Stromkonzern Alpiq fährt im Slalom aus der Schuldenfalle
Gäbe es eine Olympiade für unternehmerisches Slalomfahren, gewänne die Schweizer Alpiq die Goldmedaille. Sie startete forsch, investierte viel Geld in inländische Atom- und Wasser-, sowie in ausländische Kohle- und Gaskraftwerke. Noch vor der Zwischenzeit entwickelte sie sich zum bedeutenden europäischen Stromproduzenten, Stromhändler und zur Nummer 1 in der Schweizer Gebäudetechnik.
Im Mittelteil aber stand der Mischkonzern mehrmals vor dem Einfädeln und Ausscheiden. Hohe Schulden stellten seine Kreditwürdigkeit in Frage, nachdem das Alpiq-Management mit seinen in den Sand gesetzten Kraftwerk-Investitionen im Ausland und im Wallis (Nant de Drance) Abschreibungen und Verluste in Milliardenhöhe verursacht hatte. Über der Piste kreisten bereits die Pleitegeier. Um heil durch die Tore zu kommen, musste die Alpiq Ballast abwerfen.
Darum stiess sie nach seit 2010 alles ab, was sie nach der forschen Expansion irgendwie loswerden konnte: Zuerst verramschte sie ihre ab 2002 gekauften Anteile an Gaskraftwerken in Italien sowie ihr eigenes Gaskraftwerk in Frankreich. Später verabschiedete sie sich von ihren Beteiligungen an der Bündner Stromgesellschaft Repower AG und an der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. Dann verkaufte sie Anteile am neuen, noch nicht einmal vollendeten Pumpspeicher-Kraftwerk Nant de Drance, ihre regionalen Versorgungsgesellschaften und vieles mehr.
Ankündigungen mit kurzer Halbwertszeit
Mit Ach und Krach erreichte die Alpiq vor zwei Jahren den Schlusshang des Slaloms. In diesem Finale bewältigte sie die letzten Richtungswechsel ebenso abrupt wie virtuos:
o Im März 2016 bot die Alpiq 49 Prozent ihrer verbliebenen Wasserkraftwerke und Wasserkraft-Beteiligungen zum Verkauf an. Dazu gehören unter andern die Speicherkraftwerke Grand Dixence, Cleusson Dixence, Chandoline im Wallis, die Blenio- und Maggia-Kraftwerke im Tessin, die Engadiner- und Hinterrhein-Kraftwerke im Kanton Graubünden sowie diverse Flusskraftwerke im Mittelland.
o Im März 2017 konstatierte Konzernchefin Jasmin Staiblin vor den Medien, die Alpiq habe bisher keinen Käufer gefunden, der bereit sei, den – unbekannten – Preis für die feilgebotenen Wasserkraft-Beteiligungen der Alpiq zu bezahlen. Gleichzeitig lud sie Investoren ein, Minderheitsanteile an den drei «profitablen Wachstumsfeldern» zu erwerben, nämlich an den Konzernteilen «Digital & Commerce» (vorab Stromhandel), «Industrial Engineering» (Kraftwerkbau) sowie «Building Technology & Design» (Gebäude- und Mobilitätstechnik). Dabei betonte die Geschäftsleitung sowohl an der Medienkonferenz als auch im Geschäftsbericht 2016, Seite 67: «Alpiq wird die Kontrolle über diese drei Geschäftsbereiche behalten.»
o Gestern, am 26. März 2018 folgte dann der letzte scharfe Umschwung vor dem Ziel. So bestätigte die Konzernleitung, was Sonntagszeitungen bereits, aber unpräzis voraus geschrieben hatten: Die Alpiq verkauft ihre Sparten Gebäudetechnik und Kraftwerkbau für 850 Millionen Franken vollständig an den französischen Baukonzern Bouygues.
Damit gibt die Alpiq-Führung die Kontrolle über zwei viel gelobte Geschäftsbereiche preis, die sie noch vor einem Jahr laut eigenen Aussagen behalten wollte. Gleichzeitig kündigt sie jetzt an, sie werde das 49-prozentige Verkaufsangebot für die verbliebenen Wasserkraftanteile «sistieren». Und in Zukunft wolle sich die Alpiq allein aufs «Kerngeschäft fokussieren», nämlich «den internationalen Energiehandel, das Kundengeschäft und die Digitalisierung sowie die (hydrologische, fossile und nukleare) Stromproduktion in Europa und der Schweiz».
