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Der Gewässerschutz in der Schweiz in Form einer Timeline mit vielen anklickbaren Detailinfos. © eawag © cc

Fischer, Heimatschützer und Subventionen retteten die Gewässer

Monique Ryser /  Das Forschungsinstitut Eawag hat die Geschichte des Schweizer Gewässerschutzes aufbereitet. Ihr Ziel: Lernen für den Klimaschutz.

Es ist nicht nur Geschichtsschreibung, sondern ein sprudelnder Quell an Informationen, Verbindungen und Detailwissen: Die chronologische Aufarbeitung «Schweizer Gewässerschutz seit 1800», eine als Zeitschiene aufgebaute Publikation, die zurzeit erst auf englisch verfügbar ist. Darin hat das Wasserforschungsinstitut der ETH, die Eawag, in aufwendiger Arbeit nachgezeichnet, wie in den letzten 220 Jahren die Gewässer in der Schweiz zuerst verbaut, dann genutzt, dann verschmutzt und schliesslich gesäubert und geschützt worden sind.
Dazu sagt Projektleiter Manuel Fischer: «Wir haben versucht, im Rahmen eines kleinen internen Projektes die Geschichte des Schweizer Gewässerschutzes zu dokumentieren, mit der Idee daraus erfolgreiche Muster herauszulesen, wie wir auch heute den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen bewerkstelligen können.»

Informationswerkzeug mit vielen Details

Was Fischer als «kleines» Projekt bezeichnet, ist ein einmaliges Informationswerkzeug. Durch die gelungene grafische Aufbereitung und die Darstellung als Zeitachse, mit vielen Detailinformationen, bietet dieses einen spannenden und lehrreichen Überblick über den Gewässerschutz in der Schweiz. Einfache Rezepte für den Kampf gegen den heutigen Klimawandel lassen sich daraus nicht direkt ableiten, schränkt Fischer ein. Trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf die letzten gut zweihundert Jahre zu werfen. Es waren einzelne Menschen, private Organisationen, die Sensibilisierung der Bevölkerung und die daraus resultierenden politischen Handlungen, die zu Veränderungen und Lösungen geführt haben.

Das Wasser zähmen

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchten Hochwasser und Flutwellen die Schweiz heim: 1800 kam es zur Überschwemmung der Linth-Ebene,, 1837 zum Hochwasser der Emme, das als eines der schlimmsten Naturereignisse des 19. Jahrhunderts galt und Jeremias Gotthelf zu «Die Wassernot im Emmental» inspirierte. 1860 flutete die Rhone die Umgebung um Brig im Wallis.
Das Hochwasser von 1868 schliesslich, das weite Teile der Schweiz traf, wird heute als Wendepunkt bezeichnet und als Ereignis gewertet, das die Schweiz veränderte: 20 Jahre vorher, 1848, war der Bundesstaat gegründet worden. Dieser übernahm nun erstmals die Führung zur Bewältigung der Katastrophe. Nach der Tragödie erliessen die nationalen Behörden Gesetze und Verordnungen für die nachhaltige Nutzung der Wälder, den Schutz von Städten und Gemeinden, Kommunikationskanälen und von grossen Infrastrukturen.

Das Wasser nutzen

Zu schaffen machten den Menschen im 19. Jahrhundert auch Krankheiten wie Typhus und Cholera, die durch verschmutztes Wasser übertragen wurden. Denn Siedlungs- und industrielle Gewässer wurden damals einfach in Seen, Flüsse und Bäche geleitet – die Gewässer wurden für die Entsorgung der Abfälle genutzt.

Das Wasser wurde aber auch wichtiger Lieferant für die Gewinnung von Energie, insbesondere Elektrizität. Bereits 1878 entstanden erste kleine Wasserkraftwerke und innerhalb weniger Jahrzehnte grosse Kraftwerke und Stauseen. Das Wasser löste das Holz als grösste Energiequelle der Schweiz ab.

