Die Nationalbank redet den Klimawandel klein
Die Schweizerische Nationalbank SNB investiert weiterhin kräftig in Ölfirmen. Von einem Strategiewechsel, den die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ in Basel fordert, will die SNB immer noch nichts wissen. Schon vor anderthalb Jahren hatte der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney die SNB vergeblich aufgefordert, nicht mehr in fossile Energie zu investieren: Ein solcher Beitrag zu den Klimazielen wäre «ein grosses Signal für die ganze Welt», hatte Chesney erklärt.
Ein Jahr später, Ende Januar 2020, publizierte die BIZ einen Bericht, der es in sich hat. Der mit «The green swan – Central banking and financial stability in the age of climate change» betitelte Report fordert nämlich die Zentralbanken ebenfalls zu einem Strategiewechsel auf: Sie sollen endlich die Risiken stärker berücksichtigen, die der Klimawandel für die Wirtschaft und überhaupt für das Leben des Menschen auf dem Planeten mit sich bringt.
Risiko von Wertverlusten
Damit ist die Klimakrise in der Hochfinanz angekommen. Die Divestment-Bewegung, die seit Jahren zu einem Rückzug aus Investitionen in fossile Energieunternehmen auffordert (englisch: divestment), erhält durch diesen Report Unterstützung von ungeahnter Seite. Ein zentrales Argument der Divestment-Aktivistinnen und -Aktivisten war stets, dass Investitionen in Erdöl und Kohle bei verstärkten Anstrengungen für den Klimaschutz rasch an Wert verlieren könnten.
Die fünf Autoren der BIZ-Studie teilen diese Einschätzung – und gehen noch einen Schritt weiter: «Der Klimawandel (…) könnte die Ursache der nächsten systemischen Finanzkrise sein», schreiben sie. Sie befürchten, dass die Klimakrise die Welt ins Chaos stürzen könnte und Ereignisse eintreten, welche die Risikoanalystinnen und -analysten der Banken überhaupt nicht auf dem Radar haben. Ähnlich wie die Finanzkrise von 2008 nicht vorausgesehen wurde. Sie bezeichnen diese extremen Klimarisiken als «grüne Schwäne», in Anlehnung an den Begriff der «schwarzen Schwäne» des Publizisten Nassim Nicholas Taleb, mit dem er unerwartete Ereignisse charakterisierte (Schwäne sind in der Natur ja in der Regel weiss). «Klimakatastrophen sind sogar noch gefährlicher als die meisten systemischen Finanzkrisen», halten die BIZ-Autoren fest.
SNB ignoriert Umweltkriterien weiter
Mit dieser Einschätzung stehen sie in einem ziemlichen Gegensatz zur Schweizerischen Nationalbank (SNB). So sagte das Direktoriumsmitglied Andréa Maechler im November 2019 an einem Vortrag: «Die Klimarisiken insgesamt, die in der Schweiz die Stabilität der Wirtschaft und des Finanzsystems beeinflussen könnten, scheinen zurzeit nach unserer Einschätzung mässig zu sein.» An diesem Befund habe sich seither nichts geändert, schreibt die Medienstelle der SNB auf Anfrage.
Damit die Klimaerhitzung nicht zu einer neuen Finanzkrise führt, empfehlen die Autoren der BIZ-Studie, Notenbanken sollten bei ihrem Auftrag als Finanzaufseher dafür sorgen, dass Banken und Versicherungen ihre Klimarisiken angemessen managen. Die Aufsicht der Banken obliegt in der Schweiz jedoch der Finanzmarktaufsicht Finma, die SNB steht hier also nicht in der Verantwortung. Wiederum brisant in Bezug auf die Nationalbank ist dagegen die in der Studie ebenfalls thematisierte Frage, ob die Zentralbanken ökologische Kriterien bei ihren Anlagen berücksichtigen sollen. Die Autoren loben explizit die Banque de France und die niederländische Zentralbank als vorbildhaft, weil sie das schon tun, wie der «Tages-Anzeiger» Ende Januar berichtete. Die Schweizerische Nationalbank dagegen ignoriert bisher Umweltkriterien in ihrem Aktienportfolio ziemlich beharrlich.
