Wie der Umzug des Berner Radiostudios das Pendeln fördert
Nachtrag: Der Verwaltungsrat der SRG hat den angekündigten Umzug von grossen Teilen des Radiostudios vom Zentrum in Bern ins TV-Studio Leutschenbach am Rande von Zürich beschlossen. Damit lässt sich der folgende Artikel, den Infosperber zehn Tage vor diesem Entscheid im Konjunktiv veröffentlichte, jetzt im Indikativ lesen.
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Der Umzug von grossen Teilen des SRF-Radiostudios von Bern nach Zürich bewegt die Medien und die Standortpolitik: Geht die Schweizer Radiokultur bachab, fragen sich Medienpädagogen und Konsumentinnen bange, wenn Redaktionen wie «Echo der Zeit» oder «Rendez-vous» mit TV- und Online-Produzenten in einem Newsroom zusammengepfercht werden. Die Landeshauptstadt Bern verliert politisch und wirtschaftlich an Gewicht, wenn noch mehr Medienmacht im Raum Zürich zentralisiert wird, fürchten Berner Regierung und Standortförderer. Auf der andern Seite verkünden leitende Leute der SRG, der Zusammenzug von Radio und Fernsehen senke Kosten, welche die SRG sonst mit Personal- und Leistungsabbau einsparen müsste; die Rede ist von einer Summe von 3 bis 5 Millionen Franken pro Jahr.
Eine ebenso wichtige Frage hingegen wird kaum thematisiert: Wie wirkt sich die Verlagerung der Arbeitsplätze verkehrspolitisch aus? Wie lässt sie sich mit dem raumplanerischen Leitbild vereinbaren, die Entflechtung von Wohn- und Arbeitsorten einzudämmen und die Pendelwege zu verkürzen. Führt die geplante Umsiedlung von rund 170 Radioleuten, die heute im Zentrum von Bern arbeiten, ins Leutschenbach an Zürichs Peripherie tatsächlich zu längeren Arbeitswegen und Pendelzeiten?
80 Prozent müssen länger pendeln
Antworten liefert eine interne Personalliste (Stand Mai 2018) mit den Adressen aller rund 170 Personen, die heute im Radiostudie Bern arbeiten und mit dem Umzug ihren Arbeitsplatz nach Zürich verlagern müssten. Zusätzlich braucht es etwas Geographie- und Fahrplan-Studium. Die wichtigsten Resultate daraus:
o Von den 170 betroffenen Radioleuten wohnen gegenwärtig 80 in der Stadt Bern oder einem Vorort (Wabern, Köniz, etc.). Weitere 35 Personen hausen im Grossraum Bern (von Biel bis Thun) oder in der Westschweiz. Zusammengefasst: Der Pendelweg von total 115 Personen wird sich mit dem Umzug ihres Arbeitsplatzes nach Zürich-Leutschenbach deutlich verlängern.
o 20 Angestellte des Radiostudios Bern wohnen zwischen Zürich und Bern, im Raum Basel oder in der Innerschweiz. Dabei zeigt das Fahrplanstudium: Zeitlich liegt Aarau in der Mitte zwischen dem Radio-Studio Bern und dem TV-Studio Zürich-Leutschenbach. Für die 20 Personen, die in Aarau und westlich davon (Olten, Solothurn, Basel) oder in der Innerschweiz leben und mit öffentlichen Verkehrsmitteln pendeln, beansprucht der Arbeitsweg nach Zürich-Leutschenbach etwas mehr Zeit als ins Zentrum von Bern. Der Umzug ins Zürcher Leutschenbach verlängert also den Arbeitsweg von insgesamt 134 Radioleuten oder annähernd 80 Prozent.
o 35 Angestellte, die im Radiostudio Bern arbeiten, leben heute im Grossraum Zürich oder östlich davon. Diese 20 Prozent können mit dem Umzug ins TV-Studio Leutschenbach von einem deutlich kürzeren Arbeitsweg profitieren.
Die Berechnung der zusätzlichen Pendelzeit
Der Zeitaufwand für den Weg vom Hauptbahnhof Bern ins SRF-Radiostudio an der Schwarztorstrasse 21 beträgt zehn Minuten zu Fuss oder zwei Minuten mit dem Tram (ohne Umsteigezeit). Es ist anzunehmen, dass die Leute, die heute im Radiostudio arbeiten und in Bern wohnen, im Schnitt von ihrem Wohnort gleich schnell im Radio-Studio ankommen wie am Hauptbahnhof. Der einfache Pendelweg vom Hauptbahnhof Bern ins Fernsehstudio Leutschenbach, das ausserhalb von Zürich-Oerlikon liegt, dauert mit Bahn und Tram je nach Verbindung 1 Stunde 20 bis 1 Stunde und 40 Minuten, im Schnitt rund anderthalb Stunden.
