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Atomkraftwerke Beznau © Wikimedia Commons

Mit der Atomkraft geht’s schon jetzt bergab

Hanspeter Guggenbühl /  Dieses Jahr produziert die Schweiz so wenig Atomstrom wie nie seit 1984. Damit steigen die Verluste aus der Atomenergie.

Pech für die Axpo als grösste Produzentin von Atomstrom in der Schweiz: Ihr Reaktor Beznau I steht schon seit März 2015 still, weil das Eidgenössische Nuklearsicherheits-Inspektorat ENSI die Risse im Reaktormantel als Risiko einstuft. Ebenfalls abgeschaltet ist seit 18. September 2017 und voraussichtlich bis Ende Jahr das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL), an dem die Axpo die Mehrheit besitzt; im KKL verlängert momentan ein nicht geplanter Wechsel der Brennelemente die Revision.

Doch damit nicht genug: Schon von August 2016 bis Februar 2017 konnte das Werk in Leibstadt keinen Atomstrom produzieren, damals wegen unerklärlicher Oxidation von Brennelementen.

Kleinere Produktion, grössere Verluste

Mit dem Ausfall der Atomkraftwerke Beznau I und Leibstadt liegt annähernd die Hälfte der nuklearen Produktionskapazität in der Schweiz brach. Das ist nicht nur mengenmässig, sondern auch finanziell von Belang. Denn in den Herbst- und Wintermonaten stiegen 2016 und steigen auch 2017 die Spot-Preise auf dem europäischen Strommarkt nach mehrjähriger Baisse steil in die Höhe. Statt von dieser temporären Hausse profitieren zu können, müssen Schweizer AKW-Betreiber den im Inland fehlenden Strom nun zu höheren Preisen importieren.

Der daraus entstehende Verlust dürfte sich in den Jahren 2016 und 2017 auf mehr als eine halbe Milliarde Franken summieren. Denn das seit tausend Tagen ungenutzte KKW Beznau I allein kostete die Axpo laut eigenen Angaben rund 300 Millionen Franken. Einen mindestens ebenso hohen Verlust dürfte der mehrfache Stillstand der – dreimal grösseren – Atomstromfabrik in Leibstadt den Aktionären bescheren; neben der Axpo (inklusive Axpo-Tochter CKW) mit einem Anteil von 52,7 Prozent sind die Alpiq (32,4 %), die Berner BKW (9,5 %) und das Aargauer Kantonswerk AEW (5,4 %) am KKL beteiligt. Wenn Schweizer Stromproduzenten heute im europäischen Stromhandel rote Zahlen schreiben, so liegt das also primär an ihren brach liegenden Atomkraftwerken. Das relativiert die Klagen der Stromwirtschaft über die angeblich unrentable Wasserkraft.

Weniger Schweizer Atomstrom

Die in Beznau und Leibstadt wegfallende Produktion schlägt sich auch in der inländischen Stromstatistik nieder: Im Jahr 2017 werden die fünf Schweizer Atomkraftwerke (Beznau I und II, Mühleberg, Gösgen und Leibstadt) zusammen erstmals seit 1985 weniger als 20 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen. Ihre 2017 zu erwartende Produktion wird damit um einen Viertel tiefer ausfallen als im Rekordjahr 2014. Besonders augenfällig ist der Rückgang im KKW Leibstadt.

Auch langfristig dürfte die Produktion von Atomstrom in der Schweiz tiefer bleiben als in den letzten zwei Jahrzehnten, selbst wenn das ENSI den Weiterbetrieb des 49-jährigen Reaktors Beznau I irgendwann wieder erlauben sollte und das grössere KKW Leibstadt künftig weniger oft abgeschaltet werden muss. Denn Ende 2019 wird die Berner BKW ihr Kernkraftwerk in Mühleberg aus wirtschaftlichen Gründen endgültig stilllegen, obwohl das Volk im November 2016 die Atominitiative und damit eine Laufzeit-Begrenzung der bestehenden Atomkraftwerke ablehnte. Und den Bau von neuen inländischen Atomkraftwerken verbietet das revidierte Kernenergiegesetz; diese Revision befürwortete das Schweizer Volk im Mai 2017 mit der Zustimmung zur neuen Energiestrategie.