So verfolgt sie laut Thomas Moser, stellvertretendem SNB-Direktoriumsmitglied, bei den Aktien einen «passiven und neutralen Ansatz» und betreibt keine Titelselektion – zum Beispiel für mehr Klimaschutz. Moser machte seine Äusserungen am gleichen Anlass wie Maechler Ende November. Die SNB betont zwar, dass sie seit 2013 auf Investitionen in Unternehmen verzichte, die international geächtete Waffen produzieren oder «systematisch gravierende Umweltschäden verursachen». «Eine aktivere Bewirtschaftung auf dem Gebiet der Umwelt» lehnte Moser aber ab. Der Auftrag der Bank sei es, in der Schweiz für Finanz- und Preisstabilität zu sorgen.
Im Klartext bedeutet dies, dass die SNB kräftig in Erdölfirmen investiert wie zum Beispiel Chevron und Exxon (Esso-Benzin). Dies hat Artisans de la Transition, eine NGO mit Sitz in Fribourg, in diversen Berichten zutage gebracht. Und es stellt sich die Frage, warum die Bank der Eidgenossenschaft den exzessiven Ausstoss von Treibhausgasen gemäss ihren eigenen Kriterien nicht als «gravierenden Umweltschaden» einstuft. In der Schweiz droht beispielsweise wegen der globalen Erhitzung bis in achtzig Jahren fast das komplette Abschmelzen des Aletschgletschers – und das mitten im Unesco-Welterbe Jungfrau-Aletsch!
Weit entfernt von den Pariser Klimazielen
Marc Chesney, Professor für Finanzwirtschaft an der Uni Zürich, teilt den Befund des BIZ-Berichts. «Die Klimarisiken sind gross, es sind Hauptrisiken, und die Zentralbanken sollten sie unbedingt stärker berücksichtigen», sagt er in einem Gespräch per Videotelefon. Chesney setzt sich seit Längerem mit den Problemen der CO2-getriebenen Wirtschaft auseinander. Überdies lancierte er im Februar zusammen mit Ex-Bundesratssprecher Oswald Sigg und zwei ehemaligen Bankern die Volksinitiative «Mikrosteuer auf dem bargeldlosen Zahlungsverkehr».
Klar sei es gut, dass die SNB für Finanz- und Preisstabilität sorge, hält Chesney fest. Gerade wegen ihres Stabilisierungsauftrags müsste die SNB aber aktiv werden, denn: «Der Klimawandel könnte in Zukunft zum Beispiel zu mehr Dürren und damit zu einer abrupten Verteuerung von Lebensmitteln führen.» Deshalb sei es wichtig, dass die SNB sofort handle und diese Risiken verkleinere. Die Schweiz habe sich mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens von 2015 verpflichtet, ihre Finanzflüsse anzupassen. Das Ziel des Abkommens ist, den weltweiten Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Für die Umsetzung seien alle gefordert, «der Staat, Institutionen wie die Nationalbank und auch die Bürger».
Die Schweizerische Nationalbank hat Chesney zufolge zurzeit ein Portfolio, das auf einen Temperaturanstieg von 4 bis 5 Grad hinauslaufe. Das beeinträchtige auch das Leben künftiger Generationen. Er würde es deshalb begrüssen, wenn die Nationalbank fortan ganz auf Investitionen in Kohle und Erdöl verzichten würde. «Das wäre ein wichtiges Signal für Banken und andere Zentralbanken, es ihr gleichzutun.»
Droht ein böses Erwachen?
Laut dem Ende April veröffentlichten jüngsten Bericht von Artisans de la Transition finanziert die SNB mit ihrem Aktienportfolio nach wie vor fast so viele Treibhausgasemissionen, wie die Schweiz pro Jahr im Inland ausstösst: 43 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die SNB ist weltweit einer der grössten institutionellen Investoren. Laut dem Report hat sie ihre Investitionen in Erdölfirmen wie Exxon und Chevron in den letzten zwei Jahren zwar reduziert, gleichzeitig aber steigerte sie die Investments in Kohle (wenn auch in deutlich geringerem Mass). Artisans de la Transition sieht dahinter jedenfalls keinen Bewusstseinswandel für mehr Klimaschutz, und auch die Äusserungen der Nationalbank legen diese Interpretation nahe. Pointiert heisst es im Report der NGO: Statt als Leuchtturm zu agieren, «benimmt sich die SNB wie ein Wachmann, der im Bett liegt und schnarcht, während sich an der Küste ein verheerender Sturm zusammenbraut».