Wie lange die Alpiq diese neuste Strategie durchhält, ist offen. Die Gültigkeit dieser Strategie wird auf jeden Fall kürzer sein als die Halbwertszeit des Atommülls, den die Alpiq mit ihren weiterhin bestehenden AKW-Beteiligungen in Gösgen und Leibstadt produziert.
Die finanziellen Schulden sind weg …
Nach dem unternehmerischen Zickzack-Kurs, den die Alpiq in den letzten Jahren vorführte – zwischen verlustreicher Expansion und schuldenvermindernden Devestitionen im Stromgeschäft, zwischen dem Ausbau der Gebäudetechnik, der Diversifizierung in neue Geschäftsfelder und der Zurück-«Fokussierung aufs Kerngeschäft» –, nach diesem Slalom erscheint die letzte Kurve betriebswirtschaftlich immerhin plausibel. Denn die zu erwartenden bescheidenen Gewinne aus den – personalintensiven aber relativ umsatzschwachen – Sparten Kraftwerkbau und Gebäudetechnik hätten mittelfristig kaum ausgereicht, um die Alpiq finanziell zu sanieren.
Der hundertprozentige Verkauf an den französischen Bauriesen Bouygues hingegen, sofern er in den nächsten Monaten alle Hürden (Wettbewerbskommission, etc.) überwindet, bietet Chancen für beide Seiten: Mit dem hohen Verkaufspreis von 850 Millionen Franken kann der zweitgrösste Schweizer Stromkonzern seine restliche Netto-Verschuldung im Geschäftsjahr 2018 vollständig tilgen. Die finanzstarke Baufirma Bouygues ihrerseits dürfte finanziell in der Lage sein, die Alpiq-Sparten Gebäudetechnik und Kraftwerkbau international zu erweitern und damit die über 7000 zu transferierenden Arbeitsplätze zu erhalten oder gar zu erhöhen.
… aber die Risiken bleiben bestehen
Mit der Konzentration aufs volatile, schwer voraussehbare Stromgeschäft vergrössert die Alpiq zwar ihr Klumpenrisiko. Immerhin sieht die betriebswirtschaftliche Zukunft für produktionslastige Stromhändler heute heller aus als in den letzten Jahren. So zeichnet sich in Europa nach der Phase mit Überkapazitäten und tiefen Marktpreisen mittelfristig ein Strommangel ab, wenn die deutschen Atomkraftwerke ab 2020 vom Netz gehen und die Klimapolitik höhere Kosten für CO2-Emissionen auslöst. Zumindest Produzenten mit flexibel regulierbarer Wasserkraft dürften von den mittelfristig wieder steigenden Preisen auf dem Strommarkt profitieren, auch wenn Bundesrat und Parlament dem Druck der Stromlobby, die Wasserzinsen zu senken, nicht nachgeben.
Das ökonomische, politische und ökologische Risiko der Atomstrom-Produktion hingegen bleibt bestehen und wird sich langfristig verschärfen. So schwanken die Halbwertszeiten, also die Verringerung der radioaktiven Strahlung auf jeweils die Hälfte, je nach nuklearem Stoff zwischen Tausenden und Millionen von Jahren. Dieses Risiko tragen nicht die Eigentümer der Atomkraftwerke, sondern Staaten, Bevölkerung und vor allem viele nachfolgende Generationen. Gemessen daran ist und bleibt die betriebswirtschaftliche Entwicklung der Alpiq eine Fussnote.
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Zechprellerei bei Wasserkraft ohne Folgen?
Die Alpiq und andere Stromproduzenten wollen den Preis für die Primärenergie Wasserkraft, also die Wasserzinsen, mittels politischem Lobbying senken. Aber nicht nur das. Die Alpiq weigert sich seit drei Jahren, den kantonalen Anteil der Wasserzinsen des Kraftwerks «Salanfe SA» im Kanton Wallis zu bezahlen. Das enthüllte Infosperber letzten Sonntag, und Alpiq-Sprecher Guido Lichtensteiger bestätigte diesen Sachverhalt.
Damit fragt sich, ob der Kanton Wallis diese Zechprellerei mit einer Klage oder Beschwerde bekämpft. Diese konkrete Frage, gestellt gestern an der Jahres-Medienkonferenz der Alpiq, mochten weder Jasmin Staiblin noch Finanzchef Thomas Bucher beantworten. Es handle sich, sagten die beiden Befragten, um einen juristischen Streit, der «seit einigen Jahren vor Bundesgericht hängig ist». Dabei würden «Schriftwechsel geführt». Ende der schwammigen Durchsage.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine