Basler Hafenstreit: Um Klimaschutz geht es nur vordergründig
Neben dem Badischen Bahnhof in Basel betrieb die Deutsche Bahn einst einen Rangierbahnhof, bis sie ihn vor Jahrzehnten stilllegte. Was blieb, ist einzigartig in der Schweiz: eine grosse Brache in städtischem Umfeld, die über lange Zeit keine Begehrlichkeiten weckte und sich deshalb zu einem Naturjuwel entwickeln konnte.
Das 20 Hektaren grosse, den SBB gehörende Areal zählt jetzt zu den wertvollsten Trockenwiesen der Schweiz. Im Eidgenössischen Inventar für diese seltenen und schützenswerten Lebensräume ist sogar von einer «Singularität» die Rede.
Letzte Heimat für Arten aus zerstörten Flussauen
Hier fanden viele Pflanzen und Tiere Zuflucht, die früher in den Kiesflächen der Rheinauen heimisch waren und durch die Regulierung und Nutzung des Flusses ihre Heimat verloren. Das Areal beherbergt heute eine vielfältige Lebensgemeinschaft von schätzungsweise 400 Pflanzen-, 3000 Insekten- und anderen Tierarten. Davon stehen 100 auf den Roten Listen der gefährdeten Arten.
Das einstige Bahnareal ist aber nicht nur ein Ersatzlebensraum für Arten, die auf warme und trockene Kiesflächen angewiesen sind. Es ist auch die einzige grossflächige Verbindungsachse in Basel, welche die Ausbreitung dieser Arten am Rhein und ins Schweizer Mittelland erlaubt. Das Überleben von Arten hängt wesentlich von solchen Ausbreitungsmöglichkeiten ab, besonders auch, wenn der Klimawandel zu Arealverschiebungen zwingt.
Auserkoren für einen Güter-Umladeplatz
Trotz dieser unbestritten wichtigen Funktion im Naturnetz war es offenbar nur eine Frage der Zeit, bis Nutzungsinteressen auch diese Fläche erreichten. SBB Cargo beansprucht den Ort zusammen mit Hupac und Contargo für den Bau eines Container-Umschlagplatzes, genannt «Gateway Basel Nord». Fast über das ganze Naturschutzgebiet würde damit eine riesige Umlade-Station mit Bahn- und Strassenzufahrten gebaut.
Das ist aber noch nicht alles: Es soll hier einen trimodalen Terminal geben, das heisst: Container aller drei Player im internationalen Gütertransport – Schifffahrt, Bahn und Strasse – würden hier umgeladen. Da das Areal beim Badischen Bahnhof nicht am Rhein liegt, müsste zu diesem Zweck vom Fluss her ein neues Hafenbecken gebaggert werden. Um dieses Hafenbecken 3 geht es bei der Abstimmung am 29. November.
Abstimmung über Hafenbecken als Vorentscheid
Die Stimmberechtigten von Basel-Stadt haben darüber zu befinden, ob sie einen Kredit von annähernd 120 Millionen Franken für den Bau dieses zusätzlichen Hafenbeckens bewilligen wollen. Der Regierungsrat und eine starke Mehrheit des Grossen Rats quer durch fast alle Parteien befürworteten den Bau und den Kredit. Der Entscheid fällt an der Urne, weil die Umweltorganisationen mit einigen weiteren Gegnergruppen ein Referendum gegen den Hafenkredit ergriffen haben. Sie wehren sich jetzt gegen den Hafen, weil sie das ganze Terminal-Projekt verhindern möchten.
Zwar würde der grösste Teil der wertvollen Naturflächen nicht dem Hafenbecken zum Opfer fallen, sondern vom Container-Terminal «Gateway Basel Nord» überrollt. Doch zu diesem Bauprojekt auf dem Bahngelände hat die Bevölkerung nichts zu sagen. Um es zu realisieren, muss die Trägerschaft lediglich nachweisen, wo sie für die zerstörte Natur gleichwertigen Ersatz schaffen könnte. Daran arbeitet sie noch. Die ersten Vorschläge hat das Bundesamt für Umwelt (BAFU) als ungenügend qualifiziert, da es sich um bestehende und völlig anders geartete Grünflächen in der Stadt handelte. Just vor der Abstimmung über das Hafenbecken 3 haben SBB Cargo und ihre Geschäftspartner jetzt neue Flächen zur Aufwertung vorgeschlagen, die grösstenteils auf SBB-Gelände ausserhalb Basels liegen. Das BAFU wird diese wiederum zu bewerten haben.