Das Wasser schützen

Als erste begannen sich die Fischer mit den Folgen all dieser Eingriffe auseinanderzusetzen. Sie machten auf die abnehmende Fischpopulation aufmerksam. 1888 trat mit dem Fischereigesetz das erste Gesetz in Kraft, das sich auf die Gewässer bezog. Ziel war, fischbare Gewässer vor schädlichen Fabrikabwässern zu schützen.

Bis zur Zeit des Zweiten Weltkrieges mischten sich dann auch Natur- und HeimatschützerInnen vermehrt in die Belange des Gewässerschutzes ein, indem sie Flüsse und Seen als nationalen Reichtum hervorhoben. Es dauerte aber bis in die 1950-er Jahre, bis die Gewässer aus der Logik des blossen Nutzens herausgeholt wurden: Die Gründung der Schweizerischen Vereinigung für Gewässerschutz SVG (heute: pusch) hatte zum Ziel, die Bevölkerung gegen die Wasserverschmutzung zu mobilisieren. Rasch startete die SVG zusammen mit der Eawag, die von einer Beratungsstelle zu einem Forschungsinstitut ausgebaut worden war, erste Aktionen. Auf der andern Seite kämpfte der Rheinaubund (heute Aquaviva) gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes in Rheinau. Dieser Kampf blieb zwar erfolglos, aber legte den Grundstein für eine kritischere Haltung gegenüber der Verbauung von Gewässern zur Energiegewinnung.

Nachdem ein Verfassungsartikel zum Gewässerschutz 1953 vom Schweizer Volk mit 81 Prozent angenommen worden war, beschloss die Bundevesrsammlung 1955 das erste Gewässerschutz-Gesetz. Nach einer Revision dieses Gesetzes im Jahr 1962 trieb die Schweiz vor allem den Bau von Kanalisationsnetzen und von Kläranlagen voran. Dies unterstützte der Bund bis 2017 mit über fünf Milliarden Franken an Subventionen.

Die Bevölkerung hilft mit

Neben den Fischern und der Vereinigung für Gewässerschutz trat auch der Bund für Naturschutz (heute «Pro Natura») auf den Plan. Damit wandelte sich die Symptombekämpfung allmählich zur Suche nach den Wurzeln des Übels. Ab den 1970er Jahren redeten Fachleute vermehrt über die Ursachen der Übernutzung der Gewässer, über Verantwortung und Risiken.

Begriffe wie Ursachenbekämpfung und Verursacherprinzip werden damit zu wichtigen Leitlinien des Umweltschutzes. Und im revidierten Gewässerschutzgesetz von 1972 werden Industrien, die grosse Wassermengen und Gewässerteile übernutzten, erstmals in ihrer Nutzung eingeschränkt. Die Qualität der Gewässer, welche die Kläranlagen vorübergehend reinigten, begann sich später wieder zu verschlechtern, da Landwirtschaft, Chemie und Haushalte nach den Phosphaten neue giftige Stoffe in die Gewässer leiteten. Im Unterschied zum Phosphor konnten die bisherigen Klärstufen diese neuen Stoffe nicht oder nur bedingt herausfiltern.

Mit neuen Bestimmungen und technischen Verbesserungen wird in diesen Jahren rasch gehandelt und die Gewässer gesunden zunehmend. Einzelpersonen wie Otto Jaag, damaliger Direktor der Eawag und Nationalrat Paul Zigerli leisten grossen persönlichen Einsatz, um den Schutz der Gewässer voranzutreiben und wissenschaftlich unterlegte Informationen zu verbreiten.

Katastrophen sensibilisieren für die Natur

Der Grossbrand von Schweizerhalle im Jahr 1986, als die Sandoz grosse Mengen giftiger Stoffe in den Rhein fliessen liess, sowie die Atomkatastrophe von Tschernobyl im gleichen Jahr führen zu einem Umdenken: Der Glaube daran, dass sich alles technisch realisieren und bei Problemen auch lösen lässt, schwindet allmählich. Der Schutzgedanke wird in den Vordergrund gestellt. Durch erneute Hochwasser stellt man in diesen Jahren auch fest, dass viele Verbauungen nicht vor Fluten schützen.
Das erst 1971 gegründete Bundesamt für Umweltschutz (heute Bundesamt für Umwelt, Bafu), die Eawag und einzelne Kantone leiteten eine teilweise Renaturierung der verbauten und übernutzten Gewässer ein. Gewässerschutz wird nun in den Rahmen des gesamten Umweltschutzes gestellt. Das ökologische Bewusstsein der Bevölkerung steigt, während das Wissen um ökologische Zusammenhänge aber eher abnimmt. Neue Probleme mit Mikroverunreinigungen und Pestiziden treten auf, deren Verhinderung in weiteren Revisionen des Gewässerschutzgesetzes festgeschrieben werden. So bleibt die Spirale von Verschmutzung, Reinigung, neuer Verschmutzung und neuen Reinigungstechniken ein unbefriedigender Kreislauf. Gleichzeitig erlangen natürlicher Wasserbau und Renaturierungen eine neue Bedeutung, denn sie sollen die Resilienz der aquatischen Lebensräume gegen die negativen Folgen des Klimawandels fördern.

Und wieder ist das Wasser Treiber

Die Trinkwasserinitiative will den Pestizideinsatz generell vermindern und damit, neben Grundwasser und Gewässern, den gesamten Lebensraum schützen. Diese Pestizide, überhöhte Düngermengen und weitere Ursachen der Umweltverschmutzung sind erst in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt, während bisherige Gewässerschutz-Massnahmen sich vor allem auf die Oberflächengewässer konzentrierten. Die grossen Zustimmungsraten zur Trinkwasser-Initiative zeigen, dass die Sensibilität in Teilen der Bevölkerung sehr gross ist. Die Initiative würde mit ihrer Stossrichtung auch die Böden schützen und nicht nur die darunterliegenden Wasservorkommen. Sie profitiert davon, dass der Gewässerschutz seit Jahrzehnten im Fokus von Bevölkerung und Politik ist, zeigt aber auch auf, wie lange es braucht, bis die ersten Warner vor Gefahren gehört werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Gifte und Schadstoffe in der Umwelt

Sie machen wenig Schlagzeilen, weil keine «akute» Gefahr droht. Doch die schleichende Belastung rächt sich.

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2 Meinungen

  • am 11.04.2020 um 09:07 Uhr
    Permalink

    Sehr interessanter Beitrag. Ich finde es sehr wichtig, dass in Beiträgen nicht nur kritisch hinterfragt wird sondern Perspektiven und Erfolge dargestellt werden. Ich schätze Eure Beiträge sehr!

  • am 11.04.2020 um 14:34 Uhr
    Permalink

    Ein Aspekt kommt im sonst sehr informativen Bericht leider nicht vor: Der Kampf um die Restwassermengen im Zusammenhang mit den Wasserkraftwerken. Die Vertreter der Wasserkraftwerke, massiv unterstützt vom damaligen Bundesamt für Wasserwirtschaft (das seinen Job wörtlich so verstand!) kämpften um jeden Kubikmeter Restwasser und nahmen dabei die streckenweise Zerstörung vor allem inneralpiner Fliessgewässer in Kauf. Permanent wurde von Ersatzmassnahmen gesprochen, gemeint waren Jungfische, welche weiter unten in den Flüssen massenweise eingesetzt wurden, damit wenigstens die Fischer Ruhe geben sollten. Ökologie und Naturschutz hatten einen ebenso schweren Stand, wie Landschaftsschutz und Raumplanung, die sich für richtige Flüsse (mit fliessendem Wasser!) einsetzten. Nur dank dem souveränen Kommissionpräsidium von Erwin Akeret {1915-1987), dem wertkonservativen Verleger aus dem Zürcher Weinland, dem es in der SVP nicht sehr wohl war, gelang es, einigermassen vernünftige Grundlagen für eine gewässer- und landschaftsgerechtere Regelung der Restwassermengen zu schaffen, die später dann in der Gesetzgebung berücksichtigt wurden.

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