Wenn der Wachmann schläft, sollte ihm vielleicht die Politik auf die Sprünge helfen. So fordert SP-Nationalrätin Jacqueline Badran in einer Motion, dass die SNB ihre Anlagepolitik auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens ausrichtet. Investitionen in Unternehmen, die gravierende Klimaschäden verursachen, würden dadurch ausgeschlossen. Trotz der Stärkung des grünen Lagers bei den letzten Wahlen dürfte es die Vorlage im Parlament nicht leicht haben. Generell haben sich durch das Coronavirus «die politischen Prioritäten etwas verschoben», stellt Badran fest. Der Druck der Zivilgesellschaft wird also weiterhin nötig sein.
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Dieser Artikel erschien zuerst in «moneta», einem Online-Magazin der Alternativen Bank Schweiz.
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Dazu:
«Nationalbank soll nicht mehr in fossile Energie investieren», 13.1.2019
«Klimarisiken: Die Nationalbank bewegt sich nun doch ein wenig», 21.4.2019
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Stefan Boss ist freier Journalist BR.
"Wir haben nur einen Planeten, und wir wissen, dass der Klimawandel die nächste globale Katastrophe mit noch dramatischeren Folgen für die Menschheit sein könnte. Wir müssen die Wirtschaft in dem kurzen noch verbleibenden Zeitfenster dekarbonisieren und unser Denken und Verhalten wieder in Einklang mit der Natur
bringen», sagte Klaus Schwab:
file:///C:/Users/Arzt/AppData/Local/Microsoft/Windows/INetCache/IE/NZ1PRH77/WEF_The_Great_Reset_AM21_German.pdf
Lasst uns nicht auf die Banken und Eliten warten, sondern selbständig und heute die private Energiewende realisieren und in eine lebenswerte Zukunft investieren:
https://act.campax.org/petitions/investieren-in-eine-lebenswerte-zukunft?just_launched=true&fbclid=IwAR1gAQyPh-m6IvW-lJjJdr1nY0TLpJ0cGXzQ9WWpb6Vbr_4-6V3DwedQcU0
Spannender Artikel und schön, dass sich was bewegt. ABER: Es geht hier nicht um die BIZ wie behauptet in «Ein Jahr später, Ende Januar 2020, publizierte die BIZ einen Bericht, der es in sich hat. » sondern um die BIS «Bank for International Settlements 2020, http://www.bis.org». Schade, dass hier an der Basis des Artikels schludrig gearbeitet worden zu sein scheint. Oder gar bewusste Manipulation?
@La Serra. Mit «schludrig» sollten Sie etwas vorsichtiger sein. Die «Bank for International Settlements» BIS heisst auf deutsch «Bank für Internationalen Zahlungsausgleich» BIZ mit Sitz in Basel.
Das Direktorium der Nationalbank hat nur ein Ziel im Blick und das ist der Frankenkurs zum Euro. Man hat hunderte Milliarden schaffen müssen um dieses Ziel zu erreichen. Nun hat man das Problem, all die gekauften Euros und Dollars zu verwalten. Das können die Banker aber nicht, weil sie davon nichts verstehen. Anstatt nun eine andere Instanz damit zu beauftragen kaufen sie wahllos Aktien und es braucht nun den Druck aus der Bevölkerung, ihnen klarzumachen, dass wir in diesem Punkt sehr wohl mitreden können, ohne die Unabhängigkeit der Nationalbank anzutasten.
@Urs P.Gasche: Da bin ich aber froh, dass der Irrtum auf meiner Seite lag! Denn der Artikel, wie so vieles vom Infosperber, ist richtig gut und Hoffnung spendend.