Resultat: Für die 115 Radioleute, die im Grossraum Bern oder westlich davon wohnen, verlängert der allfällige Umzug ins TV-Studio Leutschenbach die tägliche Pendelzeit hin und heim um volle drei Stunden. Um ebenfalls etwa drei Stunden verkürzt sich der Pendelweg für diejenigen 35 Radioleute, die heute im Grossraum Zürich wohnen. Für die verbleibenden 20 Radioleute, so zeigen die Fahrpläne des öffentlichen Verkehrs, verlängert sich die tägliche Pendelzeit im Schnitt um etwa eine halbe Stunde.
Finanzielle Umverteilung zu Lasten des Personals
Man kann die Arithmetik noch etwas weiter treiben: Unter dem Strich müssen 80 Personen (115 aus dem Raum Bern minus 35 aus dem Raum Zürich) an rund 220 Arbeitstagen pro Jahr drei Stunden länger als bisher pendeln. Macht zusätzliche 52 800 Pendelstunden pro Jahr. Dazu komme 20 Personen an 220 Arbeitstagen mit einer halben Stunde zusätzlicher Pendelzeit, also weitere 2200 Pendelstunden pro Jahr. Ergibt ein Total von jährlich 55 000 zusätzlichen Pendelstunden.
Wer diese 55 000 Pendelstunden mit einem Stundenansatz von 100 Franken multipliziert, kommt auf einen Betrag von 5,5 Millionen Franken. Daraus lässt sich folgern: Die eingangs erwähnten 3 bis 5 Millionen Franken, welche die SRG mit dem Umzug des Radio-Studio Bern ins TV-Studio Leutschenbach angeblich spart, bezahlen die betroffenen Radioleute mit zusätzlichem Pendelaufwand.
Unglück lässt sich nicht quantifizieren
Diese Überschlags-Rechnung lässt allerdings zwei nicht quantifizierbare Dinge ausser Acht: Wohl nicht alle betroffenen Radiomänner und Radiofrauen werden einen von aussen aufgezwungenen Umzug tatenlos hinnehmen. Einige wechseln vielleicht den Arbeitgeber, andere den Wohnort – oder müssen eine Zweitwohnung im teuren Zürich mieten. Und jene, die mit der Faust im Sack oder dem Laptop auf den Knien einen längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen, verlieren nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Lebensqualität. So zeigt die Glücksforschung: Am unglücklichsten fühlen sich die Menschen während der Zeit, die sie mit Pendeln verbringen. Dieses Unglück lässt sich weder in Stunden noch in Franken fassen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Treibende Kraft für den Umzug von Bern nach Zürich ist offenbar Rudolf Matter, ein Radio- und Fernsehdirektor, der stur auf Quoten und ökonomische Effizienz schaut. Für die Quote dient ihm das Covering von Schwingfesten als erste Beiträge der Tagesschau-Hauptausgabe, womit er im Grunde eine ähnliche Politik betreibt wie die CSU in Bayern: Mit der auf SRF allgegenwärtigen rotweissen Nationalfarbe (Fahnen, Signete, SRG/SRF-Design) sucht er die Nähe zum patriotischen «Volk» mit dem Resultat, dass es vor allem PR für jene Partei ist, die mit den gleichen Farben unerträgliche Werbung betreibt. (Fachleute sehen diesen Zusammenhang deutlich). Seehofer, Dobrindt und Söder bewirtschaften das Deutschnationale, um Stimmen bei AFD/Pegida zu holen, während sie diese in Wirklichkeit stärken. – Zur ökonomischen Effizienz, mit dem Matter den Umzug von Bern nach Zürich begründet: abgesehen von der absehbaren Pendlerei, wie Guggenbühl sie beschreibt, ist die Nähe des Radiostudios zum Bundeshaus wertvoll, um der Demokratie in Tuchfühlung auf die Finger schauen zu können. In diesem Sinne wäre auch Matters Effizienzrechnung eine Entwertung.
Liebe Maschinenstürmer
das schlimmste was einem Unternehmen passieren kann ist ein Reformstau. Dauernde Überprüfung der Strukturen und Prozesse und Realisierung der festgestellten Optimierungspotenziale sind der einzige Garant, dass ein Organismus überleben kann. Natürlich gibt es vorübergehend mehr Pendler, und das ist für die Betroffenen nicht angenehm. Dies wächst sich jedoch über die Jahre aus. Mit diesem Argument könnte man jede räumliche Optimierung torpedieren. Am Schluss landen wir bei sklerotischen Strukturen.
Ich gratuliere Herrn Matter für seinen Mut, und ihm und den weiteren Verantwortlichen, dass sie sich nicht irre machen lassen.
Werdet ihr so eine Auswertung in Zukunft für jede Firma machen, welche Ressourcen zusammenzieht? Oder ist pendeln für einen Journalisten einfach schlimmer als für einen «normalen» Arbeitnehmer? Echt jetzt, was sind das für Mimosen…