Ein Projekt für wachsenden Güterverkehr
Warum aber wollen der Bund, die Politikerkaste von Basel, die SBB und mit ihnen verbundene Container-Transporteure diesen neuen Hafen und Umschlagplatz, obwohl heute der Güterumschlag am Rhein mit den zwei Hafenbecken sowie dem Anschluss an Bahn und Strasse bestens funktioniert? Als Hauptargument führen die Promotoren an, es sei mit einem starken Wachstum des internationalen Warenverkehrs zu rechnen. Das erfordere mehr Raum und eine modernere Infrastruktur für das Umladen. Die Meereshäfen von Rotterdam und Genua würden ausgebaut, um die in Containern angelieferten Waren aus Übersee aufzunehmen. Folglich wachse die Containerfracht in der Binnenseefahrt.
«Es ist somit unausweichlich, dass zukünftig höhere Containermengen via Rheinschiff auch auf die Schweiz zukommen. Die Güter sollen in der Schweiz per Bahn und nicht aus dem Ausland per Lastwagen weitertransportiert werden», kommentierte Hans-Peter Hadorn, Direktor Schweizerische Rheinhäfen, in einer Medienmitteilung.
Basel will vom Wachstum profitieren
Am prognostizierten Wachstum soll Basel-Stadt teilhaben und das Verladegeschäft am Rhein nicht dem Ausland überlassen. Das trimodale Terminal gewährleiste, frohlockt Handelskammer-Direktor Martin Dätwyler, «dass die Region Basel auch in Zukunft ein leistungsfähiger Logistikcluster bleibt und ihre Spitzenposition bei der Abwicklung von Im- und Exporten beibehalten kann». Davon würden neben den beteiligten Logistikfirmen auch Unternehmen mit hoher Aussenhandelstätigkeit profitieren.
Als weiteren Trumpf nennen Wirtschaftsvertreter und Politikerinnen die Aussicht, einen Teil der bisherigen Hafenanlagen in Kleinhüningen städtebaulich zu entwickeln: für Wohnen und Freizeit, Gewerbe und Dienstleistungen. Wenn am Klybeckquai und am Westquai grosse Flächen einer «höherwertigen Nutzung» zugeführt werden könnten, seien die 120 Millionen eine sehr gute Investition, hiess es im Grossen Rat.
Werbung mit der Etikette Klimaschutz
Allen Beteiligten ist klar, dass sie einen national derart bedeutenden Naturstandort gemäss Gesetz nur überbauen dürfen, wenn sie ein übergeordnetes öffentliches Interesse geltend machen können sowie die Gebundenheit an diesen einzigen Standort. Deshalb werden zur Begründung des Grossprojekts Aspekte hervorgehoben wie Klimaschutz, Landesversorgung und Standortgebundenheit. Allein an diesem, und an keinem anderen Standort könne die wachsende Menge Container effizient umgeschlagen werden. Und allein bei dieser neuen Konstellation würden vermehrt Container per Bahn statt per Lastwagen transportiert. Das Ziel lautet, 50 Prozent des Container-Volumens auf die Schiene zu verlagern. Zusammen mit der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (Neat) soll die Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene trotz gesteigerter Menge gelingen.
Diese Konstellation spaltet das Grüne Lager: Die eine Seite lässt sich vom Versprechen ködern, der Gütertransport verlagere sich auf die Bahn. Der Klimaschutz habe Vorrang vor dem Naturschutz, denn die Naturflächen liessen sich anderswo ersetzen. Die Mehrheit der Grünen und der grünliberalen Partei vertritt diesen Standpunkt, unterstützt vom Verein Alpeninitiative.
