs-Abgabe ist, dass sich der globale Flugverkehr selber bremst. Denn nach einem weiteren starken Zuwachs im ersten Halbjahr 2018 (plus 7 % mehr Flugpassagiere in Europa gegenüber dem ersten Halbjahr 2017) stosse der Luftverkehr vielerorts ans Limit, meldete Radio SRF am Dienstag im «Rendez-vous am Mittag». Zudem werden die stark ausgelasteten Kapazitäten durch die zunehmende Zahl von schweren Gewittern begrenzt, sagte Urs Hauener von Skyguide, nachdem am Mittwochmorgen ein Gewitter Start und Landungen auf dem Flughafen Zürich-Kloten einmal mehr behinderte hatte.

Damit entsteht sozusagen ein ökologisches Gleichgewicht des Schreckens: Der zunehmende Flugverkehr heizt das Klima. Das aufgeheizte Klima bringt häufigere und schwerere Gewitter. Die häufigeren Gewitter limitieren den Luftverkehr. Der limitierte Luftverkehr wiederum bremst die Zunahme der Gewitter. Worauf die Flieger in die nächste Spirale starten können. Allerdings ist dieses Stop-and-Go eine wacklige Grundlage für eine Tourismusstrategie, die auf zusätzliche Fernflüge setzt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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2 Meinungen

  • am 3.07.2018 um 16:21 Uhr
    Permalink

    All diese Widersprüche, Zielkonflikte, Wunschträume findet man meist nicht isoliert in irgendeinem Publikationsorgan, sondern oft nebeneinander in derselben «seriösen» Zeitung. Schlimmer ist, dass die Politik von sektoriellem Denken durchdrungen ist, keine Spur von vernetztem Denken. So zahlen wir für Schutz und Zerstörung gleichermassen. Jede/r wirtschaftet in die eigene Tasche.
    Nun, die Deutschen kommen auch nicht mehr nach Graubünden weil es ihnen zu lärmig, hecktisch geworden ist. Die Natur ist vielerorts nicht mehr ruhig; sie wird gnadenlos vermarktet. Im Engadin denkt man darüber nach. Gibt es eine Lösung, wo doch alles auf Wachstum ausgerichtet ist?

  • am 4.07.2018 um 08:17 Uhr
    Permalink

    Hinter dem ganzen Wachstums-Wahnsinn steht für alles verantwortlich unser Geldsystem:
    Zuerst führte es zu allseits erwünschtem Wohlstand und heute zeigt es uns seine massiven Schattenseiten: Wir sind global Getriebene in einem künstlichen Mangelsystem, weil immer viel mehr Schulden als effektives Geld entsteht. Den Preis zahlen zuerst die Natur und die wachsende Schicht armer Menschen.
    Am Schluss bezahlen wir alle. Ein Crash und Krieg drohen.
    Je früher wir dieses System verlassen, umso besser für uns.
    Sind wir Homo sapiens?

    https://www.friedenskraft.ch/

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