Deutlich tiefer als im Durchschnitt der letzten Jahre wird 2017 auch die gesamte Stromproduktion in der Schweiz ausfallen. Denn die Wasserkraftwerke, so zeigen die vorliegenden Daten bis Ende August, werden 2017 ebenfalls etwas weniger Strom erzeugen als in den meisten früheren Jahren. Den nuklearen und hydrologischen Rückgang kann die – auf tiefem Niveau zunehmende – Stromproduktion aus Wind- und Solarkraft nur teilweise kompensieren. Vor allem im Winter steigt damit die Abhängigkeit der Schweiz von Importstrom.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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4 Meinungen

  • am 9.12.2017 um 14:15 Uhr
    Permalink

    Wie sieht es mit den Folgekosten aus, geht es da auch Berg ab oder eher Berg auf ?

    siehe u.a.
    http://www.rp-online.de/politik/die-kosten-der-atomkraft-aid-1.5840002

    "Was kostet der Atomausstieg? Am Ende könnte es sogar egal sein, wie das Urteil ausfällt. Denn es ist Teil eines grundsätzlichen Streits über das Ende der Atomkraft. Atomkommission und Regierungs-Gutachter gehen davon aus, dass der Abriss der Meiler und die Endlagerung des Atommülls 48,8 Milliarden Euro kosten. Da der Müll nahezu ewig gelagert werden muss und die Kosten entsprechend unkalkulierbar sind, kann es auch weit teurer werden. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft geht schon jetzt von 67 Milliarden aus."

    oder

    https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2011/4/kernkraftwerke-die-wahren-kosten-der-atomkraft/

    ""Optimistische» Studien schätzen die externen Kosten der Atomkraft auf 0,1 Cent bis zu maximal 1 Euro/kWh; andere errechnen Werte von bis zu 2,7 Euro/kWh. Bereits externe Kosten von 15 Cent/kWh machen Atomstrom so teuer wie den teuersten Windstrom. «

  • am 9.12.2017 um 17:25 Uhr
    Permalink

    Nicht beantwortet wird, wo der im Winter importierte Strom herkommt. Ist es nun französischer Atomstrom oder deutscher Kohlestrom?

  • am 9.12.2017 um 22:07 Uhr
    Permalink

    @Tim Meier
    Der Strom wird dort bezogen, wo er am billigsten ist. Auf der Internetseite eex.de ist ersichtlich, dass der Strom aus Deutschland im vergangenen Quartal durchschnittlich 2-3 Rp./kWh billiger ist als derjenige in der Schweiz oder in Frankreich. Der deutsche Strom stammte in dieser Zeit im Durchschnitt zu 30-40% aus erneuerbaren Quellen: Wind, Sonne und Wasser (in dieser Mengenreihenfolge), der Rest war ein Mix aus Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken. Wenn die Importe dann favorisiert werden/würden, wenn der deutsche Strommix bis zu 80% aus erneuerbaren Quellen stammt (v.a. Wind und Sonne) könnten zwei Ziele auf ein Mal erreicht werden:
    1. Wir importierten v.a. erneuerbaren Strom und
    2. Der in diesen Zeiten sehr tiefe Strompreis würde durch die CH-Nachfrage tendentiell erhöht, was wiederum der Rentabilität des neuen erneuerbaren Stroms hilft.
    Mit der Variabilität der schweizerischen Speicherkraftwerke kann ein solches Handelsregime gezielt angestrebt werden.
    Der Strommix in Deutschland, aktuell oder mehrere Jahre zurück kann unter agora-energiewende.de unter dem Agorameter eingesehen werden.

  • am 11.12.2017 um 09:41 Uhr
    Permalink

    Die Frage von Tim Meier kann man auf mehrere Arten beantworten, da «Strom» sowohl reell als auch virtuell gehandelt wird. Schon heute kann jeder der will, einen fast beliebigen Stromix virtuell einkaufen, z.b. ohne Atom- oder Kohlestrom. 100% Oekostrom ist auch im Winter möglich, er kostet einfach mehr. Je mehr Leute dies fordern, desto mehr müssen auch die Hersteller die physikalische Stromproduktion anpassen, z.B. Kohlekraftwerke stilllegen.

    Wer tatsächlichen lokalen physikalischen Oekostrom möchte, könnte das zu 100% tun durch Trennung vom Netz und zusätzlich zur Solaranlage eine Batterie- und Wärmekraftkopplungsanlage betreiben, sowie ein bisschen Suffizienz, wenn es z.B. lange sowohl warm wie stark bewölkt ist.

    Eine 100% Autarkie ist aber meistens weder ökologisch noch finanziell optimal, vor allem wegen der Batterie, so dass der Netzverbund wohl auch künftig die Regel sein wird. Dieser könnte aber heute «smart» gesteuert werden, und/oder mit kleineren Speichern und thermischen Geräten so kombiniert werden, so dass z.B. im Winter mehr deutscher Windstrom und weniger Kohlestrom oder französicher Atomstrom ins Haus fliesst. Ich nehme an, dass künftig «smarte» Heimzentralen dies mit entsprechender Programmierung erlauben werden, indem sie selbstständig die Börsen beobachten und entsprechend mit Kleinstmengen Strom «handeln».

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