Gegner erwarten den gegenteiligen Effekt
Angesichts des real existierenden Naturjuwels mit seinen Tieren und Pflanzen zieht das Versprechen, Güter auf die Bahn zu verlagern, bei der Mehrheit der Umweltorganisationen und einer Minderheit der Grünen nicht. In der Klimaschutz-Argumentation sehen sie nur ein Deckmäntelchen für weniger ideelle Interessen. Sie treibt die Frage um, ob das weitere Wachstum des Güterverkehrs überhaupt zu rechtfertigen sei. «Kann es unser Ziel sein, immer mehr, schneller und günstiger Güter aller Art weltweit hin und her zu verschieben», fragte etwa Oliver Bolliger vom Grünen Bündnis im Grossen Rat. Und er mahnte die Kolleginnen und Kollegen: «Wir können nicht unzählige Pro-Klima-Motionen und -Anzüge überweisen und auf der anderen Seite einem unnötigen Wachstumsprojekt zur Geburt verhelfen.» Greenpeace-Frau Zoë Roth sprach an einer Pressekonferenz von voller Fahrt in die falsche Richtung: «Es ist in erster Linie ein massiver Ausbau des Gütertransports auf Kosten von Klima und Biodiversität.»
Abgesehen vom grundsätzlichen Widerstand bezweifelt die Gegnerschaft, dass die versprochene starke Umlagerung auf die Bahn gelingen wird. Vielmehr geht sie davon aus, dass Basel sich mit dem neuen Terminal und dem gesteigerten Gütervolumen mehr statt weniger Lastwagen-Fahrten einhandelt. Welches Szenario wahrscheinlicher ist, lässt sich selbst aus den Voten von Logistikfachleuten nicht abschätzen. Denn auch diese sind uneins.
Was ein Ja zum Hafenbecken 3 bedeutet
Die bevorstehende Abstimmung bringt vorerst nur einen Entscheid zum Hafenbecken 3. Dabei ist der Hafen nicht der Kern, sondern nur ein Anhängsel des Container-Terminals. Wenn «Gateway Basel Nord» nicht gebaut werden kann, bleibt der projektierte Hafenausbau obsolet, selbst wenn die Basler Bevölkerung dem Kredit zustimmt. Logisch wäre deshalb gewesen, die Abstimmung über die Hafenerweiterung nach dem Entscheid zum Terminal anzusetzen. Doch das starke Ja-Lager in Behörden und Politik will jetzt vorwärtsmachen. Ein Ja zum Hafen könnte dem ganzen Projekt Auftrieb geben, kalkulieren sie. Denn bei einer Anbindung an den Hafen und damit an die Schifffahrt können die Promotoren von «Gateway Basel Nord» geltend machen, ihr Mega-Projekt sei trotz dem Verlust einmaliger Natur auf genau diesen einen Standort angewiesen. Das wäre bei einer Abwägung vor Gericht vorteilhaft. Und mit dieser gerichtlichen Auseinandersetzung ist zu rechnen.
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DOSSIER: Schutz der Natur und der Landschaft
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
So sind wir voll unterwegs nach Deutschland. Die ganze Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene wurde und wird in Deutschland genau so um 20 Jahre verzögert und verhindert. Und dann werden Leute, die sich seit 30 Jahren für effektive Schritte mit Wirkung auf die Umwelt eingesetzt haben als Umweltzerstörer hingestellt. Erinnert mich stark an alle die Einsprecher, die gegen Windräder und sogar Solardächer sind, sobald sie vor ihrer eigenen Haustüre auftauchen, oder an die Fundi-Einsprecher beim Co2Gesetz. Die Lastwagen-Transitlobby wird sich freuen.
Das Bessere ist der Feind des Guten… Ob das geplante Hafenbecken 3 mit dem
kombinierten Terminal wirklich das Bessere ist, dazu die Meinung eines Praktikers,
der die Situation bestens kennt:
https://bajour.ch/a/cxW0WETVa3JQWysX/das-schlimmste-ware-wir-bauen-einen-hafen-und-keiner-fahrt-hin
Meine Schlussfolgerung: Keine Biotopzerstörung für eine unbrauchbare Lösung!
Klare Analyse der Ausgangslage, die mein Abstimmungsverhalten geändert hätte. Insbesondere durch die Verknüpfung mit der inzwischen genehmigten zweiten Gotthardröhre! Aber leider kam der Artikel für mich zu spät. Und eigenartigerweise figurierte er nicht im entsprechenden, ausnahmsweise nur 1 Artikel auflistenden Infosperber-Newsletter. Zufall?